4. Die Schmähschriftenliteratur gegen Juden und Judentum im Anfang des 19. Jahrhunderts.

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Die deutsche Literatur ist die reichste an Schmähschriften gegen Juden. Seitdem die lateinische Sprache aufgehört hat, den Gedankenverkehr für das Publikum zu vermitteln, sind die meisten und bedeutendsten Invektiven gegen den jüdischen Stamm und das Judentum in deutscher Sprache verfaßt worden. Pfefferkorn, Eisenmenger und Schudt, diese Hauptlieferanten von Schmähartikeln für Judenfresser, gehören Deutschland und der deutschen Literatur an. Seit der Zeit, als Pfefferkorn und die Dominikaner im Interesse des Klerikalismus antijüdische Pamphlete schleuderten, sind aber nicht so viele in kurzer Zeit erschienen, wie in den beiden Jahren 1803 und 1804. Sie bilden die Vorläufer des reaktionären Schrifttums seit 1815, welches sich gegen die Emanzipation des Judentums steifte. Ihre Verfasser waren von dem Instinkt inspiriert, daß die Gleichstellung der Juden auch in Deutschland zur Sprache kommen werde, und sie wollten ihr gleich im Werden entgegentreten. Sie gruppieren sich meistens um die Schriften von Paalzow und Grattenauer. Diese Schriften sind meines Wissens noch nicht zusammengestellt worden. Sie bilden mit den Gegenschriften einen Zyklus von 28 Stück [vgl. jedoch S. 587 ff., wo jetzt 48 aufgezählt sind], obwohl Scheppler deren nur zehn aufzählt (S. 93), und ich weiß nicht, ob mir alle zu Gesicht gekommen sind. Wolfssohn bemerkt im Eingange zu seiner Apologie: »Wahr ist's, daß seit einiger Zeit in Berlin viele und in Breslau einige Schmäh- und Spottschriften gegen die Juden herausgekommen sind.« Daß sie gegen die Emanzipation im Staate gerichtet waren, beweist gleich Nr. I, 1. Aber auch gegen die Anerkennug der Juden in der Gesellschaft wollten sie polemisieren; das geht aus einer Nachricht hervor, daß eine hochgestellte Persönlichkeit die erste Lästerschrift bei Grattenauer bestellt hatte. Wolfssohn nennt (p. 19) als Instigatoren derselben den Geburtshelfer D. F., den Paten L. Z. und die Kinderwärterin J. W. S. Der Salon der Henriette Herz und der Rahel Levin, welche vielen ein Dorn in den Augen waren, gaben Veranlassung dazu. – Ein Umschwung der Zeit ist in dem Umstande zu bemerken, daß die Juden auf christlicher Seite Verteidiger fanden und noch mehr, daß die Juden selbst sich ihrer Haut wehrten.

Über die Bewegung, welche die Pamphletliteratur hervorbrachte, gibt folgender Artikel aus dem Freimütigen (1804, Nr. 143) einen Begriff.

Literarische Nachrichten.

»Berlin. In der letzten Leipziger Messe erschien eine Broschüre unter dem Titel: »Wider die Juden, eine Warnung an meine christlichen Mitbürger«, die eine lange Reihe aller Abscheulichkeiten und Schandtaten, [585] deren sich die Kinder Abrahams seit fünf Jahrhunderten schuldig gemacht haben sollen, enthält. Unglaublich war der Abgang des Werkchens, und in wenig Wochen erlebte es schon die dritte Auflage. Dr. Aronssohn nannte den Verfasser, Herrn Grattenauer in Berlin, und er übernahm die Verteidigung der Juden. Auch Ben David, bekannt aus verschiedenen philosophischen Schriften, kündigte eine Apologie seiner Nation an. Grattenauer zankte sich dagegen weidlich mit Aronssohn über die Bekanntmachung seines Namens und erließ eine zweite Broschüre: »Erklärung an das Publikum, über seine Schrift wider die Juden«. Der Kammerassessor Kosmann trat auf und schrieb eine Verteidigung der Verfolgten unter dem Titel: »Für die Juden, ein Wort zur Beherzigung an die Freunde der Menschheit und an die wahren Verehrer Jesu«. Noch jemand edierte ein Werkchen »Über die Juden und ihre Feinde«. Ein anderer verfaßte ein »Sendschreiben eines Christen an einen Berliner Juden über den Verfasser ›Wider die Juden‹«, ein dritter schrieb den »Judendoktor« und ein vierter untersuchte die Frage: »Juden, sind sie der Handlung schädlich?« gegen welche letztere dann eine andere Schrift: »Blinde Kuh in der Handlung«, gerichtet ist.

Endlich erschien wegen dieses Streites über eine, man sollte glauben durch die Vernunft und das Christentum längst entschiedene Sache, folgende

Obrigkeitliche Bekanntmachung.

»Der Unfug, der seit einiger Zeit durch Druckschriften wider und für die Juden und deren Verkündigungen durch die öffentlichen Blätter veranlaßt und getrieben worden, macht es nothwendig, hiermit auf Befehl eines hohen General-Ober-Finanz-Kriegs- und Domainen-Directoriums festzusetzen und bekannt zu machen: Daß zur Steuerung dieses Unfuges die ernsthaftesten Vorkehrungen getroffen sind. Besonders ist es verfügt worden, daß Schriften dieser Art nicht weiter die Zensur passieren, und keine Anzeigen von Schriften dieses Gegenstandes in die hiesigen Zeitungen und Intelligenz-Blätter aufgenommen werden dürfen, welches zur Nachricht und Achtung hiermit bekannt gegeben wird.«

Berlin, den 20. September 1803.

Königl. Preußisches Polizey-Direktorium.

Eisenberg.

(S. Nationalzeitung der Deutschen, 41. Stück, den 13. Oktober 1803, p. 919 und 920, s. auch noch allgemeine Literatur-Zeitung vom 9. April 1804 Nr. 408).

Diese kleine Schrift hat vermutlich nicht bloß hier in Berlin, wo sie erschienen, sondern auch auswärts viel Aufsehen gemacht. Man muß bekennen, daß der Verfasser nicht mit Kälte geschrieben, daß für jede seiner skandalösen Judengeschichten man ihm ein Dutzend christliche in den Bart werfen könnte; daß er seine Beweise größtenteils aus solchen Zeiten hervorholt, wo es wahrscheinlich auch unter den Christen finster genug aussah, und ein blinder Judenhaß manchem Chronikenschreiber Fabeln diktierte; aber – was sich nicht ableugnen läßt, ist, daß die Juden ihren Religionsdogmen zufolge zu keiner Wahrhaftigkeit gegen Nichtjuden verbunden sind. Eine Verteidigung gegen diese Anklage wäre wohl höchst nötig, das Übrige könnte unbeantwortet bleiben.«

Ich teile die damals erschienenen Schriften in drei Rubriken:


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1900], Band 11, S. 585-586.
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