Braunschweig

[141] * Braunschweig. – Die Schicksale der Einen, der Chur-Linie findet man näher in dem Art. Hannover und den Nachtr. dazu. Das letzte Schicksal der Andern, der Wolfenbüttelschen Linie (womit auch der zunächst folgende Art. Herzog C. W. Ferd. v. Braunschweig verglichen werden kann) [141] entschied sich eben unter diesem unglücklichen Herzoge in dem neuesten französisch-preußischen Kriege 1806 ganz zum Verderben dieser Linie. Es wurde am 28. October als ein erobertes Land für den Kaiser von Frankreich in Besitz genommen, und nachher zu dem Königreich Westphalen geschlagen, wo es denn zu dem Departement der Ocker gezogen wurde.

Carl Wilhelm Ferdinand Herzog von Braunschweig Wolfenbüttel, einer der verdienstvollen, aber am Ende seines Lebens unglücklichsten deutschen Fürsten der neuesten Zeit, war am 8. October 1735 geboren, und der älteste Sohn des regierenden Herzogs Carl von Braunschweig-Wolfenbüttel und Philippinen Charlotten, Prinzessin von Preußen (Schwester König Friedrichs II. von Preußen). Seit seinem 7ten Jahre wurde seine Erziehung dem berühmten Abt Jerusalem, damaligen Hofprediger zu Wolfenbüttel, übertragen; seit dem zwölften besuchte er das Carolinum zu Braunschweig, hatte aber noch immer Jerusalem zum Lehrer und einen verdienstvollen Kammerherrn von Wittorf zum Führer. Unter ihrer und anderer verdienter Männer Leitung erwarb er sich viele Kenntnisse in der Geschichte, Mathematik, fremden Sprachen, in den Kriegswissenschaften und schönen Künsten, da er von Natur sehr vorzügliche Anlagen besaß. Trotz der Pracht, der Freude und dem Genusse, die an seines Vaters Hofe herrschten, ließ er sich doch keine Ausschweifungen – die in der Liebe ausgenommen – zu Schulden kommen, und früh regte sich seine Begierde nach Ruhm, die durch die Thaten seines mütterlichen Onkels, Friedrichs II., immer mehrere Nahrung erhielt. Der siebenjährige Krieg gab ihm Gelegenheit, seine Talente zu zeigen. Beim Ausbruche desselben führte er die braunschweigischen Truppen zur Armee der Alliirten und zeigte in der für diese unglücklichen Schlacht bei Hastenbeck am 26. Juli 1757, nach Friedrichs II. Urtheil, durch seinen ersten Versuch, daß ihn die Natur zum Helden bestimmt habe, indem er eine von den Franzosen eroberte Batterie, im Mittelpunkte der alliirten Armee, von jenen wiedereroberte. [142] Im folgenden Jahr entschied er den Sieg, den sein väterlicher Onkel, Herzog Ferdinand von Braunschweig (s. dies. Art.) über den französischen General Clermont bei Crevelt am 23. Juni erfocht. Er nahm überhaupt an allem, was die Armee unter Ferdinanden ausführte, den thätigsten Antheil; sein Name wurde immer neben den Namen Friedrichs, Heinrichs und Ferdinands in diesem Kriege mit Ruhm genannt, u. Friedrichs Achtung gegen ihn stieg immer mehr. Nach Beendigung des siebenjährigen Krieges vermählte er sich (1764) mit der Prinzessin von Wallis, Auguste (Schwester des jetzigen Königs von Großbritannien), die ihm einen sehr ansehnlichen Brautschatz zubrachte, und dem Lande dadurch viele Unterstützung verschaffte, allein eben so wenig im Stande war, die zerrütteten Finanzen des Landes herzustellen, als es ihr gelang, ihren Gemahl sich völlig eigen zu machen, zumal da er 1766 eine Reise nach Italien unternahm (und von da auch eine Geliebte mit zurückbrachte). Indessen, da er die Lage seines Vaterlandes kennen lernte, so machte er sich schon jetzt die größte Sparsamkeit zur Pflicht, und lebte, meistens von Geschäften zurückgezogen, für die Wissenschaften und schönen Künste. Im Jahr 1773 trat er in preußische Kriegsdienste, ward General der Infanterie und Commandant eines