Schiller, F. C. S.

[637] Schiller, F. C. S., geb. 1864, Prof. in Oxford.

Sch. ist, wie James u. a., ein Vertreter des Pragmatismus, mit dem er den Humanismus verbindet. Zugleich ist er Anhänger eines metaphysischen, spiritualistisch gefärbten Pluralismus.

Denken und Erkennen sind voluntaristisch-teleologisch zu bestimmen. Das Denken ist willensgemäß und zweckbestimmt (»purposively initiated and directed«), es dient theoretisch-praktischen Bedürfnissen, insbesondere der Herstellung von Harmonie in den Erlebnissen, in der Erfahrung. Bedürfnisse, Willensziele bestimmen die Erkenntnis, sind deren Voraussetzungen, die hier in biologisch-psychischen Funktionen liegen. Die Zentralfunktion unseres Geistes ist Wille und »selektive Aufmerksamkeit«. Die Axiome des Denkens sind weder empirische Abstraktionsprodukte noch apriorische Wahrheiten, sondern Postulate, die einer Selektion unterlegen sind und sich bewährt haben. Notwendig und allgemeingültig sind sie nur, weil wir sie als Denkmittel brauchen und wollen, nicht schon an sich. Die Axiome entstehen durch[637] einen Prozeß des Experimentierens, welches sie als geeignet zeigt, die Welt unseren Wünschen konform zu gestalten. Erkennen ist aktive Gestaltung seitens menschlicher Personen, und es gibt keine von dieser Gestaltung unabhängige Wahrheit und Wirklichkeit. Der »Humanismus« lehrt, daß der Mensch eine Welt menschlicher Erfahrung mit menschlichen Denkmitteln zu begreifen strebt. Der Mensch ist das Maß der Dinge, darin hat Protagoras Recht. Alle Wahrheit ist relative, menschliche Wahrheit, nichts Absolutes. Wahrheiten sind Handlungsregeln (»rules for actions«), ihre Bedeutung liegt in ihrer Anwendung und ist von einem Zweck abhängig, im Hinblick auf den (etwa auf Harmonie der Erfahrung) sie gelten. Wahrheiten müssen sich betätigen und damit praktisch werden (Aktivistischer, instrumentaler Wahrheitsbegriff). Wahrheit beurteilt sich nach ihrer Zweckgemäßheit (»conduciveness to our ends«). Wahr ist, was für den Aufbau einer Wissenschaft nützlich ist (»what is useful in building up a science«). Die Konsequenz der Urteile für menschliche Interessen und Zwecke, für die »Praxis«, ist das Kriterium der Wahrheit, die nur als Ideal absolut sein kann. Der Anspruch auf Wahrheit, den die individuell gefällten Urteile machen, muß sich erst bewähren, dann erst entstehen allgemeine, gattungsmäßige Wahrheiten. Die Wahrheit ist nichts Gegebenes, sie entsteht, wird erzeugt, entwickelt sich; alte Wahrheiten machen neuen Platz, die sich besser bewährten.

Auch die Wirklichkeit ist nicht ein- für allemal gegeben, sie ist ein stetig Werdendes. Die Individuen konstruieren ihre Welt durch wiederholte Versuche (»by experimenting or making trial«). Die Wirklichkeit ist wesentlich Stoff, aus dem wir sie gestalten (»essentialy hylê, it is what we make of it«). Sie ist plastisch, nach unseren Bedürfnissen gestaltbar (»plastic, and may be moulded by our wishes«). Wissenschaftliche Tatsachen sind nichts von uns unabhängig Gegebenes; eine Auswahl seitens des Interesses hebt erst solche Tatsachen aus einem Chaos heraus. Der Weltprozeß schreitet noch immer fort, die Wirklichkeit ist unvollständig, kann vervollkommnet, durch Neues bereichert werden (vgl. James). Die Metaphysik muß anthropomorphisch, individualistisch, pluralistisch sein. Die Welt besteht an sich aus Monaden, an deren Spitze die göttliche Persönlichkeit steht, deren Wesen die unveränderliche Tätigkeit (energeia akinêsias, wie Aristoteles sagt) ist. Gottes aktiv-unbewegtes Leben ist zeitlose Ewigkeit, reinste Seligkeit, ein Bewußtsein mit ewigem Inhalt. Die materielle Welt ist ein Produkt der Wechselwirkung zwischen dein göttlichen Geist und den Monaden. Die Zeit entsteht erst mit dem Weltprozeß, der nicht unendlich ist, sondern absolute Harmonie der Individuen zum Endziel hat, so daß die Einheit nicht der Anfang, sondern das Ende des Geschehens ist (wie James).

SCHRIFTEN: Riddles of the Sphinx. A Study in the Philosophy of Evolution (unter dem Pseudonym »A Troglodyte«), 1891; 3. ed. 1910. – Humanism, 1903; Studies in Humanism, 1907 (Auswahl aus beiden, deutsch 1911). – Axiomes as Postulates, 1902 (bei Sturt, Personal Idealism; deutsch in der genannten Auswahl). – Plato or Protagoras, 1907. – The Metaphysics of the Time-Process, Mind, 1895. – Der[638] rationalistische Wahrheitsbegriff, Verhandl. des III. Intern. Kongr. für Philos. 1908. – Error, 1911, u. a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 637-639.
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