Bauten. Das Faijûm

[288] 292. Die Energie Amenemḥets I. scheint sich auf seine Nachkommen vererbt zu haben. Die Persönlichkeit der einzelnen Pharaonen freilich ist auch bei diesen Herrschern für uns nicht greifbar: wie in den Titulaturen und den Inschriften ihrer Untertanen erscheinen sie auch in ihren Statuen, mit denen sie die Göttertempel schmückten, als die lebendigen Götter, von denen das Gedeihen des Landes abhängt; nur mit Zittern kann man ihnen nahen, auch wenn sie freundlich gesinnt sind und Gnade und Segen spenden. Die kriegerischen Eigenschaften der Dynastie scheinen sich in Sesostris III. (1887-1850) am meisten verkörpert zu haben, auf den dann die Sage die Ruhmestaten und Eroberungen aller Pharaonen übertragen hat. Unter seinem Nachfolger Amenemḥet III. (1849-1801) tritt dagegen der Glanz des mächtigen, wohlgeordneten Reichs am stärksten hervor. Eifrig gebaut haben freilich alle Könige der Dynastie, vor allem an den Tempeln der Götter. Wo immer sich unter den riesigen Tempelbauten des Neuen Reichs Reste der älteren, noch in bescheideneren Dimensionen gehaltenen Anlagen erhalten haben, begegnet uns ihr Name. So hat Amenemḥet I. außer Bauten am Ptaḥtempel von Memphis den Tempel des Amon von Karnak in Theben und den der Ḥatḥôr von Dendera gebaut, Sesostris I. den des [288] Atumu von Heliopolis, von dem noch ein zum Andenken an sein Jubiläum (Seṭfest) errichteter Obelisk aufrecht steht, und den Osiristempel in Abydos, Sesostris III. den des Ḥeršef in Herakleopolis. Sehr beachtenswert ist, daß in den wenigen Städten des Delta, von denen wir Überreste haben, ihre Namen und Statuen überall gefunden sind, in Tanis und dem benachbarten Nebeše (Amet), in Bubastis, in Tell Mokdam (Leontonpolis) im Zentrum des Delta: das zeigt, welche Bedeutung dieser uns fast unbekannten Hälfte des aegyptischen Reichs auch damals zukam.


Quellen: Außer LD. MARIETTE, Karnak; ders., Abydos II. PETRIE, Abydos I. II. MAC IVER and MACE, El Amrah and Abydos, 1902. Memphis: MARIETTE, Mon. div. 27 a. 34f. PETRIE, Tanis I. II (in vol. II auch der Bericht über Nebeše). NAVILLE, Bubastis. NAVILLE, Ahnas el medine (darin über Tell Mokdam). Bauinschrift von Heliopolis, in späterer Abschrift auf einer Lederhandschrift des Berl. Mus.: STERN, ÄZ. 12, 85; ERMAN, Aus den Papyrus 59ff. Über Dendera s. DÜMICHENS Baugeschichte.


293. Wie Amenemḥet I. hat auch Sesostris I. seine Pyramide bei Lišt gebaut (§ 281). Amenemḥet II. hat dann seine Residenz weiter nach Norden in die Nähe der Pyramide und Residenzstadt Snofrus bei Dahšûr verlegt, während Sesostris II. sich seine Stadt und Pyramide östlich vom Eingang des Faijûm erbaute (Kahun bei Illahun, § 291). Sein Sohn Sesostris III. ging dann wieder nach Dahsûr zurück, und hier hat sich auch Amenemḥet III. eine Pyramide errichtet. Aber vorwiegend hat er im Faijûm residiert, und sich hier, bei Hawâra, wieder einmal, nach dem Beispiel der älteren Könige bis auf Snofru, eine zweite Pyramide erbaut. Damit hängt die Erschließung und Kultivierung dieses Gebiets zusammen. Das »Seeland« (to še, kopt. pjom, arab. Faijûm) ist eine Oase mit einem »großen See« (aeg. mer uêr, gr. Moiris), dem ein Nilarm, der Josephskanal, der durch einen Paß in der Höhenkette der Libyschen Wüste in das Faijûm eintritt, das Wasser zuführt. Gegenwärtig ist der See auf den Umfang des Birket Qarûn zusammengeschrumpft und tief unter den Meeresspiegel [289] gesunken; im Altertum bedeckte er den Hauptteil der Oase. An ihm lag die Stadt Šeṭet, die Stätte des Krokodilgottes Sobek (daher Krokodilopolis, j. Medînet el Faijûm), dessen Heiligtum sich schon im Alten Reich großen Ansehens erfreute. Dann hat Amenemḥet I. hier gebaut; in der Nähe, bei Begîg, steht ein Pfeiler mit dem Namen Sesostris' I. Unter diesen Königen hat offenbar die weitere Erschließung der Provinz durch Regulierung und Eindeichung der Wasser und Anlage von Kanälen begonnen; das Land, das so für den Pflug gewonnen wurde, ist das ertragreichste selbst in Aegypten. Der Wasserzufluß wurde durch eine Schleuse bei Illahûn geregelt, das Niltal durch einen großen Damm gegen Überschwemmungen durch die hier bei der Hochflut aufgespeicherten Wasser geschützt; offenbar um derartiger Arbeiten willen hat Sesostris II. seine Residenz nach Kahun bei Illahûn verlegt. Zum Abschluß gebracht sind diese Arbeiten durch Amenemḥet III., der seine Residenz im Faijûm selbst aufschlug. Durch gewaltige Bauten hat er die Landschaft verschönert. Inmitten des Sees, bei dem heutigen Biahmu (jetzt liegt dieser Ort mitten im Kulturland), errichtete er sich zwei kolossale Statuen auf pyramidenartigem Unterbau, wie es scheint in Verbindung mit einer Hafenanlage; und vor seiner Pyramide bei Hawara erbaute er einen Riesentempel, das gewaltige von den Griechen als das größte Wunderwerk Aegyptens angestaunte, jetzt bis auf wenige Trümmer vom Erdboden verschwundene Labyrinth. – Daß der Moerissee dazu bestimmt gewesen sei, die Nilüberschwemmung für Aegypten zu regulieren, wie Diodor (Hekataeos von Abdera) behauptet, ist unmöglich; Herodot und Strabo berichten denn auch nur, daß das Nilwasser sechs Monate lang in ihn hineinfloß und sechs Monate durch denselben Kanal, aber durch eine andere Schleuse, wieder abfloß, was selbstverständlich ist, so lange sein Niveau noch so hoch war, wie der mittlere Stand des Nils. – Dagegen stammt von Amenemḥet III. die Aufzeichnung der von der Nilüberschwemmung in jedem Jahr erreichten Höhen an den Felswänden von Semne und Kumme in Nubien (vgl. § 164), [290] ein Brauch, den auch seine nächsten Nachfolger beibehalten haben: dadurch gewann man einen festen Maßstab für die Schätzung der Fruchtbarkeit des Jahres und des voraussichtlichen Ertrages der Ernte und der Steuern.


