[79] Innere Angelegenheiten. Literatur; Bildung und Haltung der Parteien: Pharisäer, Sadduzäer und Essäer. Organisation des großen Synhedrial-Körpers. Die Vorsitzenden Josua b. Perachia und Nittai aus Arbela. Funktionen des hohen und niederen Rates. Der Tempelkultus und dessen Beamte. Hyrkans Verordnungen. Spannung zwischen Hyrkan und den Pharisäern. Hyrkans Tod.
Der hohe Wellenschlag der politischen Bewegung Judäas unter Johann Hyrkan und seinen Vorgängern konnte nicht verfehlen, alle Lebensrichtungen des Volkes zu durchströmen und besonders auch die geistigen Kräfte zu wecken. Die Nation war mit geringen Unterbrechungen durch die ein halbes Jahrhundert dauernden Kämpfe, Siege und Niederlagen, durch die freundliche und feindliche Berührung mit verschiedenen Völkern und durch den Übergang aus der Lebenseinfachheit zum Wohlstand zu einer höheren Reife gelangt. Die schwer errungene Selbständigkeit öffnete ihr den Blick in ihr eigenes Innere und lehrte sie das Eigene festzuhalten, aber auch Fremdes sich anzueignen, wenn es sich mit ihrem Wesen verträglich zeigte. Wenn sich früher die Frommen gegen alles, was hellenisches Gepräge trug, mit aller Macht stemmten, so waren viele derselben zu der Einsicht gelangt, daß es in den griechischen Lebensformen auch manches gab, welches ohne Beeinträchtigung des Eigenen angenommen werden könnte. Nicht bloß die Künste des Krieges, der Bewaffnung, der Taktik und des Festungsbaues haben die Hasmonäer, ohne Anstoß zu erregen, von den Nachbarn gelernt, sondern auch die friedlichen Künste der Münzprägung mit geschmackvollen Verzierungen und der griechischen Architektonik. Sie hatten einen prachtvollen Palast auf einer Anhöhe westlich vom Tempelberge an dem nordöstlichen Ende der Oberstadt, sicherlich im griechischen Stile, bauen lassen. Vor dem Hasmonäerpalast war ein weiter, bedeckter Raum mit Säulengängen, Xystos genannt, zu Volksversammlungen, nahe an der talartigen Vertiefung, welche die Oberstadt von dem Tempel trennte. Vom Xystos führte [79] eine Brücke zur Westpforte des äußersten Tempelvorhofes1. Auch ein Gebäude für die Ratsversammlung (βουλευτἠριον) war in der Oberstadt nach griechischer Art errichtet, und damit war ein Archiv zur Aufbewahrung wichtiger Urkunden verbunden2.
Johann Hyrkan ließ ein Familienmausoleum in Modin, dem Stammsitze der Hasmonäer, in griechischem Geschmacke errichten. Es bestand aus einem hohen Gebäude von weißem, poliertem Marmor. Ringsherum waren Säulengänge kunstvoll gearbeitet, und an den Säulen waren allerlei Waffen und darüber Schiffsfiguren ausgehauen. Auf dem Bau erhoben sich sieben Pyramiden zum Andenken an die Stammeltern der Hasmonäer und die fünf Heldensöhne. Das hasmonäische Mausoleum hatte eine solche Höhe, daß es vom Meere aus gesehen werden konnte3. Die Schiffsfiguren an den Säulen sollten wohl andeuten, daß die Hasmonäer auch über eine Flotte und den Hafen von Joppe zu gebieten hatten.
Aber mehr noch als auf Aneignung des Fremden ging die Richtung der Zeit auf Behauptung und Ausbildung des Eigenen aus. Die hebräische Sprache, welche seit der Berührung mit asiatischen Völkern aus dem Munde des Volkes von der aramäischen fast verdrängt war, feierte gewissermaßen ihre Auferstehung; sie verjüngte sich und wurde zum zweiten Male, wenn auch in veränderter Gestalt, Volkssprache. Sie war der Nation durch die heiligen Schriftdenkmäler, die sie dem Untergange abgerungen, und aus denen sie Begeisterung geschöpft hatte, um so teurer geworden. Die Münzen wurden, wie schon erwähnt, hebräisch geprägt, öffentliche Urkunden in hebräischer Sprache ausgestellt. [80] Volkslieder hebräisch gesungen4, was eben beweist, daß die heilige Sprache dem Volke wieder geläufig war. Wenn auch das Hebräische gangbare Benennungen aus dem Aramäischen beibehalten und auch griechische Bezeichnungen aufgenommen hat, so zeigte es doch eine so frische Triebkraft, daß es seinen eigenen Wortschatz durch Neubildungen bereichern und sogar den fremden Elementen seinen eigenen Stempel aufdrücken konnte. Man nennt die Gestaltung der hebräischen Sprache von dieser Zeit an das Neuhebräische, das sich vor dem Althebräischen durch Deutlichkeit und Ungezwungenheit auszeichnet, wenn es diesem auch an Tiefe und poetischem Schwunge nachsteht. Die Führer an der Spitze des Gemeinwesens und die Staatsmänner verstanden indessen das Griechische. Die ersteren hatten es zum Verkehr mit den syrischen Königen nötig, und die Gesandten, welche an diese oder an den römischen Senat abgeordnet wurden, mußten sich der griechischen Sprache bedienen. Neben judäischen Eigennamen kamen mehr als früher griechische vor.
Die Richtung, welche der judäische Volksgeist in der Zeit der Wiederverjüngung genommen hat, charakterisiert auch die Gestaltung der Literatur. Der süße Laut der Poesie ist verklungen, nicht eine Spur dichterischer Schöpfung ist aus dieser und der nachfolgenden Zeit vorhanden; nicht einmal die Einkleidung einer Lebenserfahrung in ein zugespitztes Gleichnis (Maschal) hat die Dichtung erzeugt. Die Sprüche Sirachs haben keinen Nachwuchs erhalten. Die Nation war nüchtern und selbstbewußt geworden und bedurfte nicht mehr der entflammenden Begeisterung, welche das lyrische Lied des Psalms einflößt, wie sie auch keinen Stoff mehr hatte für die elegischen Töne der Trauer. Was sie zu innerer religiöser Erregung brauchte, das lieferte ihr die bereits ausgeprägte Tempelpoesie der Psalmen, und zum Belehrtwerden hatte sie an den vorhandenen Schriftdenkmälern eine reiche Fülle. Statt der Siegeshymnen schuf sie die nüchterne Geschichtserzählung, welche die Taten und Ereignisse für die Nachwelt aufzeichnete. Die Psalmenliteratur wurde seit den ersten Kriegen gegen den Religionszwang nicht mehr bereichert. Geschichte war der einzige Literaturzweig, welcher seit dieser Zeit angebaut wurde; sie hatte auch aus der jüngsten Vergangenheit und der unmittelbaren Gegenwart reichen Stoff dazu. Die Geschichtsschreiber, deren Namen nicht bekannt geworden [81] sind, arbeiteten die großen Begebenheiten seit dem Beginne der Unabhängigkeitskriege nach dem Muster der biblischen Geschichtsbücher aus, nicht in trockenem Chronikstil, wenn auch mit zuverlässiger Angabe von Zeit und Ort, sondern in fließender Erzählung und lebendiger Anschaulichkeit. Hyrkans Regierung wurde, wenn auch nicht bei seinem Leben, so doch nicht lange später geschichtsmäßig aufgezeichnet unter dem Titel: »Jahrbücher« (Dibre ha-Jamim), die aber bis auf ein geringes Bruchstück5 verloren gegangen sind. Dies sind übrigens die einzigen Reste der hebräischen Literatur aus diesem Zeitabschnitte.
Mehr noch als in Sitte und Literatur zeigte sich die durch die politischen Vorgänge veränderte Zeitstimmung im Kreise des Religiösen selbst. Allerdings konnte alles, was seit Jonathan erkämpft und errungen worden war, als im Interesse der Religion ausgeführt angesehen werden. Die Siege über die Syrer, die Vertreibung der Hellenisten, die Unterwerfung der Idumäer, die Demütigung der Samaritaner und namentlich die Zerstörung des Garizim-Tempels galten als eben so viele Triumphe des Judentums über seine Gegner, wurden von den Vertretern der Religion sanktioniert und durch religiöse Feiern dem Gedächtnis der kommenden Geschlechter eingeprägt gleich den Tagen der Tempelweihe. Das Religiöse blieb immer noch der Grundzug aller Bewegungen und zeigte sich selbst in dem Mißbrauche, das Judentum den Heiden aufzuzwingen. Indessen klärte sich das religiöse Bewußtsein durch den freieren Umblick in der wirklichen Welt; die erworbene Einsicht in die Lebensverhältnisse, das Heraustreten aus dem engen Kreise des Überkommenen und Überlieferten erzeugte Scheidung und Trennung. Die streng religiöse Partei der Assidäer hatte sich vom Schauplatze der Begebenheiten zurückgezogen und sich, um mit dem Weltleben in gar keine Berührung zu kommen, in die Abgeschiedenheit vereinsamter Gegenden begeben, wo sie ihrer Beschaulichkeit ungestört nachhängen konnte. Sie bildete sich in dieser Einsamkeit zu einem eigenen Orden mit abweichenden Sitten und Anschauungen aus und erhielt den Namen Essäer6. Allein nicht sämtliche Fromme folgten diesem Beispiele, ihre Tätigkeit dem Allgemeinen zu entziehen. Die meisten hielten es vielmehr für ihre Pflicht, auch bei strenger Beobachtung der religiösen Vorschriften ihre Kräfte für die nationale Sache zu verwenden. Dadurch entstand innerhalb der Frommen eine Scheidung: eine national-religiöse Partei trennte sich von der assidäischen oder essäischen insofern, als sie es nicht scheute, inmitten der Strömung [82] der Weltbegebenheiten zu bleiben und so viel an ihr lag, dabei tätig zu sein. Diese zahlreichere Partei begann in dieser Zeit den Namen Pharisäer (Peruschim) zu führen. Aber auch diese, in welcher der Schwerpunkt der Nation ruhte, verlangte, eben weil ihr die Erhaltung des Judentums in der überkommenen Gestalt vor allem am Herzen lag, daß alle öffentlichen Angelegenheiten, alle politischen Unternehmungen, jede nationale Tätigkeit an dem Maßstabe des religiös Zulässigen gemessen werden sollten. Diesen Zumutungen konnten oder mochten sich diejenigen nicht fügen, welche an der Spitze der kriegerischen oder diplomatischen Angelegenheiten standen und die Einsicht erlangt hatten, daß die wirklichen Lebensverhältnisse sich nicht immer so gefügig zeigen, daß man sie ohne weiteres nach den Anforderungen der Religionsvorschrift regeln könne. So entstand eine dritte Partei, welche Sadduzäer (Zedukim) hieß, und die ihrer ganzen Richtung nach, ohne der Religion abtrünnig zu werden, dem nationalen Interesse das Übergewicht gab. Von diesen drei Parteien, der assidäisch-essäischen, pharisäischen und sadduzäischen, haben nur die zwei letzteren einen mächtigen Einfluß auf den Gang der Begebenheiten ausgeübt und durch ihre Zwiste den judäischen Staat tief zerrissen. Die Essäer dagegen, im ganzen einflußlos, traten erst später in die Öffentlichkeit, nicht lange vor dem Schluß dieses Zeitraumes. Die ganze nachfolgende Geschichte bleibt unverständlich, wenn man nicht das Grundwesen dieser Parteien und ihre hervorstechenden Eigentümlichkeiten begreift, soweit sie noch aus den Quellen kenntlich sind.
Zu welcher Zeit der Gegensatz dieser Parteien sich entwickelt hat, ist nicht genau zu bestimmen, wie überhaupt die Geburtsstunde einer geistigen Regung dem Auge verborgen bleibt. Nach einer Nachricht habe der Parteigegensatz bereits zur Zeit Jonathans bestanden7, was aber nur so viel sagen will, daß er bereits im Keime vorhanden gewesen. Die Ausbildung zu ausgeprägter Parteiung hat sicherlich erst in Hyrkans Regierungszeit stattgefunden.
Die Pharisäer (Peruschim) können nur uneigentlich und im Gegensatz zu den beiden anderen eine Partei genannt werden; denn der größte Teil der Nation war pharisäisch gesinnt, nur daß in den Führern die Eigentümlichkeit mehr zum vollen Ausdruck gekommen [83] war, das Volk hingegen, wie immer, die Parteistichwörter blindlings hinnahm. Ihren Namen hat die pharisäische Partei vielleicht von ihren sadduzäischen Gegnern erhalten, von dem Umstande, daß sie das Schriftwort eigentümlich auslegte und aus dieser Auslegungsart neue Gesetze folgerte. Als Gesetzeskundige bildeten die Pharisäer den Gelehrtenstand gegenüber den Unwissenden und den Richterstand. – Der leitende Grundsatz ihrer Gesinnungen und Handlungen war, daß die Erhaltung des Judentums, d.h. Gesetz und Sitte der Väter, die einzige Richtschnur für den Staat wie für den einzelnen sein müsse. War doch nur dafür das edle Blut auf den Schlachtfeldern und unter dem Henkerbeil verspritzt worden. Jede Abweichung von diesem Grundsatze schien den Pharisäern eine Schändung des Heiligen, ein Verrat an dem Teuersten. Machten ihre sadduzäischen Gegner dagegen geltend, daß für politische Verhältnisse ein anderer Maßstab gelten müsse, da sonst wichtige Staatsinteressen an religiösen Bedenklichkeiten scheitern müßten, so antwortete das Pharisäertum: das Geschick des Staates wie des einzelnen hänge nicht von der menschlichen Tätigkeit, sondern einzig und allein von der göttlichen Waltung ab, wie ja das jüngst Erlebte in den Makkabäerkämpfen augenscheinlich bewiesen habe, indem zahlreiche Heere durch ein winziges Häuflein, erfahrene Krieger durch waffenscheue Schwächlinge, Gottlose durch Fromme zum Falle gebracht worden sind. Nicht Menschenkraft, nicht Menschenklugheit, nicht Kriegsmacht vermögen das Wohl und Wehe des judäischen Volkes zu bestimmen, sondern die göttliche Vorsehung allein. Alles geschehe nach dem ewigen Ratschlusse des göttlichen Willens; nur das Tun des einzelnen, sein sittliches Verhalten falle der menschlichen Willensfreiheit anheim, der Ausgang der menschlichen Tätigkeit und der Erfolg lägen keineswegs im Bereiche menschlicher Berechnung. Von dieser pharisäischen Lebensansicht wich die gegnerische Ansicht der Sadduzäer ab, und die der Essäer ging übertreibend darüber hinaus. – Eine andere pharisäische Ansicht war wahrscheinlich ebenfalls gegen einen Einwurf der Sadduzäer gerichtet. Wenn das Geschick des einzelnen oder des Volkes nicht von seinem Verhalten abhänge, so wäre ja die göttliche Gerechtigkeit aufgehoben, indem der Gerechte und Fromme oft genug mit Mißgeschick zu kämpfen habe, während dem Ungerechten und Sünder die Sonne heiteren Glückes stets zulächle. Diesen Einwurf beseitigten die Pharisäer durch den anderweitig entlehnten Lehrsatz, daß die göttliche Gerechtigkeit sich nicht im Leben, sondern erst nach dem Tode bewähre. Gott werde die Toten einst aus ihrem Grabesschlummer erwecken, um die Gerechten nach ihrem Wandel zu belohnen, die Gottlosen nach ihrem Tun zu bestrafen, »jene werden auferstehen zum ewigen Leben und [84] diese zur ewigen Schmach.« Wann diese Ausgleichung aller Mißverhältnisse eintreten sollte, und in welchen Zusammenhang sie mit dem erwarteten Messiaskönig gesetzt wurde, darüber herrschte Unklarheit.
Diese Ansichten bildeten aber, eben weil sie nur die innere Überzeugung betrafen, keinen so einschneidenden Gegensatz wie die dritte Lehre der Pharisäer von dem Umfange und der Giltigkeit des Religiösen. In einer Nation, deren Lebenshauch die Religion war, die jede Lebenstätigkeit in deren Bereich zog, bildeten sich neben dem geschriebenen Gesetze auch Sitten und Bräuche aus, deren Ursprung sich in graues Dunkel verliert. Fand man die religiöse Sitte nicht in dem Buchstaben des Religionsgesetzes deutlich angegeben, so führte man sie auf die großen Lehrer (Sopherim) und die große Versammlung (Kneset ha-gedola) zurück, welche zur Zeit der Rückkehr aus dem Exile der geschwächten Religion Bestand und Halt gegeben, und an deren Spitze der große Schriftkundige Esra gestanden habe. Man nannte solche religiösen Sitten und Bräuche »Vermächtnisse der Schriftkundigen« (Dibre Sopherim) und dachte sich dieselben entweder aus der Urzeit überliefert oder von der großen Versammlung eingeführt. Alle diese ungeschriebenen Bräuche, welche in der Nation lebten und mit ihr aufwuchsen, hatten erst durch die Gefahren und Siege eine außerordentliche Wichtigkeit erlangt, weil das Volk dafür Güter und Leben eingesetzt hatte. Die Verhöhnung des Judentums von seiten der Griechlinge und die plumpen Angriffe darauf von seiten der Syrer hatten das Judentum seinen Anhängern um so teurer gemacht und ihnen auch dasjenige als hochheilig erscheinen lassen, was früher nur als der Ausdruck einer höheren Frömmigkeit gegolten haben mochte. Das Märtyrertum und die Opposition gegen die leichtsinnigen abgefallenen Griechentümler hatten bei den Treugebliebenen die Anhänglichkeit an jede Sitte und jeden Brauch unendlich gesteigert. Namentlich war der Tempel, der so schonungslos entweiht und so wunderbar wieder geweiht worden war, der Augapfel des Volkes geworden, von dem es jeden Hauch von Entweihung und Verunreinigung fern gehalten wissen wollte. Galt das Heiligtum als die Offenbarungsstätte Gottes, als der sichtbare Träger alles Heiligen, so mußte es nach dieser Ansicht nur mit äußerster, peinlichster Aufmerksamkeit behandelt werden. Die Bestimmungen levitischer Reinheit, soweit sie den Tempel betrafen, wurden daher von den Pharisäern mit noch verschärfterer Sorgfalt und noch größerer Strenge beobachtet.
Doch schloß die äußerliche Frömmigkeit die innere keineswegs aus. Die Pharisäer oder ihre Häupter galten als streng-sittlich, keusch, mäßig im Genusse, milde und wohlwollend gegen jedermann. Gleichgültig [85] gegen weltlichen Besitz und weltliche Ehren, standen sie nicht an, ihrer Überzeugung gern ihr Vermögen und selbst ihr Leben zum Opfer zu bringen, ohne daß sie das Leben oder die Freuden verachteten. In der Handhabung der peinlichen Gesetze ließen sie als Richter Milde vorwalten und beurteilten die Angeklagten nicht vom Gesichtspunkt sittlicher Verdorbenheit, sondern nach dem menschlicher Schwäche. So stellte einer der Führer der pharisäischen Partei, Josua b. Perachja, welcher mit seinem Genossen Matthai (Nithai) aus Arbela wohl in Hyrkans Zeit lebte, den Denkspruch auf: »Mache dir einen Lehrer, erwirb dir einen Genossen und beurteile jeden Menschen nach der Seite der Unschuld«8. Dieser Spruch bekundet seine hohe sittliche Gesinnung. Er übertrieb aber die Gesetze levitischer Reinheit9. Wegen ihrer Gesetzesstrenge auf der einen Seite und ihrer Milde auf der anderen hing das ganze Volk dieser Partei mit tiefer Verehrung an, stets bereit, sich ihren Aussprüchen zu unterwerfen, sie zu verteidigen und ihre Sache zu der seinigen zu machen. Diese Partei bestand aus den frommen Priestern, den gesetzeskundigen Männern und überhaupt den religiösen, richterlichen und weltlichen Behörden, welche in dieser Zeit in eins zusammenfielen. Die ganze innere Verwaltung des Staates und Tempels war in ihren Händen.
Doch den größten Einfluß hatten die Pharisäer wegen ihrer tiefen Gesetzeskunde und deren Anwendung auf das Leben, und sie allein führten den Namen Schriftkundige (Sopherim, γραμματεῖς) und Gesetzeslehrer (νομοδιδάσκαλοι). Die entehrenden Namen, wie Augenverdreher und Heuchler, welche ihnen in späterer Zeit ihre Feinde beigelegt haben, verdienten sie keineswegs; sonst wäre weder das Volk ihnen so anhänglich gewesen, noch hätten die späteren Herrscher ihnen die einflußreichsten Ämter anvertraut, wie es denn überhaupt ungereimt ist, eine ganze Menschenklasse aus lauter Heuchlern bestehen zu lassen. Wenn einzelne aus ihrer Mitte in späterer Zeit entartet waren und äußerliche Frömmigkeit aus Eigennutz oder Scheinheiligkeit übten, so trifft diese Entartung die ganze Partei um so weniger, als sie selbst sich mit Entrüstung über die Heuchelei einiger ihrer Glieder ausgesprochen und sie »die Plage der Pharisäer« genannt haben. Man [86] bezeichnete solche pharisäische Heuchler als »Gefärbte (Zebuim), welche Schlechtigkeiten wie Simri begehen und Gotteslohn wie Pinehas verlangen.« Man tut den Pharisäern Unrecht, wenn man sie samt und sonders als Scheinheilige verdammt. Sie waren vielmehr in ihrem Ursprunge die edelsten Bewahrer und Vertreter des Judentums und von strenger Sittlichkeit; selbst ihre Gegner, die Sadduzäer, konnten nicht umhin, ihnen das Zeugnis zu geben, »daß sie sich in diesem Leben abhärmen, aber schwerlich in einem zukünftigen Leben Lohn finden werden.«
Diese schroffe Gegenpartei der Pharisäer verfolgte, wie schon angedeutet, eine national-politische Richtung. Zu den Sadduzäern gehörten die judäische Aristokratie, die tapferen Krieger, die Feldherren, die Staatsmänner, welche in den Kämpfen mit den Syrern und anderen Völkern Ehren und Reichtümer erworben oder als Gesandte an den Höfen verkehrt und durch nähere Berührung mit der Außenwelt freiere, weltlichere Lebensansichten sich angeeignet hatten. Sie bildeten sicherlich den eigentlichen Kern des hasmonäischen Anhanges, der in Schlachten und Unterhandlungen den Führern treu diente. Zu ihnen gehörten wohl auch Griechlinge, welche vor der Ungeheuerlichkeit des Abfalles zurückschreckten und sich bekehrt hatten. Ihren Namen hatten sie vermutlich von einem Führer Zadok (Sadduk). Den Sadduzäern ging das Interesse an dem judäischen Gemeinwesen über das an der judäischen Lehre und an dem Gesetze. Der glühende Patriotismus war ihr vorherrschendes Gefühl, und die Frömmigkeit nahm in ihrem Herzen erst die zweite Stelle ein. Als erfahrene Weltmänner mochten sie von der Überzeugung ausgegangen sein, daß das bloße Vertrauen auf Gott und die strenge Übung der Religionsgesetze nicht ausreichen, die Unabhängigkeit des judäischen Staates zu erhalten. Sie stellten daher den Grundsatz auf: der Mensch müsse seine körperlichen und geistigen Kräfte dazu anspannen; man dürfe sich nicht durch religiöse Bedenklichkeiten zurückhalten lassen, politische Verbindungen einzugehen oder Kriege zu führen, wobei eine Verletzung der Religionsvorschriften unvermeidlich sei. Überhaupt habe, nach ihrer Ansicht, Gott dazu dem Menschen den freien Willen geschenkt, damit er sein Wohlergehen selbst begründe, er sei eigener Herr seines Geschickes, und Gott mische sich gar nicht in menschliche Angelegenheiten ein. Von dem Tun und Lassen des Menschen allein hänge sein Wohl oder Wehe ab, und es sei töricht, die Hände in den Schoß zu legen und von der Dazwischenkunft Gottes die Wendung der Verhältnisse für den einzelnen wie für den Staat zu erwarten. Lohn und Strafe für gerechte und ungerechte Handlungsweise folgen aus den Taten, und man brauche dazu nicht eine Auferstehung [87] nach dem Tode anzunehmen, bei der Gott die Taten der Menschen richten werde. Ohne geradezu die Unsterblichkeit der Seele zu leugnen, wiesen die Sadduzäer lediglich die Annahme einer ausgleichenden Gerechtigkeit nach dem Tode zurück. – Von dem Übermaß der religiösen Satzungen beengt und gehemmt, leugnete die sadduzäische Partei die Gemeingiltigkeit und Verbindlichkeit derselben. Gedrängt, einen Maßstab anzugeben, welche Gesetze wichtig seien, stellten sie das Prinzip auf: daß nur diejenigen Bestimmungen, welche in der pentateuchischen Gesetzgebung deutlich und ausdrücklich aufgeführt werden, verbindlich seien, die anderen hingegen, welche entweder auf mündlicher Überlieferung beruhen oder in einer späteren Zeit entstanden sind, oder durch Anordnung von Kollegien ins Leben gerufen worden, haben einen untergeordneten Wert und könnten keine unverbrüchliche Heilighaltung beanspruchen. Doch konnten sie nicht umhin, manche überlieferte Auslegung pentateuchischer Gesetze anzuerkennen. Es ist überhaupt zweifelhaft, ob die Sadduzäer bei ihrem ersten Auftreten ein klares Bewußtsein von der Unterscheidung von schriftlichen und mündlichen (sopherischen) Gesetzen hatten; es scheint vielmehr, daß dieses Prinzip erst im Verlaufe der heftigen Reibungen mit ihren Gegnern sich ihnen klar entwickelt hat. Schwerlich hatten die dem Kriegshandwerk und den diplomatischen Künsten obliegenden judäischen Großen so viel Gesetzeskunde, um ein solches Prinzip theoretisch aufzustellen und durchzuführen. Die konsequente Behauptung und Anwendung dieses Prinzipes wird daher wohl zum großen Teile den Boëthuseern zugeschrieben werden müssen, welche erst viel später aufgetaucht sind und von einem gewissen Boëthos ihren Namen haben.
Aus mehreren einzelnen Fällen, in denen die Sadduzäer von ihren Gegnern abwichen, läßt sich der Umfang des Gegensatzes einigermaßen anschaulich machen. Der Gegensatz erstreckte sich über richterliche, strafrechtliche und rituelle Verhältnisse. Namentlich war das Tempelritual ein Gegenstand heftigen Streites. Die Sadduzäer nahmen z.B. die pentateuchische Strafbestimmung für körperliche Verletzungen »Auge um Auge, Zahn um Zahn« buchstäblich und haben sich dadurch den Ruf grausamer Handhabung des Strafrechtes zugezogen, während die Pharisäer, mit Berufung auf traditionelle Auslegung, in solchen Fällen Milde walten ließen und nur eine Geldentschädigung für die verletzten Körperteile verhängt wissen wollten. Hingegen waren jene milder bei der Verurteilung überführter Zeugen, die einen Justizmord veranlaßt hatten, indem sie die Strafe nur nach vollzogener Hinrichtung des Angeklagten anwendeten, während ihre Gegner die Strafe schon für die böse Absicht der Zeugen eintreten ließen, oder nur in diesem [88] Falle. Nach der Ansicht der Sadduzäer ist ferner der Herr so wie für seine Tiere, so auch für seine Sklaven wegen verübter Schäden verantwortlich. Sie nahmen auch ein eigenes Erbrecht an, nach welchem beim Mangel an männlichen Erben die Töchter des Erblassers mit den Enkelinnen desselben von dem früher verstorbenen Sohne die Erbschaft zu gleichen Teilen antreten sollten. – Unter den rituellen Streitpunkten zwischen Sadduzäern und Pharisäern waren mehrere, um welche mit heftiger Leidenschaftlichkeit gekämpft wurde; so um den Tag des Wochenfestes, welcher nach den Sadduzäern, dem Wortlaut entsprechend, stets auf einen Sonntag fallen müsse, fünfzig Tage von dem Sabbat nach dem Passahfeste gezählt; ferner um den Wasserguß auf den Altar an den sieben Tagen des Hüttenfestes und die Umzüge mit Weidenzweigen um den Altar (Hosianna), welche die Pharisäer geübt wissen wollten und die Sadduzäer verwarfen. Ebenso leugneten die letzteren, daß die täglichen Nationalopfer aus einer Tempelkasse bestritten werden müßten. Sie lehrten vielmehr, daß es dem Belieben einzelner überlassen bleibe, die erforderlichen Opfer zu liefern. Die Art, wie das Räucherwerk am Versöhnungstage angezündet werden soll ob schon vor dem Eintreten des Hohenpriesters ins Allerheiligste oder nachher, war ebenfalls Gegenstand eines erbitterten Streites. In diesen und anderen Punkten nahmen die Sadduzäer stets den trockenen Buchstaben des Gesetzes in Anspruch, und die konsequente Durchführung dieser Ansicht brachte sie auch dahin, zuweilen eine größere religiöse Peinlichkeit geltend zu machen, als die wegen ihrer Strenge verschrieenen Pharisäer. Auch gaben sie wenig auf die peinliche Vermeidung der Berührung mit levitisch unreinen Personen oder Gegenständen und machten sich über ihre Gegner, wenn sie bemerkten, daß diese die Tempelgefäße wegen etwaiger Berührung einer Reinigung unterwarfen, mit den Worten lustig: »Es fehlt nicht viel, so werden die Pharisäer noch den Sonnenball reinigen wollen.«
Trotz der Erleichterung, welche die sadduzäische Ansicht von der Religion gewährte, war diese Partei im Volke wenig beliebt. Sie hatte die Richtung der Zeit gegen sich, die einer strengen Religiosität durchaus günstig war. Das Volk liebte es nicht, daß man an der in ihm lebenden Überzeugung mäkele und feilsche, und dasjenige, was es mit seinem Herzblute gerettet hatte, blieb ihm teuer, wenn man ihm auch den zeitlichen Ursprung desselben nachweisen konnte. Die Schriftkunde war überhaupt noch nicht so sehr ins Bewußtsein des Volkes eingedrungen, daß es nach diesem Maßstabe sein religiöses Verhalten hätte regeln können. Es genügte ihm, dasjenige zu üben, was es von Geschlecht zu Geschlecht hatte üben gesehen, oder was von [89] den Gesetzeslehrern als wichtig ausgegeben wurde. Außerdem stießen die Sadduzäer das Volk durch ihr stolzes, unfreundliches Wesen und ihr strenges Gerichtsverfahren ab; daher kam es, daß sie niemals die öffentliche Meinung für sich gewinnen und ihre Grundsätze nur durch Gewaltmittel zur Herrschaft bringen konnten. Die Sadduzäer konnten eben so wenig wie später ihre Zwillingsbrüder, die Karäer, mit ihrer nüchternen verständigen Anschauungsweise und ihrem auf Weltlichkeit und Lebensgenuß gerichteten Sinn in einer Zeit durchdringen, in welcher die tiefste Religiosität die Gemüter beherrschte, neben der die anderen Interessen, selbst die staatliche Unabhängigkeit, erst in zweiter Reihe standen. Das Religiöse hatte so sehr die Oberhand, daß sich sogar eine Art religiösen Ordens ausbilden konnte, welcher die Pharisäer an Strenge und Peinlichkeit noch übertraf und den Grund zu einer ganz neuen geschichtlichen Erscheinung legte, die, mit neuen Elementen gemischt, eine weltgeschichtliche Bewegung hervorgebracht hat. Dieser Orden und diese aus unbedeutenden Keimen zu mächtigem Einfluß berufene Erscheinung waren die Essäer oder Essener.
