Tyrol

[262] Tyrol, ehedem eine gefürstete Grafschaft im Oestreichischen Kreise (in dem südlichen Theile Deutschlands), jetzt eine Bayerische Provinz, gegen Morgen an Salzburg, Kärnthen, Friaul, gegen Mittag an die sonstigen Venetianischen Staaten, gegen Abend an die Schweiz und Graubündten, gegen Mitternacht an Bayern und Schwaben grenzend. Dieß Land, ehedem ein Theil von dem alten Rhätien, hatte mit diesem einerlei Schicksale, bis es unter die Römer kam. Diesen nahm es zuerst im 6. Jahrhundert der Bayersche Herzog, Theodo II. ab (die hieher gesetzten Markgrafen hießen nun Markgrafen an der Etsch); dann kam es ungefähr im 10. Jahrhundert an die Grafen von Andechs, die sich Herzoge von Meran schrieben; von diesen fiel die Grafschaft Tyrol (1248) an die Grafen von Görz, welche sie 118 Jahre besaßen, bis sie von der letzten Prinzessin, Margarethe Maultasch, 1366 an Oestreich abgetreten wurde, bei welchem es nun auch bis auf die neuesten Zeiten blieb, wo dann aber der allgemeine Staatenwechsel dem letztern Hause dieß kostbare Eigenthum entzog, indem es, durch den nach der Schlacht bei Austerlitz (1805) geschlossenen Presburger Frieden, zugleich [262] nebst den Fürstenthümern Briren, Trient und den Voralbergischen Herrschaften an Bayern abgetreten werden mußte, welches dasselbe auch (11. Febr.) 1806 förmlich in Besitz nehmen ließ.

Dieses herrliche Land, ehedem die größte Grafschaft, die man kannte, und mit Recht die Vormauer Deutschlands gegen Italien genannt, ist von der höchsten Bedeutung. Durch seine Bevölkerung, seine Lage, durch die Berge, die es umgeben und ihm zum Bollwerke dienen, durch die vielen reichhaltigen Bergwerke und durch seine Producte, endlich durch seine Festungen ist der Besitz desselben so wichtig, daß Bayern dadurch sich in die Classe der größern Mächte versetzt sieht. – Durch die beiden dieses Land durchströmenden Flüsse, den Jun und die Etsch, wird es ins Innland oder Innthal (den obern Theil von Tyrol, gegen Graubündten zu), und ins Etschland (den untern Theil gegen die Italiänischen und Krainischen Grenzen zu) eingetheilt. Die Eisberge sind in diesem Lande schön, aber auch gefährlich:1 sie führen den Namen Ferner; und das Oezthal hat vorzugsweise den Namen des großen Ferners. Schnee und Eisschichten, die sich von sehr vielen Jahren her zusammen thürmen, machen ganze Berge aus, die dann auf einmahl plötzlich in das Thal herab stürzen, dann ungeheure Dämme bilden, und die Bäche in große Seen – die Ferner-Seen – umwandeln, die sich dann in fürchterlichen Strömen ergießen. Ein äußerst fruchtbares Land – Kaiser Carl V. nannte es das Herz der umliegenden Länder, und Maximilian I. pflegte es mit einem groben Bauerkittel zu vergleichen, der zwar viel Falten habe und grob, aber dabei auch sehr warm sei – an herrlichen Baumfrüchten, an Citronen, Pomeranzen etc. an trefflichem Wein [263] (besonders dem Traminer), hat es auch Reichthum an Mineralien, an Kupfer- und andern Bergwerken etc. Die Gemsen sind hier bekannter Maßen zu Hause, nicht minder die Steinböcke. – Die Einwohner selbst, deren liebstes Gewerbe die Jagd ist, (und besonders diese Gemsenjagd, die sie zu leidenschaftlichen Jägern macht) sind wegen ihrer Biederkeit und Treue, wegen ihrer Thätigkeit und Arbeitsamkeit bekannt genug. Als kühne Krieger und muthvolle Vertheidiger ihres Vaterlandes zeigten sie sich schon 1702 gegen die Bayern und Franzosen, zeigten sich noch mehr hundert Jahre darauf bei dem Eindringen der Franzosen unter Moreau. Von ihrer Treue gegen ihren Landesherrn zeugt die rührende Entsagungsurkunde vom Oestreich: Kaiser Franz II. (von 1805). Als Beweis der Industrie derselben, mit der auch der kleinste Handelszweig hier betrieben wird, erwähnen wir nur den Ort Riva, im Italiänischen Tyrol, am Gardasee, wo in zehn bis zwölf Werkstätten täglich 200 Dutzend Maultrommeln (guimbardes) fabricirt werden, die nach Genua und Livorno, und von hier wieder zur See in fremde Länder gehen. Der Handel mit Kanarienvögeln soll auf 37,000 Fl. einbringen – eine Angabe, die aber doch wohl zu übertrieben ist. So wandern auch jährlich sehr viele Tyroler mit ihren Erzeugnissen von Teppichen, feinen Holzwaaren, mit Oehlen, Essenzen etc. umher. – Schlüßlich erwähnen wir noch der Verordnung vom 21. Nov. 1806, durch welche die Bayersche Provinz Tyrol in 24 Landgerichte und 22 Rentämter eingetheilt worden, welche dann zusammen – ein Beweis der Größe und Bevölkerung dieses Landes – 443½ Quadr. Meile und 618,893 Einwohner enthalten.

1 Der höchste Berg von Tyrol ist der Orteles, mit Gletschern umgeben und mit ewigem Schnee bedeckt. Bis zum Jahr 1804 hielt man ihn für unersteigbar; allein hier unternahm es einer der kühnsten Gemsenjäger, Joseph Pichler, und erstieg mit zwei Bauern den 27. Sept. wirklich die Spitze dieses Bergs. Aber nicht länger als 4 Minuten konnten sie hier ausdauern, und kamen halb erfroren von ihrer 17 Stunden langen Tour zurück. Indessen hat man doch durch die mitgenommenen Barometer herausgebracht, daß die Ortelesspitze wenigstens 14,200 Pariser Fuß über das Mittelländische Meer erhaben ist.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 262-264.
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