Die drei Grabpyramiden von Dahšûr sind von DE MORGAN, Fouilles à Dahchour I 1895. II 1903 untersucht [zum Goldschmuck vgl. § 290], die von Illahun und Hawara von PETRIE (s.u.). Daß Amenemḥet III. zwei Pyramiden gehabt hat, ist eine unbestreitbare Tatsache [zur Spitze seiner Pyramide von Dahšûr vgl. SCHÄFER, ÄZ. 41, 84]. Nach WEIGALL bei PETRIE, Abydos III 19, hat Sesostris III. vielleicht gleichfalls ein zweites Grab in Abydos gehabt. – Völlig rätselhaft ist bis jetzt der König Eujebrê' Ḥor, der neben der Pyramide Amenemḥets III. von einem König, der den Thronnamen des letzteren, Nema'atre', trägt, in einem unscheinbaren Grabe bestattet ist. Da ein König Eu(tu)-jeb-re' in der 13. Dynastie (§ 301 A., no. 15), ein anderer in der 14. (ib. no. 69) vorkommt, hat MASPERO bei DE MORGAN I 105 (vgl. ERMAN, ÄZ. 33, 142f.) ihn mit einem von diesen identifiziert. Das ist jedoch nach Ausweis der Grabanlage kaum möglich; König Ḥor muß vielmehr ein früh verstorbener, in den Denkmälern nicht erwähnter Mitregent des Sesostris III. oder Amenemḥet III. gewesen sein. – Die frühere Annahme, daß das Faijum erst durch die 12. Dynastie erschlossen sei, ist nicht mehr haltbar; es kommt schon im Alten Reich vor, Sobek von Šeṭet bei Ne weserre' und in den Pyramidentexten. Bauten des Amenemḥet I. und Sesostris I.: LD. II 118. 119. Ein Beamter für »die Inseln im Seeland« und die Jagd des Pharao auf Seetiere und Vögel mit dem Titel rp'tiḥeti'o: NAVILLE, Rec. I 107ff. (Statuette in Marseille). – Beschreibung des Faijums und des Labyrinths in drei zusammengehörenden Papyrus aus der Ptolemaeerzeit, eingehend von PLEIJTE, Verh. der Akad. Amsterdam, Letterkunde XVI, 1886, behandelt. Die Frage nach Lage und Geschichte des Moerissees, die lange Zeit namentlich infolge der falschen Konstruktionen LINANTS, denen LEPSIUS gefolgt war, heillos verwirrt erschien, ist durch eine genaue topographische und hypsometrische Aufnahme des Faijum, sowie durch die archaeologischen Forschungen PETRIES (Hawara, Biahmu and Arsinoe, 1889, und die beiden § 291 A. zitierten Werke) völlig geklärt: s. vor allem BROWN, The Fayûm and Lake Moeris, London 1892 (vgl. auch GRENFELL, HUNT and HOGARTH, Fayum towns and their papyri, 1900). Dazu stimmen die Beschreibungen Herodots II 101. 149 (daraus überarbeitet Diod. I 51f.) und Strabos XVII 1, 35ff. aufs beste, nur daß Herodot den See fälschlich für künstlich hält, während die alexandrinischen Geographen einen ursprünglichen Zusammenhang mit dem Mittelmeer annahmen. Beschreibung des Labyrinths: Herod. II 148 (daraus Diod. I 66). Strabo XVII 1, 37; bei Plin. 36, 84ff. mit vielen[291] Phantastereien; die dürftigen Trümmer hat PETRIE, Hawara p. 4ff. gefunden [das benachbarte Ziegelbauwerk, in dem LEPSIUS das Labyrinth erkennen wollte, ist römisch]. Bei Herodot wird es auf die Dodekarchie zurückgeführt; dagegen richtig Manetho: Λαμάρης (= Amenemḥet III., § 281 A.), ὃς τὸν ἐν Ἀροινοίτῃ (sc. νομῷ) λαβύρινϑον ἑαυτῷ τάφον κατεσκεύασε; es wird in der Tat sein Totentempel gewesen sein. Inschriften mit seinem Namen bei PETRIE, und LD. II 140; Inschrift vom Sobektempel in Berlin. – Über die Kolosse von Biahmu s. PETRIE, Hawara pl. 26. 27; p. 53ff. – Nilhöhen: LD. II 139. 151. 152f. LEPSIUS, Ber. Berl. Ak. 1844, 374ff.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 288-292.
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