Flechten

[53] Flechten oder Lichenen sind sehr unvollkommene, blütenlose, ausdauernde Gewächse, welche sich auf dem Erdboden, auf Steinen, Felsen, Mauern, Planken, Bäumen bald als eine bröckliche, kleien-, schuppen- oder rindenartige Substanz ausbreiten, bald in einer verschieden gelappten, blattartigen oder ästigen und faserigen Form etwas von ihrer Unterlage erheben. Ihnen fehlt noch das den höhern Gewächsen [53] eigenthümliche Grün und sie haben meist schmuzige, graue, braune oder gelbe und röthliche Färbung. Obgleich sich auf vielen Flechten schüssel- oder napfförmige, oderwulstige und kissenförmige, mit Körnerschläuchen versehene Fruchtlager entwickeln, so vermehren sie sich doch noch häufiger durch ein nacktes Keimpulver, das aus von ihnen sich lostrennenden Zellchen besteht. Die Hauptbedingung ihres Wachsthums ist die Feuchtigkeit, und obgleich sie über die ganze Erde verbreitet vorkommen, finden sie sich doch mehr in den kältern Zonen und den höhern Gegenden und ziehen ihre Nahrung allein aus dem Dunstkreise, da sie keine wahren Wurzeln haben. Dennoch werden sie, wenn sie häufig auf den Rinden der Stämme und Äste, besonders der Obstbäume, vorkommen, diesen schädlich, indem sie die Nässe eine lange Zeit hindurch in sich behalten. Ihr Nutzen für den Haushalt der Natur ist sehr groß, indem sie nicht nur den unwirthbarsten Boden, selbst die Granitfelsen zur Aufnahme und Ernährung höherer Gewächse vorbereiten, sondern auch vielen Thieren zur Nahrung dienen; aber die Zahl derer, die der Mensch benutzt, ist nur gering. Die größern und ausgebildetern Flechten enthalten einen nahrhaften Stoff, der sich mit. der thierischen Gallerte vergleichen läßt, außerdem Schleim und etwas Harz, sind aber immer bitter und werden nur in Gegenden, die ganz arm an Nahrungsmitteln sind, gegessen. Die unter dem Namen Isländisches Moos bekannte schöne Flechte ist die wichtigste und hat mit Recht die übrigen, die sie an Wirksamkeit übertrifft, aus dem medicinischen Gebrauche verdrängt. Durch Abbrühen befreit man sie von ihrer Bitterkeit und sie bietet so, namentlich für Brustkranke, eine nahrhafte, leicht verdauliche Speise. Die Orseille dient zum Rothfärben, und auch noch einige andere Arten enthalten Farbestoffe.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 53-54.
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