Beziehungen zu den Nachbarn

[163] 227. Das geeinte Reich hat nicht nur das aegyptische Niltal umfaßt, sondern nach allen Seiten darüber hinausgegriffen. Im Nordwesten wurden die Libyer Marmaricas (Ẕeḥenu) besiegt, und auch die Aegypten benachbarten Oasen haben gewiß schon in dieser Zeit die Oberhoheit des Pharao anerkannt; beruhte doch ihr Wohlstand vor allem auf dem Handel mit dem Niltal. Unter anderem bezog man aus Libyen ein sehr geschätztes balsamisches Öl. Im Osten sind die Trogodyten unterworfen (§ 212) und der Verwaltung eines »Vorstehers des Wüstengebirges« (Abydos III 9, 8) unterstellt; ferner die semitischen Nomaden (Menziu) bei den Sinaibergwerken. Die uralte Straße vom Niltal über die Sinaiwüste nach Syrien, die »Horuswege«, auf denen Horus den Sêth nach Asien verfolgt und die Wüstenbewohner besiegt hat, führt über die »Landbrücke« von el-Qantara zwischen dem Menzâle- und dem Ballâchsee. Hier liegt die Festung Ẕaru (in römischer Zeit Sile), die Hauptstadt des vierzehnten unteraegyptischen Gaus »Spitze des Ostens«. Ein zweiter, abgelegener Zugang zu Aegypten führte weiter südlich vom Timsâḥsee durch das (erst weit später besiedelte) Wâdi Tûmilât nach Gosen (Saft el Henne) und Bubastis. Auch dieser Weg war [163] schon in alter Zeit durch eine Befestigung geschützt, die später als »die Mauer des Herrschers zur Abwehr der Asiaten (Setiu)« oder »um die Semiten ('Amu) nicht nach Aegypten hereinzulassen« bezeichnet wird. – Mehrfach haben wir Kämpfe gegen Nubien kennen gelernt, durch die zum mindesten das Kataraktengebiet dem Reich einverleibt wurde. Hier lag, unterhalb der Stromschnellen, auf einer kleinen Insel die »Elfenbeinstadt« Jêb (Elephantine), die Grenzstadt des eigentlichen Aegyptens und der Sitz der Verwaltung des südlichsten Gaus (§ 165 a), und zugleich der Stapelplatz für den Tauschhandel mit dem nubischen Niltal. – Alle Volksstämme, die den Königen Aegyptens untertan sind oder doch sein sollten, sind seit uralter Zeit zu einer Liste von neun den Kriegsbogen (§ 167) führenden Völkern zusammengestellt, an deren Spitze die aegyptischen Untertanen selbst, der Süden und das Nordland, stehen.


Die Liste der »9 Bogenvölker« ist von BRUGSCH, Die altaegypt. Völkertafel, Abh. des Berliner Orientalistenkon gresses III 75ff., nach den mehrfach unhaltbaren Deutungen der späteren Zeit, und von W. M. MÜLLER, Asien und Europa S. 11ff., behandelt worden, der ihre ursprüngliche Bedeutung zu ermitteln sucht, aber dabei manche überkühne Hypothese aufstellt. Daß die Liste, die vor dem N. R. nicht vorkommt, uralt ist, lehrt ihr Inhalt und wird durch vielfache Anspielungen der Pyramidentexte erwiesen. Die Peṭtiu-Šu und Šatiu sind noch nicht gedeutet; die sieben anderen sind: der Süden, das Nordland, die Iuntiu (Trogodyten) Nubiens, die Menziu von Setet (d.i. Asien), die Ẕeḥenu, die Oasenbewohner (sechetiu am?) und die Ḥanebu (§ 228). Die Neger und Punt kommen in der Liste nicht vor (vgl. §§ 165 A. und 165 a). – Daß Setet Asien bezeichnet, wie in späterer Zeit, wird gegen W. M. MÜLLER und NAVILLE durch die Beischrift der Elfenbeinskulptur eines Asiaten mit echt semitischen Zügen aus dem Grabe des Sen, R. T. I 12 = 17 (§ 167 A.) erwiesen. Die Bewohner der Sinaihalbinsel heißen bei Cheops, LD. II 2 c, »Trogodyten (Iuntiu)«, bei Sahurê', LD. II 39f., Newoserrê', LD. II, 152 a, und Pepi I., LD. II 116 a, »die Menziu aller Fremdländer«, bei Snofru, LD. II, 2 a, und Asosi, SETHE, Urk. des A. R. p. 56, steht nur: »der niederschlägt alle Fremdländer«. In der Beischrift zur Vorführung der Gefangenen im Grabtempel des Sahurê' erscheint neben dem Völkernamen Menziu der mit denselben Figuren determinierte Name Senziu, und ebenso in der Beischrift zum Greif, wo sie von Sopṭu niedergeschlagen [164] werden, also im Osten zu suchen sind, s. § 165 A.; sind das wirklich zwei verschiedene Völker, oder liegt nur eine Variante der Schreibung vor? oder gehören die Senziu etwa in das syrische Kulturland, zunächst Palaestina?-Über die Probleme im Osten hat KÜTHMANN, Die Ostgrenze Aegyptens, Diss. Berlin. 1911, volle Klarheit geschaffen. Er zeigt, entgegen der weitverbreiteten, auf argen Mißverständnissen beruhenden Ansicht, daß das Rote Meer im Altertum bis zum Timsâḥsee gereicht habe (so z.B. auch auf SIEGLINS Karten und in GUTHES Bibelatlas 1911), daß die Konfiguration des Isthmus im Altertum genau dieselbe war, wie gegenwärtig (abgesehen von den Änderungen durch den Suezkanal), ferner daß der östliche Harpunengau (8) von Pithom-Sukkoth jüngeren Ursprungs ist und das Wâdi Tûmîlât erst nach dem Mittleren Reich besiedelt wurde, endlich daß Ẕaru bei Elqantara liegt (Ruinen von Abu Sêfe) und mit dem römischen Garnisonort Sile identisch ist. Bei Ẕaru liegen die Horuswege, s. ERMAN, ÄZ. 43, 72f., dessen Ansetzung von Ẕaru bei Isma'îlîje (ebenso DÜMICHEN und SCHÄFER, Klio IV, 159) aber von KÜTHMANN widerlegt ist. – In der Tetipyramide 274ff. werden 5 Meere genannt (VGL. ERMAN, ÄZ. 29, 44): Kemuêr die Bitterseen (speziell der Timsâḥsee); Uaẕuêr das Rote Meer, Šenuêr der [Indische?] Ozean, Teben pšr Ḥanebu »der Kreis, der die Ḥanebu umgibt« das Mittelländische Meer, und Šen'o sek »der Große Ozean«, d.i. wahrscheinlich das Weltmeer, das nach aegyptischer Vorstellung die Erde umgibt [vgl. dazu H. SCHÄFER in Klio IV S. 162, dessen Annahme aber durch ERMANS Erklärung des Märchens vom Schiffbrüchigen, ÄZ. 43, zum Teil berichtigt wird]. Da Kemuêr mit der Festungsmauer determiniert ist, ergibt sich, daß die später mehrfach (Gesch. des Sinuhet; Petersburger Papyrus GOLENISCHEFF, ÄZ. 14, 110. Rec. 15, 89, § 280 A.) erwähnte Befestigung am Ausgang des Wadi Tûmîlât am Timsâḥsee (bei Isma'îlîje) sehr alt ist.


228. Zu den Stämmen der Völkerliste gehören auch die Ḥanebu (Aussprache unsicher), ein Nordvolk auf den Inseln des Mittelmeers. Man wird zunächst an Kreta denken, dessen uralte Beziehungen zu Aegypten wir kennen gelernt haben (§ 172), daneben vielleicht an Cypern u.a. Auch unter den Thiniten hat offenbar immer ein Seeverkehr nach diesen Gebieten vom Delta aus bestanden; und umgekehrt werden manche Bewohner der fernen Küsten als Seeräuber oder auch als friedliche Händler nach Aegypten gekommen sein und dann dem Pharao mit Geschenken gehuldigt haben. Die Gräber des Chent, Usaphais und Semempses in Abydos enthalten zahlreiche [165] Scherben von Tonkannen, die unaegyptisch zu sein scheinen, teils tiefrot, teils in matter gelbbrauner Farbe, verziert mit roten Linien und Dreiecken, die durch Punkte ausgefüllt sind. Sie entstammen wahrscheinlich dem Kulturkreise des Aegaeischen Meers und werden wohl von den Ḥanebu nach Aegypten gebracht sein.


In späterer Zeit werden die Ionier (Griechen) als Ḥanebu bezeichnet; daß sie wirklich im Mittelmeer heimisch sind, zeigt der Name desselben § 227 A. – Aegaean pottery: PETRIE, R. T. II 54 und p. 46; Abydos I 8 und p. 6; ferner die schwarzen Gefäße Abydos pl. 12, 267ff. 42, 20ff., vgl. p. 28 und 38. – Die auf Kreta nicht selten gefundenen aegyptischen Steingefäße, die zum Teil der Zeit des Alten Reichs angehören, stammen nicht, wie EVANS annahm, aus frühminoischen, sondern aus weit jüngeren Schichten (um 1600) und können daher für alte Beziehungen nichts beweisen: FIMMEN, Zeit und Dauer der kretisch-myken. Kultur S. 58f.


229. Die Liste der neun Völker umfaßt keineswegs die ganze der Thinitenzeit bekannte Welt. Wenn König Snofru Schiffe nach Syrien schickt, um Zedernstämme für seine Bauten zu holen (§ 232), so werden seine Vorgänger das auch schon getan haben; der Hafen, aus dem man sie bezog, war das den Aegyptern seit alter Zeit wohlbekannte Byblos am Libanon (§ 357). Und wenn man die Harze und den Weihrauch, die man für den Gottesdienst und den Totenkult brauchte, in der Regel durch Zwischenhandel erhielt, so wird man doch ihr Heimatland Punt an der Somaliküste (§ 165), fern im »Götterlande« (§ 187), nicht nur von Hörensagen gekannt, sondern gelegentlich selbst zu Schiff aufgesucht haben. Es ist nur Zufall, daß wir davon unter der fünften Dynastie zuerst erfahren; erscheint doch ein Mann aus Punt schon unter den Dienern eines Magnaten der vierten Dynastie (LD. II 23, § 167 A.). Inmitten dieser Welt, die man sich rings vom Weltmeer umschlossen dachte, dem nach einer Anschauung auch der Nil entströmte, liegt Aegypten, der Sitz der Götter und der Kultur. Den fremden Völkern gegenüber fühlt sich der Aegypter, der »Mensch« schlechthin, durchaus [166] als Kulturmensch; sie können ihm wohl allerlei Produkte liefern, die das Niltal nicht hervorbringt, aber sie stehen tief unter ihm als Barbaren. Sie wissen das selbst; voll Bewunderung werden auch in der Thinitenzeit schon die Nomaden der Wüstenländer, die Neger Nubiens, die Piraten des Meers, und auch die Stämme und Stadtbewohner Syriens zum Aegyptischen Reiche aufgeblickt haben, wenn sie auch ihre Freiheit gegen die Herrschaft des Pharao nicht eintauschen mochten.

Jenseits dieser Gebiete lag Babylonien, in dem sich zur Zeit der Thiniten gleichfalls eine höhere Kultur zu entwickeln begann, die damals etwa auf der Stufe stand, wie die aegyptische zur Zeit der beiden Reiche der Horusverehrer. Daß die Beziehungen des Pharaonenreichs bis dorthin gereicht haben, kann nicht zweifelhaft sein, wie denn Aegypter und Babylonier sich zu allen Zeiten auf den Märkten Syriens und in den Zelten der Beduinenhäuptlinge begegnet sein müssen. So hat man, wie HROZNÝ nachgewiesen hat, in Aegypten wie in Babylonien seit ältester Zeit aus Malzbroten von befruchteter und keimender Gerste, die man zerbricht und in Wasser gären läßt, Bier bereitet, und auch das aegyptische Wort für Bier (ḥîqt) kehrt als Benennung einer babylonischen Biersorte (ḥîqu) wieder. Ebenso ist das Wort für »Emmer«, die in beiden Ländern weitverbreitete Weizenart, in beiden Sprachen identisch (aeg. boṭet, hab. buṭuttu). Derartige Beziehungen werden beim Fortschritt der Forschung ohne Zweifel noch vielfach nachgewiesen werden, und dann wird sich auch ein Urteil darüber gewinnen lassen, wer in jedem Einzelfalle der Gebende, wer der Nehmende gewesen ist (vgl. auch § 200). Daß im allgemeinen den Aegyptern der Vorrang zu kommt, wenn sie auch in alter Zeit so gut wie später gar manches aus der Fremde entlehnt haben mögen, ist schon aus chronologischen Gründen sicher; und vollends die Annahme, daß die gesamte aegyptische Kultur aus Babylonien abzuleiten sei, ist ein Wahngebilde moderner Phantasten. Vielmehr kann unbedenklich als geschichtlich feststehend ausgesprochen werden, [167] daß beide Kulturen sich in allen entscheidenden Momenten unabhängig voneinander entwickelt haben.


Über Byblos (jetzt auch in der Sinuhetgeschichte: GARDINER, Ber. Berl. Ak. 1907, 148 und Rec. 32, 21f., vgl. § 289) vgl. ERMAN, ÄZ. 42, 109, der mit Recht hervorhebt, daß die ganz archaische Wiedergabe des einheimischen Namens Gubal durch Kpnj das hohe Alter der Beziehungen beweist (die bekanntlich auch im Pap. EBERS erwähnt werden). SETHE, ÄZ. 45, 7 deutet auch das alte Wort kbnt (im Neuen Reich kpnt) für »Seeschiff« als »Byblosfahrer« und nimmt als älteste aegyptische Form des Namens Kbn an, daß Kubl = semit. Gubl zu sprechen sei; er weist die »Ḥatḥôr (Herrin) von Kbn (Byblos), die die Steuerruder dieser Schiffe (der Schiffe des Toten) macht«, auf Särgen der 12. Dynastie nach. Vgl. auch §§ 253. 265. – Über Bier und Emmer s. den sehr ergebnisreichen Aufsatz von HROZNÝ. Über das Bier im alten Babylonien und Aegypten, Anzeiger Wien. Ak. phil. Cl. 1910, Dez., dessen Inhalt versehentlich auch schon in § 200 A. besprochen ist.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 163-169.
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