Kriege und auswärtige Beziehungen. Nubien. Syrien. Griechenland

[279] 287 a. Nach außen haben die Könige der zwölften Dynastie gestrebt, die Machtstellung der alten Pharaonen wiederzugewinnen, deren Andenken (so das des Ẕoser, Snofru, Neweserrê') von ihnen vielfach erneuert wird. Unter den Gegnern Amenemḥets I. zu Anfang seiner Regierung werden Neger und Asiaten genannt (§ 280), vielleicht allerdings nur als Soldtruppen seiner aegyptischen Gegner. Aber sein General Nessumontu rühmt sich, die Menziu und Ḥriuša' Asiens geschlagen und ihre Ansiedlungen zerstört zu haben; er scheint [279] also nach Palaestina vorgedrungen zu sein. Auch mit den Libyern hat Amenemḥet I. Krieg geführt; daher stammen die libyschen Männer und Frauen mit kleinen Kindern, die Chnemḥotep I. von Benihassan (§ 280) in seinem Grabe als Beutestücke abgebildet hat. Beim Tode des Königs stand sein Sohn Sesostris I. gegen die Libyer im Felde (§ 281). Im Jahre vorher (1972) erfahren wir von einem Feldzug gegen das Land Uauat, das seitdem (ebenso wie die Mazoi) untertänig und durch Festungen gesichert ist; bei der Goldwäsche müssen die Negerhäuptlinge Frondienste leisten. Die hartnäckigsten Gegner waren die Kuschiten im mittleren Nubien, die jetzt zum ersten Male in den aegyptischen Texten genannt werden (§ 165 a). Auch diese hat Sesostris I. besiegt; damals führte ihm Ameni, der Sohn des betagten Chnemḥotep, die Truppen des Ziegengaus zu, mit denen er »bis ans Ende der Welt« vordrang. Am zweiten Katarakt, bei Wadi Halfa, hat der König ein Siegesdenkmal errichtet, auf dem der thebanische Kriegsgott Montu ihm die besiegten Völkerschaften, meist sonst nicht bekannte Namen, gefangen zuführt. Durch diese Feldzüge sind auch die Goldminen in den Tälern des Wüstenplateaus Wadi 'allâki in aegyptischen Besitz gelangt und ausgebeutet worden; so hat z.B. unter Sesostris II. einmal der Kronprinz Ameni, der spätere König Amenemḥet II., den Ertrag mit einer starken Eskorte nach Aegypten gebracht. Zur Sicherung der Straße wurde beim heutigen Kubân, wo sie das Niltal verläßt, eine Festung angelegt. Zum Abschluß gebracht ist die Unterwerfung durch Sesostris III. (1887 bis 1850), der wiederholt (in seinem 8., 12., 16., 19. Jahre) gegen »die elenden Kuschiten« zu Felde gezogen ist; bei dem ersten Feldzuge hat er für den Transport seiner Truppen einen schiffbaren Kanal durch die Felsen des Katarakts von Assuan angelegt. Zu Heldentaten boten diese Kriege freilich wenig Anlaß, so viel Rühmens der König und seine Offiziere davon machen; die Ortschaften wurden niedergebrannt, die Felder und Brunnen verwüstet, die Bewohner als Sklaven fortgeschleppt. Doch war es schwer genug, den schmalen Streifen [280] Kulturlandes dauernd zu sichern und die Stämme, die immer wieder in die Wüstentäler entweichen konnten, in Botmäßigkeit zu halten. Sesostris hat die Grenze bis zu den Stromengen von Semne und Kumme oberhalb des zweiten Katarakts vorgeschoben und durch acht Festungen auf den Höhen und auf einer Insel des Flusses gesichert, von denen die letztere (Uronarti) den bezeichnenden Namen »Abwehr der Trogodyten (Iuntiu)« trägt (vgl. § 165 A.). Daran reihen sich vier weitere Festungen im unteren Nubien. Zwei große Tafeln vom Jahre 8 und 16 verboten den freien Negern, die Grenze stromabwärts zu überschreiten, außer um in dem Grenzdistrikt Aqen Handel zu treiben-aber auch dann nicht auf eigenen Schiffen. Seitdem ist das untere Nubien dem Reich einverleibt und seine Kolonisation durch Aegypter beginnt. Der Folgezeit gilt daher Sesostris III. als der eigentliche Eroberer Nubiens; Thutmosis III. hat ihn zum Landesgott erhoben und ihm in Semne einen Tempel erbaut.


Der geschichtliche Teil der sehr schwierigen Inschrift des Nesumontu (Louvre C 1) ist korrekt von BREASTED, American J. of Semitic Languages 1905, XXI 154ff., publiziert. – Libysche Gefangene: NEWBERRY, Benihassan pl. 45. 47 (daneben Kampfszenen). – Das Material für die Eroberung, Besatzung und Goldausbeute Nubiens (auch Weißgold, Mischung von Gold und Silber, wurde hier ge wonnen) findet sich außer in LEPSIUS' Denkmälern ÄZ. 20, 30. 12, 112. 13, 50. PETRIE, Season 540. MASPERO, Mél. d'arch. I 217, vgl. SCHÄFER, Mysterien des Osiris 8f. 10f. und BREASTED, Anc. Rec. I. Stele des Sesostris I.: ROSELLINI, Mon. stor. pl. 25, 4. SCHIAPARELLI, Catal. gen. del museo di Firenze I 243. BREASTED, PSBA. 23, 230 und Anc. Rec. I 510ff. Den Feldzug erwähnt auch Seronput I. von Elephantine: GARDINER, ÄZ. 45, 133f. Das »elende Kuš« ist hier und auf der Stele Ka's geschrieben. Unter Seronputs Titeln findet sich (Zl. 5) »dem die Produkte von Maẕoi gemeldet werden als Tribute der Fürsten der Fremdländer«. Der Distriktsbeamte 'Anch hat sich im 45. Jahre des Sesostris I. und im 5. und 22. Jahre des Amenemḥet II. an den Felswänden bei 'Amâda verewigt: WEIGALL, Ant. of Lower Nubia pl. 53. Sesostris' III. Feldzug wird auch von Sebekchu (§ 290) erwähnt. Die Fragmente der Inschrift in Bubastis bei NAVILLE, Bubastis p. 9f. (pl. 34 a) stammen nicht von Sesostris III., sondern nach BREASTED, Anc. Rec. II. 846, von Amenophis III. – Der Kanal durch den ersten Katarakt: WILBOUR, Rec. 13, 202 (vgl. LD. II 136 b). Steinbrüche [281] in Kuš: LANGE und SCHÄFER, Grabsteine des M. R. 20086, 3. – Über die sieben jetzt bekannten Festungen bei Semne und Kumme: STEINDORFF, Ber. sächs. Ges. phil. Cl. 1900, 230ff. Die Feste Sesostris' III. Sechem-Cha'keurê' auch unter dem ersten König der 13. Dynastie LD. II 151 d. Eine vollständige Liste der 12 Festungen des Mittleren Reichs in Nubien enthält ein Papyrus, dessen Kenntnis ich der gütigen Mitteilung GARDINERS verdanke. Zu Uronarti vgl. STEINDORFF ÄZ. 44, 96. – Der Distrikt jenseits der aegyptischen Grenze heißt Ḥeḥ: ÄZ. 12, 112. LD. II 136 h. Reste der Festungsanlagen und eines Hauses der 12. Dynastie in Wadi Halfa (aegyptisch Buhen) sowie mehrere Gräber, unter den Befestigungen des Neuen Reichs: MACIVER und WOOLLEY, Buhan 1912.


288. Die Ausbeutung der Steinbrüche von Hammamat und die Fahrten nach Punt von Sawu (Wadi Gasûs) aus, welche die elfte Dynastie begonnen hatte (§ 278), setzen sich unter der zwölften fort; die Produkte von Punt werden in den Inschriften mehrfach erwähnt. Zu einem von unternehmenden Kaufleuten ausgehenden privaten Handel mit dem Weihrauchlande ist es freilich schwerlich je gekommen; die Schiffe gehören dem König, und die Führer der Seefahrten sind Schatzbeamte, die von Truppen begleitet werden. Wie sehr diese Expeditionen die Phantasie des Volkes beschäftigten, zeigt eine märchenhafte Erzählung dieser Zeit von den Abenteuern eines »Gefolgsmanns«, der mit einem großen, mit 150 auserlesenen Matrosen bemannten Schiff vom Pharao nach dem Bergwerk des Königs (am Sinai?) entsandt ist, aber durch einen Sturm weit hinaus ins Meer verschlagen wird. Sein Schiff scheitert, er allein rettet sich auf eine Insel des Landes Punt, die von einer Riesenschlange bewohnt wird. Diese nimmt ihn freundlich auf und erzählt ihm, um ihn zu trösten, wie sie alle ihre Kinder und Brüder durch einen vom Himmel fallenden Feuerstern verloren habe und allein übrig geblieben sei; so sei es auch ihm gegangen, aber er werde nach drei Monaten durch ein aus Aegypten, vom Hofe, kommendes Schiff heimgeführt werden und die Seinen wiedersehen. So geschieht es; reich beschenkt mit Myrrhen, Ölen, Pantherfellen Affen, Elfenbein und anderen Kostbarkeiten kann er an den [282] Hof zurückkehren, aber die geheimnisvolle Insel wird vom Meere verschlungen.


Zwei Stelen aus Wadi Gasûs »im Gotteslande« aus dem Jahre 1 des Sesostris I. und 24 des Amenemḥet II., letztere nach der glücklichen Rückkehr aus Punt von dem Fürsten und Schatzmeister Chentechtai-uêr errichtet: ERMAN, ÄZ. 20, 203f. = BIRCH, Catalogue of Egypt. antiq. in Alnwick Castle p. 268f. Das Märchen vom Seefahrer: GOLÉNISCHEFF, Rec. 28, 73ff. MASPERO, Contes populaires. ERMAN, ÄZ. 43, 1ff., der den Zusammenhang erst völlig aufgeklärt hat: die Geschichte wird einem aus Nubien heimkehrenden Grafen von einem Gefolgsmann erzählt.


289. An Kämpfen mit den Libyern wird es auch später nicht gefehlt haben, obwohl wir keine Kunde darüber haben. Die Oasen sind untertänig; die große Oase (El Charge, mit dem Ort Hib) stand unter dem Grafen von Thinis (§ 282 A.), da die Karawanenstraße von Abydos ausgeht. – Auf der Sinaihalbinsel sind die Minen in Betrieb, und unter Amenemḥet II. wird nördlich von Wadi Maghâra ein zweites Bergwerk (Sarbût el châdem) eröffnet und befestigt. Zu Scharmützeln mit den Beduinen scheint es kaum mehr gekommen zu sein. – An der Ostgrenze Aegyptens, wo die Straße der »Horuswege« durch die Festung Ẕaru geschützt und der durch das Wadi Tumîlât in die Wüste führende Weg durch die »Fürstenmauer« gesperrt ist (§ 227), wird scharfe Grenzwacht gehalten. Aber die Autorität des Pharao erstreckt sich weit in die syrischen Lande hinein. Aegyptische Gesandte gehen hin und her, asiatische Produkte werden eingeführt, und Amenemḥet I. hat auf dem Nil eine Flotte von Zedernschiffen wie Snofru, für die das Bauholz offenbar aus Byblos bezogen ist. Beduinen (sutiu, d.i. wahrscheinlich Pfeilschützen) kommen mit ihren Waren oft nach Aegypten; und gelegentlich suchen sie, wenn ihnen die Heimat zu eng geworden ist, Aufnahme auf den Weidegründen des Nillandes. So kommt im Jahre 6 des Sesostris II. (1901 v. Chr.) der »Barbarenhäuptling« Ebša mit seinem Clan-37 'Amu (Kana'anaeer) der Einöde (šu), Männer, Weiber und Kinder mit echt semiti289 [283] schem Typus-zu Chnemḥotep II. von Mena'atchufu, der ja Graf des Wüstenlandes war (§ 280), vermutlich doch um von ihm die Erlaubnis zur Ansiedlung zu erhalten, und bringt ihm Augenschminke als Geschenk. Wie es in Syrien aussah, berichtet die Geschichte des Sinuhet (§ 281). Auf seiner Flucht war er an den Bittersee Kemuêr (§ 227 A.) gelangt und schon dem Verschmachten nahe; da finden ihn einige Beduinen (suti), von denen ihn einer in Aegypten kennen gelernt hat und jetzt mit Wasser und Milch stärkt. Er gelangt von einem Stamm zum andern bis nach Byblos; von hier flüchtet er zu den Beduinen des »Ostlandes« Qedem, das in dem Wüstengebiet östlich von Damaskus liegt. Da hört 'Ammienši, Fürst des oberen Rezenu (verschrieben Zenu), von ihm, ruft ihn an seinen Hof, gibt ihm seine Tochter zur Frau und das Land Jaa als Lehn, ein schönes Land reich an Feigen, Honig, Öl, Baumfrüchten, Korn und Vieh, »das reicher an Wein ist als an Wasser«, dazu mit wildreichen Jagdgründen in der Wüste. In den Kriegen des Fürsten mit den Nachbarn zeichnet er sich aus, und als ein Recke ihn zum Zweikampf herausfordert, »mit Schild und Lanze und einem Arm voll Speeren«, weicht er seinen Speerwürfen aus und erlegt ihn mit dem Pfeil; alles was jener in seinem Zelte hat, fällt dem Sieger zu, und er gewinnt hohes Ansehen und reichen Besitz. Auch Sesostris I. hört von ihm; er verzeiht ihm seine Flucht und ruft ihn in Ehren an seinen Hof zurück. – Das »obere Rezenu«, dessen Zustände hier so anschaulich geschildert werden, ist das Bergland von Palaestina, das mit Aegypten in regen Beziehungen steht. So zählt eine sehr zerstörte Stele in den Sinaiminen aus der späteren Zeit der zwölften Dynastie die Namen einer Gesandtschaft auf, die zum Herrscher von Rezenu gegangen ist.


Über einen Zug nach der großen Oase unter Sesostris I. s.H. SCHÄFER, ÄZ. 42, 124ff. (vgl. auch die Stele bei LANGE u. SCHÄFER 20539 b 16f.). – Inschriften der Sinaiminen WEILL, Rec. des inscr. du Sinai; über den Ḥatḥortempel Amenemḥets III. BORCHARDT, ÄZ. 35, 112ff. WEILL, Rec. p. 159ff., ferner PETRIE, Researches in Sinai, 1906, mit [284] manchen nicht haltbaren Hypothesen. – Die 'Amu im Grabe des Chnemḥotep LD. II 133. NEWBERRY, Benihassan I 28. 30. 31. 38. – Die Sinuhetgeschichte [§ 281 A.; dazu W. M. MÜLLER, Asien und Europa nach den altaeg. Denkm. 34ff., der seltsamerweise die Realität der Schilderung leugnet; WEILL, Sphinx VIII 201ff. IX 1ff.] ist durch das neue von GARDINER, Ber. Berl. Ak. 1907, 142ff., besprochene Exemplar viel deutlicher geworden; hier ist auch die Erwähnung von Byblos erhalten. Dadurch wird die Lage des Landes Qedem (vgl. meine Israeliten und ihre Nachbarstämme 242ff.) genauer bestimmt, vgl. GARDINERS neue Ausgabe und seinen Kommentar, Rec. 32ff. – Gesandtschaft nach Rezenu auf einer Stele von Sarbut el Chadem: WEILL, Rec, des inscr. du Sinai p. 186ff. no. 75.


290. Aber auch an Kriegen in Asien hat es nicht gefehlt. Die Herrschaft Amenemḥets I. und Sesostris' I. freilich hat, wie die Sinuhetgeschichte lehrt, nicht über die Beduinen der Sinaihalbinsel hinausgereicht; und wenn des letzteren Vezir Mentuḥotep sagt, er »demütige die Asiaten, bringe die Sandbewohner (Ḥeriuša') zur Ruhe, und die Neger zum Frieden« (vgl. die Angaben Nessumontus § 287 a), so setzt das noch nicht einmal einen Krieg voraus. Auch die asiatischen Sklavinnen, die ziemlich häufig erwähnt werden, könnten durch Handel oder Razzias gegen Beduinen erworben sein. Dagegen wissen wir jetzt aus der Inschrift eines Offiziers Sebekchu, daß Sesostris III. einen Feldzug nach Palaestina unternommen hat. »Er zog nordwärts, um die Asiaten (Menziu Satet) zu schlagen, und gelangte nach einem Gebiet namens Sekmem«-darin ist ein kana'anaeischer Plural, der die Bewohner von Sichem im Zentrum Palaestinas bezeichnet, kaum zu verkennen. »Da wurde Sekmem geschlagen zusammen mit dem elenden Rezenu.« Weiter erfahren wir nur noch von einer tapferen Tat des Sebekchu auf dem Rückzug bei einem Überfall durch 'Amu, d.i. Kana'anaeer; über den Fortgang des Kriegs haben wir keine Kunde. Schwerlich ist dieser Feldzug der einzige gewesen, der die Aegypter der zwölften Dynastie in die syrischen Lande geführt hat. Man sieht, sie sind auch hier den Spuren des Alten Reichs gefolgt (§ 253), und es ist nicht ganz unberechtigt, wenn sie sich als Herrscher über [285] alle Barbaren hinstellen und wenn auf einem aus Gold gearbeiteten, mit Edelsteinen ausgelegten Brustschild aus dem Grabe seiner Tochter (aus Dahšûr) Sesostris III. in alter Weise als Löwe mit Falkenkopf dargestellt ist, wie er unter dem Schutz der Geiergöttin Asiaten und Neger niederwirft, und ebenso auf einem gleichartigen Stück Amenemḥet III., der einen asiatischen Beduinen beim Schopf packt und mit dem Sichelschwert erschlägt.


Inschrift des Mentuḥotep: MARIETTE, Abydos II 23 Zl. 10. Einige ähnliche Texte bei M. MÜLLER, Asien und Europa S. 34; asiatische Sklavinnen ib. S. 391. GRIFFITH, Kahun papyri p. 35. Inschrift des Sebekchu: GARSTANG, El Arabah, 1901, p. 4; BREASTED, Anc. Rec. I 679ff. Goldschmuck von Dahšur: DE MORGAN, Fouilles à Dahchour I pl. 15. 19. 20 und p. 63ff.


291. Auch die überseeischen Beziehungen Aegyptens sind im Delta nie unterbrochen worden. Seit der sechsten Dynastie kommen in Aegypten Siegel in Form eines Knopfes auf, oft mit einem ringförmigen Griff daran, die als Eigentumsmarken teils willkürliche Kombinationen von Strichen, teils phantastische Verbindungen verschiedener Tiere tragen, analog den Mischwesen auf den Schminktafeln der Urzeit; und solche Siegel haben sich vielfach auf Kreta und auch in italischen Gräbern wiedergefunden. Seit der zwölften Dynastie haben sich dann in Aegypten die Siegel in Skarabaeusform entwickelt und die älteren Zylinder und Knöpfe allmählich völlig verdrängt. Auf diesen Skarabaeen ist die Aufschrift (meist der Name des Besitzers) sehr oft von vielfach gewundenen Spirallinien umschlossen; und dies Aufkommen der Spirale steht zweifellos mit ihrer weiten Verbreitung in der gleichzeitigen kretisch-aegaeischen Kultur in Zusammenhang. Daß die Pharaonen der zwölften Dynastie ebensogut eine Flotte auf dem Mittelmeer hielten, wie die des Alten Reichs, ist nicht zweifelhaft; und es ist sehr wohl möglich, daß sie gelegentlich direkt in die Inselwelt eingegriffen haben. In den Inschriften freilich ist wenig von ihr die Rede; so rühmt sich Ḥenu, der Kanzler Mentuḥoteps VI. (§ 278), unter anderem, [286] »er mache die Ḥanebu [die Seevölker, § 228] ohnmächtig«, und ein Beamter wahrscheinlich Sesostris' I. sagt in der gezierten Sprache dieser Zeit: »sein Griffel begriff die Ḥanebu«, d.h. er gehörte einem Bureau an, das den Verkehr mit den Seevölkern regelte, also nach aegyptischer Auffassung ihnen Befehle erteilte. In Aegypten finden wir die Spuren der Seevölker wieder, wie unter den Thiniten, in den fremden Tonscherben aus aegyptischen Ortschaften. In den Ruinen der Residenz, die Sesostris II. bei seiner Pyramide am Eingang des Faijûm erbaut hat (Kahun bei Illahûn, § 293), und die schon zu Anfang der dreizehnten Dynastie verödete, also nicht viel länger als ein Jahrhundert (etwa 1906-1780) bestanden hat, haben sich neben aegyptischen zahlreiche Tonscherben des damals auf Kreta und auf den Kykladen herrschenden sog. Kamaresstils gefunden, dessen Zeit dadurch datiert wird (§ 518). Hier sind also Kreter angesiedelt gewesen, sei es Gefangene (etwa Seeräuber), sei es Händler und Abenteurer, die wie später die Širdana in Aegypten ihr Glück suchten. In einem Grabe von Abydos hat sich ein prächtiges Kamaresgefäß neben Zylindern des Sesostris II. und Amenemḥet III. gefunden. In Kahun und in der Stadtruine Chataana bei Faqûs im östlichen Delta sind zahlreiche schwarze Tonscherben mit weißpunktierten Linien zu Tage ge kommen, die aus Cypern zu stammen scheinen. Umgekehrt hat sich in einem Hof der ältesten Schichten des Palastes von Knossos die Grabstatue eines Aegypters, etwa aus der dreizehnten Dynastie, gefunden (§ 523). Besäßen wir reicheres Material aus dem Delta, so würden wir gewiß weit mehr von diesen Beziehungen erfahren. Wenn sich sogar in einem alten Schachtgrabe der Etruskerstadt Tarquinii eine kleine aegyptische Götterfigur (Bastet) und ein Skarabaeus Sebekḥoteps IV. (§ 300) gefunden hat, so zeigt das, wie weit aegyptische Waren gelegentlich gewandert sind.


Ḥanebu: Inschrift des Ḥenu (§ 278) Zl. 8; MARIETTE, Catal. d'Abydos 630 = LANGE und SCHÄFER, Grabsteine des M. R. 20425. – Kahun: PETRIE, Kahun, Gurob and Hawara, 1890, und Illahun, Kahun [287] and Gurob, 1891 [über seine Theorien über die alphabetischen Zeichen vgl. § 172 A.]. – Über die knopfförmigen Siegel; EVANS, J. Hell. stud. XIV 335ff. GARSTANG, Bet Khallaf p. 33 u. pl. 39. NEWBERRY, Scarabs p. 56ff.; vgl. § 200 A. – Chataana: HALL, Oldest civilization of Greece p. 68 (Notiz bei NAVILLE, Saft el Henne p. 21. GRIFFITH, Tell el Yahudiye p. 56). – Aegyptische Statue auf Kreta: EVANS, Annual of the British School at Athens VI 27. GRIFFITH, Archaeol. Report 1899/1900 p. 65. Tarquinii: GHIRARDINI, Not. degli scavi, 1882, 183 u. pl. 13 bis, 10. HELBIG, Homer. Epos 2 24. – Die von GARSTANG gefundene Kamaresvase aus Abydos (in Oxford) ist meines Wissens noch nicht veröffentlicht. [Das Gefäß aus Anibe in Nubien: Museum Journ. Univ. of Pennsylvania I 47 stammt aus einem Grabe des Neuen Reichs und ist Late Minoan I; vgl. REISINGER, Kretische Vasenmalerei Taf. I, 6 und S. 12.]


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 279-288.
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