Der Peloponnes. Arkadien und Elis

[450] Im Peloponnes hat der Friede von 366 den inneren Wirren kein Ende gemacht. In Korinth versuchte der Führer des Söldnerkorps Timophanes, selbst ein Mitglied der herrschenden Aristokratie, sich zum Tyrannen zu machen, beseitigte die gefährlichsten Gegner und besetzte die Burg; aber sein eigener Bruder Timoleon, der die Bürgerpflicht des Tyrannenmordes höher stellte als die Bande des Bluts, überfiel ihn und ließ ihn durch seine Genossen niederstoßen815. In Sikyon gelang es dem Euphron (o. S. 434), in dem Parteihader, dem der thebanische Kommandant auf der Burg untätig zusah, zurückzukehren und die Herrschaft der Demokratie wiederherzustellen; er war dabei von Athen aus mit Söldnern unterstützt worden. Jetzt war sein Ziel, die Thebaner loszuwerden; er ging nach Theben, um zu erreichen, daß man ihm die Burg übergebe, indem er sich als den treuen Genossen der Böoter hinstellte. Jedoch er wurde vor den Augen des Rats, mit dem er verhandelte, auf der Kadmea von sikyonischen Exulanten erschlagen (etwa 364). Die Thebaner billigten die Tat und erklärten Euphron für einen Tyrannen und Verräter; der Demos von Sikyon [450] dagegen feierte ihn als den Befreier und bestattete ihn auf dem Markt als seinen Schutzheros. Seine Anhänger und Nachkommen haben die leitende Stellung in der Stadt dauernd behauptet. Die thebanische Besatzung freilich scheint in der Stadt geblieben zu sein816. – Folgenschwerer war der Hader zwischen Elis und Arkadien. Elis war von den Arkadern, zu deren Befreiung es so eifrig mitgewirkt hatte, durch die Einverleibung eines großen Teils seiner alten Untertanenlande aufs schwerste verletzt worden; seit 368 hatte es sich daher vom Kriege zurückgezogen, wohl aber vom Perserkönig einen seinen Ansprüchen günstigen Bescheid erwirkt. Der Gegensatz gegen Arkadien hatte zur Folge, daß wie in den Achäerstädten so auch in Elis die Aristokraten an der Herrschaft blieben817. Jetzt, im J. 365, hielten sie die Zeit für gekommen, mit Gewalt vorzugehen; sie überfielen den von Arkadien besetzten Ort Lasion (o. S. 418). Die Arkader schlugen sie zurück, eroberten ihr gesamtes Gebiet und drangen in die Stadt Elis ein. Hier wurden sie freilich herausgeschlagen; aber die Untertanen der pisatischen Landschaft wurden jetzt aufs neue als selbständiges Gemeinwesen konstituiert. In Elis versuchten die Demokraten die Herrschaft zu gewinnen und dann mit Arkadien in enge Verbindung zu treten; doch wurden sie überwältigt und mußten nach Pylos am oberen Peneios flüchten. Die Achäer hatten den Eliern bereits Hilfe geleistet – die Arkader rächten sich dadurch, daß sie, gestützt auf ihre Verbindungen mit den Demokraten, einen Handstreich auf Pellene versuchten –; jetzt schloß Elis ein Bündnis mit Sparta, während Athen den Arkadern vertragsmäßig, wenn auch widerwillig genug, ein Reiterkorps zu Hilfe schickte. Im J. 364 wurden die Elier von neuem geschlagen; aber die Spartaner unter Archidamos machten ihnen dadurch Luft, daß sie in Arkadien einbrachen und die Bergfeste Kromnos im Quellgebiet des Alpheos besetzten.[451] Jetzt wandten sich freilich die Arkader gegen sie, verstärkt durch Zuzüge von Messenien, Argos und Theben – Athen hatte sich vorbehalten, bei einem Krieg gegen die ihm gleichfalls verbündeten Spartaner fernzubleiben. Sie schlossen den Ort ein und brachten die drei hier liegenden Lochen in große Not; Archidamos, der Entsatz bringen wollte, erlitt eine Niederlage und wurde selbst verwundet. Schließlich gelang es wenigstens einem Teil der Besatzung durchzubrechen, die übrigen, über 100 Spartiaten und Periöken, mußten sich ergeben818. – Währenddessen hatten die Elier einen Teil ihres Hinterlandes wiedererobert und die Demokraten in Pylos bewältigt und zusammengehauen. Als jetzt die Pisaten, von den Arkadern mit der Leitung des Olympischen Heiligtums betraut, im Hochsommer 364 die Festspiele feierten, brachen die Eher in die Feier ein; auf dem heiligen Boden, inmitten der Tempel und Hallen, kam es vor den Augen der aus ganz Hellas zusammengeströmten Festversammlung zu einem blutigen Kampf. Schließlich schlugen die Arkader den Angriff ab; aber sie wagten nicht, weiter vorzudringen, und die Elier konnten ungehindert in ihre Stadt zurückkehren819.

Diese Vorgänge brachten in Arkadien selbst die inneren Gegensätze zum Ausbruch. Die alte Rivalität zwischen Mantinea und Tegea war durch die Union wohl zeitweilig überbrückt, aber nicht aus der Welt geschafft worden. Mantinea hatte in dem Bundesstaate zunächst die Führung gehabt; nach Lykomedes' Tode (o. S. 435f.) mag es durch die Majorität der anderen zurückgedrängt sein, so daß es bei den jetzigen Zuständen nicht mehr seine Rechnung fand. Die Arkader hatten bei der Okkupation Olympias die Tempelschätze mit Beschlag belegt – ein Gedanke, der schon beim Ausbruch des Archidamischen Kriegs aufgetaucht [452] war; auch in Delphi hatte man im J. 370 von Iason nichts anderes erwartet, und Theben hatte 370 eine Anleihe in Olympia erhoben (o. S. 411f.). Das Gold hatte man von dem Pisatenstaat ausprägen lassen und zur Löhnung des Eparitenkorps (o. S. 418) verwendet. Jetzt erklärten die Mantineer, daß sie an diesem Frevel nicht länger teilhaben wollten; statt dessen brachten sie ihren Beitrag zu den Kriegsgeldern durch eine Steuer auf. Die Bundesregierung sah darin mit Recht die Ankündigung einer Separation; sie schritt mit großer Energie gegen Mantinea ein. Aber dies schloß ihren Schergen die Tore; und auch anderswo begann jetzt das Gewissen zu schlagen über die Vergreifung am nationalen Tempelgut. Die Versammlung der Zehntausend desavouierte ihre Beamten und beschloß, die heiligen Gelder nicht länger anzutasten. Die Folge war, daß die Epariten sich verliefen, weil sie jetzt keinen Lohn mehr erhielten; statt ihrer stellten die Wohlhabenden sich in Menge zur Aushebung, um sich so des Regiments zu bemächtigen. Die bisherige Regierung, die ihr Leben in Gefahr sah, wandte sich um Hilfe nach Theben; die übrigen Peloponnesier vermittelten und brachten noch einmal einen Frieden zustande. Die Arkader ließen den Pisatenstaat fallen, da der Besitz Olympias jetzt für sie keinen Wert mehr hatte, und gaben zu, daß Elis die Leitung der Spiele wieder übernahm; den Böotern wurde erklärt, daß man ihrer Hilfe nicht mehr bedürfe (363 v. Chr.). Doch die bisherigen Machthaber konnten sich damit nicht zufrieden geben; unter Mitwirkung eines von den Böotern einstweilen vorausgesandten Korps von 300 Hopliten überfielen sie auf dem Bundestage in Tegea die Versammlung und nahmen die Häupter der aristokratischen Partei aus allen Städten fest. Aber sie hatten den Mut nicht, den Staatsstreich bis zum Ende durchzuführen, zumal da von den Mantineern, auf die man es vor allem abgesehen hatte, die meisten entkommen waren; als sich die heftigsten Beschwerden erhoben, stimmte auch der thebanische Truppenführer für die Freigabe der Gefangenen. Jetzt beschwerte sich der Arkadische Bund in Theben. Aber er erhielt keine Genugtuung. Vielmehr erklärte Epaminondas, der böotische Offizier würde besser getan haben, die Gefangenen festzuhalten: Arkadien habe die Böoter um Hilfe gerufen; es sei offener Bundesbruch, [453] wenn es jetzt ohne ihre Zuziehung Frieden schließe. So werde er selbst in den Peloponnes ziehen, um mit denen, die treu geblieben seien, den Krieg fortzuführen. Die Folge war, daß die Einheit Arkadiens auseinanderbrach. In Tegea, Megalopolis und den meisten anderen Städten gewannen die Demokraten die volle Herrschaft; die Gegner scharten sich um Mantinea. Jeder der beiden Teile behauptete, den wahren Arkadischen Bund zu repräsentieren, den die Gegner vergewaltigen wollten. Tegea und seine Genossen wandten sich um Hilfe nach Argos, Messene und Böotien, Mantinea schloß ein Bündnis mit den Gegnern der arkadischen Expansionsgelüste Elis, Achaia und Sparta. Auch Athen trat natürlich auf diese Seite; dadurch war es diesmal in der Lage, die übernommenen Bundespflichten zugleich gegen Sparta und gegen Arkadien zu erfüllen820.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 51965, Bd. 5, S. 450-454.
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