Der Ursprung dieses merkwürdigen, noch nicht genügend gewürdigten Essäer-Ordens, der sogar die Bewunderung der Griechen und Römer erregt hat, fällt ebenfalls in die große Bewegung, welche der Widerstand gegen die syrische Tyrannei und den Religionszwang veranlaßt hatte. Die Essäer bildeten von Hause aus keine politische Partei; im Gegenteil, sie flohen das geräuschvolle öffentliche Leben. Sie standen auch in keinem schroffen Gegensatze zu den Pharisäern. Sie waren vielmehr eine Steigerung des Pharisäertums, mit dem sie ursprünglich eins waren. Sie gingen ohne Zweifel aus den Assidäern hervor, wie sie denn auch gleich diesen eine außerordentliche Sabbatstrenge beobachteten. In ihren Augen galt schon das Versetzen eines Gefäßes von einem Platze an einen anderen als Entweihung des heiligen Tages. Ja nicht einmal ihre Notdurft verrichteten sie an diesem Tage. Außerdem lebten sie als Nasiräer, deren Ideal es war, die höchste Heiligkeit priesterlicher Weihe zu erstreben. Das pentateuchische Gesetz überläßt es zwar dem freien Willen eines jeden, der, von innerem Drange getrieben, ein asketisches Leben führen will, beschränkt es aber zugleich darin, daß man nur zeitweise dem feineren Lebensgenuß, wie dem Weine und dem Umgange mit der Gesellschaft, entsagen dürfe (Nasiräat). Ein solcher Nasiräer galt für die Zeit seines Gelübdes als eine Art freiwilliger Priester, der die Gesetze levitischer Reinheit aufs strengste zu beobachten habe; aber nach Ablauf derselben durfte er wieder in die Gesellschaft eintreten und an den gestatteten Lebensgenüssen teilnehmen. In der nachexilischen Zeit gab es indessen [90] nicht wenige Assidäer, welche in trüber Lebensanschauung nicht bloß zeitweise, sondern fürs ganze Leben Nasiräer zu sein bestrebt waren (Nazir Olam) und überhaupt den höchsten Grad levitischer Reinheit beobachteten, wie es für den Tempelkultus vorgeschrieben war. Sie wollten aber gerade durch äußerliche Beobachtung der levitischen Vorschriften eine innere Heiligkeit und Weihe erlangen, die Leidenschaften abtöten und ein geweihtes Leben führen. Die levitischen Reinheitsbestimmungen waren aber durch Entlehnung aus dem persischen Kreise10 und dessen Sitten zu einer solchen Höhe angewachsen, daß jede Berührung mit Personen und Gegenständen die Weihe hätte unterbrechen müssen, die erst durch vorschriftsmäßiges Baden, zuweilen auch durch Opfer wieder zu erlangen war. Lebenslängliche Nasiräer oder, was dasselbe ist, Essäer waren also dahin gebracht, jeden Umgang mit Personen von minder strenger Lebensweise zu meiden, da deren Nähe sie verunreinigen konnte. Solche Rücksichten zwangen sie, nur mit Gleichgesinnten zu verkehren und sich zu vereinigen, um keine Trübung ihres geweihten Zustandes zu erfahren; sie waren auf diese Weise genötigt, sich zu einem Orden zusammenzutun, dessen Regel zunächst auf gewissenhafter Beobachtung der allerstrengsten Reinheitspflege beruhte. Nur von Gleichgesinnten konnten sie ihre Speisen bereiten lassen, Kleider, Werkzeuge und andere Gegenstände kaufen, von denen sie überzeugt waren, daß bei deren Anfertigung die Reinheitsgesetze beobachtet worden waren. Sie waren daher aufeinander angewiesen und mochten es für ratsam erachten, ihre Mahlzeiten gemeinsam zu halten, um jeder Beihilfe minder Strenger entbehren zu können. Dabei mochte ihnen das Passahmahl als Ideal vorschweben, welches nur in geschlossenen Kreisen (Chabura, φρατρία) genossen werden durfte, wobei also eine gewisse Gemeinschaftlichkeit der dabei beteiligten Mitglieder zur Pflicht gemacht war. Mit Frauen zusammen zu leben war den Essäern fast unmöglich, um nicht durch deren auch nur anstreifende Berührung jeden Augenblick der levitischen Verunreinigung ausgesetzt zu sein. So gelangten die Essäer, von Konsequenz zu Konsequenz fortschreitend, bis zur Verachtung oder wenigstens Vermeidung des Ehestandes. Wie sollten sie sich gar erst in den kriegerischen Zeitläuften inmitten der Gesellschaft mit ihrer gesteigerten Peinlichkeit behaupten? Nicht bloß der heidnische Feind, sondern auch der heimkehrende judäische Sieger, der sich in der Schlacht an Leichnamen verunreinigt hatte, konnte ihre ganze Vorsicht zuschanden machen. Diese Verlegenheit mag den Essäern den Gedanken eingegeben haben, sich in eine einsame Gegend zurückzuziehen, um unbelästigt [91] vom Kriegslärm und dessen für ihre Lebensweise störenden Folgen bleiben zu können. Sie wählten zu ihrem Aufenthalte die Wüstenei im Westen des toten Meeres, in der Oase von Engadi. Die in dieser Gegend wuchernden Dattelpalmen konnten sie bei ihrer einfachen Lebensweise zum Teil mit Nahrung versehen. Doch waren wohl nicht sämtliche Assidäer der essäischen Lebensweise ergeben, noch hielten sich sämtliche Essäer in jener Gegend auf. Es gab auch welche, die nicht Mitglieder des Ordens waren und in ihren Familienkreisen verblieben. Diese zerstreuten Essäer waren auch verheiratet, hatten aber bei ihrer skrupulösen Richtung viele Schwierigkeiten zu überwinden.
So bildeten sich die in die Augen fallenden, von vielen bewunderten Züge des essäischen Ordens aus: gemeinschaftliche Mahle und Ehelosigkeit. Das Zusammenleben der Essäer führte sie auch dahin, sich ihres Eigentums zu entäußern. Wozu brauchte auch ein Ordensmitglied Privateigentum? Es war ja nicht imstande, es zu verwenden. Jeder übergab daher sein Vermögen der Ordenskasse, aus welcher die Lebensbedürfnisse für die Mitglieder bestritten wurden. Aus dieser Anschauung stammt der Spruch: Ein Chaßid spricht: »Das Meinige und das Deinige gehören Dir (nicht mir)« Es gab daher unter ihnen weder Arme, noch Reiche, und diese Sorglosigkeit um alles hatte die Folge, daß ihr Sinn, von Hause aus dem Religiösen zugewendet, sich immer mehr vom Irdischen lossagte und einer träumerisch-idealen Richtung folgte. Die Essäer zeichneten sich noch durch andere Eigentümlichkeiten aus, die, wiewohl an sich kleinlich, doch ihre Denk- und Lebensweise charakterisieren. Sie trugen stets weiße Linnenkleider, vermutlich um auch äußerlich an ihren freigewählten Priesterstand zu erinnern. Jeder führte, wie die Israeliten während ihrer Wüstenwanderung, eine kleine Schaufel bei sich, um die Erde zu seiner Notdurft aufzuscharren und das Unsaubere zu verdecken. Dadurch wollten sie ihren Aufenthaltsort als einen heiligen bezeichnen, der, gleich der Bundeslade, von dem Anblick des Tierischen nicht entweiht werden soll. Sie trugen auch stets eine Art Schurzfell oder Handtuch (Kenaphajim, περίζωμα), das dazu diente, sich jederzeit bei ihren Waschungen abtrocknen zu können. Jeden Morgen badeten sie in frischem Quellwasser – wie der Priester vor den Funktionen im Tempel – um auch eine unbewußt an ihrem Körper erfolgte Unreinheit zu beseitigen. Von diesem täglichen Baden nannte man sie Morgentäufer (Toblê Schacharit, ἡμεροβαπτισταί). Auch den Namen Essäer scheinen sie von diesem Umstande erhalten zu haben, da er in chaldäischer Sprache Badende, Täufer bedeutet (As'chai ausgesprochen Assaï).
[92] Diese Äußerlichkeiten waren für sie jedoch nur eine Vorstufe, um sich eine innere Frömmigkeit, die innige Gemeinschaft mit Gott, anzueignen, welche nach der Ansicht des Altertums nur in der Flucht aus der Welt, in stiller Abgeschiedenheit und in asketischer Lebensweise zu erlangen sei. Schmucklose Einfachheit in Nahrung und Kleidung, Nüchternheit, Sittsamkeit (Zeniut), stets bereite Aufopferung für andere waren zwar Tugenden, welche die Essäer zierten, aber sie waren ihnen nicht eigentümlich, indem sie sie mit den Pharisäern teilten. Was die Essäer auszeichnete, war die Scheu vor einer Eidesleistung, das öftere Beten und die Beschäftigung mit einer Art Geheimlehre. Vor dem Gebete sprachen sie kein profanes Wort, und nachdem sie bei dem ersten Erglänzen des Tagesgestirns das Schemá-Gebet gelesen, sammelten sie sich in stiller Andacht zum eigentlichen Gebete, das ein freier Erguß des Gemütes sein sollte. Denn vorgeschriebene Gebetformeln gab es überhaupt in dieser Zeit noch nicht. – Ihre Mahlzeit betrachteten die Essäer als eine Art Gottesdienst, ihre Speisetafel als einen Altar, und die Nahrung, die sie zu sich nahmen, gleich einer heiligen Opfergabe, die sie mit Andacht und Sammlung verzehrten. Kein unheiliges Wort entfuhr ihrem Munde während der Mahlzeit; meistens verhielten sie sich dabei in lautloser Stille. Dieses Schweigen muß auf die außerhalb des Ordens Stehenden einen um so mächtigeren Eindruck gemacht haben, als das wahre Wesen dieses sich abschließenden Ordens den Zeitgenossen unbekannt war und als etwas schauerlich Mysteriöses erschienen sein mochte.
Es lag wohl nicht von vornherein in der Absicht der Essäer, sich in eine Art Geheimlehre zu vertiefen; aber ihr asketisches Wesen, ihr Stillleben, welches der Beschaulichkeit so viel Nahrung gab, ihre Sorglosigkeit um Familie, endlich ihre religiöse Schwärmerei mußten sie darauf führen, andere Wahrheiten im Judentum zu suchen, als dem nüchternen Sinn darin erscheinen. Vor allem scheint ihnen der Gottesname Stoff zu tieferer Betrachtung gegeben zu haben. Ist der Gottesname so heilig, so müsse auch schon in den Buchstaben desselben etwas Geheimnisvolles liegen. Die Essäer, welche infolge ihrer Zurückgezogenheit Muße dazu hatten, grübelten über dieses Geheimnis nach. Der Name Gottes war ihnen so heilig, daß sie sich scheuten, einen Eid, der mit demselben bekräftigt werden mußte, zu leisten. Sie bezeugten ihre Aussagen an Eidesstatt durch ein einfaches Ja oder Nein. Mit dem Geheimnisse des Gottesnamens hing aufs innigste die Bedeutung der Engelnamen zusammen. Obwohl das Wesen der Engel, ihre Zahl, Namen und Rangordnung, dem Judentume ursprünglich fremd, aus der Theologie der Magier stammten, so wurde doch die [93] Engellehre, eben weil die Engel hebräische Namen: Gabriel, Michael, Raphael, Uriel und andere erhalten hatten11, später im Judentume bereits so sehr eingebürgert, daß sie als wesentlicher Bestandteil desselben gelten konnte. Die Namen der Engel, sowie deren Bedeutung und Stellung in ihrem theosophischen Systeme überlieferten die Essäer treulich ihren Jüngern. Welch einen reichen Stoff der Betrachtung bot die mystische Auffassung der Gottesnamen und der Engellehre für eine müßige, auf das Schwärmerische und Geheimnisvolle gerichtete Phantasie! Wenn sie mit neugefundenen phantastischen Ideen an das Verständnis der heiligen Schrift gingen, welche neuen Gesichtspunkte und Seiten mußten sich nicht ihrem getrübten Blicke erschließen! Jedes Wort, jede Wendung mußte einen bisher nicht geahnten Sinn offenbaren; die schwierigsten Fragen über das Wesen Gottes und sein Verhältnis zu den himmlischen Mächten und niederen Kreaturen konnten in ihren Augen die Lösung finden. Die Vertiefung in den heiligen Text spiegelte den Essäern die optische Täuschung vor, daß die Gedankenreihe von Urzeiten her in die heilige Schrift niedergelegt sei, die sie doch eigentlich erst hineintrugen. Ohne Zweifel waren die Essäer die Erfinder der »Geheimnisse der Lehre« (Sitre Thora), wie sie auch die Urahnen der judäischen Mystik und der christlichen Gnosis waren. Durch ihren dem Staate wie dem Alltagsleben abgewandten Sinn führten sie das auf Betätigung der Nationalwohlfahrt beruhende Judentum in die Dunkelheit und Überschwenglichkeit einer Geheimlehre ein. Befremdlich war an ihnen ihre hohe, schauervolle Verehrung für den Propheten und Gesetzgeber Mose. Sein Andenken und sein Name war allen Judäern in und außerhalb Palästinas teuer, und er wurde von allen für den größten der Propheten gehalten. Man schwur bei dem Namen Mose und legte ihn keinem anderen Menschen bei. Aber die Essäer trieben diese Verehrung auf die Spitze, gewissermaßen wie für ein göttliches Wesen. Wer den Namen Moses lästerte, galt in ihren Augen für ebenso todeswürdig wie ein Gotteslästerer. Sie scheinen auch damit eine mystische Vorstellung verbunden zu haben.
