Jacobi, Friedrich Heinrich

[288] Jacobi, Friedrich Heinrich, geb. 1743 in Düsseldorf, wurde zum Kaufmann erzogen, beschäftigte sich in Genf mit den Schriften Rousseaus und Bonnets, übernahm in Düsseldorf das Geschäft seines Vaters, wurde später Kammerrat in Jülischen Diensten und lebte, literarisch tätig und gesellig, auf seinem Landsitze in Pempelfort (Briefwechsel mit Lavater, Mendelssohn, Goethe, Hamann, Herder u. a.). 1794 übersiedelte er nach Holstein, 1805 nach München, wo er 1807 Präsident der Akademie der Wissenschaften wurde und 1819 starb.

J. ist kein systematischer Denker, sondern seine Ideen sind, wie er selbst sagt, Ausdruck seines persönlichen Lebens, seiner geistigen Kämpfe und Bestrebungen. Auf der einen Seite machen sich in ihm die Forderungen des Verstandes geltend, auf der andern die des Gemütes. Er muß die Konsequenz des abstrakten Verstandesstandpunktes, der nach ihm zum Mechanismus, Materialismus, Atheismus führt, anerkennen, aber er fühlt sich doch von ihnen abgestoßen und ist zwar mit dem Verstande ein »Heide«, mit dem Herzen aber ein Christ, von der Gewißheit der Existenz Gottes, der Unsterblichkeit, der Willensfreiheit durchdrungen. So verficht er gegenüber der Aufklärung und der »Verstandesphilosophie« unter dem Einfluß von Rousseau, Hamann, Herder die Rechte des Gefühls und begründet er eine »Glaubensphilosophie«, zum Teil in Überstimmung mit Kant, aber im Gegensatz zu dem »Formalismus« Kants.

Nach J. kann der Verstand nie zum Unbedingten gelangen; geht die Vernunft als erweiterter Verstand auf das Übersinnliche, Unendliche, so macht sie es zu einem Endlichen. Sie findet immer nur wieder Bedingtes und Bedingungen, alles wird ihr zu einem Notwendigen, Gesetzlichen, Determinierten,[288] zu einem Mechanismus ohne Freiheit, zu einem Fatalismus, dem nichts sich entziehen kann. Von diesem Standpunkte aus ist der »Spinozismus« das einzig konsequente System. Es ist notwendig atheistisch, denn einen Gott kann man nicht beweisen, weil jeder Beweis einen Grund, also eine Bedingung angibt und Gott zu einem Bedingten macht. Eine mittelbare, demonstrative Erkenntnis des Unbedingten, ein verstandesmäßiges Begreifen desselben ist unmöglich. Auch der Kantsche Kritizismus ist unzulänglich und durch seinen Formalismus abstoßend. Zwar hat Kant Recht, wenn er die Verstandes-Erkenntnis auf mögliche Erfahrung einschränkt und das Transzendente als unbeweisbar bestimmt, aber die bloß praktische Postulierung des Übersinnlichen (Gott, Freiheit) genügt nicht. Auch enthält der Kritizismus Widersprüche, indem er ein »Ding an sich« annimmt, welches der Grund unserer Empfindungen ist, uns »affiziert«, während doch nach Kant selbst die Kausalität nur eine auf Erscheinungen anwendbare Kategorie ist. Das Ding an sich kann daher als solches nicht auf uns wirken und ebensowenig kann die Erscheinung – eine Vorstellung – die Ursache von Vorstellungen überhaupt sein. Ohne die Voraussetzung von Dingen an sich kommt man nicht in das Kantsche System hinein, mit ihr kann man nicht darin bleiben (WW. II, 301 ff.). – Die Außenwelt ist uns wie das Ich unmittelbar, ohne Reflexion, ohne Dazwischentreten von Vorstellungen oder Schlüssen, rein durch »objektiven Glauben«, durch eine Art »Offenbarung« gegeben (vgl. Reid). Die Dinge und ihre Form (Raum, – Zeit und Kategorien) sind zwar nur endliche, bedingte Seinsweisen, aber mehr als Erscheinungen.'

Außer der mittelbaren Verstandeserkenntnis gibt es nach J, eine unmittelbare Erkenntnis, die J. als »Glaube« (im Sinne von Humes »belief«), »Sinn«, Anschauung, Gefühl, später als »Vernunft« (im engeren Sinne) bezeichnet. »Dasein enthüllen und offenbaren« ist der Zweck wahrer Erkenntnis und der Glaube erfaßt unmittelbar-lebendig das Wirkliche, auch das Übersinnliche, Göttliche mit höchster Sicherheit. Mit Geistesblick: erfassen wir das Ideale und Göttliche, das sich uns wie die Natur unmittelbar offenbart und ohne das wir nicht sein können, denn der Mensch kann sich selbst nur zugleich mit Gott finden. Der Glaube an Gott ist uns angeboren; aber beweisen läßt sich das Dasein Gottes nicht, auch wäre ein Gott, der gewußt werden könnte, gar kein Gott, der als Unbedingtes notwendig unbegrifflich ist, aber in unserem Herzen gefühlt wird. Gott ist Geist und Persönlichkeit, selbstbewußt, überweltlich, wundertätig. Gott lebt in uns und wir in ihm. Wahre Religion ist Christentum. Unmittelbar bewußt sind wir uns auch in unserem Handeln und Wirken unserer Willensfreiheit und Unsterblichkeit. Das Prinzip der Sittlichkeit ist die Liebe zum Guten, nicht die Vernunft, welche der Individualität nicht gerecht wird.

Wenn auch J. keine eigentliche Schule begründet hat, so hatte er doch eine Reihe von Anhängern und übte außerdem einen gewissen Einfluß auf die Spekulation aus. Anhänger J.s sind Wizenmann, J. Neeb, Köppen, C. v. Weiller, J. Salat, A. H. Clodius, F. Ancillon; zwischen Kant und J. vermitteln Fries, Bouterwek, Calker, Suabedissen u. a.[289]

Schriften: Die philosophischen Romane: »Allwills Briefsammlung«, 1774 und »Woldemar«, 1779. – Über die Lehre Spinozas, 1785 (handelt über Lessings »Spinozismus«, welchen Mendelssohn bestritt, worauf J. replizierte). – Über eine Vernunft die keine ist (gegen die Berliner Aufklärer). – David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus, 1786. – Brief an Fichte, Kritizismus, die Vernunft zu Verstand zu bringen, – Von den göttlichen Dingen, 1811 (gegen Schelling). – Werke, 1812-25. – Briefwechsel, hrsg. von F, v. Roth,- 1825-27. – Vgl. E. ZIRNGIEBL, F. H. J.s Leben, Dicht, und Denken, 1867. – HARMS, Über die Lehre von F. H. J., 1876.- LEVY-BRUHL, La Philosophie de J., 1894. – KUHLMANN, Die Erkenntnislehre F. H. J.s, 1906. – FR. A. SCHMID, Fr. II. J., 1908.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 288-290.
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