Lebensalter

[305] Lebensalter. Wie die 4 Jahreszeiten, wie Morgen, Mittag, Abend und Nacht, so gibt es auch 4 Stadien des Lebens, die der Mensch zu durchschreiten hat bis an die ehernen Pforten des Jenseits, wenn nicht der neidische Engel des Todes das Ziel kürzt, das ihm gesteckt. Aus der Mutter Schooß entwindet sich der Liebling des Herzens, der Säugling, und trägt den Namen der Kindheit bis in's 10–14. Jahr. Aus ihr, der süßen, bewußtlosen von goldenen Träumen umgaukelten Zeit, tritt das Mädchen schon im 10. und 12., der Jüngling im 14. und 15. Jahre. Ein seltsames und unerklärliches süßes Weh, ein ungewisses unruhiges Treiben ist diesem Alter beider Geschlechter eigen, ein wunderbarer Wechsel zwischen Suchen und Fliehen, zwischen Sehnen und Verschmähen. Dieß der Mai des Lebens, von dem der Dichter singt

Blumen und Blüthen wie licht, und das Glorienlaub um die Bäume!

Bleib nur, Himmel, bewölkt! Erde hat eigenen Glanz!

Ihm folgt das ernste Alter mit seinem Wirken und Schaffen, wo Frauenmilde und Männerkraft sich einigt und der reif gewordene[305] Gedanke aus dem Born der Erfahrung schöpft. Bald aber krümmt sich der Rücken, das Haar erbleicht, die Natur fordert ihren Tribut zurück. Diese Reihenfolge des physischen Lebens unterliegt aber vielen Abweichungen. Ost bleicht der Kummer in einer Nacht das Haar und nur weniger Tage bedarf es, um den Jüngling zum Greis, die Jungfrau zur Matrone umzuwandeln. Auch das Klima hindert oder fördert die schnellere Reise. Die afrikanischen Mädchen sind in ihrem 11. und 12. Jahre schon Mütter, während in gemäßigtern Ländern das Alter der Mannbarkeit nicht so früh, in Polargegenden weit später sich entfaltet. Die üppige oder kärgliche, natürliche oder verfeinerte Lebensweise übt einen gewaltigen Einfluß. Doch überall reisen Mädchen früher als Jünglinge. Das Weib des Südens ist im 30. Jahre verblüht. In Jamaica nennt man 50–60 Jahr ein hohes Alter, in Rußland und Nordamerika findet man dagegen nicht selten Männer und Frauen von 80–110 Jahren.

K.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 6. [o.O.] 1836, S. 305-306.
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