Entdeckungsfahrten und Eroberungen im Osten

und Süden. Indien. Der Suezkanal

[90] Mit Kambyses' Tod war die Zeit der Eroberungen zu Ende; der Ausbau des Reichs und die Erschließung seiner Kräfte waren die Aufgaben, die seinem Nachfolger gestellt waren. Nachdem er die Rebellionen niedergeworfen und die Grundzüge der Organisation geschaffen hatte, galt es vor allem, die Reichsgrenzen sicherzustellen133. Das ist das Ziel, dem Darius' kriegerische Unternehmungen galten; er stand auch auf diesem Gebiet vor denselben Aufgaben, die Augustus im Römerreich durchgeführt hat. Im Osten hat er das nordindische Grenzland dem Reich einverleibt. Schon Kyros scheint die indischen Stämme am Paropanisos (Hindukusch) und im Kabultal, vor allem die Gandarer, unterworfen zu haben; Darius ist an den Indus selbst vorgedrungen. Den nächsten Antrieb für die Eroberung bot das Gold, das hier zu gewinnen [90] war, teils aus den Flußtälern des Hindukusch und Himalaja, teils aus dem von Murmeltieren durchwühlten Goldsand der tibetischen Wüste, den die indischen Karawanen herbeiführten. Daher sind auch die schwer zugänglichen Gebirgsländer von Kafiristan und Kaschmir (ind. Kašmîra, wahrscheinlich die in der fünfzehnten Satrapie mit den Saken verbundenen Κάσπιοι oder Κάσπειροι) wenigstens zum Teil unterworfen worden. Der hohe Goldtribut, den Indien alljährlich lieferte, für die Einwohner mehr eine Natural- als eine Geldsteuer, ist schon erwähnt worden (o. S. 80)134. Als der Stamm, der das Wüstengold sammelt, werden die Darden im heutigen Dardistan westlich vom Indusdurchbruch genannt135.

Das Flachland am Fuß der iranischen Randgebirge, der Solimankette, bis zum Indus, hat Darius jedenfalls zur Provinz gemacht136; den großen Strom dagegen hat er schwerlich überschritten. Doch haben die jenseitigen Stämme bis an die große Wüste, die das Stromgebiet des Indus von dem des Ganges scheidet, von der persischen Macht einen lebendigen Eindruck erhalten; noch in weit späterer Zeit kamen Gesandtschaften ihrer Häuptlinge mit Geschenken an den Perserhof137. Zum erstenmal trat eine Macht der westlichen Welt in unmittelbare Berührung mit dem großen Kulturvolk des Ostens, und rasch verbreitete sich über das ganze Abendland bis zu den Griechen die Kunde von den zahllosen Völkerscharen des fernen Landes am Sonnenaufgang, von den Wundern [91] seiner Tier- und Pflanzenwelt, von seinem Reichtum an Gold und wertvollen Produkten, von den fremdartigen Sitten und Anschauungen seiner Bewohner, von den noch auf ganz roher Kulturstufe stehenden Stämmen des Innern weit im Südosten – alles umrankt von den Gebilden der Phantasie, welche die Inder in reicher Fülle geschaffen hatten und die Abendländer ausmalten und durch eigene Zutaten erweiterten. – Auch bei den Indern machte sich die Einwirkung des großen Kulturstaats und seiner Zivilisation geltend. Ein Verkehr mit dem Westen, namentlich zur See mit Babylonien, hatte zu allen Zeiten bestanden; wie das babylonische Gewicht und vielleicht einzelne babylonische Sagen haben die indischen Kaufleute auch die kaufmännische Buchstabenschrift schon früh, wahrscheinlich bereits im 9. oder 8. Jahrhundert, nach Indien gebracht und hier weit jenseits der Gebiete der Keilschrift dem phönikischen Alphabet ein neues gewaltiges Gebiet zugeführt. Die brahmanischen Priester haben aus ihr ein methodisch durchgebildetes, auf scharfer Lautbeobachtung beruhendes Schriftsystem (das Brahmî) entwickelt, das Mutteralphabet der heutigen indischen Schrift. In der persischen Zeit fand daneben die aramäische Schrift und die in ihr gebräuchlichen Zahlzeichen im westlichen Indien (dem Kabulgebiet und dem Pendjab) Eingang und wurde unter dem Einfluß des Brahmî umgestaltet (die Kharosthî-Schrift). Den gangbarsten Namen für Schrift und Inschrifttafel (dipi, lipi) haben die Inder dem persischen (dipi) entlehnt. Auch die Münzen lernte man kennen und eignete sie sich an. Im westlichen Indien haben sich zahlreiche persische Silbermünzen mit Kontermarken in einheimischer Schrift gefunden. Neben dem persischen drang im 4. Jahrhundert das attische Geld ein; wiederholt haben die Inder attische Drachmen nachgeprägt. Durch sie lernten sie auch die griechische Schrift kennen, die dem Grammatiker Pânini (um 350) bereits bekannt ist. Daneben finden sich seit dem 4. Jahrhundert im Pendjab, namentlich in der Stadt Taxila, viereckige Silberstücke nach indischem Fuß, die von den Kaufmannsgilden ausgegeben wurden und ihre Namen tragen138.

[92] Bei der Unterwerfung der indischen Grenzlande hat Darius weitergehende Pläne verfolgt als die Eroberung einer neuen Provinz und die Gewinnung eines Goldlandes. Von Kaspapyros (Kabul) aus entsandte er eine Flotte unter Führung des karischen Schiffskapitäns Skylax von Karyanda den Kabulfluß (Kophen) und den Indus hinab zu einer großen Entdeckungsfahrt auf dem Ozean. »Von der Indusmündung«, erzählt Herodot (IV 44), »fuhr Skylax durch das Meer nach Westen und gelangte im dreißigsten Monat an die Stelle, von der der Pharao Necho die Phöniker zur Umschiffung Afrikas entsandt hatte (d.h. nach Suez). Nachdem er die Umschiffung vollendet hatte, unterwarf Darius die Inder und nahm das Meer in Benutzung.« Die Zuverlässigkeit dieses Berichts ist oft in Zweifel gezogen. Aber Skylax hat die »Küstenbeschreibung des äußeren Meeres«, d.h. des Indischen und Atlantischen Ozeans, selbst in griechischer Sprache herausgegeben und dabei von den Indern und den Wundern und Fabeln ihres Landes berichtet139. Die Umschiffung Arabiens ist durch die Inschriften am[93] Suezkanal urkundlich bezeugt; so kann es nicht zweifelhaft sein, daß auch die Strecke von Karmanien bis Indien erforscht und befahren ist140. – Die Ergänzung der Fahrt des Skylax bildete die Durchführung des schon ein Jahrhundert vorher von Necho begonnenen Werks eines Schiffahrtskanals vom Nil zum Roten Meer. Der Kanal zweigte sich bei Bubastis vom Nil ab und ging durch das von Ramses II. erschlossene und besiedelte Wadi Tumîlât, einen tiefen Einschnitt in das Wüstenplateau, an Pitom (Patumos) und Sukkot vorbei zum Bittersee auf dem Isthmus von Suez und von hier zur Nordspitze des Roten Meers. »Der Kanal ist vier Tagfahrten lang«, berichtet Herodot II 158, »und so breit gegraben, daß zwei Trieren rudernd nebeneinander fahren können; sein Wasser erhält er vom Nil141.« An seinem rechten Ufer erhoben sich an vier Stellen gewaltige Denkmäler mit Inschriften in Keilschrift und Hieroglyphen, von denen uns nur wenige Trümmer erhalten sind. »Ich befahl«, sagt Darius in der einen, »diesen Kanal zu graben vom Fluß Pirâva (dem Nil), der in Ägypten fließt, zum Meer, das von Persien kommt. Dieser Kanal wurde gegraben. Darauf befahl ich (zu ergänzen ist etwa, daß Schiffe auf diesem) Kanal nach Persien (fahren sollten) ...« In einer der hieroglyphischen Inschriften war die Fahrt ausführlich beschrieben; zweimal ist der Name Saba (Šabat) erhalten, wo die Flotte offenbar angelegt und Handelsbeziehungen angeknüpft hat. In den Trümmern der anderen Inschrift erkennt man die Worte »nie geschah desgleichen« und »sie gelangten nach Persien«142.

Nirgends vielleicht tritt die Weltstellung des Perserreichs unter Darius so großartig hervor wie in diesen Unternehmungen. Der [94] Indische Ozean, die Südgrenze des Reichs, sollte eine große Handelsstraße werden, Indien, das bisher nur durch die Kabulpässe mit dem Reich in Verbindung stand, auch von Süden her erschlossen und dem großen Handelsgebiet angegliedert werden, das im Perserreich zu einem großen Kulturstaate mit einheitlicher Regierung, einheitlicher Münze und großen gesicherten Straßen zusammengefaßt war. Zugleich wurde dadurch die persische Heimat und die Hauptstadt Susa dem Welthandel nähergerückt und von der Abhängigkeit von Babylon befreit. Die Schiffe konnten an den persischen Küsten anlegen und in den See einlaufen, in dem die Wasser des Tigris, Choaspes und Euläos sich damals vereinigten143 – die Weiterfahrt den Fluß hinauf nach Susa wird durch Stromschnellen gehemmt144. Daran schlossen sich noch weitergehende Pläne. Wie Darius eine Expedition unter Demokedes zur Erforschung der unteritalischen Küste entsandte, hat sein Sohn Xerxes den Achämeniden Sataspes zur Sühne eines Vergehens beauftragt, Afrika von Westen aus zu umschiffen, offenbar im Anschluß an die gleichartigen Unternehmungen der Karthager (u. S. 639f.): die Fahrt der Phöniker unter Necho sollte in umgekehrter Richtung wiederholt, ganz Afrika in die Verbindung mit dem Achämenidenreich einbezogen werden. Aber Sataspes versagte der Mut für das gewaltige Werk; als die trostlosen ozeanischen Küsten der Sahara kein Ende zu nehmen schienen, ist er wieder umgekehrt. Er mußte seinen Ungehorsam mit dem Tode büßen145.

Eine kräftige, zielbewußte Regierung konnte dem Handel neue [95] Bahnen zuweisen und den privaten Unternehmungsgeist mächtig zu fördern versuchen. Als die Herrschergewalt erschlaffte und der Verfall eintrat, sind diese Ansätze verkümmert. Die persischen Küsten sind zu trostlos, als daß sie ein Sitz des Welthandels hätten werden können; Babylonien hat hier immer seine herrschende Stellung bewahrt. Zwar gab es in Persien auch später noch einzelne Hafenorte, und bei der Insel Margastana an der susischen Küste fand Nearch den Weg durch die Untiefen und Klippen durch Pfähle bezeichnet. Auch hat der Handel auf dem Meerbusen nie ganz aufgehört, die Perlenfischerei wurde betrieben, Zimt und Weihrauch von den arabischen Küsten bezogen146. Die Bedeutung der Bahreininseln Tylos und Arados und des ihnen gegenüber an der arabischen Küste gelegenen Emporiums Gerrha (jetzt' Okeir)147, das wohl schon in Nebukadnezars Zeit hinaufragt (Bd. III2 S. 174, hat in der Perserzeit jedenfalls zugenommen. Die Karawanen der Gerrhäer brachten die Waren Arabiens, vor allem den Weihrauch von Hadramaut und Saba, zusammen und vertrieben ihn über See nach Babylonien und durch die Wüste nach Petra und Palästina. Aber aus den persischen Provinzen wagte kein Mensch mehr die Fahrt um Arabien; dem Alexander konnte Nearch erklären, sie sei »wegen der Hitze und der Einöde unmöglich«. Zu Herodots Zeit wurde der Suezkanal noch befahren; dann ist er verfallen und versandet. Das wiederhergestellte Pharaonenreich des 4. Jahrhunderts hatte kein Interesse daran, ihn instand zu halten. Daher konnte die Erzählung entstehen, die wir zuerst bei Aristoteles finden, Darius habe den Kanal überhaupt nicht ausgeführt, weil seine Ingenieure glaubten, der Spiegel des Roten Meeres liege höher als das Niltal148. So ist es gekommen, daß [96] Alexander und seine Nachfolger die Unternehmungen und Entdeckungen noch einmal machen mußten, die von denselben Gedanken beherrscht bereits Darius ausgeführt hatte. Erst der zweite Ptolemäos hat den Kanal vom Nil zum Roten Meer wiederhergestellt, Arabien umschiffen lassen und aufs neue eine direkte Handelsverbindung mit Indien angeknüpft149.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 90-97.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Lotti, die Uhrmacherin

Lotti, die Uhrmacherin

1880 erzielt Marie von Ebner-Eschenbach mit »Lotti, die Uhrmacherin« ihren literarischen Durchbruch. Die Erzählung entsteht während die Autorin sich in Wien selbst zur Uhrmacherin ausbilden lässt.

84 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon