Die Schlacht bei Salamis

[361] Durch den Sieg von Thermopylä und Artemision lag Mittelgriechenland dem Heer des Xerxes offen. Die persisch Gesinnten nahmen ihn mit Freuden auf, vor allem die Thebaner, deren Kontingent während des letzten Kampfes im Engpaß zu ihm übergetreten war; das Gebiet der Gegner wurde verwüstet, die phokischen Ortschaften, Thespiä, Platää in Brand gesteckt. Auf den [361] Höhen des Parnaß und im abgelegenen Lokris hielten sich versprengte phokische Scharen434; dagegen kann kein Zweifel sein, daß Delphi sich den Persern angeschlossen hat. Die Späteren haben sich gewundert, warum die reichen Schätze des Heiligtums nicht von den Persern geplündert worden sind, und die Delpher hatten das lebhafteste Interesse daran, ihre Haltung im Nationalkrieg zu verschleiern. So ist die Legende entstanden, daß die Perser zwar einen Raubzug gegen Delphi unternommen, die Götter aber das Heiligtum geschützt und die Barbarenschar durch Wunder abgewehrt hätten435. Aber der Glaube der Griechen, die Perser hätten ihre Heiligtümer und Götterbilder prinzipiell bekämpft und zerstört (so schon Äschylos Pers. 809), entspricht den Tatsachen nicht. Wo sie Widerstand fanden, haben sie mit den Städten auch die Tempel in Brand gesteckt; aber im übrigen wollten sie Griechenland nicht verwüsten und vernichten, sondern unterwerfen, und die großen nationalen Heiligtümer waren die besten Stützen ihrer Herrschaft. Der Delphische Gott vollends galt gerade den Stämmen, die sich den Persern angeschlossen hatten, der Mehrheit des Amphiktionenbundes, als die heiligste Gottheit, und hatte überdies eifrig für die persische Sache gewirkt; wie hätte es Xerxes in den Sinn kommen können, sein Heiligtum zu plündern?

Nach der Auffassung der Folgezeit, die durch den Sieg von Platää bestimmt ist, wäre es jetzt die Pflicht der Griechen gewesen, dem persischen Heere am Fuß des Kithäron entgegenzutreten; sie macht den Peloponnesiern schwere Vorwürfe, daß sie das nicht getan und Athen ohne Verteidigung gelassen haben. [362] Aber im Jahr 480 war an ein solches Unternehmen nicht zu denken, schon weil man die Flotte möglichst stark und wehrkräftig zu erhalten hatte; und wie hätte man jetzt, nach der Niederlage an den Thermopylen, den siegreichen Feinden eine offene Feldschlacht anbieten können? Die einzige noch vorhandene Verteidigungslinie zu Lande war jetzt der Isthmos. Hier sammelte sich ein starkes peloponnesisches Heer unter Kleombrotos, dem Bruder des Leonidas, der für dessen unmündigen Sohn Pleistarchos die Regierung führte, und begann Verschanzungen anzulegen; die Gebiete nördlich vom Isthmos waren nicht mehr zu halten. So blieb allen, die sich den Persern nicht unterwerfen wollten, nichts übrig, als schleunigst ihre Familien und ihre Habe über See zu flüchten. Auch für Athen gab es keinen anderen Ausweg. Aber es zeigte sich der Situation gewachsen. Schon vorher hatte man eine allgemeine Amnestie erlassen und auch den Ostrakisierten die Rückkehr gestattet: vor den großen Aufgaben des Augenblicks sollten alle inneren Gegensätze schweigen436. Jetzt hatte man den Mut, der Situation kühn und klar ins Angesicht zu schauen. Um die Zukunft Athens zu retten, gab man Stadt und Land dem Feinde preis. Die wenigen Stimmen, welche von der Heimat nicht lassen wollten und in dem Palisadenzaun der Burg die hölzerne Mauer sahen, auf die Apollo die Athener verwiesen hatte, verhallten ungehört; man beschloß die Auswanderung. Der Areopag beschaffte die nötigsten Geldmittel für die Ausrüstung437, und wetteifernd gingen vornehm und gering, die waffenstolzen Ritter aus den alten Adelshäusern und die Bauern vom Lande so gut wie die Handwerker und Matrosen daran, ein Gebiet von über 40 Quadratmeilen zu räumen [363] und Tausende von Familien in die Fremde zu führen. Weiber und Kinder, Knechte und Habe wurden in Salamis, Ägina, Trözen438 untergebracht; die Männer gingen zur Flotte, wo die herrlichste Aufgabe ihnen winkte. Sollte auch diesmal der Ausgang wider sie entscheiden, so blieb immer noch die Möglichkeit, nach dem Beispiel Phokäas und anderer Ionierstädte der unfrei gewordenen Heimat den Rücken zu kehren und fern im Westen ein neues Gemeinwesen zu gründen439. – In Athen blieben außer einem Teil der ärmsten Bevölkerung nur wenige zurück, die von den heiligen Stätten nicht weichen mochten, darunter die Schatzmeister der Göttin. Sie verschanzten sich auf der Burg und wehrten sich aufs äußerste; die Aufforderung der Pisistratiden, sich zu unterwerfen, wiesen sie zurück. Schließlich wurde der Burgfels erstiegen, die Verteidiger niedergemacht, die Tempel in Brand gesteckt; von den Trümmern nahmen die Emigranten Besitz, die dem Heere des Xerxes gefolgt waren440.

