Die zweiundzwanzigste Dynastie (Bubastiden). Feldzug Šošenqs I. nach Palaestina

[45] So lückenhaft unsere Kenntnis der Geschichte dieser Jahrhunderte ist, so läßt sich doch die fortschreitende Zersetzung des Staats unter der zweiundzwanzigsten Dynastie an der Hand der spärlichen Zeugnisse noch einigermaßen verfolgen. Šošenq I. hat allerdings, nachdem er die Verhältnisse im Innern neu geordnet hatte, den Versuch gemacht, noch einmal wieder in Asien einzugreifen. Daß er schon gegen Salomo von Israel, den Schwiegersohn des vorletzten oder letzten Königs der einundzwanzigsten Dynastie (o. S. 19), eine feindselige Haltung eingenommen habe, hat man mit Unrecht daraus gefolgert, daß er dem vor Salomo flüchtenden Jerobeam Aufnahme gewährte;73 hat doch sein Vorgänger ebenso den flüchtigen edomitischen Prinzen Hadad aufgenommen und ihn sogar mit der Schwester seiner Hauptfrau vermählt. Wirren in Palaestina, als dessen rechtmäßige Oberherren sich die Pharaonen immer betrachtet haben, konnten jedem ägyptischen Könige nur willkommen sein. Als dann nach Salomos Tode sein Reich zusammenbrach und Israel sich unter Führung des zurückgekehrten Jerobeam von Rehabeam von Juda losriß, hat Šošenq, nach längerem Zögern, im 5. Jahre danach, um 930 v. Chr., einen Feldzug nach Palaestina unternommen. Der im Königsbuch erhaltene Auszug aus den Annalen Judas erwähnt lediglich, daß er von Rehabeam die Auslieferung der Schätze des Palastes und des Tempels von Jerusalem erpreßte; aber die Liste der besiegten Ortschaften, die ihm Amon und die Göttin des thebanischen Gaus gefesselt vorführen – er hat sie, zusammen mit einer Rede Amons, die in den üblichen Phrasen seine Siege über alle Asiaten preist, [46] an der Südwand des Pylons des großen Säulensaals von Karnak angebracht74 – beweist, daß er das Gebiet Jerobeams in ganz derselben Weise heimgesucht hat.75 Zugleich zeigt die Art, wie hier alle nur erreichbaren Namen zusammengestoppelt sind und wie z.B. die Gruppe »das Feld von ... « (mit folgendem Ortsnamen) in den erhaltenen Teilen nicht weniger als siebenmal auf zwei Festungsringe verteilt ist, und ebenso zwei- oder dreimal »der Süden von ... «, zweimal »der Bach von ... «, einmal »das Tal von... «,76 daß es bei diesem Kriegszug lediglich darauf angekommen ist, möglichst viel Beute zusammenzuraffen und damit die leeren Schatzkammern zu füllen. Nicht anders wird es sich mit dem »großen Gemetzel« verhalten, welches Šošenq nach den Fragmenten einer Inschrift am Gestade der Bitterseen, also unter den Beduinen der Sinaiwüste, angerichtet hat.77 An diplomatischen Beziehungen zu den Kleinstaaten Palaesti nas und Versuchen, den ägyptischen Einfluß geltend zu machen, wird es auch in der Folgezeit nicht gefehlt haben, wenn auch die dürftigen Überreste der israelitischen und jüdischen Annalen nichts davon berichten; zu einer dauernden Wiederaufrichtung der ägyptischen Oberhoheit dagegen ist es nicht mehr gekommen.

Wohl aber hat die vorübergehende Machtentfaltung des Pharaonenreichs dazu geführt, daß die alten Beziehungen zu Byblos, die gewiß niemals völlig unterbrochen waren, wieder [47] gekräftigt wurden. Wenn bei der Entsendung Wenamons (o. S. 14) König Zikarba'al von Byblos peinlich darauf bedacht war, jeden Schein einer Abhängigkeit von Ägypten zu vermeiden, so hat jetzt König Abiba'al eine Statuette Šošenqs I., Eliba'al eine seines Nachfolgers Osorkon I. durch eine daraufgesetzte phoenikische Inschrift der Ba'alat von Byblos geweiht. Tributpflichtige Vasallen der Pharaonen, wie in den Zeiten der Großmacht, sind sie dadurch nicht geworden; im Gegenteil, die Form der Weihung beweist, daß sie als selbständige Fürsten neben ihnen stehn. Aber sie haben es im Interesse des friedlichen Verkehrs für angebracht gehalten, sie dadurch zu ehren, daß sie ihre Statue aus Ägypten bezogen und im Tempel der Schirmherrin ihrer Stadt aufgestellt haben.78

Von späteren Beziehungen zu Asien79 erfahren wir nur noch, daß zu der Koalition, die im Jahre 853 dem Eingreifen [48] Salmanassars III. in Syrien entgegentrat und bei Qarqar besiegt wurde, auch 1000 Ägypter gehörten. Die Gefährdung, die das Vordringen der Assyrer auch für Ägypten bedeutete, hat man empfunden, aber zu kräftigem Auftreten reichten die Mittel nicht mehr aus. Über Nubien hat Šošenq I., wenn wir den Phrasen seiner Siegesinschrift und den Bruchstücken einer Tributliste in Karnak80 trauen dürfen, seine Herrschaft ausgedehnt. In der großen Oase hat ein von ihm entsandter Häuptling der Ma »in ihren beiden Ländern« (el-Chârge und ed-Dâchle) der Anarchie ein Ende gemacht und die Brunnen und Zisternen wiederhergestellt.81

Auf Šošenq I. sind sieben oder acht weitere Könige der Bubastidendynastie gefolgt. Osorkon I. und sein Enkel Osorkon II. haben noch Bauten in Bubastis ausführen und dotieren können; dann aber verstummen die Zeugnisse so gut wie ganz. Deutlich ist nur, daß die Autorität der Könige immer mehr zurückging und das Reich auseinanderfiel; nur in der eigentlichen Reichshauptstadt Memphis sind die Könige der zweiundzwanzigsten Dynastie bis auf den letzten Šošenq (IV. oder V.), dessen lange Regierung um 730 zu Ende gegangen ist, als legitime Pharaonen anerkannt geblieben, wie die nach ihren Jahren datierten Votivstelen lehren, die beim Tode und der Bestattung eines Apisstiers im Serapeum aufgestellt wurden.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 2/2, S. 45-49.
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