Der Fall Assyriens. Necho in Syrien

[160] Nach den Daten des Berossos und des ptolemäischen Kanons hat König Assurbanipal bis zum J. 626 über Babylon geboten. Ob er in diesem Jahre gestorben ist, wissen wir nicht; jedenfalls beginnt mit demselben eine neue, nationale Dynastie in Babylonien. »Als Sarakos, der Nachfolger des Sardanapal, König von Assyrien geworden war«, so berichtet Abydenus, der einzige uns hier erhaltene Schriftsteller, »erfuhr er, daß ein Heer zahlreich wie Heuschrecken vom Meere aus [wo?] eingefallen sei. Da schickte er den Busalossor als Feldherrn nach Babylon. Dieser aber empörte sich gegen ihn.« Busalossor ist zweifellos der Nabopolassar (Nabubaluṣur) der übrigen Schriftsteller, mit dem Babylon aufs neue selbständig wird. Sarakos aber wird in Assurbanipals Sohn und zweitem Nachfolger Sinšariškun zu suchen sein, der um 621 nach einer kurzen Zeit der Wirren einem anderen Sohne Assurbanipals namens Aššureṭililâni folgte.

Um das Jahr 616 spätestens verband sich Nabopolassar mit dem Könige Kyaxares (pers. Hvakhšatra) von Medien (o. S. 143) zum entscheidenden Schlage gegen Assur; die Allianz wurde durch ein Ehebündnis zwischen Nabopolassars Sohn Nebukadnezar und Amytis, der Tochter des Mederkönigs, befestigt. Man konnte [160] daran denken, den alten Erbfeind zu vernichten und die Beute zu teilen. Nach mehrjährigen wechselvollen Kämpfen, in denen die Meder des Kyaxares sich besonders hervortaten, fielen 614 Assur und 612 (nach hartnäckiger Gegenwehr) auch Ninive. Unsere Auszüge aus Berossos berichten, König Sarakos habe in den Flammen seines Palastes den Tod gesucht295. Bekanntlich berichtet auch die griechische Sage von Sardanapal ein derartiges Ende des assyrischen Reichs. Es war eine Katastrophe gewaltigster Art. Nicht nur ein Reich ging zugrunde, das noch vor kurzem Vorderasien beherrscht hatte; fast das ganze Volk, welches jahrhundertelang der Schrecken und die Geißel der Völker gewesen war, wurde vernichtet. Alle vier Residenzen, Ninive, Dûr-Sargon, Kalach und Assur, gingen in Flammen auf und wurden dem Erdboden gleichgemacht, um nie wieder bewohnt zu werden. Als 200 Jahre später Xenophon über diese Stätte zog, sah er noch die mächtigen Reste der Riesenmauern, die Schutthaufen, welche die Städte bedeckten, den gewaltigen Terrassentempel von Kalach. Aber die Nation, welche die Städte gebaut und bewohnt hatte, war so gut wie verschollen; als die Perser den Medern die Herrschaft entrissen, so erzählte man ihm, hätten diese Städte nicht erobert werden können, bis die Götter selbst sie den Persern in die Hände gaben. Auch als Alexander im J. 331 den letzten entscheidenden Sieg über das Perserreich erfocht, gab es niemanden, der ihm sagen konnte, daß er auf den Trümmern von Ninos gekämpft habe. Gründlicher ist nie ein Volk vernichtet worden als die Assyrer; die Zerstörung Karthagos, die man zunächst vergleichen könnte, traf nur eine Stadt, nicht eine ganze Nation. Es spricht sich in dieser Vergeltung klar und furchtbar der ungeheure Haß aus, der bei den Völkern Asiens gegen die verderbenbringenden Assyrer angesammelt war.

[161] Die Sieger teilten sich das assyrische Reich im wesentlichen in der Weise, daß den Medern alles Land östlich, nördlich und westlich vom Tigris, den Babyloniern das östliche Mesopotamien und Syrien, also der Hauptteil der semitischen Kulturländer, zufiel. Aber ihnen war inzwischen ein Mitbewerber erstanden. König Necho II. von Ägypten (609-595), der Sohn Psammetichs I., suchte die Gelegenheit zu benutzen, um Syrien seinem Reiche wiederzuerwerben. Im J. 608 »zog er nach dem Euphrat gegen den König von Assur« (Reg. II 23, 29), d.h. in Wirklichkeit, um dem assyrischen Prinzen Assuruballiṭ die Hand zu reichen, der sich nach der Katastrophe vergeblich in Charrân zu behaupten gesucht hatte. Die früheren assyrischen Provinzen werden ihm wahrscheinlich ohne Schwertstreich zugefallen sein; aber König Josia von Juda war nicht gewillt, sich aufs neue einer fremden Oberherrschaft zu fügen. An derselben Stelle, wo nahezu ein Jahrtausend früher Thutmosis III. die vereinigten Syrerfürsten besiegt hatte, bei Megiddo (Herod. Μάγδολον) trat er dem Pharao entgegen. Aber sein Heer wurde geschlagen, er selbst fiel im Kampfe. Necho zog weiter nach Norden; von seinem Lager zu Ribla bei Ḥamât aus setzte er Josias Sohn Joachaz ab, machte seinen (älteren) Bruder Jojaqim zum König und legte dem Reiche eine schwere Kontribution auf. Das übrige Syrien scheint sich ohne Kampf unterworfen zu haben; die Stadt Gaza, welche Widerstand leistete, wurde erobert. Jojaqim war ein getreuer Vasall des Pharao. Als die Propheten Jeremia und Uria Jerusalem den von den Chaldäern drohenden Untergang weissagten, entrann jener mit genauer Not dem Tode, dieser flüchtete nach Ägypten, wurde aber von Necho ausgeliefert und hingerichtet (Jerem. 26, vgl. 7. 36)296.

[162] Indessen der Erfolg war nicht von Dauer. Nabopolassar, der schon erkrankt war und bald darauf starb, sandte seinen Sohn Nebukadnezar gegen den Pharao. Im J. 605 kam es bei Karkemiš am Euphrat zur Schlacht, in der die Ägypter vollkommen geschlagen wurden. Ganz Syrien war verloren. Jeremia erwartete ein furchtbares Strafgericht, das Jahwe durch die Chaldäer vollziehen und dem alle Völker erliegen würden (c. 25); indessen dazu kam es nicht. Syrien ging ohne weiteres in den Besitz des Siegers über. Auch die Kleinstaaten unterwarfen sich. »Drei Jahre lang zahlte Jojaqim dem Nebukadnezar Tribut. Der König von Ägypten aber zog nicht wieder aus seinem Lande; denn der König von Babel hatte ihm vom Grenzbach Ägyptens (Wâdi el-'Arîš) bis zum Euphrat alles abgenommen, was er besessen hatte« (Reg. II 24, 1. 7)297.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 160-163.
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