Infanterieregiments zu Halberstadt, hatte aber bei dem langen, durch den baierischen Erbfolgekrieg 1778 nur sehr unbedeutend unterbrochenen Frieden, keine Gelegenheit, seine kriegerischen Anlagen völlig auszubilden. Nach seines Vaters Tode (1780) trat er die Regierung mit größtem Ernste und größter Thätigkeit an. Zuerst auf die nothwendige Verbesserung der Finanzen bedacht, schränkte er seine Hofhaltung, ungeachtet niemand eigentlich außer Brod gesetzt wurde, doch sehr ein; allein, da hierdurch die Stadt und die gewerbetreibenden Stände viel zeitherige Vortheile dadurch verloren; so erregte schon dieses viel Mißvergnügen, wenn auch der Herzog nicht bisweilen seine Sparsamkeit bis ins Kleinliche getrieben hätte. Indeß war er nichts weniger als geizig, sondern blos auf das Wohl seines Landes bedacht; er [143] sorgte für Verminderung der Landesschulden, für den Ackerbau, für die Freiheit des Handels, unternahm und unterstützte ansehnliche Baue, gab brauchbaren Staatsdienern und Privatpersonen bedeutende Unterstützungen; aber auch selbst für das öffentliche Vergnügen (z. B. unentgeldliche italiänische Oper, Freiredouten u. s. w.) sorgte er eben so angelegentlich. Ungeachtet aber dem Herzog nichts mehr am Herzen lag, als das Wohl seines Landes, und er zur Verminderung der Schulden sich die Sparsamkeit zur Pflicht machte; so wurde doch diese dem Lande wieder nachtheilig. Er hatte, um die Bezahlung jener Schulden zu beschleunigen, die Zinsen der im Lande selbst erborgten Capitalien von fünf zuletzt bis auf 2½ Procent herabgesetzt. Hierdurch verminderten sich die Einnahmen der Capitalisten und der Erwerb für die gewerbetreibenden Stände, besonders in der Hauptstadt Braunschweig. Zum Ersatz für diesen Verlust suchte er reiche Edelleute an den Hof und in seine Dienste zu ziehen, damit sie Braunschweig zu ihrem Wohnorte wählen und ihre Einkünfte hier verzehren sollten; allein der Aufwand, den diese reichen Fremdlinge machten, wurde von andern, weniger begüterten adlichen Familien, und sogar von Personen aus niedern Ständen, über ihre Kräfte nachgeahmt, und so entstand ein Luxus, der Schulden und Bankerutte nach sich zog. Ueberhaupt hatte der Herzog bisweilen das Unglück, bei dem besten Willen, den von ihm beabsichtigten Zweck entweder nicht ganz, oder auch gar nicht zu erreichen. Dies war zum Theil der Fall bei der Reform des Unterrichts und der öffentlichen Erziehung, auf welche er große Summen verwendete und noch mehr verwendet haben würde, wenn seinen Plänen keine Hindernisse in den Weg gelegt worden wären. Außer der allgemeinen Aufsicht auf seinen Staat und dessen Wohl, nahm der Herzog auch an den Arbeiten seines Kammer- und geheimen Rathscollegiums Antheil, wohnte den Sitzungen bei, oder ließ sich vortragen, die Akten vorlegen, und prüfte und entschied über sie selbst. Er führte einen sehr ausgebreiteten Briefwechsel und beschäftigte sich auch, als preußischer General, mit [144] den preußischen Militairangelegenheiten sehr genau. Schon sechs Jahre seiner Regierung waren verflossen, als er sich aufs neue an die Spitze einer Armee stellen mußte. In Holland hatten die sogenannten Patrioten 1787 die Erbstatthalterin auf einer Reise nach dem Haag bei Schoonhoven angehalten. König Friedrich Wilhelm II. von Preußen, der diese seiner Schwester angethane Beleidigung nicht dulden wollte, übertrug daher dem Herzog, mit einem Armeecorps nach Holland zu marschiren. Am 13. September rückte der Herzog mit demselben aus Westphalen in Holland, und schon am 10. October in Amsterdam ein; die alte Verfassung wurde wieder hergestellt und der Erbstatthalter in seine Rechte wieder eingesetzt. Die Schnelligkeit, mit welcher dieses geschah und dieser sogenannte Feldzug beendiget wurde, erwarb dem Herzoge viel und vielleicht mehr Ruhm, als er verdiente. Kein Wunder, daß man, als fünf Jahre nachher der französische Revolutionskrieg ausbrach, eine fast eben so schnelle Beendigung desselben durch ihn erwartete, zumal da die lügenhaften Vorspiegelungen der französischen Emigranten diese vorgefaßte Meinung noch mehr bestätiget hatten. – Der Herzog erhielt den Oberbefehl über das östreichische und preußische Heer zugleich. Ehe er in Frankreichs Grenzen einrückte, erschien am 25. Juli 1792 von Coblenz aus das berüchtigte, Frankreich drohende Manifest unter seinem Namen, von dem er aber nicht Verfasser war, und welches nur dazu diente, in Frankreich die Gemüther mehr zu erbittern und – bei dem nachherigen baldigen Rückzuge der Deutschen – selbst in Deutschland Spott zu erregen. Der Herzog hatte den kühnen Plan, sogleich auf das, von Lothringen aus nur wenige Tagereisen von den französischen Grenzen entfernte Paris loszugehen, ihm alle Zufuhr abzuschneiden und so mit leichter Mühe durch Hunger zu erobern. Dadurch hoffte er sodann, alle Gährungen im ganzen Reiche zu vernichten. Alle deutsche Armeecorps drangen daher seit dem Anfange des August gegen Lothringen vor, der Herzog mit dem Hauptheere von Trier her. Schon am 23. August ergab sich ihm die berühmte [145] Festung Longwy, die Ludwig XIV. Frankreichs Eisen-Thor nannte; und Verdün folgte am 2. September. Allein der Eingang von Champagne, durch steile Gebirge, Engpässe, Wälder unwegsam und an sich unfruchtbar, erschwerte die Zufuhr für die Armee von den Grenzen her, und überdies stand Dümouriez in seinem Lager bei St. Menehould den Alliirten entgegen, mit dem sie zwar täglich im Gefecht waren, der aber eine Hauptschlacht vermied, theils um Frankreichs Schicksal nicht aufs Spiel zu setzen, theils weil er voraussah, daß die Deutschen ohnehin durch Mangel und Krankheiten zum Rückzuge genöthiget werden würden. Diese empfanden auch beides allerdings sehr bald, und deshalb suchte der Herzog, Dümouriez wider seinen Willen zu einer Schlacht zu nöthigen, indem er am 20. September einen Angriff auf das Corps der französischen Armee unter Kellermann bei Valmy oder Suippe wagte. Allein da ihm Dümouriez zu Hülfe kam, behaupteten die Franzosen ihre Stellung; zwei Tage darauf sahen sich die Deutschen schon zu einem Waffenstillstand, und 7 Tage nach diesem (am 29. Sept.) zum Rückzug aus Champagne genöthiget. Da während dieses Rückzuges, und ehe Frankreich von den Deutschen ganz geräumt war, Cüstine durch seine glücklichen Unternehmungen und Einverständnisse die Festung Mainz am 21. October in seine Gewalt gebracht hatte; so war man besonders auf die Wiedereroberung derselben bedacht. Der Herzog eröffnete daher mit den Oestreichern gemeinschaftlich den Feldzug im Jahre 1793 am Ober-Rheine, eroberte am 7. März die Festung Königstein bei Mainz, und suchte nun die Eroberung der berühmten französischen Festung Landau vorzubereiten, zu der man aber erst durch Eroberung der Weißenburger Linien sich den Weg bahnen mußte. Die Franzosen im Gegentheil, um Landau zu entsetzen, unternahmen den 14. September einen allgemeinen Angriff von Strasburg bis Saarbrück gegen Wurmser und den Herzog, der an diesem Tage Gelegenheit hatte, mit dem nachher so berühmten General Moreau bei Pirmasens (im Darmstädtischen) [146] zu kämpfen und ihm eine blutige Schlacht zu liefern. Die Franzosen wurden aus ihrem Lager bei Hornbach verdrängt, und genöthigt, sich an die Saar zurückzuziehen. Einen Monat später gelang es dem Herzog, gemeinschaftlich mit Wurmser, am 13. October jene berühmten Linien zu erobern und auf diese Art Landau immer näher zu kommen. Um bei der vorrückenden rauhen Jahreszeit noch einen festen Stützpunkt zu gewinnen, wagte der Herzog in der Nacht vom 16. und 17. November einen Sturm auf das Bergschloß Bitsch, den Schlüssel des Vogesischen Gebirges, welcher die Straße von Landau, Pirmasens, Weißenburg, Strasburg etc. vereiniget; allein dieser Versuch mißlang. Dagegen schlug er eine Colonne der französischen Mosel-Armee unter Hoche, die, um Landau zu entsetzen, durch das Gebirge hervorzubrechen suchte, vom 28. bis 30. Nov. in einer blutigen Schlacht bei Kaiserslautern. Allein die unaufhörlichen Angriffe, die Hoche und Pichegrü, ohne Rücksicht auf ihren Menschenverlust, täglich unternahmen, und die Durchbrechung der östreichischen Linien, die dem letztern am 22. December bei Freschweiler an der Motter gelang, nöthigte die Oestreicher zum Rückzug über den Rhein, welcher zugleich den Rückzug des Herzogs bewirkte, der denn auch, da schon jetzt Mißverständnisse zwischen Oestreich und Preußen sich zeigten, seine Oberbefehlshaberstelle niederlegte. Mit seiner von jeher gewohnten Thätigkeit arbeitete er jetzt von neuem für das Wohl seines Landes bis zu dem unglücklichen Jahre 1806. Hier, wo er bereits in das Greisenalter getreten war, hätte er unstreitig ohne Vorwurf sich den Staatsgeschäften nach und nach entziehen können; allein, weit entfernt, der Ruhe zu genießen, übernahm er jetzt Lasten die über seine Kräfte waren. Noch zu Anfange des Jahres 1806 (30. Jan.) that er, in Auftrag des Königs von Preußen, eine Reise nach Petersburg, die unstreitig schon auf den bald nachher ausgebrochenen Krieg mit Frankreich Bezug hatte, und von der er am 24. März zurückkehrte. Man vermuthete jetzt gerade das Gegentheil und erwartete, daß diese Reise etwas zu Wiederherstellung des allgemeinen [147] Friedens beitragen würde. Schon hoffte man, daß die seit dem Jahre 1805 etwas gestörten freundschaftlichen Verhältnisse zwischen Frankreich und Preußen ganz wiederhergestellt seien, zumal da Preußen und England einander feindselig zu behandeln anfingen; allein plötzlich brach zwischen Frankreich und Preußen der Krieg aus, und dem Herzog wurde die Oberbefehlshaberstelle über die preußische Armee aufgetragen. Von ihm erwartete man, daß er den alten Kriegsruhm dieser Armee gegen Frankreich behaupten würde. Schwerlich gab es aber je eine Hoffnung, die mehr getäuscht wurde, als diese! Die Schlacht bei Jena am 14. October vernichtete den Ruhm, welchen Preußen besonders seit einem halben Jahrhundert behauptet, und der Herzog beinahe seit eben so langer Zeit sich selbst zu begründen angefangen hatte. Der unglückliche Greis mußte verwundet sein Reich und Vaterland verlassen, und, mit Spott und Vorwürfen überhäuft, sein Leben in Ottensen bei Altona, am 10. Nov. 1806 – also keinen vollen Monat nach der unglücklichen Schlacht – beschließen. In der That, so wahr und gerecht auch die Vorwürfe sein mögen, die man ihm als Oberbefehlshaber über diese Schlacht und überhaupt über die Anordnung des ganzen Feldzuges macht, so kann und darf er doch als ein gefallener Held auf die Achtung – als Fürst und Vater seiner Unterthanen auf das Mitleid der Nachwelt sichern Anspruch machen; und sie wird in ihm stets einen Regenten ehren, der sich einen Friedrich II. zu seinem Vorbilde gewählt hatte, und die volle Achtung dieses gewiß competenten Richters der Regenten- und Militair-Verdienste genoß.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 141-148.
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