Reichsritterschaft

[139] Reichsritterschaft, oder unmittelbare Reichsritterschaft. Man versteht darunter den ansäßigen und mit seinen Besitzungen unmittelbar vom Kaiser und Reich abhängigen Deutschen Reichsadel. Es hatten sich nehmlich im Mittelalter niedere Adeliche des Reichs, besonders in Schwaben, Franken und am Rhein, durch gemeinschaftlichen Beistand gegen die immer weiter um sich greifende Obermacht der Landesherren zu behaupten gesucht; vielen derselben gelang dieses Unternehmen, sich im Besitze ihrer Reichs-Unmittelbarkeit zu erhalten. Die auf solche Art frei gebliebenen Reichsritter theilten sich nach der Lage ihrer Güter in drei Ritterkreise, den Schwäbischen, Fränkischen und Rheinischen, deren jeder einen Director hat; alle drei zusammen stehen unter einem Generaldirectorium, welches in den Kreisen wechselt. Jeder Kreis enthält Cantons, die auch Vierthel oder Orte heißen; jeder Canton aber erkennt als Obrigkeit einen Ritterhauptmann, nebst Ritterräthen und Ausschüssen. Die Güter der einzelnen Cantons sind zwar zahlreich, aber unbedeutend, indem sie nur in Städtchen, Schlössern, Herrschaften, Dörfern oder kleinen Gutern bestehen (man sehe Büschings Erdbeschreibung von Deutschland, zu Ende). Der Schwäbische [139] Ritterkreis hat 5 Cantons, der Fränkische 6 und der Rheinische 3. Die einzelnen Kreise haben besondere von den Kaisern im 16. und 17. Jahrhundert bestätigte Ritterordnungen, und halten unter sich Kreistage oder Zusammenkünfte ihrer Mitglieder. Statt der ehemahls in Person zu leistenden Kriegsdienste entrichten sie dem Kaiser eine freiwillige Steuer unter dem Namen Caritativsubsidium, sind aber des Widerspruchs der Stände ungeachtet von Römermonathen und Cammerzielern befreit. Ihre Reichs-Unmittelbarkeit macht sie noch nicht zu Reichsständen; sie sind und bleiben Unterthanen des Reichs, denn nie konnten sie Sitz und Stimme auf dem Reichstage erlangen. Doch besitzen sie Landeshoheit nebst den daraus herfließenden Rechten der Staatsgewalt, wiewohl unter mannigfaltigen Einschränkungen; gewöhnlich fehlt ihnen die höhere Criminalgewalt. Ueberhaupt aber läßt sich über ihre Rechte im Allgemeinen fast gar nichts bestimmen, da die Erwerbungsart derselben durchgängig verschieden ist, je nachdem sie sich theils auf Herkommen, theils auf Concessionen und Privilegien gründen. Auch sind die Verhältnisse, in denen die Reichsritter mit den angränzenden Reichsständen stehen, unendlich mannigfaltig; die Letztern haben sich nicht selten einen größern oder geringern Theil der Landeshoheit über sie zugeeignet. Die Zahl der Reichsritter wird zwar bisweilen durch Aufnahme neuer Mitglieder vermehrt, nimmt aber im Ganzen genommen sehr ab, weil viele Güter derselben von den benachbarten Landesherren angekauft werden, oder ihre Familien aussterben. Diese Abnahme würde noch merklicher sein, wenn nicht der Kaiser sie schützte, und die Veräußerung ibrer Besitzthümer an Fremde in ihren Grundgesetzen große Schwierigkeiten fände.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 4. Amsterdam 1809, S. 139-140.
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