Das letzte Ziel der Essäer war ohne Zweifel das Streben nach prophetischer Verzückung, um des heiligen Geistes (Ruach ha-Kodesch) gewürdigt zu werden. Die Prophetenstimmen waren seit langer, langer Zeit verklungen, die Nation tastete, unbelehrt von der Gottesmänner mahnendem oder warnendem Worte, im Dunkeln über das, was zu tun oder zu lassen sei. Die Essäer glaubten nun, durch die strenge Lebensweise das Mittel gefunden zu haben, das seit lange verstummte [94] Himmelsecho wieder zu wecken. Und dann, wenn dieses Ziel erreicht, wenn die Prophezeiung wieder ausgebrochen ist, wenn Männer und Jünglinge wieder himmlische Gesichte zu schauen, wieder in Verzückung den Schleier der Zukunft zu lüften vermögen, dann ist das große messianische Reich nahgerückt, das Himmelreich (Malchut Schamajim) tritt seine Herrschaft an und macht mit einem Schlage der Mühe und Qual der Gegenwart ein Ende. Es kann kein Zweifel obwalten, daß diese Ideenverbindung im Essäertume lag, freilich dem einen mehr, dem andern weniger bewußt. Eines der letzten Glieder des Essäerordens führt diese Gedankenreihe in kurzen, aber leicht verständlichen und unzweideutigen Worten aus: »Von Stufe zu Stufe führen Gesetzeseifer, körperliche Reinheit, Enthaltsamkeit zur essäischen Lebensweise (Chassidut), und diese führt zu Demut und Sündenscheu, diese wiederum zur Empfänglichkeit für den heiligen Geist, und diese endlich zur Auferstehung, welche durch Elia, den Vorläufer des Messias, herbeigeführt wird.«
Wegen ihrer eigentümlichen Lebensweise und schwärmerischen Richtung wurden die Essäer vom Volke nicht bloß als Heilige, sondern auch als Wundertäter bewundert und angestaunt. Das Volk lauschte auf ihre Stimme und erwartete von ihnen die Abwendung drückender Übel. Einige unter den Essäern standen im Rufe, daß sie die Zukunft zu enthüllen und Träume zu deuten vermöchten. Gehoben war die scheue Verehrung der Essäer in den Augen der Unwissenden wegen deren Beschäftigung mit Wunderkuren an sogenannten Besessenen. Die Berührung mit den Persern hatte nämlich, wie den Glauben an das Dasein der Engel, so auch den Aberglauben an schädliche Dämonen (Schedim, Massikin12) in der Anschauung der Judäer feste Wurzel schlagen lassen. Ein Geisteszerrütteter galt als ein vom bösen Geist Besessener, dessen Seele und Körper der Dämon ganz und gar beherrsche, der nur auf das Zauberwort Kundiger zum Verlassen des Besessenen gebracht werden könne. Jede außergewöhnliche Krankheitsform, wie hartnäckige Lähmung, Aussatz, anhaltenden weiblichen Blutfluß schrieb man der dämonischen Wirkung zu und suchte nicht den Rat des Arztes, sondern die Wunderkur des Beschwörers. Mit solchen Kuren, Beschwörungen, Geistesaustreibungen befaßten sich die Essäer und forschten nach Heilmitteln in einem Buche (Sefer Refuot), das dem König Salomon, der als Banner böser Geister in der Volksmeinung galt, zugeschrieben wurde. Diese Heilmittel bestanden teils in gewissen leise gesprochenen Beschwörungsformeln und Versen aus der [95] heiligen Schrift (Lechischa, ἐξορκιτμός), teils in Anwendung gewisser Wurzeln und Steine von vermeintlich magischer Geheimkraft und wohl auch in Berührungen durch magnetischen Rapport. So hatten die Essäer das Höchste mit dem Niedrigsten, das Streben nach einem frommen Wandel und heiliger Begeisterung mit dem vulgärsten Aberglauben in sich vereinigt. Die überstrenge Enthaltsamkeit und die Flucht vor Berührung mit Personen von einer anderen Lebensweise haben bei ihnen krasse Auswüchse erzeugt.
Wegen dieser Auswüchse zollten nüchtern denkende Pharisäer den Essäern keine so große Verehrung. Sie machten sich im Gegenteil öfter über den »närrischen Chaßid« lustig. Gegen die Scheu der Essäer, den Gottesnamen ohne vorangegangene Waschung und Reinigung auszusprechen, bemerkten die Pharisäer, daß sie folgerichtig der Anrufung Gottes sich ganz enthalten müßten, da es doch ohne den Körper nicht geschehen könne und dieser ein Gefäß voller Unreinheit sei. Mit den essäischen Wunderkuren, namentlich mit ihrer Anwendung von heiligen Versen für Beschwörungen und Geistesaustreibungen waren manche Pharisäer vollends unzufrieden. Obwohl einer gemeinsamen Wurzel entsprossen und dasselbe Ziel verfolgend, gingen Pharisäertum und Essäertum, je mehr beide sich entwickelten, in verschiedenen Richtungen auseinander. Jenes stand mitten in der Wechselfülle des Lebens und suchte es durch Sittlichkeit und Gesetz zu heben und überhaupt praktische Zwecke zu verfolgen; dieses floh das Leben mit seinen Freuden und Schmerzen und vertiefte sich immer mehr in jene brütende Beschaulichkeit, welche die Tugend selbst abstoßend und die Hingebung zu einer anderen Art Egoismus macht. Jenes erblickte in der Ehe eine heilige, im Dienste der Menschheit stehende Institution; dieses betrachtete sie als Hemmnis der folgerichtig durchzuführenden religiösen Lebensweise. Die Pharisäer erkannten dem Menschen die Freiheit des Willens und Tuns zu, vermöge welcher er für sein sittliches Verhalten verantwortlich ist. Die Essäer dagegen, in den engen Kreis von täglich in derselben Form sich wiederholender Tätigkeit gebannt, unberührt von den Stößen und Gegenstößen der Wirklichkeit, gerieten auf eine Art von göttlichem Fatalismus, welcher nicht bloß das Geschick der Menschen, sondern auch ihr Tun und Lassen beherrsche. Höchst wahrscheinlich differierten die Pharisäer von der essäischen Lehre auch in den Punkten der Unsterblichkeit der Seele, der ausgleichenden Gerechtigkeit jenseits des Grabes und noch in anderen Stücken, obwohl sich dieses aus den Quellen nicht zu völliger Klarheit belegen läßt. Es scheint also eine kleine Spannung zwischen Pharisäern und Essäern bestanden zu haben, die im Verlaufe immer mehr zunahm, je mehr jene in den Strudel des politischen Lebens [96] hineingerissen wurden, und je mehr diese sich in das enge Gehäuse eines abgeschiedenen Ordenslebens eingesponnen hatten. Es war eine Art Vorgefühl daß sie, später auf einen weiteren Schauplatz versetzt, erbitterte Feinde werden würden. Die Essäer mieden sogar den Tempel, vermutlich weil der Tempelritus, nach der pharisäischen Lehre eingerichtet, ihrem Ideale nicht zu entsprechen schien. Mit der Pflicht zu opfern, fanden sie sich auf eine bequeme Weise ab, indem sie die Opfer in den Tempel sandten, ohne bei der Handlung gegenwärtig zu sein. Das Nationalgefühl trat bei den Essäern immer mehr vor der Anhänglichkeit an ihren Orden zurück, und sie lösten sich nach und nach von den starken Banden der Volkstümlichkeit ab. Das Essäertum barg in seinem Schoße eine Opposition gegen das bestehende Judentum, von welcher Anhänger und Gegner keine Ahnung hatten.
Die Essäer hatten durchaus keinen Einfluß auf die politische Bewegung, von welcher sie sich möglichst fern hielten. Nur ein einziger Essäer, soviel bekannt ist, war Mitglied des hohen Rates. Aber als fühlte er sich in dieser Atmosphäre unheimisch, schied er aus. Ihre Zahl war gering, und selbst zur Zeit seiner Blüte zählte der Orden nicht mehr als etwa viertausend Mitglieder. Da sie vermöge ihrer Ehelosigkeit auf eine natürliche Ergänzung der abgehenden Mitglieder verzichten mußten, so waren sie darauf bedacht, um nicht allmählich ganz zu verschwinden, Novizen anzuwerben und Proselyten zu machen. Die Eintretenden nahmen sie mit einer Art zeremoniöser Feierlichkeit auf. Man reichte ihnen das weiße Kleid, das Schurzfell und die Schaufel, die Symbole des Essäertums. Der Novize trat aber nicht sogleich in die Gemeinschaft der Ordensglieder ein, sondern wurde allmählich einer immer strengeren Enthaltsamkeit und immer schwereren Beobachtung der Reinheitsgesetze unterworfen. Drei Grade, eine Art Probe, waren durchzumachen, ehe ein neues Mitglied zu der vollen Teilnahme am Orden zugelassen wurde. Bei der Aufnahme wurde der Eintretende beschworen, die essäische Lebensweise zu beobachten, die geheimen Lehren, namentlich die, welche sich auf den geheimnisvollen Gottesnamen, die Engellehre (und wohl auch die Beschwörung der Dämonen) bezogen, gewissenhaft zu bewahren und treu zu überliefern. Der unwürdig Befundene sollte ausgestoßen werden; doch findet sich kein Beispiel eines solchen Falles.
Es kann, weil die falsche Auffassung zu weitverbreiteten Irrtümern geführt hat, nicht genug wiederholt werden, daß, sowie die Benennung der drei Sekten ihrem wahren Begriff nicht ganz entspricht, ebenso die Bezeichnung »Sekte« für alle drei ganz unpassend ist. Die Sadduzäer hatten gar nichts von einer aufs Religiöse gerichteten Sekte, vielmehr [97] alles, was eine politische Partei ausmacht; sie wollten sich von der religiösen Norm in öffentlichen Angelegenheiten möglichst frei halten, und nur vermöge des religiösen Charakters der judäischen Nation nahmen auch sie eine religiöse Färbung an. Die Pharisäer waren eigentlich nur ihre politischen Gegner, aber aus einem religiösen Prinzip, und auf sie paßt der Name Sekte um so weniger, als sie den Kern der Nation ausmachten. Höchstens könnte man die Essäer eine religiöse Sekte nennen, weil sie sich von öffentlicher Tätigkeit ganz fern hielten; aber die Essäer verdienen diese Benennung wiederum nicht ganz, weil sie von den Pharisäern ursprünglich nicht unterschieden waren und, wie gesagt, nur eine Übertreibung des Pharisäertums bildeten, weil beide also von gleichen Überzeugungen getragen waren. Die Pharisäer waren auch keineswegs die Vermittler zwischen zwei extremen Richtungen. Sie müssen vielmehr als Grundstock der Nation angesehen werden, von welchem sich die Sadduzäer einerseits durch Überordnung der weltlichen Interessen über die religiösen und die Essäer andererseits durch schwärmerische Lebensweise absonderten. Wie wenig die Sadduzäer und Essäer als Träger der nationalen Richtung angesehen werden können, beweist der Umstand, daß weder die einen, noch die anderen eine selbständige Literatur aus sich zu erzeugen vermochten. Die literarischen Erzeugnisse der Folgezeit tragen einen durchweg pharisäischen Charakter. Auf die Sadduzäer hingegen ist mit Gewißheit kein Schriftdenkmal zurückzuführen, weil ihr Streben eben nur auf Weltlichkeit gerichtet war, und von den Essäern wird nur ein einziges literarisches Produkt namhaft gemacht, eine »assidäische Rolle« (Megillat Chassidim), aus welcher sich nur ein einziger Spruch erhalten hat, der da lautet: »Verläßt du sie (die Lehre) auch nur einen Tag, so verläßt sie dich zwei Tage.«
Das schroffe Verhältnis zwischen Pharisäern und Sadduzäern bestand zu Hyrkans Zeit noch nicht. Ihre entgegengesetzten Ansichten über gewisse Fragen hatten noch keine Reibung erzeugt; die zwischen beiden herrschende Spannung war noch nicht in Feindseligkeiten übergegangen. Hyrkan gebrauchte beide nach ihren Fähigkeiten für seine Regierung: die Sadduzäer als Krieger und Diplomaten für äußere Angelegenheiten, die Pharisäer als Gesetzeslehrer, Richter und Beamte für innere Angelegenheiten. Die einen ehrten in Hyrkan das Staatsoberhaupt und den Feldherrn, die anderen den frommen Hohenpriester, der sich der religiösen Norm befliß. Hyrkan ließ sich in der Tat angelegen sein, wie er persönlich sich streng an die pharisäische Auslegung hielt13, so auch die innere Einrichtung des Staates auf religiöse, d.h. [98] pharisäische Grundlagen zu gründen, und diejenigen Verordnungen, die auf ihn zurückgeführt werden, zeugen, daß er von diesem Geiste durchdrungen war. Die Spitze der religiösen Institute bildeten in der hyrkanischen Zeit der hohe Rat, der, wenn nicht von Hyrkans Vorgängern, doch sicherlich von ihm selbst reorganisiert worden sein muß. Er behielt die alte Benennung »der große Gerichtshof (Bet Din ha-gadol) oder der »Rat«, der »Rat der Alten« (Βουλƞ, γερουσία) und bestand aus siebzig Mitgliedern, nach dem Muster der Beiräte unter Mose. Es verstand sich von selbst, daß der Hohepriester, welcher seit Simon alle staatlichen und religiösen Machtvollkommenheiten erhalten hatte, an der Spitze derselben stand14. Er war der Höchste (Nasi). [99] Da der Hohepriester wegen seiner politischen und kriegerischen Funktionen öfter verhindert war, den Sitzungen beizuwohnen, so wurde, wie es scheint, ein stellvertretender Vorsitzender dazu ernannt, welcher den Titel: »Vater des Gerichtshofes« (Ab Bet-Din) führte. Bei den Beratungen saßen die Mitglieder im Halbkreise vor dem Vorsitzenden, um ihn von allen Seiten sehen und hören zu können.
Welche Funktionen dem hohen Rate in seiner Reorganisation oblagen, läßt sich nicht bestimmt angeben. Mit der peinlichen Gerichtsbarkeit hatte er wohl nichts zu schaffen; dafür bestanden Gerichtshöfe von dreiundzwanzig Mitgliedern in jeder größeren Stadt eines Bezirkes, die übrigens, wie es scheint, von dem hohen Rat erwählt oder bestätigt wurden. Zu seiner regelmäßigen Beschäftigung gehörte besonders die Überwachung der Familienreinheit für die priesterliche Ehe. Zu diesem Zwecke dienten Stammregister (Genealogien, Sepher Jochasin), die von glaubwürdigen Personen geführt und vom hohen Rat bestätigt werden mußten. Von Ägypten, Babylonien und allen Orten, wo die Judäer zerstreut lebten, wurden Familienregister, mit den Namen der Stammväter und der Nachkommen und mit Zeugenunterschrift versehen15, dem hohen Rat zugeschickt und zur Bestätigung vorgelegt. Diejenigen Familien, welche auf Ehre hielten, gingen keine Ehe mit Personen ein, von denen sie sich nicht die Überzeugung verschafft hatten, daß sie aus unbefleckter Ehe stammten. An die Stammbäume waren in der Regel wichtige Begebenheiten der Familien, namentlich wenn sie historisches Interesse hatten, geknüpft, und diese waren die ersten Elemente zu den Geschichtsquellen16. Die Kalender-Berechnung und namentlich die Ausgleichung des Sonnenjahres mit dem Mondjahre durch Einschaltung eines Monats war sicherlich ebenfalls eine Funktion des großen Rates, doch war später17 der Brauch eingeführt, daß der Vorsitzende einen Ausschuß von mehreren Mitgliedern dazu ernannte.
