Die Skytheninvasion und das Vordringen der Iranier

[139] Nach den Sagen, welche zur Zeit des persischen Reichs den griechischen Forschern erzählt wurden, ist der entscheidende Schlag gegen die assyrische Herrschaft von den Medern geführt worden. Wirklich historische Berichte über ihre Erhebung besitzen wir nirgends; wohl aber schimmern in der Erzählung, die Herodot gegeben hat, die realen Grundlagen überall noch durch, während Ktesias' Angaben mit allem, was wir sicher wissen, im schroffsten Widerspruch stehen.

Nachdem die Assyrer 520 Jahre lang über das obere Asien geherrscht hatten, so erzählt Herodot, fielen zuerst von allen Völkern die Meder von ihnen ab und erfochten sich die Freiheit. Sie lebten aber in Dörfern (κῶμαι, d.i. Gaue) zerstreut, ohne staatliche Ordnung, und Raub und Zügellosigkeit nahmen überhand, bis die Zustände ganz unerträglich wurden. Da entschlossen sie sich, einen König über sich zu setzen, der ihnen Recht spräche und über die Ordnung im Lande wachte, und sie wählten sich einen gerechten Mann, Dejokes, den Sohn des Phraortes. Dieser baute sich eine Residenz in Egbatana, sorgte für strenge Befolgung der Gesetze und Bestrafung der Missetäter und umgab sich mit dem Zeremoniell, das seitdem der Person eines Königs zusteht. Sein Sohn Phraortes aber begann ein Volk nach dem andern zu unterwerfen, zuerst und vor allem die Perser, bis er schließlich im [139] Kampfe gegen die Assyrer mit seinem Heere den Untergang fand272.

Daß diese Sage einheimisch ist, lehrt am deutlichsten die echt orientalische Auffassung des Königs als des höchsten oder eigentlich des einzigen Richters. Aber auch die Verhältnisse, welche sie abspiegelt, lassen sich selbst mit unserem dürftigen Material noch einigermaßen erkennen. Wir wissen, daß die Meder in zahlreiche Stämme gespalten waren, daß vielleicht sogar iranische und nichtarische Völkerschaften nebeneinander im Lande saßen. Daß diese sich fortwährend befehdeten, daß z.B. die 45 Häuptlinge, welche dem Sargon 713 Tribut zahlten (o. S. 40), oft genug untereinander im Kampfe gelegen haben werden, ist selbstverständlich. Die Heere der Assyrer sind zuerst unter Salmanassar II. und mit bedeutenderem Erfolg unter Adadnirari III. in Medien eingedrungen. Tiglatpileser III. und namentlich Sargon haben dann die assyrische Oberhoheit über ganz Medien »bis zum Berge Bikni« aufgerichtet, der letztere den Westen des Landes zur Provinz gemacht; Sanherib und Assarhaddon sprechen von noch weiterer Ausdehnung ihrer Macht (o. S. 72). Indessen dem Reiche fest eingefügt war nur der kleinere Teil des Landes, und manche Mißerfolge mögen den Siegen der Assyrer zur Seite gegangen sein. Sargon erzählt, daß er im J. 715 den Dajukku gefangen abgeführt, das nach ihm Bit-Dajukku genannte Gebiet unterworfen habe (o. S. 40); die Sage nennt Dejokes als den ersten König von Medien. Danach scheint es, daß das Geschlecht des von Sargon [140] gefangenen Fürsten an der Spitze des Kampfes gegen die Assyrer stand, daß seine Nachkommen es gewesen sind, welche im Befreiungskriege die Nation einten und die kleinen Fürsten zur Anerkennung ihres Königtums zwangen. Assurbanipal redet von Erfolgen in Medien nur im Anschluß an den Mannäerkrieg (um 658, o. S. 85); es kann sein, daß schon zur Zeit der elamitischen Kriege die Befreiung Mediens begonnen hatte. Die Schwächung der größeren Staaten, wie Ellip und Manna, durch die Assyrer konnte die Erfolge der nationalen Dynastie nur fördern, indem ihr keine kräftigen Rivalen entgegenzutreten vermochten. Phraortes (pers. Fravartiš) wird der erste historische König Mediens sein; sehr glaublich ist, daß schon ein großer Teil Irans seine Oberhoheit anerkannte, und nicht zu bezweifeln, daß er bei einem Angriff auf die Assyrer seinen Tod fand.

Indessen die Meder sind es nicht allein gewesen, welche das Assyrerreich gestürzt haben. Herodot hat uns auch die Kunde von dem Einfalle skythischer Stämme in Vorderasien bewahrt, der in seiner Art und seinen Wirkungen den Zügen der Hunnen und Mongolen analog gewesen sein muß273. Als ihren Führer nennt er Madyas, den Sohn des Protothyas (s.o. S. 72); 28 Jahre lang hätten sie über Asien geherrscht, von Land zu Land seien sie gezogen, alles hätten sie verwüstet und mißhandelt, außer dem jährlichen Tribut noch Beute davongeschleppt, soviel sie erraffen konnten274. Alles einzelne bleibt völlig dunkel, aber deutlich tritt hervor, daß wir es hier mit einer gewaltigen Völkerbewegung zu tun haben, deren Schlußresultat die Gründung des medischen Reichs und damit, was noch wichtiger ist, die Einführung der [141] Iranier in die Geschichte und ihr Sieg über die alten Kulturvölker des Westens gewesen ist.

Herodot berichtet, die Skythen seien auch nach Syrien gezogen und hätten den Tempel der Aphrodite in Askalon geplündert; einen Einbruch in Ägypten habe Psammetich durch Geschenke und Bitten abgewandt (I 105). Auch die hebräische Literatur hat Andeutungen der Invasion bewahrt. Unter der Regierung des Königs Josia und jedenfalls vor der Reform von 621 verkündete der Prophet Ṣephanja ein großes Strafgericht Jahwes, das über Juda, die Philister, Moab und 'Ammon, aber auch über Kusch und Assur hereinbricht und Ninives Zerstörung herbeiführen wird. Um dieselbe Zeit, im J. 626 v. Chr., redet Jeremia (c. 3-6, vgl. 1, 14) von dem »Übel und schweren Verderben«, das Jahwe vom Norden über Juda herbeiführt. Wie ein Löwe aus dem Dickicht, so bricht die völkervernichtende Masse aus weiter Ferne vom äußersten Norden hervor, um alles zu morden und zu verwüsten, ein Volk von Reitern und Bogenschützen, dessen Sprache niemand versteht. Als Ezechiel im J. 585 eine Schilderung der großen Weltkatastrophe entwarf, welche die Aufrichtung des Jahwereichs herbeiführen sollte, verkündete er, daß »Gog, der Oberfürst von Mešek und Tubal«, d.h. der Moscher und Tibarener, mit seinen Reiterscharen von Norden hereinbrechen, alles ausplündern und dann von Jahwe vernichtet werden würde (c. 38. 39)275. Offenbar ist dieses Zukunftsbild nach dem Vorbilde der großen Skytheninvasion entworfen; wir dürfen daher schließen, daß auch die Stämme des östlichen Kleinasiens an derselben beteiligt waren. Dem entspricht es, daß er bei einer Schilderung der in der Unterwelt versammelten Kriegsvölker auch Mešek und Tubal nennt, die »ein Schrecken waren im Lande der Lebenden« (32, 26f.).

Wie Syrien von den Skythen befreit worden ist, wissen wir nicht. Im allgemeinen wird die Invasion ähnlich verlaufen sein [142] wie alle gleichartigen, wie auch der Einbruch der Nordvölker in Syrien zu Beginn des 12. Jahrhunderts. Herodot erzählt, Kyaxares, der Sohn des Phraortes, sei ausgezogen, den Tod seines Vaters zu rächen, und habe die Assyrer besiegt und Ninive belagert; da seien die Skythen gegen ihn herangezogen und hätten die Meder geschlagen. Über den Untergang der Skythen gab es eine Sage, Kyaxares und die Meder hätten dieselben zu einem Gastmahle geladen und im Rausche niedergemetzelt (Herod. I 106), eine Sage, die unwillkürlich an das Nibelungenlied erinnert. Jedenfalls sind die Ergebnisse der Invasion in erster Linie den Medern zugute gekommen. Nicht nur war das Assyrerreich auf das stärkste geschädigt – wenngleich es scheint, daß die festgewurzelte Herrschaft der Assyrer über Syrien auch diese Krisis im wesentlichen überdauert hat –, am ganzen Nordrande desselben haben sich die einschneidendsten Veränderungen vollzogen. Wo wir wieder einen Einblick in die Verhältnisse dieser Gebiete erhalten, ist das mächtige Reich Urarṭu verschwunden, die Moscher und Tibarener sind an die Küsten des Pontos zurückgedrängt. An ihrer Stelle tritt uns jetzt zuerst der Name der Kappadoker entgegen. Die Alarodier sind zwar noch nicht verschwunden, aber neben ihnen treffen wir am oberen Euphrat und bis zu den Tigrisquellen die Armenier. Ob das Auftreten dieser indogermanischen Völker in diesen Gebieten mit der großen Wanderung irgendwie zusammenhängt, wissen wir nicht; so viel aber ist klar, daß durch dieselbe die alten Grenzen völlig verwischt und die alten Namen verdrängt sind. Zu Anfang des 6. Jahrhunderts sind ganz Armenien und Kappadokien bis zum Halys den Medern unterworfen, und im Süden haben sich die Kiliker mächtig ausgedehnt276. Ihren Herrschern, die den Titel (?) Syennesis führen, gehorcht nicht nur das Land Que, das seitdem als »ebenes Kilikien« bezeichnete Gebiet, sondern auch die Hochebene vom Tauros bis an und über den Halys, die Landschaften Kataonien und Melitene.

Es erscheint nicht undenkbar, daß mit der großen Völkerwanderung die Festsetzung der Iranier im westlichen Iran überhaupt [143] erst zum Abschluß gekommen ist; doch wissen wir darüber nichts. Dagegen läßt sich nachweisen, daß im Anschluß an sie auch die Perser weiter nach Westen vorgedrungen sind. Das Reich von Elam war, wie die fortwährenden Thronwechsel beweisen, schon während der Assyrerkriege in sich zerfallen, und daß es nach dem entscheidenden Siege Assurbanipals nicht zu neuer Kräftigung gelangt ist, lehrt die Verjagung des Umman'aldaš (o. S. 138). Nun wird nicht nur Kyros von Nabonid König von Anzan (Susiana) genannt, auch er selbst nennt seine drei Vorfahren (Teispes, Kyros I. und Kambyses I.) auf einem babylonischen Zylinder Könige von Anšan. Daß das Königsgeschlecht der Achämeniden persischen Ursprungs war und dem Stamm der Pasar gaden (Herod. I 125) angehörte, steht völlig fest; der Titel erklärt sich nur, wenn sie bereits Susiana unterworfen hatten und daher von den Babyloniern ihr Reich nach diesem Lande benannt wurde. So begreift es sich auch, daß die Perserkönige ihre Inschriften in persischer und susischer (elamitischer) Sprache verfassen und daß Susa durchweg als die eigentliche Residenz der Perserkönige erscheint, während Persepolis die alte und als solche immer hochgeehrte Hauptstadt des Volkes war. Susa war der Mittelpunkt eines alten Kulturstaates und, wie Assurbanipals Bericht über seine Eroberung erkennen läßt, reich an Bauten und Schätzen; daß die Perserkönige den Aufenthalt in ihm dem in ihrer unkultivierten Heimat vorzogen, ist begreiflich genug. Überhaupt wird Persien erst durch die Eroberung Elams zu fester staatlicher Organisation gelangt sein. Teispes (pers. Tšaišpiš) ist entweder der Begründer der Dynastie oder der erste Herrscher, von dem sich eine historische Erinnerung bewahrt hat; ihm wird in den Stammbäumen (Bisutuninschr. I 2, Herod. VII 11) Achämenes (pers. Hakhâmaniš), der Eponymos des Geschlechts, unmittelbar vorangesetzt277. Gegen Ende des 7. Jahrhunderts wird mithin die Eroberung Susianas durch die Perser begonnen haben. Wir besitzen für sie noch direkte Zeugnisse. Im J. 596 v. Chr. verkündet [144] Jeremia das Hereinbrechen völliger Vernichtung über Elam (49, 34ff.), während er im J. 604 noch einen König von Elam erwähnt (25, 25); im J. 584 redet Ezechiel von Elam als von einem untergegangenen Volke, dessen Erschlagene wie die von Assur und von Mešek und Tubal in der Unterwelt weilen (32, 24ff.). Es ist klar, daß beide Stellen sich nicht, wie man wohl gemeint hat, auf die Siege Assurbanipals, die ja weit früher fallen und überdies das Bestehen des elamitischen Reiches nicht antasteten, sondern allein auf eine Vernichtung der Nation beziehen können, die nur durch die Perser herbeigeführt sein kann und vermutlich im J. 596 vollendet wurde.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 139-145.
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