Inzwischen hatte die griechische Flotte bei Salamis Stellung genommen. Die Verluste vom Artemision waren teils durch Ausbesserung der Schäden, teils durch weiteren Zuzug namentlich aus Ägina und dem Peloponnes ausgeglichen. Auch hatten die korinthischen Kolonien Ambrakia und Leukas Schiffe gestellt; aus Kroton nahm Phayllos (o. S. 342) am Kampfe teil. Die kleinen Kykladen Kythnos, Seriphos, Siphnos hatten es sich nicht nehmen lassen, wenigstens Fünfzigruderer zur Flotte zu entsenden. Mit Ausnahme von Keos, das schon beim Artemision mitgekämpft hatte, waren die übrigen Inseln persisch gesinnt; auch die Schiffe von Andros und Tenos stießen wie die von Karystos auf Euböa zu den Persern. Dagegen glaubten die Parier sich für alle Fälle zu sichern, wenn sie, ähnlich den Korkyräern (o. S. 342), ihre Schiffe zurückhielten, und Demokritos von Naxos führte gar die Schiffe seiner Heimatstatt ins persische ins griechische Lager. Ebenso [364] ging das Schiff von Tenos vor der Schlacht zu den Griechen über, wie beim Artemision ein Schiff von Lemnos. Die Versuche des Themistokles, die Ionier zum Abfall zu bewegen, waren dagegen erfolglos; auch diejenigen, welche den Sieg der Volksgenossen wünschten, wagten doch nicht, aufs neue abzufallen. So mag die Flotte annähernd den Bestand vom Artemision wieder erreicht haben; Äschylos, der am Kampf teilgenommen hat, gibt ihr 310 Schiffe441. Die Stellung in dem Sund zwischen Salamis und dem Festland deckte nicht nur die Flucht der attischen Bevölkerung und hemmte das Vordringen der feindlichen Flotte, sondern sie machte auch einen Angriff des Landheers auf die Isthmosstellung unmöglich, da sie dasselbe beim Vormarsch auf der schmalen Küstenstraße in der Flanke und im Rücken fassen konnte. Freilich als man die gewaltigen Massen der feindlichen Armee am jenseitigen Ufer sah, als die persische Flotte in der Bucht von Phaleron vor Anker ging, und vollends als nun auch von der Burg Athens die Flammen aufstiegen, da sank vielen der Mut; sie forderten, man solle sich an den Isthmos zurückziehen unter den Schutz des Landheers und der Verschanzungen. Indessen es war nur zu klar, daß es dann mit dem einheitlichen Widerstand vorbei war: man hätte der persischen Flotte den Weg nach dem Peloponnes freigegeben [365] und damit die Auflösung der eigenen Flotte wie des Landheers unvermeidlich gemacht. Nicht nur die Athener, die Ägineten, die Megarer forderten den Kampf bei Salamis; wer die Situation wirklich überschaute, mußte erkennen, daß man an dem letzten Punkt stand, wo ein Kampf und ein Sieg überhaupt noch möglich war. Daß es im Rat der Strategen heftigen Streit gab, ist nicht unmöglich; aber die Gründe für das Ausharren, die Themistokles darlegte, waren unwiderleglich. Auch war, seit die persische Flotte bei Phaleron lag, ein Rückzug durchs offene Meer für die Griechen gar nicht mehr möglich. Die von attischen Gehässigkeiten aus der Zeit des Peloponnesischen Kriegs arg durchsetzte Tradition bei Herodot stellt die Sache so dar, als sei die Mehrzahl der Griechen und namentlich die Korinther und ihr Admiral Adeimantos voll Angst und zur Flucht entschlossen gewesen. Davon kann keine Rede sein, und Äschylos weiß denn auch nichts davon. Ernst wird die Stimmung der Griechen gewesen sein, aber keineswegs niedergeschlagen und verzweifelt; mit einem Heer, das fliehen will, wird kein entscheidender Sieg erfochten442.

[366] Die Frage war jedoch, ob die Perser sich darauf einlassen würden, die Seeschlacht anzunehmen. War es für sie nicht weit richtiger, die griechische Flotte sich selbst zu überlassen und nach dem Peloponnes zu fahren? Unterwegs, auf offener See, war ein Angriff der Griechen, zumal bei der nautischen Überlegenheit der Phöniker, nicht zu befürchten. War man aber erst an der peloponnesischen Küste, konnte man den bisher durch das starke Heer am Isthmos zur Untätigkeit verurteilten Argivern die Hand bieten und die einzelnen Landschaften von der See aus angreifen, dann blieb Heer und Flotte der Griechen gar nichts anderes übrig als zur Rettung der bedrängten Heimat zu eilen, und Xerxes konnte mit leichter Mühe den Isthmos forcieren und allen weiteren Widerstand ersticken. Allerdings konnte sich auf diese Weise der Krieg noch monatelang hinziehen und noch viel Blut fordern. Jetzt dagegen hatte man die Gelegenheit, mit einem Schlag ein Ende zu machen. Beim Artemision war die Flotte entkommen; bei Salamis gab es, wenn die Perser zum Angriff vorgingen, keine Möglichkeit des Entrinnens mehr. Besorgnis hatte man nicht; war man doch bisher stets siegreich gewesen und hatte den Hauptteil des feindlichen Landes bereits erobert. Gelang es jetzt, die Flotte zu vernichten, so war der Krieg zu Ende und es bedurfte keiner langwierigen Einzelkämpfe mehr. Beides zugleich auszuführen, die griechische Flotte eingeschlossen zu halten und ein starkes Geschwader nach dem Peloponnes zu schicken, war die persische Flotte nicht mehr stark genug443; schon früher hatte Xerxes einen dahingehenden Vorschlag Demarats auf den Einspruch seines Bruders, des Admirals der Flotte Achämenes, verworfen. So entschied er sich für die Schlacht444. Bestärkt in seinem Entschluß wurde er durch eine Botschaft, die ihm, in der Besorgnis, die Perser würden einsichtig genug sein, die Schlacht zu vermeiden, Themistokles durch einen treuen Sklaven Sikinnos sandte, die Griechen wären unter sich uneins und entschlossen zu fliehen, er [367] selbst sei den Persern geneigt; der König möge also angreifen und sich den leichten Sieg nicht entgehen lassen445. Das klang wahrscheinlich genug; Xerxes mochte schon längst erwartet haben, daß die Griechen mürbe werden würden. So gab er Befehl, in der Nacht alle Ausgänge der griechischen Stellung zu sperren und am nächsten Morgen den Angriff zu beginnen; gleichzeitig setzte sich das Landheer gegen den Isthmos in Bewegung.

Die griechische Flotte lag in der etwa, 500 Meter breiten, tief in die Ostküste der Insel einschneidenden Bucht, die den Hafen der Stadt Salamis (jetzt Ambelaki) bildete. Dieselbe ist im Norden von einer kleinen Landzunge begrenzt, die sich dem vorspringenden Festland bis auf 1200 Meter nähert, im Süden von einem 3,5 Kilometer weit ins Meer vorspringenden Höhenrücken, der den Namen Kynosura trägt. Auch ihm streckt das attische Festland eine Landzunge entgegen; dazwischen liegt das kleine Felseiland Psyttaleia. Dadurch wird das Meer zwischen dem Festland und Salamis im Süden fast völlig abgesperrt und in einen etwa 5 Kilometer langen, über 1,5 Kilometer breiten Sund verwandelt446. Diesen Sund sperrte die persische Flotte bei Nacht völlig ab, in drei Reihen hintereinander aufgestellt. Eine starke Truppenabteilung wurde auf Psyttaleia postiert, um die Schiffbrüchigen abzufangen, und ein Geschwader nach dem westlichen Ausgang der eleusinischen Bucht in den schmalen Sund zwischen Megara und Salamis entsandt, [368] um den Griechen jedes Entkommen unmöglich zu machen447. Auf den Höhen des Aigaleos an der Küste im Norden, oberhalb eines Heraklesheiligtums, nahm Xerxes seinen Standort448. Aber wenn die Perser geglaubt hatten, am nächsten Morgen die feindlichen Schiffe mit Leichtigkeit niederrennen zu können, so wurden sie bitter enttäuscht. Während der Nacht hatte erst Aristides, dann die zu ihnen übergehende Triere von Tenos den Griechen Kunde von den Bewegungen der Perser gebracht und damit jedem Zweifel ein Ende gemacht. Mit Tagesanbruch – es war um den 28. September 480449 – ging die gesamte hellenische Flotte unter Schlachtgeschrei gegen die Feinde vor, zuerst längs Kynosura der rechte Flügel, den die Spartaner führten, dann die übrigen, die aus der Bucht nach links deployierten. Den linken Flügel bildeten die Athener; ihnen standen die Phöniker450, den Peloponnesiern und Ägineten die Ionier gegenüber. Als die Griechen der Feinde ansichtig wurden, stockten sie einen Moment; bald aber ging ein Schiff nach dem andern zum Angriff vor. Eine Zeitlang stand der Kampf; dann aber kam die persische Flotte ins Gedränge, da [369] die hinteren Reihen die Bewegungen der vorderen hemmten. Die einzelnen Schiffe und Mannschaften kämpften mit äußerster Tapferkeit, zumal da sie unter den Augen des Königs fochten; aber auf dem engen Raum konnten sie nicht manövrieren noch sich im Einzelkampf unterstützen. Dabei verstanden die Griechen auch auf der See feste Ordnung zu halten. So errangen sie den Sieg, gerade weil sie in der Minderzahl waren; die Perser hatten sich verleiten lassen, den Kampf auf einem Schlachtfeld anzunehmen, das ihnen so ungünstig war wie nur möglich. Nicht einmal zur Flucht hatten sie jetzt Raum; sie verwickelten sich ineinander, das Meer füllte sich mit Schiffstrümmern und Leichen. Von vorn drängten die Athener; sie warfen die feindlichen Schiffe entweder auf den Strand oder trieben sie den Korinthern und Ägineten auf dem rechten Flügel in die Arme; das Korps auf Psyttaleia vernichtete Aristides mit einer Schar attischer Hopliten und Schützen. Als nach zwölfstündigem Kampf die Nacht hereinbrach, war die gewaltige persische Flotte zersprengt und großenteils vernichtet; der Rest, der sich wieder sammelte, war vollkommen unfähig, das Meer zu behaupten451. Die attische Flottenschöpfung [370] hatte sich glänzend bewährt: sie hatte die Freiheit von Hellas gerettet452.

Am nächsten Morgen, als die persische Flotte nicht imstande war, den Kampf wieder aufzunehmen, sondern abfuhr, um sich in Sicherheit zu bringen und zugleich die asiatischen Küsten zu decken, trat den Griechen die volle Bedeutung ihres Sieges vor Augen. Sie verfolgten die Feinde bis nach Andros, ohne sie zu erreichen. Dann hielten sie Kriegsrat. Nach Themistokles' Auffassung war der Krieg entschieden, das persische Landheer, seit es die Deckung durch die Flotte verloren hatte, nicht mehr imstande zu operieren. So riet er die Verfolgung fortzusetzen, nach dem Hellespont zu fahren und »die Brücken zu zerstören«. Auf die Brücken selbst freilich kam wenig an; auch waren sie längst entweder vom Sturm zerstört, wie die Tradition angibt (Herod. VIII 117), oder abgefahren. Aber Themistokles hat mit dem Ausdruck nichts anderes gemeint, als daß man die Rückzugslinie der Perser angreifen und dadurch die Stellung des Landheers in Europa unhaltbar machen sollte. Es war sicher, daß, wenn die siegreiche Flotte in Asien erschien, der Aufstand überall in den Griechenstädten aufflammen würde; und dann blieb dem Heer des Xerxes gar nichts anderes übrig als schleunigst heimzuziehen, um nicht abgeschnitten und vernichtet zu werden. Themistokles' Gedanke war vollkommen richtig, und er hätte, wenn man ihn energisch ausführte, den Griechen die Not des nächsten Jahrs erspart; aber begreiflich ist es, daß er den Peloponnesiern zu kühn erschien. Jetzt mit der Flotte auf weitaussehende Unternehmungen in die Ferne hinausfahren und dadurch dem Landheer die Deckung nehmen, wo der Feind vor dem Isthmos stand, hieß das nicht das Schicksal leichtsinnig herausfordern und die feindliche Armee nun um ihrer Rettung willen zu dem Kampf zwingen, den man vermeiden wollte? Im Gegenteil, man müsse ihr goldene Brücken bauen, statt ihren Rückzug zu gefährden. So drang Themistokles' Vorschlag nicht durch; mit den Athenern allein ihn auszuführen, die dazu bereit waren, schien ihm zu bedenklich. Aber indem man das einzige Mittel nicht anwenden wollte, durch das man auf das Landheer [371] hätte einwirken können, verzichtete man darauf, den Sieg von Salamis voll auszunutzen und die Leitung der Ereignisse in die eigenen Hände zu nehmen. Der Krieg ging weiter453.

Nach der Besiegung seiner Flotte mag Xerxes zunächst geglaubt haben, er könne mit dem intakten Landheer den Angriff weiter führen454. Aber bald machte sich auch ihm die volle Wirkung [372] der Niederlage fühlbar. Die Situation sprach nur zu deutlich; nicht nur, daß an einen Angriff auf den Isthmos jetzt nicht mehr zu denken war, es war auch unmöglich geworden, daß der König länger in der exponierten Stellung blieb, ständig der Gefahr ausgesetzt, von seinem Reich abgeschnitten zu werden. So entschloß sich Xerxes zum Rückzug. Auf die Kunde davon plante Kleombrotos einen Vorstoß vom Isthmos aus; aber eine Sonnenfinsternis (2. Oktober 480), die als schlimmes Zeichen gedeutet wurde, hielt ihn davon ab455. Mit Recht; es wäre tollkühn gewesen, durch einen Angriff den Persern Gelegenheit zu geben, die Niederlage wieder auszugleichen. So konnte Xerxes ungefährdet über den Hellespont zurückkehren; freilich brachten ihm in den ausgesogenen Landschaften Hunger und Krankheiten schwere Verluste456. Aber den Plan der Unterwerfung Griechenlands aufzugeben lag darum kein Anlaß vor. Einen Versuch, den Krieg nach Asien hinüberzutragen, hatten die Griechen nicht unternommen; jetzt konnte der König die Sorge für den Schutz seines Reichs übernehmen. Der Armee aber drohte, solange ihre Verbindungen nicht angegriffen waren, keine Gefahr. Daher ließ Xerxes sein gesamtes Landheer unter Führung des Mardonios zurück457, mit dem Auftrag, gestützt auf die Thessaler und Böoter, die Unterwerfung Griechenlands im nächsten Jahr zu vollenden. Mardonios bezog in Thessalien Winterquartiere; hier stieß auch Artabazos wieder zu ihm, der den König [373] an den Hellespont eskortiert hatte. Auf dem Rückweg hatte er vergeblich versucht, die Stadt Potidäa und die übrigen Städte auf Pallene, die von den Persern abgefallen waren, wieder zu unterwerfen458.

So standen den Griechen noch schwere Kämpfe bevor. Aber für den Augenblick war die Gefahr beseitigt; man konnte sich ganz der Siegesfreude hingeben. Die Athener kehrten in ihre Heimat zurück, ebenso die Euböer und wer sonst geflohen war. Die Flotte unternahm zunächst, ähnlich wie Miltiades, aber mit besserem Erfolg, einen Kriegszug gegen die Inseln, welche die Perser unterstützt hatten, und trieb von ihnen Kontributionen ein – brauchte man doch dringend Geld für die Fortführung des Kriegs. Freilich Andros, das jede Zahlung weigerte, zu erobern gelang nicht; aber von Paros, Karystos und wohl auch noch manchen anderen erpreßte Themistokles, der auch hier die Seele des Unternehmens war, bedeutende Summen. Außerdem wurden überall die Parteigänger der Perser verjagt oder hingerichtet, die Anhänger der Bundesgenossen ans Regiment gebracht. Selbst von Ialysos auf Rhodos aus wurde Themistokles um Intervention angegangen, ließ sich aber nicht darauf ein. Mit Anbruch des Winters kehrte die Flotte nach dem Isthmos zurück. Hier wurde die Beute verteilt und den Göttern ihr Anteil bestimmt. Den Preis der Tapferkeit in der Schlacht sprach man den Ägineten zu; das Verdienst des Themistokles anzuerkennen und zu belohnen vermochte die Rivalität und der Ehrgeiz der Heerführer nicht über sich zu gewinnen459. Dafür war sein Ruhm in aller Munde; als er nach Sparta [374] kam, offenbar um dort die Maßregeln für die Fortführung des Kriegs zu verabreden, ist er dort geehrt worden wie nie ein Mensch vorher oder nachher460.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 61965, Bd. 4/1, S. 361-375.
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