Tycho von Brahe

[257] Tycho von Brahe, ein berühmter Astronom des 16. Jahrhunderts, der aus einem Dänischen altadelichen Geschlechte, Brahe, abstammte, – unter seinem Vornamen Tycho ist er bekannter und berühmt – war auf dem Gute seines Vaters, Knudstrup, bei Helsingborg in Schonen, 1546 geboren. Von seinem Vater zum Soldatenstande bestimmt, widmete ihn der Onkel, der seine Erziehung übernahm, den Wissenschaften; und frühzeitig schon zeigte Tycho große Liebe zur Astronomie, und nach dem Geiste des Zeitalters zugleich zur Astrologie. Zwar beschäftigte er sich auch mit der Dichtkunst; aber eine Sonnenfinsterniß im Jahr 1560, die genau in dem Augenblicke eintrat, den die Astronomen vorher gesagt hatten, bestimmte ihn ganz für die erstere, weil er sie für eine göttliche Wissenschaft ansah: und ob er gleich anfangs dieß Studium nur in Geheim treiben durfte, da sein Hofmeister, mit dem er seit 1562 die Universität Leipzig besuchte, ihn nach dem Willen seines Onkels bloß [257] zum Rechtsgelehrten bilden wollte, so verschasste ihm doch der Todt seines Onkels (1565) die Freiheit, ganz nach seiner Neigung zu studiren. Er ging 1566 nach Wittenberg und Rostock, und hatte hier den unangenehmen Vorfall, im Zweikampf mit einem Dänischen Edelmann (wegen eines astronomischen Streits) einen Theil seiner Nase zu verlieren, die er von jetzt an mit einer, aus einer Composition von Gold und Silber verfertigten zu bedecken pflegte. Schon im Jahre 1567 beobachtete und beschrieb er eine merkwürdige Sonnenfinsterniß; und obgleich der Dänische Adel über ihn, der weder Krieger noch Staatsmann war, spottete, so wurde doch König Friedrich II. von Dännemark – ein großer Beförderer der Gelehrsamkeit – auf ihn aufmerksam, und fing an, ihn zu unterstützen: ein Gleiches that Steen Bille, Tychoʼs mütterlicher Onkel, der ihm auch erlaubte, auf seinem Landgute ein Observatorium und Laboratorium anzulegen, weil Tycho zugleich mit Verbesserung der astronomischen Instrumente und der Chemie, so wie in der Folge auch sogar mit der Medicin sich beschäftigte. Ungeachtet sein Ruhm sich immer mehr vergrößerte, und er sogar auf Verlangen des Königs mathematische Vorlesungen halten mußte, wollte er doch Dännemark verlassen. Da er aber, um sich einen Wohnort zu suchen, mehrere Städte besuchte, und besonders eine Reise nach Hessen that, so lernte ihn der Landgraf Wilhelm († 1592) – ein großer Freund der Mathematik – kennen, und empfahl ihn so nachdrücklich bei dem König von Dännemark, daß dieser ihm 1576 die im Sunde gelegene kleine Insel Hween oder Ween auf Zeitlebens überließ, und ihm zugleich die Kosten zu Aufrichtung nöthiger Gebäude, und zu Anschaffung und Verfertigung guter Instrumente für Astronomie und Chemie zusicherte. Tycho ließ nun in demselben Jahre auf dem höchsten Platze dieser Insel ein ganz neues Schloß mit einer Sternwarte, dergleichen noch nie existirt hatte, und mit vielen Anlagen für Astronomie und Chemie, einer Buchdruckerei etc. aufführen, und nannte dieses Schloß Uranienburg. Hier konnte er seine vorher angefangenen Beobachtungen und seine Arbeiten an astronomischen Instrumenten fortsetzen, gab jungen [258] Leuten in der Mathematik Unterricht, und erhielt nicht bloß von den berühmtesten Astronomen Europaʼs, sondern auch von Königen und Fürsten Besuche. Im Jahr 1582 machte er sein Weltsystem bekannt, das besonders seinen Namen verewiget hat. Nach diesem System ist die Erde in der Mitte des Weltgebäudes, um welche sich zunächst der Mond, um beide aber die Sonne bewegt; um die Sonne bewegen sich die Planeten Merkur und Venus in kleinern, Mars, Jupiter und Saturn in größern Kreisen, alle aber um die Erde. Außer dem gewöhnlichen Lauf der Sonne, den sie täglich ein Mahl um die Erde zurücklegt, hat sie jährlich noch ihre besondere Bahn nach Süden und Norden, wodurch die vier Jahreszeiten entstehen. Dieses System ist jedoch durch das ältere, welches Copernicus (s. d. Art.) aufgestellt hatte, verdrängt worden. – Unter diesen gelehrten Beschäftigungen, unter welche auch immer noch die Astrologie, von Friedrich selbst geschätzt, gehörte, hatte Tycho bisher, stets mit neuen Wohlthaten von diesem Fürsten überhäuft, mit seiner Familie gelebt – schon 1574 hatte er, zu großem Aerger des stolzen Dänischen Adels, sich mit eines Bauers Tochter verheirathet, mit der er eine vergnügte Ehe führte und acht Kinder zeugte –, als 1588 sein großer Gonner starb, und Tychoʼs Feinde nun Gelegenheit fanden, gegen ihn aufzutreten und ihm die von Friedrichen angewiesenen Einkünfte nach und nach zu entziehen, wozu sein Stolz, auch manche eigenmächtige Handlungen immer mehr beförderlich waren. Tycho, der aus Liebe zur Astronomie sogar einen großen Theil seines eignen Vermögens aufgeopfert hatte, stand jetzt in Gefahr, mit seiner Familie in große Durstigkeit zu gerathen. Dieß bewirkte seinen Entschluß, sein Vaterland zu verlassen. An Kaiser Rudolph II. – der über Alchemie, Astronomie und Astrologie die Regierungsgeschäfte vergaß – empfohlen, ging er, von diesem berufen, 1599 nach Prag, nachdem er Dännemark schon 1597 verlassen hatte. Rudolph empfing ihn sehr liebreich, setzte ihm eine jährliche Besoldung von 4000 Ducaten aus, gab ihm anfangs ein Haus in der Stadt, und (weil Tycho hier durch das Geräusch des Hofes, besonders durch das Lauten des in der Nähe [259] gelegenen Capucinerklosters, bei den nächtlichen Betstunden, in seinem Studium gestört wurde) das nicht weit von der Stadt gelegene Schloß Benateck, wo Tycho ein zweites Uranienburg einrichtete. Da er jedoch sich wieder nach der Stadt sehnte, erhielt er seine vorige Wohnung wieder, und – ein Beweis, wie sehr Rudolph ihn schätzte – die Capuciner mußten ihre Betstunden Abends vor Aufgang der Sterne halten. Allein das Schicksal wollte, daß Böhmen nicht lange des berühmten Mannes sich erfreuen sollte. Bei einem Gastmahle zog er sich eine Strangurie und ein Fieber zu, an dem er kurz darauf am 24. October 1601 starb. Er wurde, wenn gleich nicht Katholik, in die Hauptkirche der Altstadt Prag begraben, und ihm in der Folge ein Grabmahl daselbst errichtet, welches noch jetzt vorhanden ist. – Braheʼs Verdienste um sein Vaterland, so wie um die Wissenschaften überhaupt, sind groß. Er maß die Entfernungen der vornehmsten Städte Dännemarkʼs von einander, machte eine Liste der dasigen Kirchspiele, bewirkte dort das Studium der Mathematik und Astronomie und die Liebe zu den Wissenschaften, auch unter dem Adel. Besonders dankt man ihm zuerst ein richtigeres Verzeichniß der Fixsterne, neue Aufschlüsse über die Kometen, über den Mond und über die Refraction (s. d. Art.), so wie eine große Verbesserung der astronomischen Instrumente. Seine eignen Werkzeuge, unter denen sich besonders eine große messingne Himmelskugel auszeichnete, wurden nach und nach für 20,000 Thaler, zum Theil an den Kaiser Rudolph, verkauft; allein bei der Verwüstung der Stadt Prag, nach der Schlacht auf dem weißen Berge 1620, wurden sie größten Theils vernichtet. Nur ein großer Sertant (s. d. Art.) ist von denselben noch in Prag befindlich. Auch seine Uranienburg kennt man jetzt nur noch dem Namen nach. Was seinen Charakter betrifft, so kann man ihn nicht von einem großen Stolze, von einer in seinem Zeitalter gewöhnlichen, durch die Astrologie beförderten, Leichtgläubigkeit, von einem Hang zum Spotte über andere, und von einem gewissen Neide, der ihn hinderte, alle seine Entdeckungen bekannt zu machen, und wodurch dieselben in der Folge zum Theil für die Wissenschaften verloren [260] gingen, frei sprechen; allein, alle diese Fehler können seinen bleibenden Verdiensten keinen Eintrag thun.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 257-261.
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