Ramses' III. Kriege mit den Libyern und den Seevölkern. Untergang des Chetiterreichs

[585] Die Wiederaufrichtung eines kräftigen Königtums hat es ermöglicht, daß Ramses III. die Angriffe siegreich bestehn konnte, die Ägypten jetzt von allen Seiten bedrohten. Denn inzwischen war das Vordringen der europäischen Völkerscharen in den Orient in vollem Gange, sowohl zu Lande wie zur See. In dem Bericht über seinen Sieg über sie im 8. Jahre seiner Regierung faßt Ramses III. den Verlauf kurz zusammen: »Die Völker auf ihren Inseln« – so erscheinen dem Ägypter die Küsten Europas – »waren ausgezogen, sich ... auf einmal ausbreitend. Kein Land konnte vor ihren [585] Armeen standhalten, vom Chetiterland an, Qedi, Karkemiš, Arwad (Arados), Alasia (Cypern) wurden verwüstet. Sie lagerten an einem Platz in Amurru und plünderten dessen Bevölkerung und Land bis zur Vernichtung. Sie zogen, mit der Feuerflamme vor sich, vorwärts gegen Ägypten. Die Stütze ihrer Macht bestand aus Philistern, Zakkari, Šakalša, Danauna und Uašeš1133; diese Völker hatten sich verbunden, ihre Hand auf Ägypten (und) bis zum Rand des Erdkreises zu legen; ihre Herzen waren zuversichtlich und voll von Plänen.«

In dieser knappen Schilderung ist die Entwicklung von Jahren zusammengefaßt. Nur mit éinem Wort ist der Untergang des Chetiterreichs angedeutet, die einzige Nachricht, die wir darüber haben, die aber durch das plötzliche Abbrechen der Urkunden von Boghazkiöi unter Dudchalia V. vollauf bestätigt wird. Wie die Katastrophe verlaufen ist, wissen wir nicht; es ist aber klar, daß wenn die Seevölker, begleitet von ihren Weibern und Kindern auf Ochsenkarren, wie sie dann Ramses III. in seinem Schlachtgemälde darstellt, ganz Syrien überschwemmen und sich im Amoriterlande festsetzen, sie vorher Kleinasien verheerend durchzogen haben müssen. Das wird dann zu einer Erhebung der Untertanen und Nachbarn gegen die Chetiter geführt haben, in derselben Weise, wie gegen Ende des 7. Jahrhunderts die große skythische Invasion den Anstoß zum Untergang des Assyrerreichs gegeben hat und die Meder und Chaldaeer die dadurch geschaffene Situation ausgenutzt haben. Einen Hinweis darauf gibt die Nachricht, daß um 1170 die Muškâja den Assyrern die Landschaften Alzi und Purukuzzi (vgl. o. S. 532) östlich vom Euphratknie entrissen haben1134. Die Muškâja sind die Moscher der Griechen, ein Volksstamm in den pontischen Gebirgen, der sich jetzt nach dem Falle des Chetiterreichs weithin im östlichen Kleinasien ausgebreitet hat.

Neben dem Vordringen zu Lande steht die Ausbreitung [586] zur See. Auch darüber gibt Ramses III. Auskunft1135: über die Nordvölker, die Philister und Zakkari ist eine allgemeine Unruhe gekommen. »Ein Teil waren Krieger (tuhir) zu Lande, andere auf dem großen Meer. Die zu Lande kamen, hinter denen war Amon-Rê' her, sie zu vernichten; die in die Nilmündungen eindrangen, die waren wie Vögel, die im Netz abgefangen werden. Ihr Herz zitterte und entwich ihrem Leibe, ihre Führer wurden erschlagen oder gefangen,« sie müssen die Allmacht des Pharao anerkennen. Diese Schilderung ist an den Bericht über den ersten Libyerkrieg vom Jahr 5 angeschlossen und kann hier nicht eine Vorwegnahme der gleichartigen Kämpfe des Jahres 8 sein; sie beweist vielmehr, daß die Angriffe auf Ägypten schon früher begonnen und sich Jahre hindurch fortgesetzt haben; dabei ist es dem Könige gelungen, Scharen, die zu Schiff in die Nilmündungen einzudringen suchten, hier abzufangen, sei es schon vor, sei es unmittelbar nach dem ersten Libyerkrieg1136.

Das Zusammenwirken der Streitkräfte zu Lande und zur See zeigt anschaulich die großen Dimensionen der Bewegung und beweist zugleich, daß eine einheitliche Leitung die verschiedenen Völkerschaften zusammengefaßt haben muß. Es handelt sich in der Tat um eine planmäßig durchgeführte Völkerwanderung größten Stils, etwa wie bei den Zügen der Kelten nach der Balkanhalbinsel und Kleinasien oder bei denen der Mongolen.

[587] In engem Zusammenhang mit diesen Zügen stehn nach wie vor die Angriffe der Libyer auf Ägypten. »Die Libyer und Mašauaša hatten sich in Ägypten niedergelassen und die Städte des Westufers von Memphis bis Qarbana (bei Abuqîr) besetzt; sie waren bis zum großen Strom an all seinen Seiten vorgedrungen, und sie haben die Ortschaften von Gaut (Kanopos) viele Jahre hindurch ausgeplündert, während sie in Ägypten waren.« »Ihre Krieger dachten: wir wollen uns nach Herzenslust berauschen; ihre Scheichs« – der Text verwandte dafür das libysche Wort mes1137 – »meinten: wir wollen unser Herz mit Raub sättigen.« Offenbar ist die Wirkung von Merneptaḥs Sieg infolge der bald darauf einsetzenden Wirren nicht von Dauer gewesen, und auch Setnacht hat hier noch nicht eingreifen können. Jetzt aber, in seinem 5. Jahr, war Ramses so weit, daß er mit dem Aufgebot Ägyptens und drei Truppenkörpern, die aus den mit Zakkari oder Philistern untermischten Šerdana, aus Turša, und aus Negern gebildet waren1138, zum Angriff vorgehn konnte. Er hat einen glänzenden Sieg erfochten, 12535 Gefallene1139 wurden gezählt; dazu kamen Massen von Gefangenen. Das Land war von den Eindringlingen gesäubert, Sicherheit und friedliches Leben wiederhergestellt. Ganz beseitigt war die Gefahr freilich noch nicht; vielmehr haben sechs Jahre später [588] die Mašauaša, die auch hier als das eigentlich treibende Element der Bewegung in Nordafrika hervortreten, noch einmal versucht, im Niltal Fuß zu fassen. So kam es im Jahre 11 zu einer zweiten Libyerschlacht, die freilich in ihren Dimensionen an die erste nicht heranreicht. Die Mašauaša wurden völlig geschlagen und acht ägyptische Meilen weit verfolgt bis zu zwei Kastellen, von denen das eine den bezeichnenden Namen »Sandburg (ḥat-šo')« trägt; 2175 Gefallene wurden gezählt, der Heerführer Mešašar, Sohn des Häuptlings Kapur, fiel in Gefangenschaft1140, und mit ihm wurden 2052 Gefangene, Männer, Weiber und Kinder, eingebracht, dazu große Massen von Vieh und sonstiger Beute.

Über die Gefangenen sagt Ramses: »Ich setzte ihre Häuptlinge in Festungen auf meinen Namen und gab ihnen Obersten des Kriegsvolks und Stammeshäupter; ich brandmarkte sie zu Knechten auf meinen Namen, ebenso ihre Weiber und Kinder; ihr Vieh überwies ich dem Amontempel als Herde für immer.« Neue Invasionen haben die libyschen Stämme, so weit wir wissen, nicht mehr versucht; aber um so stärker ist ihre durch diese Ansiedlungen beförderte friedliche Ausbreitung in Ägypten geworden. Zugleich wird das Heer immer stärker aus ihnen rekrutiert, wie aus den Kahak, so vor allem aus den Mašauaša. Da zugleich die Anwerbung überseeischer Söldner nach Ramses III. ganz aufhört und die kriegerische Kraft der Ägypter immer mehr erschlafft, sind diese libyschen Truppen allmählich der allein leistungsfähige Bestandteil des ägyptischen Heeres geworden; die Folge ist gewesen, daß sie sich zwei Jahrhunderte später, unter Šošenq I., aus Knechten zu Herren Ägyptens gemacht haben.

Zwischen den beiden Libyerkriegen ist Ramses III. im Jahre 8 gegen die Seevölker nach Syrien gezogen. In dem [589] Bilderzyklus in Medinet Habu ist auch dieser Feldzug eingehend dargestellt; dadurch erhalten wir mehr Aufschluß als durch die Phrasenergüsse der Prunkinschriften, die daneben stehn. Wir sehn, wie der König die Waffen – Bogen und Köcher, Sichelschwerte, Speere und Schwerter – an das ägyptische Aufgebot verteilen läßt und mit diesem und den Söldnern aus den Seevölkern nach Phoenikien (Ẕahi) zieht. Hier kommt es zu einer Schlacht, in der das Heer der Philister und Zakkari im Nahkampf, Mann gegen Mann, den in sie eindringenden Ägyptern und Šerdana erliegt; auch ihre Kriegswagen und dann die Ochsenkarren mit den Weibern und Kindern werden nach heftiger Gegenwehr von den Siegern überwältigt, ähnlich der Wagenburg der Kimbern und Teutonen.

Ein zweites Bild zeigt eine Seeschlacht bei einem »Magdol (Turm) Ramses' III.«. Man sucht diesen Ort jetzt meist an der Küste Phoenikiens, ob mit Recht, ist sehr fraglich. Denn mit der Landschlacht ist der Seekampf nicht verbunden, sondern durch das Bild einer Löwenjagd davon getrennt; und andrerseits reden sowohl die Beischriften zum Bilde wie der zusammenfassende Bericht über den Feldzug des Jahres 8 von ihnen genau mit denselben Ausdrücken, wie der oben angeführte über die Kämpfe mit ihnen in den Nilmündungen. Auch diesmal1141 haben sie die Flußmündungen angegriffen; aber das Netz war bereitet, sie beim Eindringen zu fangen. Während Ramses die Grenze in Phoenikien sicherte, ließ er die Flußmündungen durch seine Offiziere mit der Flotte besetzen »wie eine starke Mauer von Schiffen, Barken und Kähnen, ausgerüstet vom Kiel bis zum Steuer mit tapferen Kriegern und ihren Waffen«; rings auf den Ufern standen die Streitwagen. So scheint es, daß der Schiffskampf in Ägypten selbst, im Nil, stattgefunden hat, wo es im Delta mehrere Orte Magdol gegeben hat. In die Schlacht hat Ramses selbst mit seinen Schützen vom Ufer aus eingegriffen und die feindlichen [590] Schiffe mit einem Pfeilhagel überschüttet; auch das spricht dafür, daß der Kampf auf engem Raum stattgefunden hat. Auf dem Wasser drängen sich die Schiffe, vier ägyptische und fünf feindliche, auf denen außer den Philistern und Zakkari auch Šerdana kämpfen, die also, wie auch früher schon, auf beiden Seiten beteiligt sind; die ägyptischen Schiffe sind mit ägyptischen Schützen und Speerkämpfern und mit Šerdana bemannt. Die Schiffe sind auf beiden Seiten in Größe und Bauart ähnlich, Segelschiffe, deren Segel an einer Rahe, die auf dem Mast liegt, emporgerafft sind1142, mit Mastkörben, in denen ein bewaffneter Pilot sitzt. Die feindlichen Schiffe sind weit plumper gebaut, mit hohen spitzen Schnäbeln an beiden Enden; die ägyptischen sind elegante Nilboote und zugleich mit Ruderern besetzt, die durch einen Bort geschützt sind. Die Ägypter fallen die feindlichen Schiffe an, deren Mannschaften schon durch die Geschosse geschwächt sind, springen hinüber und machen alles nieder; ein Schiff haben sie zum Kentern gebracht. Das Wasser ist überfüllt mit Leichen und Schiffbrüchigen, die die ägyptischen Ruderer vielfach herauszuziehn suchen und als Gefangene auf ihre Schiffe setzen.

Durch diese Siege war die Bedrohung Ägyptens abgewendet. »Die, welche an die Grenze meines Reichs gekommen waren, ernten nicht mehr, ihre Seelen sind kraftlos auf ewig; die sich auf dem Meere zusammengerottet hatten, hat die Kriegsflamme verzehrt; gemordet sind sie am Ufer des Meeres, niedergemetzelt zu Leichenhügeln, ihre Schiffe und Habe ins Wasser gestürzt.« Unter den Massen der Gefangenen werden die Zakkari, Philister und Danauna genannt und abgebildet, während die Šakalša und Uašeš nicht weiter erwähnt werden. Auch sie wurden, wie die Libyer, in den Festungen angesiedelt.

An die Besiegung der Seevölker haben sich weitere Kämpfe in Syrien angeschlossen, die in den Wandgemälden von Medinet [591] Habu mehrfach dargestellt sind. So die Eroberung einer »Festung des Amoriterfürsten«, die sich ergibt, als die Ägypter und Šerdana gegen die Mauern anrücken und der König sie beschießt1143; die Einnahme einer hochgelegenen, von Semiten verteidigten Festung und einer rings von Wasser umschlossenen, deren Tor gesprengt, deren Mauer auf Leitern erstiegen wird, während gleichzeitig die Bäume ringsum abgehackt werden1144; ebenso die Einnahme zweier von Chetitern verteidigter Festungen, deren eine einen Namen führt, der etwa Arzawa zu lesen ist1145. Die Vorführung von semitischen und chetitischen Gefangenen, auch von Beduinen, ist neben der von Philistern und Libyern und auch Negern vielfach dargestellt1146. Am Hohen Tor hat Ramses III. außer gefesselten Häuptlingen der Negerstämme, der Libyer und Mašauaša, der Zakkari, Šerdana und Turša auch einen der Beduinen (Šos), sowie »den Fürsten der Chetiter als lebenden Gefangenen« – gewiß nicht den Großkönig selbst – und den Fürsten von Amurru darstellen lassen1147.

Offenbar hat Ramses III. versucht, seine Siege und den Untergang des Chetiterreichs zur Wiederaufrichtung der ägyptischen Herrschaft über Syrien zu benutzen, und dabei auch manche Erfolge gegen die durch die Philister geschwächten Amoriter und gegen chetitische Garnisonen in den Festungen Nordsyriens errungen1148. Aber bedeutend und vor allem dauerhaft[592] dürfen wir sie uns nicht vorstellen. In dem zusammenfassenden Bericht über seine Taten erwähnt er denn auch nur, daß er die Beduinen (Šos) von Se'îr, dem edomitischen Bergland im Süden Palaestinas, geplündert und in Massen als Tempelsklaven nach Ägypten geschleppt habe. Auch sind die Philister und Zakkari nichts weniger als vernichtet, haben vielmehr die fruchtbare Küstenebene Palaestinas in Besitz genommen und hier ihre Fürstentümer gegründet, die Philister in Gaza, Askalon, Ašdod, Gat und 'Aqqaron, mit einer Bundesorganisation, die Zakkari weiter nördlich in Dor. Das Hochland dagegen scheinen die Ägypter behauptet zu haben; Ramses III. hat hier dem Amon einen Tempel in der nach ihm benannten Stadt in Kana'an erbaut oder wohl eher wiederhergestellt, wohin die Asiaten ihre Tribute bringen; außerdem besaß er im Choriterland und Kuš zusammen noch neun Ortschaften1149. Auch der Seehandel mit Phoenikien blieb aufrecht erhalten und ebenso überhaupt der friedliche Verkehr: eine Darstellung in Medinet Habu zeigt, wie ausländische Gesandte, Chetiter und Semiten, den bei einem Fest aufgeführten Ring- und Kampfspielen zuschauen1150.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/1, S. 585-593.
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