Als Organ des Gesetzes hatte der hohe Rat den Sinn der geschriebenen Gesetze auszulegen und sie auf vorkommende Fälle anzuwenden; er war zugleich das Gedächtnis für die aus alter Zeit überkommenen[100] Überlieferungen und setzte die Traditionskette fort. Zweifelhafte Fälle wurden ihm zur Entscheidung vorgelegt, doch hatte er dazu aus sich zwei Ausschüsse ernannt, die auf dem Tempelberg und in dem Tempelvorhofe ihren Sitz hatten und aus je drei18 Mitgliedern bestanden, welche gewissermaßen als zwei Instanzen selbständige Entscheidungen trafen. Nur, wenn in diesen beiden Ausschüssen Meinungsverschiedenheit herrschte, kam der Fall vor den hohen Rat. Tiefere Gesetzeskunde war dabei unerläßlich und namentlich Kenntnis der traditionellen Schriftauslegung, und da die pharisäischen Führer allein im Besitze derselben waren, so verstand es sich wohl von selbst, daß sämtliche Körperschaften mit Pharisäern besetzt waren. Der hohe Rat hielt Sitzungen in der Quaderhalle des Tempels (Lischchat ha-Gasit19), die an der Südseite zwischen dem Heiligtum und der Vorhalle (Ulam) gelegen war und Ausgänge nach dem Heiligtum und dem freien, allen zugänglichen Hof hatte, als sollte er stets eingedenk bleiben, daß ihm die Vermittelung des Heiligtums mit dem Volke obliege. Die Einheit der Lehre war durch den hohen Rat gewahrt und vertreten, die Entscheidungen und Verordnungen, die von ihm ausgingen, wurden von den heimischen und auswärtigen Judäern als Norm anerkannt20. Sitzungen fanden täglich statt, mit Ausnahme der Sabbate und Feiertage, an welchen Mitglieder desselben in dem Lehrhause des Tempels Vorträge hielten. Obwohl der Körper des hohen Rates aus einundsiebzig Mitgliedern bestand, so waren dennoch schon dreiundzwanzig beschlußfähig21. Die Beratungen waren öffentlich. Der Senat ergänzte sich selbst aus würdigen Personen, die bereits als Richter in kleineren und größeren Kreisen fungiert hatten22. Die Würdigkeit und die Geschäftsordnung waren für diesen und die Gerichtshöfe ganz gleich.
Die erforderlichen Eigenschaften für die Räte und Kriminalrichter waren, nächst Gesetzeskunde, Abstammung von judäischen Eltern in gesetzmäßiger Ehe, Beliebtheit beim Volke und Demut23; in Ehebruch erzeugte Bastarde und Proselyten waren davon ausgeschlossen24, doch waren solche Proselyten zulässig, deren Mutter eine geborene Judäerin war. Man sah aber auch darauf, Greise und Kinderlose nicht als Richter zu ernennen25, weil solche, wie vorausgesetzt wird, sich mehr zur [101] Strenge als zur Milde neigen, und bei peinlichen Gerichtsverhandlungen sollte, nach pharisäischen Grundsätzen, die Milde ihre Stimme lauter erheben, als das strenge Recht; die Richter sollten bei der Beratung und Beurteilung ein Herz mitbringen. Aus dem Prinzipe vorwaltender Milde floß eine eigentümliche Geschäftsordnung, welche den altpharisäischen Geist der Menschlichkeit unwiderleglich bezeugt. Genügte für das Freisprechen des peinlich Angeklagten die einfache Majorität von den dreiundzwanzig Mitgliedern des Gerichtshofes, so bedurfte es für die Verurteilung mindestens dreizehn Stimmen26. Schon beim Beginn der Verhandlung mußte der Vorsitzende die Zeugen, welche als öffentliche Ankläger galten, aufmerksam machen, wie schwer ein Menschenleben wiegt, und ob sie nicht einen Umstand übersehen hätten, der für die Unschuld des Angeklagten spräche27. Selbst die Zuhörer durften sich an der Debatte beteiligen, wenn sie Milderungsgründe vorzubringen hatten, und wiederum durften diejenigen Richter, die sich einmal in der Debatte für Freisprechen erklärt hatten, bei der Abstimmung nicht für schuldig stimmen28, d.h. ihr Votum wurde nicht mitgezählt. Die Abstimmung begann jedesmal von dem letzten, d.h. jüngsten Mitgliede in der Reihe, damit das vom Vorsitzenden abgegebene Urteil auf »Schuldig« auf die übrigen Mitglieder nicht einen unwillkürlichen Einfluß ausübe und sie befangen mache29. Und so bis ins einzelne waren Bestimmungen getroffen, die Richter anzuweisen, daß sie weit eher darauf bedacht sein sollten, den Angeklagten loszusprechen, als ihn zu verdammen. War ein Verbrecher zu einer der vier Todesarten, durch Steinigung, Feuer, Eisen oder Ersticken verurteilt, so gab man ihm vor dem Tode einen Kelch mit betäubendem Getränke, um ihm das Bewußtsein seines Unglücks zu benehmen, und edle Frauen ließen es sich nicht nehmen, diesen Trank zu bereiten30; sie hielten es für ihren Beruf, den bitteren Schmerz des Unglücklichen in etwas zu mildern. Die Güter der Hingerichteten wurden nicht eingezogen, sondern gingen auf die Erben über31. Die Hinrichtung betrachtete man überhaupt weder als Strafe, noch als Wiederherstellung der verletzten Sittlichkeit oder Religiosität, sondern als Sühne für den Verbrecher, der durch den Verlust des Lebens geläutert und mit dem Himmel versöhnt erschien. Daher blieb bei der verhängten Todesstrafe jeder Gedanke an Rache und Vergeltung fern. Nur bei einem einzigen Vergehen sollten alle Rücksichten der Milde wegfallen, wenn es galt, einen Volksverführer, der zum Abfall vom [102] Judentum überredet hatte (Messith), zu bestrafen: für einen solchen sollte die unerbittliche Strenge der Gesetze ihren Lauf haben32. Indessen kamen derartige Straffälle fast gar nicht vor, so daß das strenge Verfahren nur der Theorie zu Liebe aufgestellt scheint und wohl nie praktische Anwendung gefunden hat. Alle diese Gesetzesbestimmungen haben wohl unter den ersten Hasmonäern, wenn nicht ihre Ausbildung und Kräftigung, so doch ihre Anregung erhalten.
Wie das Kollegial- und Gerichtswesen, so hatte wohl auch das Tempelritual infolge der Wiedergeburt des judäischen Gemeinwesens hin und wieder eine veränderte Gestalt erhalten. Haben auch die Hasmonäer weiter nichts beabsichtigt als den Kultus in seiner Reinheit so wiederherzustellen, wie er vor den entweihenden Eingriffen der Hellenisten und Syrer bestanden hatte, so haben doch die Zeitumstände geboten, manches anders zu gestalten. Mehrere Jahre hindurch war der Tempel geschändet, verwaist, ohne hohenpriesterliches Oberhaupt gewesen; der Faden der Überlieferung, den die täglich und jährlich wiederkehrende Übung naturgemäß fortzuspinnen pflegt, war zerrissen. Wieviel mag von den mit dem Kultus zusammenhängenden Bräuchen in der Zwischenzeit bis zur Wiederherstellung vergessen worden sein! Man darf also die Tempeleinrichtung in derjenigen Gestaltung, die sie in den letzten zwei Jahrhunderten angenommen hatte, auf die Zeit der ersten drei Hasmonäer zurückführen, wobei der Buchstabe der heiligen Schrift und die traditionellen Erinnerungen soviel wie möglich als Leitfaden dienten. An der Spitze des ganzen Kultus stand der Hohepriester, der als der lebendige Träger desselben galt. Hatten schon die Hohenpriester nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exile eine hohe Bedeutung, so steigerte sich dieselbe noch mehr für die aus dem hasmonäischen Hause. Von den Institutionen der alten Zeit war das Priestertum allein übrig geblieben, alles übrige war verwittert. Die Stammesverfassung war völlig erloschen, und selbst der Unterschied von Judäern und Benjaminiten, welcher noch zur Zeit der Rückkehr aus dem babylonischen Exil fortbestand, geschwunden33. Es gab allerdings noch Familien, die sich der Abstammung von Juda oder Benjamin rühmten, so die Söhne Paroschs, die Söhne Zathus, die Söhne Adins, die Söhne Pachat-Moabs (Joab) von Juda, die Söhne Sennas von Benjamin. Selbst Nachkommen vom König David durch Serubabel bestanden [103] noch34. Die drei verworfenen Brüder Simon, Menelaos und Lysimachos sollen von Benjamin entstammt gewesen sein35. Aber diese geringen Reste konnten die ehemalige Scheidung nicht aufrecht erhalten. Selbst die abhängigen Familienkreise, die sogenannten Salomo-Sklaven (die zu Staatssklaven erniedrigten Chanaaniter) waren verschwunden. Sie scheinen durch ihre Beteiligung an den Kämpfen ihre Ebenbürtigkeit mit den übrigen Judäern erlangt zu haben. Nur die ehemaligen Tempel-Sklaven (Gibeoniten, Nethinim genannt) bestanden noch, waren aber nur dadurch kenntlich, daß rein-israelitische Familien sich nicht mit ihnen verschwägerten36. Aber ihre Dienstbarkeit, Holz und Wasser für den Tempelbedarf zu liefern, hatte allmählich aufgehört. So blieb nur noch von dem Altertume das Priestertum zurück und an der Spitze desselben die Hohenpriester aus dem Hause Jojarib, denen der Tempel und das Judentum ihren wiedergewonnenen Glanz zu verdanken hatten. Ihnen wurden die höchsten Ehren erwiesen. Der Hohepriester, der nur am Versöhnungstage im Tempel zu fungieren brauchte, durfte sich zu jeder Zeit am Ritual beteiligen. In diesem Falle leisteten ihm die übrigen Priester in demütiger Haltung die nötigen Dienste37. Die üblichen Anreden an denselben geschahen auf eine Ehrfurcht bezeugende Weise: »Mein Herr Hoherpriester« (Ischi kohen gadol38). Kam am Versöhnungstage der Akt an die Reihe, aus der Gesetzesrolle den die Feier betreffenden Abschnitt vorzulesen, so überreichten ihm die höchsten Tempelbeamten in aufsteigender Rangordnung die Rolle auf eine feierliche Weise39. Wie es scheint, wurde dem Hohenpriester die Funktion übertragen, welche im pentateuchischen Gesetze dem Könige vorbehalten blieb, nämlich in jedem siebenten Jahr einen Teil des Gesetzbuches vorzulesen. Zum Schlußfeste des Erlaßjahres pflegte er von einer Erhöhung im Tempelvorhofe dem anwesenden Volke die Gesetze und die Ermahnungen zur Befolgung derselben vorzutragen40. Nach Beendigung des Rituals am Versöhnungstage gab ihm die ganze anwesende Volksmenge das Ehrengeleit vom Tempel bis an sein Haus41. Bei seinem [104] öffentlichen Auftreten ging ihm ein hoher Tempelbeamter voran, um die Menge vor ihm ausweichen zu lassen. Traf ihn ein Trauerfall, so saß er nicht, wie andere Leidtragende auf der Erde, sondern auf einem hohen Sitze, während die Beileidbezeigenden in seiner Gegenwart auf der Erde saßen42. Und so wurden dem Hohenpriester, als dem Ersten der Nation, bei jeder Gelegenheit die höchsten Ehren erwiesen. Doch waren die hasmonäischen Hohenpriester, obwohl sie auch mit der fürstlichen und später gar mit der königlichen Würde bekleidet waren, nicht unverantwortlich für ihre Handlungen. Sie durften wegen Vergehen zur Verantwortung gezogen werden, nur nicht vor die Schranken eines gewöhnlichen Gerichtshofes, sondern vor das Tribunal des großen Senats43.
Dem Hohenpriester zunächst stand ein Priesterkollegium (Sikne Kehunna, Bet-din schel-Kohanim)44, dessen Befugnisse zwar nirgends verzeichnet sind, das aber sicherlich die Aufsicht über die Priester und über den regelmäßigen Gang des Kultus geführt hat; die Tempelbeamten, deren es mancherlei in vielfacher Abstufung und Unterordnung gab, bildeten ohne Zweifel die Mitglieder desselben. Die Aufsicht über die äußeren Tempelangelegenheiten führte der Tempelhauptmann (Isch har ha-baït, στρατƞγὸς τοῠ ἱεροῠ). Er überwachte45 die vierundzwanzig Wachtposten, welche an verschiedenen Stellen des Tempelberges aufgestellt waren, hielt die Ordnung im Tempel aufrecht46, daß niemand die Räume betreten sollte, wohin ihm zu kommen verboten war, übte mit einem Worte die Tempelpolizei aus. Jede Nacht machte der Tempelhauptmann die Runde bei allen Posten, um sich von deren Wachsamkeit zu überzeugen und bestrafte die Lässigen. Mit der Zeit wurde dieses Amt äußerst wichtig, da die Verteidigung des Tempels damit verbunden war. Wer die Zugänge zum Tempel beherrschte, hatte die Hauptstadt in Händen. So wie der Tempelhauptmann, so standen auch zwei Schatzmeister unter dem Namen Katholiken (καϑολικοί 47) unmittelbar unter dem Hohenpriester; sie verwalteten die eingehenden Tempelgelder, welche durch alljährliche Spenden und Weihen einliefen, und besorgten auch die Ausgaben. Unter ihnen standen andere Beamte (Amarkelim), deren Hauptfunktion darin bestand, bei dem Öffnen und [105] Schließen der Tempeltore zugegen zu sein, ferner den Tempelschatz zu besichtigen und aus ihm die Summen zu entnehmen, welche für die Bestreitung der Bedürfnisse nötig waren. Alle mußten beim Öffnen anwesend sein48. Diese Schlüsselträger standen im Range höher als die Einnehmer (Gisbarim49), deren es drei gab; sie nahmen die Opfer und Weihgeschenke in Empfang, veräußerten, was nicht zum Opfer tauglich war50, und lieferten den Erlös dafür den Schatzmeistern ab. Außer den höheren Beamten gab es noch mehrere Unterbeamte, denen einzelne Zweige der Tempelverwaltung überwiesen waren, und die ihre Ämter zum Teil in ihren Familien vererbten. Es gab einen Aufseher über die priesterlichen Ornate (al ha-Malbusch), einen anderen über die Zubereitung des Räucherwerkes (al ha-Ketôret), über die Bereitung der Schaubrote (al Lechem ha-Panim), Aufseher über die verschiedenen musikalischen Instrumente, über die Ausbildung der Levitenchöre (al ha-Dukan, al ha-Zilzel, al ha-Schir), über das Wasserkunstwerk im Tempel. Ein Oberarzt war angestellt für die Behandlung der diensttuenden Priester, die sich durch das Stehen auf dem steinernen Pflaster des Vorhofes öfter Erkältungen zuzogen51.
Über die Ordnung des täglichen Kultusrituals war ein eigener Beamter gesetzt, der den Titel Memunna (Vorgesetzter) führte52. Er hatte dafür zu sorgen, daß das Ritual in vorgeschriebener Reihen- und Zeitfolge vollzogen werde, und die Funktionen an die jedesmaligen diensthabenden Priester zu verteilen. Den in den weiten Tempelräumen zerstreuten Priestern rief ein Herold (Kerus) auf ein Zeichen des Kultusaufsehers ihre Funktionen mit lauter Stimme zu53. Der Wetteifer der Priester, die Funktionen an sich zu reißen, war so ungestüm, daß es manchmal zu Handgreiflichkeiten kam; deswegen wurden später die Funktionen durchs Los verteilt (Pijus54).
Der Tempelkultus bestand in dieser Zeit wie früher nicht bloß aus Opfern und Psalmenhymnen, sondern auch aus Gebeten, die sich [106] nach und nach zu festen Formeln gestalteten. Nach Vollendung des Morgenopfers begab sich die Priesterabteilung, die den Dienst hatte, und vermutlich auch die anwesende Menge zum Gebete in die Quaderhalle55, den Sitzungssaal des hohen Rats. War das Räucherwerk auf dem Altar angezündet, so dröhnte der durchdringende Ton der Magrepha (eine Art Instrument) und der Herold rief: »Tretet ihr Leviten zum Gesange zusammen«, worauf die Sänger aus allen Räumen des weitläufigen Tempelgebäudes zum Chor zusammenströmten56, der auf fünfzehn Stufen am Eingange vom Weibervorhofe in den Männervorhof angebracht war. Während die Priester das Weinopfer auf den Altar gossen, stimmten die Leviten den Wettgesang der Psalmen an, begleitet von dreierlei musikalischen Instrumenten, Harfen, Nablien und einem Paare rauschender Handbecken. Mit diesen Klangbecken gab der Chorführer (Menazéach) das Zeichen zum Beginne des Gesanges und der musikalischen Begleitung. An den Hauptfesten, sowie am Passahvorabend mischte noch die Flöte ihre schmelzenden Töne in den Gesang. Um Harmonie von hohen und tiefen Stimmen zu erzielen, wurden Levitenknaben herangezogen57. Jeder Psalm wurde in drei Absätzen mit Pausen (Perek) gesungen; bei jeder Pause ließen zwei Priester Posaunen schmettern, und die anwesende Volksmenge warf sich anbetend nieder58.
Die Psalmen für den täglichen und feiertägigen Gottesdienst scheinen erst von der hasmonäischen Zeit anstehend geworden zu sein. Bis dahin waren sie dem Wechsel je nach der Zeitstimmung unterworfen. Drückte ein schweres Weh das Volk nieder, so klagten die Levitenchöre in düsteren Weisen und wählten elegische Psalmen dazu; hatte sich das Volk vom Drucke befreit, so erschallten jauchzende Siegeslieder. Bis Hyrkans Regierung scheinen Klagepsalmen stehend und namentlich der Psalm vierundvierzig aus der Zeit des Religionszwanges ein Lieblingspsalm gewesen zu sein, weil er den tiefen Abstand zwischen der ehemaligen Größe der judäischen Nation und ihrer Gesunkenheit während der syrischen Zwingherrschaft so eindringlich zu Herzen führt. Das Volk hatte diese und ähnliche Psalmen in der verzweifelten Lage so oft vernommen, daß es sich gern noch länger davon erschüttern und erheben ließ, obwohl die Zeit eine andere geworden war. Hyrkan beseitigte aber den Psalm der Verzweiflung und sicherlich auch andere gleichen Inhaltes aus dem Gottesdienste59 und führte wohl an ihrer Statt frohe Choräle ein. Die Nation sollte nicht mehr aus dem Munde seiner Sänger klagen: »Erwache, o Herr, warum schlummerst Du ... [107] gebeugt in den Staub ist unser Leben, an der Erde klebt unser Leib.« Die Psalmen, welche bis zur Tempelzerstörung beim Gottesdienste in Gebrauch geblieben sind, stammen wohl teilweise aus Hyrkans Zeit. – Am Sabbat war der Gottesdienst feierlicher und ausgedehnter. Neben dem Sabbatpsalm wurde das erhabene Lehrgedicht, das Mose vor seinem Tode dem Volke übergeben (Haasinu), in sechs Abteilungen gesungen, jeden Sabbat ein anderer Abschnitt, und beim Nachmittagsgottesdienst das Siegeslied am roten Meere60. An den Festtagen wurde eine Reihe von Psalmen gesungen, welche die wunderbare Errettung des Volkes aus Ägypten und dessen Erhebung aus der Niedrigkeit verlebendigen (Hallel), auch an dem Lichtfest zur Erinnerung an die Tempelweihe, für welches sie wohl zuerst eingeführt worden waren, und auch beim Opfern der Passah-Lämmer61. Diese Hymnen wurden von zwei oder mehreren Flöten begleitet62.
Der Gottesdienst außerhalb des Tempels in den Synagogen (Bet-Tefilla, Bet ha-Kneset, Moade-El) hat ohne Zweifel in der hasmonäischen Zeit einen Aufschwung genommen. Im ganzen war der synagogale Gottesdienst dem Tempel entlehnt und galt als Stellvertreter des Tempelrituals. Selbst das Landvolk fand sich am Montag, Donnerstag und an den Feiertagen in der zunächst gelegenen Stadt zum Gottesdienste ein, bei welchem Gebete mit Vorlesungen aus dem Gesetze abwechselten63. Am Montag und Donnerstag waren auch Wochenmärkte und Gerichtstage in den Städten. Der Pentateuch wurde in kleinen Abschnitten vorgelesen und am Sabbat und an Festtagen entsprechende Stellen aus den Propheten. Um richtige Abschriften des so wichtigen Fünfbuches, als Quelle für die Gesetze, für die Bethäuser und Lehrstätten zu haben, wurde in den Tempelvorhof eine Musterrolle (Sepher ha-Asarah) niedergelegt. Infolge des Religionszwanges unter Antiochos Epiphanes, dessen Schergen die Gesetzrollen zerrissen und verbrannt hatten, waren wohl fehlerhafte Exemplare, die sich einzelne zum Ersatze der eingebüßten abgeschrieben hatten, in Umlauf gekommen. Es schien daher der hohen Behörde notwendig, um die eingeschlichenen Fehler zu tilgen und deren Vervielfältigung zu verhüten, ein Musterexemplar zur Berichtigung niederzulegen. Schriftkundige wurden angestellt, nach dieser Hauptrolle anderweitige zu verbessern. Diejenigen, welche mit der Auswahl derselben beauftragt waren, haben wohl mehrere vorgefundene Exemplare verglichen. Man erzählte sich, daß sie drei [108] vor Augen hatten, die an einigen Stellen verschiedene Lesarten gehabt haben64.
Jede Gemeinde war für ihre inneren Angelegenheiten selbständig, sie durfte Bestimmung über Maße und Gewichte, über Marktpreise und über Arbeiterlöhnung treffen65. Die Freizügigkeit von einer Gemeinde in die andere war unbeschränkt. Sowie jemand ein Jahr an einem Orte weilte oder ein Grundstück kaufte, galt er für alle Rechte und Pflichten als Bürger66. Die Gemeinde wählte ihre Vertreter für die synagogalen und städtischen Angelegenheiten und für Armenpflege, die ein Kollegium von sieben Mitgliedern (Schiba Tobe Ir) bildeten. Sie wurden selbstverständlich aus den angesehensten Kreisen gewählt. Weil die Ahroniden dem ältesten Adel angehörten, so wurden diese stets in das städtische Kollegium gewählt67. Sie hatten auch richterliche Befugnisse [109] für Vergehen und Übertretungen, welche nicht Todesstrafe nach sich zogen68.
Zwei Verordnungen, die auf Hyrkan zurückgeführt werden, beweisen, wie nachhaltig die infolge der Syrerkriege eingetretene Zerrüttung im Inneren fortwirkte. Mit der Einführung der pentateuchischen Gesetze in das Volksleben infolge des Eifers Esras, Nehemias und ihrer sopherischen Nachfolger wurde es auch mit den vorgeschriebenen Abgaben für die Ahroniden und Leviten ernster als früher genommen. Unter diesen Verpflichtungen war aber die für die Zehntenleistung drückend. Nach der älteren Gesetzgebung sollte Jahr für Jahr der zehnte Teil der Ernte den Leviten gegeben und der zehnte Teil dieser Abgabe für den Priester als eine Art heilige Gabe (Terumat Maʽasser) abgeschieden werden69. Die jüngere (deuteronomische) Gesetzgebung hatte diese Abgabe erleichtert und verordnet, den zehnten je zwei Jahre von den Bodenbesitzern mit Hinzuziehung der Besitzlosen in der heiligen Stadt verzehren zu lassen und nur in jedem dritten Jahre ihn den Verarmten zu überlassen70. Während in Nehemias Zeit auf diese Verschiedenheit der Gesetze keine Rücksicht genommen, sondern angeordnet wurde, daß der Zehnte in die Tempelspeicher zu gleicher Verteilung geliefert werde, wurde sie in der sopherischen Zeit derart ausgeglichen, daß dreierlei Zehnten abgesondert werden sollten: Der erste Zehnte (Maʽasser rischon) für die Leviten und ein Zehntel davon an die Ahroniden, der zweite Zehnte (M. scheni) zur Verzehrung für die Eigentümer in Jerusalem und endlich der dritte Zehnte in jedem dritten Jahre für die Armen (M. ani), aber zugleich auch der erste Zehnte71 Das war zu viel. Sollte der Landmann den fünften Teil seiner Ernte jedes Jahr dem freien Gebrauche entziehen? Judäa war in der nachexilischen Zeit größtenteils auf Ackerbau eingerichtet, die Viehzucht auf den Weideplätzen äußerst beschränkt; und der Wohlstand beruhte auf Absatz des Getreides für das Ausland. Und wenn nun Mißernten eintraten, sollte der fünfte Teil des Eingeheimsten noch vergeben werden?
Die Folge war, daß die Ackerbauer ihre Ernte entweder gar nicht oder nur unvollständig zu verzehnten pflegten. In der Zeit der syrischen Drangsäle und Kriege hat die Vernachlässigung des Zehntengesetzes nur noch mehr zugenommen. Not und Unwille trugen in gleicher Weise [110] dazu bei. Sollte der Landmann die abtrünnigen Priester mit seinem Schweiße nähren? Diese Entwöhnung vom Abscheiden des Zehnten dauerte auch noch unter den hasmonäischen Fürsten fort. Dadurch waren aber die Priester, die seit der Wiederherstellung der alten Ordnung dem Tempeldienste treuer oblagen, ihrer Nahrungsquelle beraubt. Diese Not führte zu einem anderen Übelstande. Priester, welche genug Macht und Keckheit besaßen, erpreßten von den Bodenbesitzern den Zehnten mit Gewalt. Genannt werden Eleasar und Juda, Sohn Pachuras (Poïras?), die eine solche Gewalttätigkeit geübt haben sollen, ohne daß der regierende Hohepriester Johann Hyrkan ihr gesteuert hätte. Sie hat gewiß große Unzufriedenheit erregt. Die Notwendigkeit machte sich also gebieterisch geltend, dieser Zerfahrenheit und Gesetzlosigkeit ein Ende zu machen. Hyrkan traf nun Maßregeln dagegen einerseits durch Erweckung von religiösen Bedenken und andererseits durch ein staatliches Machtgebot.
Ausgehend von der pharisäischen Auslegung, daß das Genießen unverzehnteten Getreides (Tebel) eben so sündhaft sei wie der Genuß der für die Ahroniden bestimmten Gabe72, die wohl erst in dieser Zeit zur Kenntnis gebracht wurde, erließ Hyrkan an die Tempelbeamten die Weisung, das vorgeschriebene Dankbekenntnis im Tempel (Widduj Maʽasser) jedes dritte Jahr denjenigen zu verbieten, welche nicht sämtliche Zehnten gesetzmäßig abgeschieden hätten. Für die Gewissenhaften, welche die Erfüllung des Gesetzes erstrebten, genügte dieses Verbot. Für diejenigen, welche aus weltlicher Berechnung den Zehnten vorzuenthalten pflegten, stellte er je zwei Beamte, wahrscheinlich von levitischem Stamme73 an, die darauf zu sehen hatten, daß mindestens der Zehntzehnte für die Ahroniden geliefert werde, weil lediglich der Genuß dieses Teils als sündhaft für Laien galt. Bezüglich der Abgaben für die Leviten und Armen wurde indes keine Zwangsmaßregel angewendet; sie sollten wohl abgesondert werden, aber es sollte jedem überlassen bleiben, sie ihrem Zwecke gemäß zu verwenden oder selbst zu gebrauchen. Indessen hat der Ernst, mit dem Hyrkan die Verwirklichung des Zehnten-Gesetzes betrieben hat, so viel bewirkt, daß auch das Landvolk nicht zurückblieb. Ohne Gewissensbedenken konnte auch der strengfrommste Pharisäer von jedermann Getreide beziehen, ohne zu fragen, ob es gesetzmäßig verzehrbar sei.
Hyrkan folgte in diesem Punkte, sowie überhaupt der von den pharisäischen Häuptern angegebenen Weisung. Da diese – wie es scheint Josua, Sohn Perachias und Matthaï (Nitai) aus Arbela [111] – schwere Arbeiten auch in den Zwischentagen der beiden Hauptfeste, des Festes der ungesäuerten Brote und des Hüttenfestes, für verboten erklärten, so befahl er, das lärmende Schmieden an den Halbfeiertagen einzustellen74.
Unter Hyrkan scheint überhaupt das pharisäische Gesetz seine Ausbildung erhalten zu haben, teils durch Erweiterung und Einschränkung des pentateuchischen Gesetzes vermittels eigener Auslegung, teils durch neueingeführte Verordnungen. So wurden Frauen von der Zeugenschaft ausgeschlossen75. Auch wurde das Entmannen von Tieren wie von Menschen verboten76. Bei der Strafe von Geißelung schreibt das pentateuchische Gesetz vierzig Streiche vor. Da aber dabei hinzugefügt wird, »um den Bruder nicht verächtlich zu behandeln«, so bestimmte das pharisäische Gesetz, daß ein Streich weniger als vierzig angewendet werden sollte, damit nicht aus Unachtsamkeit die Zahl überschritten werde77. Die unbestimmt gelassene Vorschrift »Du sollst die Lehre zum Zeichen an Deiner Hand und zur Erinnerung zwischen Deinen Augen haben« wurde dahin ausgelegt, daß die Verse, welche besonders Gottes Einheit, die Liebe zu ihm, seine Gnade gegen sein Volk und die Warnung vor Götzendienst einprägen, niedergeschrieben am Arm und Haupte (Thephillin) getragen werden sollen78. Auch ein nützlicher Brauch wurde wohl in dieser Zeit eingeführt, um demjenigen, dem eine Wertsache abhanden gekommen war, wieder dazu zu verhelfen.[112] Hatte jemand einen Gegenstand gefunden, so ließ er es in Jerusalem an den drei Hauptfeiertagen durch einen Ausrufer verkünden; wenn der Eigentümer zum Feste anwesend war, suchte er den Platz bei einem Steine auf, welcher »Stein der Vermissenden« genannt wurde, gab dort die Zeichen des Gegenstandes an und erhielt ihn, wenn diese richtig befunden wurden, zurück79. Die Festversammlungen, welche das Gefühl der Zusammengehörigkeit und Brüderlichkeit unterhielten, wurden als Gelegenheit zur Veröffentlichung benützt. Die im pentateuchischen Gesetze nicht bestimmt genug ausgesprochene Vorschrift, daß durch Pflanzenzweige und eine gewisse Fruchtart am ersten Tage des Hüttenfestes die Freude ausgedrückt werden soll, wurde pharisäisch dahin ausgelegt, daß Myrtenzweige, Palmen und Weidenzweige nebst einer Art Zitronenfrucht bei dem Psalmengesang in die Hand genommen werden sollen und zwar für die ganze Zeit des Festes80. Kurz Hyrkan war nach der einen Seite ganz frommer Hoherpriester, Hüter und Förderer des pharisäischen Judentums.
Andererseits war Hyrkan auch Fürst und durfte es mit den Sadduzäern nicht verderben; sie waren seine Mitstreiter, seine Feldherren und Räte. Jonathan, ihr Führer, war ein vertrauter Freund des Fürsten, der einen nicht geringeren Einfluß ausübte als die Vorsitzenden des Lehrhauses. Bis in sein Alter wußte Hyrkan indessen die schwierige Aufgabe glücklich zu lösen, zwei in Spannung begriffene Parteien in leidlicher Verträglichkeit miteinander zu erhalten. Er verstand es zu verhüten, daß nicht die eine oder die andere Partei das Übergewicht erhalte und verfolgungssüchtig gegen die gegnerische verfahre. Aber wie es so oft in solchen schwierigen Lagen geht, ein Wort, ein Hauch kann die feinste Berechnung zu Schanden machen, und der jahrelang mühsam aufgeführte Bau stürzt an einem Tage zusammen. Ein solches unbedachtsam ausgesprochenes Wort brachte den eifrigen Anhänger des Pharisäertums dahin, dessen erbitterter Gegner zu werden. In den letzten Jahren seines Lebens neigte sich Hyrkan ganz den Sadduzäern zu.
Die Veranlassung zu diesem Gesinnungswechsel, welcher so unsägliches Leid über die judäische Nation gebracht und den ersten Anstoß [113] zur Zerstörung des von den Hasmonäern unter harten Kämpfen geordneten Gemeinwesens gegeben hat, war im Verhältnis zu den Folgen durchaus geringfügig; aber sie erhielt durch die nur mühsam zurückgehaltene Spannung eine weitgreifende Ausdehnung. Hyrkan war von einem glänzenden Siege zurückgekehrt, den er über eine der vielnamigen Völkerschaften im Nordosten von Peräa (Kochalit?) davongetragen hatte. Wohlgemut über die glücklichen Erfolge seiner Waffen und den blühenden Zustand im Inneren, veranstaltete er ein Mahl, wozu er die Führer der Sadduzäer und Pharisäer ohne Unterschied eingeladen hatte. Auf goldenen Tischen wurden Speisen aufgetragen, unter anderen auch Steppenpflanzen zur Erinnerung an die Leidenszeit unter der syrischen Zwingherrschaft, wo die Edeln des Volkes sich in Wüsten und Steppen verborgen halten mußten. In der fröhlichen Stimmung der Gäste warf Hyrkan die Frage hin, ob die Pharisäer ihm wohl etwas vorzuwerfen hätten, worin er gegen das Gesetz gefehlt; dann sollten sie es ihm nur freimütig vorhalten, da es sein ernster Wille sei, das Gesetz zur Richtschnur seiner Handlungsweise zu nehmen81. War diese herausfordernde Demut nur ein schlau angelegter Plan, um die heimliche Gesinnung der Pharisäer in bezug auf ihn zu erfahren? Eine Quelle berichtet in diesem Sinne, daß seine sadduzäischen Freunde ihm Argwohn gegen die Anhänglichkeit der Pharisäer beigebracht und ihm geraten hätten, sich auf diese Weise Gewißheit zu verschaffen. Auf diese Aufforderung erhob sich ein gewisser Eleasar b. Poïra (wohl identisch mit Pachura) und äußerte ohne Umschweife: Hyrkan möge sich mit der Fürstenkrone begnügen und das Hohepriesterdiadem einem Würdigeren übergeben, weil seine Mutter bei einem Überfalle der Syrer in Modin, dem Wohnorte der Hasmonäer, vor seiner Geburt gefangen genommen worden sei, und der Sohn einer Gefangenen zum Priester, geschweige denn zum Hohenpriester, untauglich sei. Nach einer anderen Quelle habe ein gewissenhafter Frommer, Jehuda b. Gedidim, diese Äußerung in der wohlmeinendsten Absicht getan. Obwohl im Inneren wegen einer solchen ehrenrührigen Äußerung verletzt, behielt Hyrkan Besonnenheit genug, darauf einzugehen und eine Untersuchung über den Sachverhalt anzustellen. Es zeigte sich aber, daß es ein leeres Gerücht ohne alle tatsächliche Begründung gewesen war. Noch mehr wurde Hyrkan gegen die Pharisäer aufgebracht, als ihn die Sadduzäer und besonders sein Vertrauter Jonathan zu überzeugen suchten, es sei von den Pharisäern darauf angelegt gewesen, ihn in den Augen des Volkes zu erniedrigen. Doch wollte er sich auch darüber Gewißheit verschaffen, ob die Verdächtigung [114] seiner Würdigkeit zum Hohenpriestertum das Werk der ganzen Partei oder nur die Schmährede eines einzelnen gewesen sei. Er verlangte daher von den Häuptern der Pharisäer, den Verleumder nach der Strenge des Gesetzes zu bestrafen, und erwartete, daß das Strafmaß im Verhältnis zu seiner hohen Stellung ausfallen werde. Aber das Pharisäertum hatte kein Gesetz für Majestätsbeleidigung. Die pharisäischen Richter erkannten dem Beleidiger nur die gesetzliche Strafe von neununddreißig Hieben zu. Der Sadduzäerführer Jonathan verfehlte nicht, diesen Umstand auszubeuten und den Haß wider die Gegenpartei in Hyrkans Brust zu schüren. Er ließ ihn in dieser Milde des Gerichtshofes eine tiefe Abneigung der Pharisäer gegen das fürstliche Ansehen erblicken und brachte ihn dahin, sich von ihnen loszusagen und den Sadduzäern anzuschließen. Es ist wohl übertrieben, wenn eine Quelle erzählt, Hyrkan habe verordnet, die pharisäischen Bestimmungen zu übertreten und habe die pharisäisch Gesinnten verfolgt. So weit konnte er nicht gehen, ohne den Zorn des ganzen Volkes gegen sich zu reizen und einen Aufstand heraufzubeschwören. Richtiger ist es, wie eine andere Quelle angibt, daß Hyrkan die Pharisäer aus den hohen Stellen verdrängt hat. Die Tempelämter, der hohe Rat und die Gerichtshöfe wurden mit sadduzäisch Gesinnten besetzt. Aber dieser Staatsstreich hatte die traurigsten Folgen. Denn damit legte er dem Volke nicht bloß den Gewissenszwang auf, die Sadduzäer als die Vertreter und Ausleger der Gesetze anzuerkennen, sondern er hob auch die innere Freiheit und Selbständigkeit des hohen Rates auf und verwandelte die aus freier Wahl hervorgegangene Herrschaft der Hasmonäer in Despotismus. Der hohe Rat, gewissermaßen die Volks- und Gesetzesvertretung, die berufen war, das Gleichgewicht zu hüten, wurde auf eine lange Zeit das Werkzeug der Fürsten, und anstatt der Gesetze herrschte die Willkür. Kein Wunder, wenn infolge dieser Vorgänge sich in die Gemüter der Pharisäer und des hinter ihnen stehenden Volkes ein tiefer Haß gegen das hasmonäische Haus eingewurzelt hat, welcher den Bürgerkrieg und die Schwächung der Nation im Schoße trug. Ein einziger Akt hatte genügt, um die glanzvollen Tage der Hasmonäer zu Grabe zu tragen. Mit unerbittlicher Konsequenz traten die unheilvollen Folgen desselben ein, und die Selbständigkeit der judäischen Nation fing damit an, ihre rückgängige Bewegung zu machen. Hyrkan lebte wohl nicht lange nach diesem Vorfalle. Er starb im einunddreißigsten82 Jahre seiner Regierung in seinem sechzigsten Lebensjahre [115] (106), hinterließ fünf Söhne: Aristobul, Antigonos, Alexander, Absalon und einen namenlos Gebliebenen, und ähnelte auch in diesem Punkte seinem Gegenbilde Salomon; nach beider Tod traten unaufhaltsam innere Spaltungen ein.
1 Josephus Altert. XX, 8, 11; jüd. Krieg II, 16, 3; VI, 6, 2; 8, 1.
2 Das. jüd. Kr., II, 17, 6; V, 4, 2; VI, 6, 3.
3 I. Makkab. 13, 27-30; Josephus Altert. XIII, 6, 5. In diesen Quellen heißt es zwar, Simon habe dieses Mausoleum erbaut, allein die sieben Pyramiden sagen wohl hinlänglich, daß auch Simons Name in diesem Denkmal verewigt werden sollte, was er wohl schwerlich selbst getan haben wird. Die Quellen sind auch in Verlegenheit, was sie mit der Zahl sieben anfangen sollen, und geben die Bestimmung, unrichtig genug, für den Vater, die Mutter und vier Brüder an! |Diese Begründung scheint doch nicht ausreichend, um dem Simon die Errichtung des Bauwerkes abzusprechen. Vergl. Schürer, I3, 240 und 201 und Buhl, S. 197 f.| Der Text leidet an einigen Korruptelen; so fehlt im Makkab. V. 27 vor καὶ αὐτὸν das Wort οἶκον und ist in der Vulgata durch aedificium erhalten. Was die μƞχανἠματα (V. 29) bedeuten sollen, ist unklar; Vulgata hat das Wort gar nicht. Wiederum spricht Josephus von στοάς, das im Makkab. fehlt oder vielleicht eine Übersetzung jenes hebräischen Wortes ist, welches der griechische Übersetzer durch μƞχανἠματα, d.h. Kunstwerke, wiedergegeben hat.
4 Die Urkunde, welche das Volk für Simon ausstellte (o. S. 58), ist im hebräischen Stile abgefaßt. Das erste Makkabäerbuch war im Original hebräisch; auch das Sendschreiben der Jerusalemer an die ägyptischen Judäer war ursprünglich in dieser Sprache abgefaßt (Note 10). Über Volkslieder in hebr. Sprache Mischna Taanit IV. 8.
5 I. Makkab. 16, 23-24 S. Note 11.
6 Über Bildung, Haltung und Bedeutung der drei Parteien vgl. Note 12.
7 Josephus Altert. XIII, 5, 9, bemerkt gewissermaßen ex abrupto in der Erzählung von Jonathans Taten: Κατὰ δὲ τὸν χρόνον τοῠτον τρεῖς αἱρέσεις τῶν Ἰουδαίων ἦσαν. Damit soll das Voraufgehende, daß Jonathan Gesandtschaften nach Athen und Sparta geschickt, erklärt werden, daß auch die Pharisäer nicht alles der Heimarmene zugeschrieben, sondern zugegeben hätten, daß manches auch von der menschlichen Tätigkeit abhänge.
8 Abot I, 6. Da Josua b. Perachja und Matthai aus Arbela vor Simon b. Schetach und Juda b. Tabbaï aufgeführt werden, und diese zur Zeit Alexander Jannaïs gelebt haben, so müssen jene Hyrkanos' Zeitgenossen gewesen sein. Im Jerusalemischen Talmud lautet der Name: יאתמ statt יאתנ.
9 Tosefta Machschirin III, 4. ןהלש אילטנא ינפמ kann nicht bedeuten wegen »des Pumpwerkes«, weil Weizen nicht begossen wurde, sondern gleich ἀντλία, wegen des nassen, feuchten Schiffsraumes, worin der Weizen gelegt werden mußte und exportiert wurde.
10 Vergl. Bd. II b, 202.
11 Vergl. Bd II b, S. 200; 415.
12 Vergl. Bd II b, S. 201; 417.
13 Josephus Altert. XIII, 10, 5.
14 Über die Gestaltung des hohen Rates tradiert R' José Tosefta Sanhedr. VII, 1. Chagiga II, 9. jerus. Sanh. I, p. 19 b, Babli p. 88 b mit Varianten. Doch läßt sich nicht scheiden, was davon der älteren und was der jüngeren Zeit angehört. Die Körperschaft wird bald לודגה ןיד תיב, bald הלודגה ןירדהנס genannt. Die Benennung συνέδριον stammt aber, wie Wieseler mit Recht behauptet, aus der römischen Zeit. Daß der jedesmalige Hohepriester Präses dieses Kollegiums gewesen, ist nirgends direkt bezeugt. Josephus' Erzählung von Vorkommnissen beim Synhedrion beweist nichts, da dabei von einem συνέδριον κριτῶν die Rede ist (Ant. XX, 9, 1). Die Schilderung contra Apionem II, 21; 23 von der hohen Bedeutung des Hohenpriesters ist ein Phantasiestück. Die Angabe Ant. XX, 10, 4, daß dem hohen Priester die προστασία τοῠ ἔϑνους anvertraut war, bezieht sich nur auf Hyrkan II. Die Argumente aus den Evangelien und der Apostelgeschichte beweisen nichts, da sie erst im zweiten Jahrhundert abgefaßt, nur vage Überlieferungen aus dem Prozesse Jesu oder Paulus wiedergeben. Außerdem ist dabei auch nur von Kriminalprozessen die Rede, und diese gehörten eigentlich gar nicht vor das Forum des großen Rates. In der Mischna Sanh. I, 4-5 wird ausdrücklich hervorgehoben, daß Kriminalfälle von einem Kollegium von 23 abgeurteilt wurden und nur causes célèbres dem hohen Rate vorbehalten wurden. Was Schürer behauptet (Lehrb. d. neuest. Zeitgesch, S. 41 |jetzt II3, 203|), daß nach dem einstimmigen Zeugnisse des Jos. und des neuen Test. stets der Hohepriester Haupt und Vorsitzender des Synhedrium gewesen, ist demnach durchaus nicht erwiesen. Da das לודגה ןיד תיב lediglich eine theoretische, gesetzgebende, gesetzauslegende und in zweifelhaften Fällen letztentscheidende Funktion hatte, so mußte selbstverständlich ein ganz besonders Gesetzeskundiger an der Spitze stehen. Wenn auch nicht in der Mischnah, so ist doch in der ihr ebenbürtigen Tosefta ausdrücklich angegeben, daß mindestens Hillel אישנ war, und dafür zeugt doch auch Joseph. (vita 38), indem er von Simon, dem Nachkommen Hillels angibt, er stammte von γένους σφόδρα λαμπροῠ. Inwiefern war sein Geschlecht so berühmt? Doch wohl nur, weil der Stammgründer Hillel eine große Bedeutung hatte. Das Nasiat bestand also mindestens schon zu Hillels Zeit, und Schürer bezweifelt dessen Bestand ohne Grund. Übereilt ist die Behauptung dieses Gelehrten, daß die Benennung אישנ als Präsident in der Mischna nicht vorkäme, es sei denn in der Hauptstelle Chagiga und diese sei interpoliert. Recht wunderlich! In Nedarim V, 5 kommt aber vor: וקלח בתוכהו אישנל. Aus dem Passus im Talmud zu der Stelle geht hervor, daß dieses Mittel dem Naßi die Güter zu verschreiben, noch vor der Tempelzerstörung stattgefunden. Auch Taanit II, 1 באו אישנה שארב .. רפא ןינתונו ןיד תיב. Bedenkt man, daß dergleichen Halachas aus dem Leben gegriffen sind (vergl. daf. 5: רעשב ןכ ןיגהונ תיבה רהבו חרזמה), so kann füglich ihre Entstehung auf die anhaltende Regenlosigkeit zur Zeit Herodes, in dessen 13. Jahr, d.h. zur Zeit Hillels, oder noch früher zur Zeit des frommen Onias, d.h. Jannaï Alexanders und Simonben-Schetachs (Joseph. Ant. XIV, 2, 1, Taanit III, 8), zurückgeführt werden. [Vgl. jetzt Schürer, a.a.O., S. 205]
15 Josephus contra Apionem I, 7; Middot V, 4; Tosefta, a.a.O.
16 Vgl. Jebamot 49 b; Jerus. Taanit 68 a; Genes. Rabba 98.
17 Sanhedrin 10 b, fg.
18 Tosefta, a.a.O., c. II. In Babli Sanh. a.a.O. ist zwar angegeben, daß die Kollegien auf dem Tempelberg und im Chel aus 23 Gliedern bestanden haben, der Text ist aber das. lückenhaft. Vergl. Sanh. II, 2.
19 Middot das. u.a. St.
20 Tosefta Sanhedrin c. 7. Chagiga c. 2, 6, a.a.O.
21 Tos. Chagiga II, 9. Sanhedrin VII.
22 Das. B. Sanhedrin 88 b.
23 Tosefta Chagiga, Sanhedrin das.
24 Tosefta Sanhedrin das.
25 Das.
26 B. Sanhedrin das. 34 a, 40 a.
27 Das. 37 a.
28 Das. 40 a.
29 Das. 32 a. Vergl. über diese Punkte Frankel, gerichtlicher Beweis, 70 ff.
30 Sanhedrin 43 a.
31 Das. 48 b. Tosefta Sanhedrin IV, 6.
32 Sanhedrin 67 a.
33 Im Buche Esther hat das Wort םידוהי schon die allgemeine Bedeutung Judäer ohne Rücksicht auf den Stamm. Mardochaï wird ידוהי שיא genannt, obwohl er auf den Stamm Benjamin zurückgeführt wird.
34 Taanit IV, 5. Vergl. das. Gemara p. 12 a und Parall. וינב ינבמ ינא קודצ 'ר ןב )האנס( ןימינב ןב רזעלא 'ר רמא באנש לש
35 Vergl. B. II b, S. 301, N. 3.
36 Vergl. Jebamot 78 b. Jerus. Kiduschin 65 c.
37 Tamid 7, 1-3.
38 Joma 1, 3; 4, 1. Tamid 6, 3. Parah 3, 8.
39 Joma 7, 1.
40 Josephus Altert. IV, 8, 12. Da er vom ἀρχιερεὺς ἐπὶ βἠματος ὑψƞλοῠ σταϑείς spricht, wie die Mischna (Sota VII, 8) von ץע לש המיב, so scheint er vom Vorkommnis seiner Zeit zu sprechen, wie er denn überhaupt bei der Aufzählung der Gesetze altes und jüngeres zusammenwirft.
41 Joma 7, 4.
42 Sanhedrin 2, 1.
43 Sanhedrin 2, 1 und 1, 1.
44 Joma 1, 5. Ketubbot 1, 5. Pesachim 90 b; dagegen ist Rosch ha-Schana I, 7 durchaus nicht von einem Priesterkollegium die Rede, da gleich darauf folgt: ןיד תיבל ואבשכו. Vgl. Monatsschr, Jahrg. 1887, 118.
45 Middot I, 2. Josephus jüd. Krieg VI, 5, 3.
46 Apostelgeschichte 4, 1; 5, 24, 26.
47 Jerus. Schekalim 5, 2, p. 49 a.
48 Tosefta Schekalim c. 2.
49 Das. vergl. indessen Pesachim 57 a.
50 Tosefta Schekalim das.
51 Schekalim 5, 1-3; Tosefta Schekalim c. 2.
52 Tamid 1, 2; 3, 1. Joma 2, 1; ob dieser Memunna identisch war mit dem Vizehohenpriester (Segan), siehe Sanhedrin 19 a und Tosafot zu Menachot 100 a.
53 Tamid 3, 8.
54 Joma 22 a; 23 a. [Vergl. hierzu die Abhandlung Büchlers »Zur Geschichte des Tempelkultus in Jerusalem« (in der Festschrift zu Ehren Chwolsons, Berlin 1899) S. 4 ff. und deren Berichtigung in dem Aufsatz Frieds »Das Losen (סייפ) im Tempel zu Jerusalem« in der Monatsschrift 1901, S. 292 ff]
55 Vergl. Bd. IIb, S. 187 fg.
56 Das.
57 Erachin 10 a ff.
58 Tamid 7, 3. Succa 5, 4.
59 Sota 48 a.
60 Rosch ha-Schana 31 a.
61 Tosephta Succa III, 2. Babl. Taanit 28 b; Pesachim 64 a: 117 a.
62 Erachin p. 10 a.
63 Megilla 2 a u.a. St.
64 Mischna Moed Katon III, 4: תחא תוא ןיהיגמ ןיא הרזעה רפסב וליפא. Diese L.-A. hat Jerus. Babli dagegen ארזע רפס (s. Raschi z. St.). Die erste L.-A. erweist sich als die richtige durch die Notiz in Tosefta Kelim, baba mez. V, 9: אלו םידיה תא אמטמ ץוחל אציש ארזע רפס רחא רפסו םישמוחו םיאיבנ ולופא אלא ורמא דבלב ארזע רפס םידיה תא אמטמ םשל םנכנס) Der Ausdruck ץוחל אצי und םשל סנכנ beweist, daß hier von einem Raume die Rede ist, also vom Tempelvorhof, auch Mischna Kelim XV, 6: הרזעה רפסמ ץוח םידיה תא ןיאמטמ םירפסה לכ; jer. Schekalim IV, p. 48 a: ןרכש ןילטונ הרזעה רפס יהיגמ הכשלה תמורתמ. Statt dessen lautet es im b. Ketubbot p. 106 a: תמורתמ ןרכש ןילטונ ויה םילשוריבש םירפס יהיגמ הכשלה. Vielleicht muß gelesen werden: םירפס יהיגמ הרזעה רפסמ.... Bemerkenswert nimmt sich dazu jene Tradition aus, welche auf Simon b. Lakisch zurückgeführt wird, daß drei Exemplare in der Asarah mit dreierlei Varianten gefunden worden. (Soferim VI, 4, Sifre zu Deuter. s. fine No. 356 und j. Taanit IV p. 68 a): (דנועמ םינועמ) ינועמ רפס הרזעב (ואצמ) ואצמנ םירפס 'ג םינשה ומיקו דהאה תא םימכח ולטבו ... אוה רפסו יטיטעז רפסו. Es scheint zu bedeuten, daß bei der Auswahl des Musterexemplars für die Asarah 3 Exemplare mit dreierlei Varianten vorlagen, die zwei übereinstimmenden sind beibehalten worden. Insofern können beide L-A. הרזע und ארזע richtig sein. Man hat ein Musterexemplar für die הרזע hergestellt; dazu mußte man vorhandene Exemplare vergleichen und eine Norm für die vorgefundenen Varianten aufstellen. Dieses korrigierte und als Korrektiv dienende, in die הרזע niedergelegte Exemplar, הרזעה רפס, galt, als von Esra stammend, als ארזע רפס. – Was die Variante ןועמ oder הנועמ betrifft, so hat Geiger, wie öfter, die Quelle nicht richtig angesehen. Im Sifre lautet sie: םדק ןועמ ביתכ דחאב םדק יהלא הנועמ .. הינשבו.
65 Baba Batra 8 b.
66 Das 7 b, vergl. 8 a.
67 Megilla p. 27 a. Folgt aus Josephus jüd. Krieg. II, 20, 5 und auch aus Altert. IV, 8, 14 und 38. Wenn aus der vorletzten Stelle gefolgert wurde, daß in jedem Kollegium Ahroniden sitzen müssen, so ist das ein Irrtum. Denn Josephus sagt nur, daß jeder Behörde zwei untergeordnete Personen aus dem Stamm Levi beigegeben werden sollen: ἑκάστῃ δὲ ἀρχῇ δίο ἄνδρες ὑπƞρέται διδόσϑωσαν ἐκ τῆς τῶν Αευϊτῶν φυλῆς. Vergl. Note 11. Diese Angabe hat kein Verhältnis zur Interpretation Sifre zu Deuteron. Nr. 153 םייולו םינדכ וב והיש ןיד תיב תוצמ. Diese Bestimmung ist wohl nur rein theoretisch. – Aus Apostelgeschichte 5, 2 geht hervor, daß die ersten Christengemeinden ebenfalls die Zahl 7 für die Armenverwaltung beibehalten haben.
68 Jos. Altert. IV, 8, 38.
69 Numeri 18, 21 ff. 25 ff.
70 Deuteron. 14, 22 ff., vergl. B. II b, S. 305 fg.
71 Vergl. Rosch ha-Schana 12 b. Sifre Nr. 109 und 302, Tobit 1, 7, und dazu die Berichtigung Monatsschrift, Jahrg. 1879, S. 434 f.
72 Leviticus 22, 10 ff.
73 Siehe Note 11.
74 Sota Ende und Tosefta das. Ende.
75 Josephus Altert. IV, 8, 15; Schebuot 4, 1.
76 Jos. das. 8, 40. Vergl. Sifra oder Torat Kohanim zu Levit. 22, 24.
77 Josephus das. 8, 23. Maccot 3, 10. Vergl. Korintherbrief II, 11, 24.
78 Die LXX lassen es zweifelhaft, ob die Vorschrift real oder bloß als Symbol aufgefaßt wurde. Jos. dagegen (das. 8, 13) spricht es deutlich aus, daß zu seiner Zeit sie so aufgefaßt wurde, wie sie im Talmud unter ןיליפת bezeichnet wird: ὅσα τε τὴν ἰσχὺν ἀποσƞμαίνειν δύναται τοῠ Θεοῠ καὶ τὴν πρὸς αὐτοὺς εὔνοιαν, φέρειν ἐγγεγραμμένα ἐπί τῆς κεφαλῆς καὶ τοῠ βραχίονος. In seiner Zeit muß demnach dieser Brauch bestanden haben und wohl schon früher eingeführt gewesen sein. Dazu kommt noch die Angabe bei Pseudo-Aristeas, wo bereits von dem Knüpfen des Zeichens an die Hand die Rede ist (ed. M. Schmidt, Merx Archiv I p. 41 [ed. Wendland, § 159]); καὶ ἐπὶ τῶν χειρῶν δὲ διαῤῥἠδƞν τὸ σƞμεῖον κελεύει περιῆφϑαι. Diese Schrift wurde in Tiberius Zeit um 20 n. Chr. verfaßt. (Vgl. Note 3 [und die Bemerkungen dazu.]) Daraus folgt, daß auch unter den ägyptischen Judäern der Brauch eingeführt war. Schorrs Behauptung, daß die Phylakterien in alter Zeit nur von einzelnen, ganz besonders Frommen getragen worden seien (Chaluz, V, p. 15 fg.), beruht demnach auf einem Irrtum. – Phylakterien wird dieser Brauch bekanntlich im Matthäus-Evangelium genannt (23, 5): πλατύνουσι δὲ τὰ φυλακτἠρια αὐτῶν. Die Benennung ist wahrscheinlich von der Form der Amulette genommen. Was das Wort ןיליפת etymologisch bedeutet, ist noch dunkel.
79 Josephus Altert. IV, 8, 29: κƞρύξας τὸν τόπον, ἐν ᾧ εὗρεν, ἀποδύτω. Vergl. Baba Mezia p. 28 a, b: ןבא םילשוריב התיה ןיעוט, Jerus. Taanit III, p. 66 b.
80 Josephus III, 10, 4. ἐφ᾽ ἡμέρας ὀκτὼ ... φέροντας ἐν ταῖς χερσὶν εἰρεσιώνƞν μυρσίνƞς καὶ ἰτέας σὺν κράδῃ φοίνικος πεποιομένƞν, τοῠ μἠλου τοῠ τῆς Περσέας προσόντος. Es sind die in dem Talmud angegebenen: גורתא בלול הברע םדר, und der Ritus ist auf 8 Tage ausgedehnt.
81 Vergl. Note 11.
82 In jüd. Kr. gibt ihm Josephus 33 Jahre. Diese Zahl berichtigte er selbst in den Altert., in denen er ihn im 31. Jahre sterben läßt (XIII, 10, 7): ἔτεσιν ἑνὶ καὶ τριάκοντα τελευτ$. Sollte er sich bei der Aufzählung der Hohenpriester (das. XX, 10, 3) widersprochen haben, indem er ihm nur 30 Jahre zuschreibt? τριάκοντα δὲ ἐν ἔτεσι τῆς τιμῆς ἀπολαύσας ... τελευτ´? Man muß wohl vor ἐν ergänzen ἑνὶ. [Niese liest jetzt auf Grund guter Handschriften: »τριακονταὲν ἔτƞ τῆς τιμ$ς `Yρκανὸς ἀπολαίσας τελευτ´«, womit die Schwierigkeit gehoben ist.] Dann ist der Widerspruch gehoben. Hyrkan trat das Hohenpriestertum oder die Regierung an Schebat 177 Sel. Mit dem Monat Nissan begann schon sein zweites Jahr. Sein Sohn Aristobul starb nach einjähriger Regierung gleich nach dem Hüttenfeste, d.h. Tischri (Septbr. – Oktbr) 208 Sel. Selbst wenn er ein volles Jahr regiert und also Tischri 207 die Regierung angetreten hat, so dauerte die Regierung seines Vaters doch von Schebat 177 bis Tischri 207, einunddreißig Jahre, allerdings nicht voll. Er starb demnach Herbst 106 vorchr. Z., nicht 105 wie gewöhnlich angegeben wird. [Siehe hierzu jedoch die Auseinandersetzung bei Schürer I3, 256 f., der mit der Ansetzung 135-104 für Joh. Hyrkan im Recht zu sein scheint.] Woher Eusebius die 26 Jahre für Hyrkan entnommen haben mag? Im Talmud werden ihm 80 Jahre beigelegt, wahrscheinlich verschrieben פ statt מ, und 40 eine runde Zahl.
Buchempfehlung
In die Zeit zwischen dem ersten März 1815, als Napoleon aus Elba zurückkehrt, und der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni desselben Jahres konzentriert Grabbe das komplexe Wechselspiel zwischen Umbruch und Wiederherstellung, zwischen historischen Bedingungen und Konsequenzen. »Mit Napoleons Ende ward es mit der Welt, als wäre sie ein ausgelesenes Buch.« C.D.G.
138 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro