Die Stellung der Perser

[26] Das Weltreich der Achämeniden war zugleich ein nationaler Staat. Auch wenn sie fern von der Heimat residierten und alle Völker Asiens ins Feld führten, haben die Großkönige doch nie [26] vergessen können, wo die Wurzeln ihrer Kraft lagen. »Die Lanze des persischen Mannes ist weithin gedrungen«, rühmt Darius in seiner Grabschrift; »der persische Mann hat fern von Persien Schlachten geschlagen«, »er zittert vor keinem Feinde«. In den Palastinschriften von Persepolis betet Darius für sein Land und sein Volk, voll Stolz rühmt er sich seiner Abstammung aus dem persischen Königsgeschlecht. – Erst durch Kyros sind alle persischen Stämme geeinigt worden; dadurch wird es sich erklären, daß Kyros vor der Besiegung des Astyages König von Anšan, nachher König von Persien genannt wird (Bd. III2 S. 182, 2. Den Kern, das eigentliche Persis, bildeten nach wie vor die Stämme, mit denen Kyros den Krieg gegen Astyages geführt hatte. In späterer Zeit und wahrscheinlich von Anfang an standen sie unter einem Statthalter, der an Stelle des abwesenden Königs die Verwaltung leitet. Aber Abgaben zahlten sie nicht; die Kosten der Reichsverwaltung und des Hofhalts wurden aus den Tributen der Untertanen bestritten. Die östlichen Stämme dagegen, die Sagartier, Karmanier, Utier, bilden einen besonderen Steuerbezirk, die Provinz Karmanien (s.o. S. 17, 1)24. Damit wird es zusammenhängen, daß hier bei den Utiern (Jautija) die Empörung des Vahjazdâta, des zweiten falschen Smerdis, ihren Hauptsitz hatte.

Für sein Volk ist der König das von Ahuramazda gesetzte Oberhaupt. Die Perser schwören, ihrem König treu zu Diensten zu sein25, der König gelobt, jeden Angriff auf ihr Land und seine Ordnungen abzuwehren. Nicht für sich und seine persönlichen Interessen betet der Perser zur Gottheit, sondern für das Wohl des ganzen Volks und des Königs26. Wer dem König bei einer Ausfahrt begegnet, bringt ihm das Beste, was er besitzt, die [27] schönsten Erzeugnisse seines Gartens und seiner Felder27. Auch vor kurzem noch erwartete der Schah am Neujahrstage und sonst bei festlichen Anlässen oder außerordentlichen Ausgaben reiche Geschenke von seinen Magnaten. Dafür spendet der König seinem Volk aus seinen Schätzen mit freigebiger Hand. Meist hält sein Amt den Weltherrscher der Heimat fern; kehrt er in sie zurück, so erhalten alle Perser und Perserinnen Geschenke, vor allem die Frauen der Pasargaden, der Stammesgenossen des Herrscherhauses, jede ein Goldstück – die Legende erklärt das dadurch, daß die pasargadischen Frauen in dem letzten Entscheidungskampf gegen die Meder die schon weichenden Perser zum Stehen gebracht hätten28. Hier in seinem Heimatgau hat sich Kyros sein Grab gebaut und eine Stadt angelegt, die den Stammnamen trägt. In dem Heiligtum einer kriegerischen Göttin, die hier verehrt wird (Anaitis?), erhalten die Herrscher die Königsweihe29; sie bekleiden sich mit dem Gewande des Kyros und kosten von den Gerichten, die der alten einfachen Zeit als Nahrung dienten, einem Feigenbrei, Terebinthen und saurer Milch. – Im Mittelpunkt der hohlen Persis, am Pulvâr, hat Darius eine neue Hauptstadt für das gesamte Volk geschaffen. Auf hoher befestigter Terrasse am Fuß der Berge erbaute er einen Palast mit einem großen Säulensaal und einem Schatzhaus, dem Xerxes weitere Prachtbauten hinzugefügt hat, die freilich niemals vollendet worden sind – die Herrscher [28] konnten eben die Metropole ihres Volkes nur äußerst selten aufsuchen und haben daher für die Vollendung der von ihnen befohlenen Bauten wenig Interesse gezeigt. Ihre Gräber dagegen haben sie alle in der Heimat angelegt. Oberhalb von Persepolis hoch in einer steilen Felswand liegt das Grab des Darius, teils daneben, teils unmittelbar über der Stadt die seiner Nachfolger. Es ist bezeichnend für den raschen Übergang aus den einfachen Zuständen eines Bauernvolkes, das nur Dörfer kannte, zu größeren kultivierten Verhältnissen, daß auch diese Stadt ihren Namen dem Volk entlehnt: als »dieses Persien« (anâ Pârsâ tja) bezeichnet sie Xerxes (Pers. a 3), »zu den Persern« (ἐς Πέρσας) sagen die Griechen, wenn sie von der Stadt sprechen. Später haben sie dafür den Namen Persepolis gebildet30. Auch andere Bauten der Könige werden erwähnt, so ein Schloß in Gabä im Berglande (Parätakene, = Isfahan), ein anderes in Taoke am Meer, in der Nähe von Bender Buschehr (Strabo XV 3, 3).

So unumschränkt der König über das Weltreich gebietet, seinen Persern gegenüber ist er durch Recht und Herkommen gebunden. Alle wichtigen Angelegenheiten berät er mit den Häuptern des Volks und den Heerführern gemeinsam; daraus ist die königliche Ratssitzung (s.u. S. 39) hervorgegangen. Unter den großen Familien stehen die Häuser der sechs Männer obenan, die mit Darius zusammen den Magier ermordet und die Herrschaft der Achämeniden wiederhergestellt haben. Ihnen hat Darius die höchsten Ehren gewährt; am Schlusse der Bisutuninschrift legt [29] er ihr Wohlergehen seinen Nachfolgern ans Herz. Sie haben unangemeldet Zutritt zum König, nur aus ihren Häusern und aus dem Herrschergeschlecht soll der König seine Gemahlin nehmen (Herod. III 84); sie und ihre Nachkommen erhalten die wichtigsten und einträglichsten Statthalterschaften des Reichs. Sie alle sind mit reichen Landschenkungen in den Provinzen ausgestattet worden, so nachweisbar das Haus des Otanes, das auch sonst noch besondere Privilegien besaß (s.u. S. 56), in Kappadokien, das des Hydarnes in Armenien. Offenbar haben diese Magnaten in dem König mehr ihresgleichen als ihren Herrscher gesehen; die Sage erzählt, wie einer von ihnen, Intaphrenes (Vindafrâna), durch Anmaßung und jähzorniges Aufbrausen gegen Darius sich und seinem Hause den Untergang bereitet habe (vgl. u. S. 41, 1)31. – Die Rechtsprechung liegt in den Händen königlicher Richter, der »Rechtsträger« (dâtabara, das wäre griechisch ϑεσμοφόρος), die vom König auf Lebenszeit ernannt werden und nur wegen Verbrechen oder Bestechung abgesetzt werden dürfen. Nicht selten [30] vererbt sich ihr Amt auf ihre Söhne. Sie wachen über die Beobachtung der ererbten Satzungen und geben dem König in schwierigen Fällen Rechtsbelehrung32. Freilich steht daneben der Satz, daß der König tun darf, was er will; aber der echte König wird jede Willkür meiden und die Gebote Ahuramazdas und das Recht seines Volkes nie verletzen. Es sind Verhältnisse, wie sie sich später im makedonischen Reich und sonst überall entwickelt haben, wo ein Volkskönigtum zu einer größeren festbegründeten Monarchie erwachsen ist33.

Dem Könige zu dienen ist die Pflicht und der Stolz des Persers. Im Kriege folgt jeder waffenfähige Mann dem Ruf zu den Waffen: die Grundbesitzer und der Adel dienen zu Roß, der gemeine Mann zu Fuß. Im Frieden wird für die Besatzung der Provinzen und den Schutz des Königs und der Hauptstädte aus Persern und Medern ein stehendes Heer ausgehoben, dessen Kern die Gardereiterei und das Fußvolk der zehntausend »Unsterblichen« bildet, deren Zahl stets voll erhalten wird. Tausend von ihnen bilden die Leibwache des Königs und lagern im Palast; als Abzeichen tragen sie goldene Äpfel auf den Lanzenschäften. Ihr Kommandant, der Chiliarch, ist einer der höchsten Beamten des Reichs34. Im Frieden lebt der [31] persische Bauer, der sich seinen Unterhalt selbst beschaffen muß, in der Heimat auf seinen Feldern und Gärten; von den Wohlhabenden und Vornehmen dagegen verlangt der König, daß sie so oft wie möglich an seinem Hof erscheinen und stets seiner Befehle gewärtig sind. Die jungen Perser aus den besseren Häusern wachsen nicht daheim auf dem väterlichen Gut auf, sondern »an den Toren des Königs« zusammen mit den Prinzen und dem Nachwuchs der Beamten und Hofleute. Mit dem fünften oder siebten Jahr beginnt die Erziehung im Bogenschießen und Speerwerfen und im Reiten; den heranwachsenden Knaben bietet die Jagd in den Parks des Königs und den Bergen der Heimat die beste Vorübung für den Krieg. Auch in den Staatsdienst werden sie eingeführt; sie hören den Richtersprüchen zu, sie sehen, wer vom König geehrt, wer bestraft wird, und lernen so von Kindheit auf zugleich befehlen und gehorchen. Daneben werden die Gebote der Religion eingeprägt, die Vorschrift, stets das Rechte zu tun und die Wahrheit zu reden35. Mit dem zwanzigsten Jahre tritt der Perser ins Heer und in die Ämterlaufbahn ein.

Die Weltherrschaft bringt den Persern reichen Gewinn. Freigebig spendet der König aus der Beute und aus den Schätzen, die sich in seinem Palaste sammeln, Ehrenketten und Spangen, Sklaven und goldgezäumte Rosse und gewaltige Summen Edelmetalls. Auch die Verleihung eines selbständigen Truppenkommandos, wohl vor allem als Leibwache, ist ein echt persisches [32] Geschenk, das z.B. auch an Prinzessinnen gegeben wird36. Am einträglichsten aber ist die Verschenkung von Land und Leuten in den Provinzen zu Eigenbesitz. »Kyros hat vielen seiner Freunde in allen eroberten Gebieten37 Häuser (d.h. Güter) und Untertanen geschenkt«, sagt Xenophon, »und noch jetzt gehören ihren Nachkommen die damals verliehenen Besitzungen« (vgl. u. S. 56). Die Masse der Perser bleibt in der Heimat – die Tradition erzählt, daß Kyros den Vorschlag, aus dem kleinen rauhen Heimatlande in reichere Gebiete hinabzuziehen, verworfen habe, weil die Steigerung des Wohlstandes notwendig Verweichlichung und den Verlust der Herrschaft zur Folge haben müsse (Herod. IX 122) –, und auch von den mit fremdem Landbesitz Ausgestatteten berichtet Xenophon, daß sie meist die Erträge daheim am Hofe verzehrten. Aber andere blieben dauernd in der Fremde ansässig; und zahlreiche Perser wurden alljährlich teils als Besatzungsmannschaften und Offiziere, teils als Beamte und Richter in die Provinzen geschickt. So entstehen überall im Reich starke persische Kolonien38.

[33] Die Perser waren, als sie in die Geschichte eintraten, ein gesundes Volk von männlicher Kraft und Schönheit, gehoben durch den Glauben an die reine Lehre der Offenbarung Ahuramazdas, ausgezeichnet ebensosehr durch Mut und Tapferkeit wie durch Treue gegen den König, durch Ehrgefühl und Wahrheitsliebe, und nicht am wenigsten durch den Edelmut, den sie in allen Kriegen den Besiegten gegenüber gezeigt haben, sehr im Gegensatz zu der brutalen semitischen Kriegführung. In der Heimat hat sich die alte Schlichtheit und Gradheit lange erhalten. Die Masse der Perser waren Bauern, die ihre Felder selbst bestellten39; dem Wein sprach man gern und reichlich zu und pflegte dabei die wichtigsten Angelegenheiten gemeinsam zu beraten; was beim Trunke beschlossen war, wurde wie bei den Germanen am nächsten Morgen nüchtern noch einmal geprüft (Herod. I 133). Dagegen nahm man am Tage nur eine Mahlzeit (Xen. Cyrop. VIII 8, 9). Schulden zu machen galt als schimpflich, die Lüge nach Zarathustras Gebot als ein verabscheuungswürdiges Verbrechen (Herod. I 138). Im Kampf sich auszuzeichnen und viele Kinder zu haben war der höchste Ruhm und wurde vom König belohnt (Herod. I 136). Aber man war eingetreten in den Kreis der alten Kulturvölker; mit den Errungenschaften der Zivilisation, die man nicht entbehren konnte, drangen auch ihre Unarten ein. Es ging den Persern wie später den Arabern; gerade die freie weitherzige Art, mit der sie ihre Aufgabe erfaßt haben, machte sie fremden Einflüssen um so zugänglicher. »Am meisten von allen Menschen nehmen die Perser fremde Sitten an«, sagt Herodot40. Schon unter Darius finden wir in Ägypten einen persischen Heerführer aus dem Stamm der Maraphier, der den Namen Amasis trägt (Herod. IV 167); und so werden wohl gar manche Persönlichkeiten der Perserzeit mit babylonischen und westsemitischen Namen, deren Siegel uns erhalten sind Perser gewesen sein. Die fremden Einwirkungen auf [34] die persische Religion werden wir später noch kennenlernen. Neue Lebensgenüsse werden zugänglich; Luxus und Weichlichkeit, Schlemmerei und Ausschweifungen aller Art finden in den höheren Kreisen Eingang. Dazu kommen die verhängnisvollen Wirkungen der Politik, die Versuchung, nach außen und innen die gewonnene Stellung durch List und Verrat zu behaupten. König Darius ermahnt in seiner Grabschrift die Menschen, sich Ahuramazdas Geboten nicht zu widersetzen, den geraden Weg nicht zu verlassen, nicht ungerecht zu sein; er schärft seinen Nachfolgern ein, sich vor der Lüge zu hüten und den Lügner schwer zu strafen, wenn sie wollen, daß ihr Reich unversehrt bleibe (Bis. IV 14); er hat fest geglaubt, nur den Willen der Gottheit zu vollziehen, wenn er die Betrüger, die sich für Erben der alten Herrscher ausgaben, unter Martern hinrichten ließ, aber auch er hat bei der Ermordung des Magiers und der Eroberung Babylons der Überlieferung nach den Trug nicht gescheut, ja die Tradition legt ihm hier einen sehr bedenklichen Sophismus zur Verteidigung der Lüge in Notlagen in den Mund (Herod. III 72). Nicht selten bietet die persische Geschichte wie die Spartas und Roms das Schauspiel, daß ein vornehmer Mann zwar dem Schein nach sein Wort hält, jedoch tatsächlich den schnödesten Treubruch begeht. Aber daneben hat es nie an Männern gefehlt, die, wie Megabyzos nach der Besiegung des Inaros, um ihrer Ehre willen ihre Existenz aufs Spiel setzten, und ebensowenig an solchen, die für die Sache und die Person des Königs freudig ihr Leben hergaben41.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 26-35.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon