Beówulf

[63] Beówulf, ein angelsächsisches Heldengedicht aus dem Ende des 7. oder dem Anfang des 8. Jahrh.

Der Inhalt des Gedichtes ist folgender: Über die Dänen herrscht Skylo, aus dem Geschlechte der Skefinge. Von den Meereswogen ist er als Kind hergeworfen worden an Dänemarks Küsten, als König sollte er sterben und mit Kleinodien überhäuft wird er nach seinem Tode in reichgeschmücktem Schiffe wieder dem Elemente überlassen, das ihn hergebracht. Dessen vierter Nachfolger ist Hrodgar. Er lässt eine geräumige Halle errichten, Heorot genannt, deren Wände täglich von dem Jubel der zechenden Ritter und von den süssen Tönen der Harfe widerhallen. Doch nur zu bald soll das fröhliche Leben der Vasallen des Königs verstummen. Von Neid gepeinigt, dass des Herrschers Mannen in solcher Freude leben können, während er selbst einsam in düsterem Moorgrund seine Tage hinbringen muss, macht sich ein Unhold, Grendel mit Namen, auf, dringt des Nachts, wenn nach dem Methgelage in tiefem Schlaf die Kämpen ruhen, ein in die Halle und schleppt 30 der Schläfer mit sich in seine Behausung. Entsetzen fasst am andern Morgen die Dänen, und als in der folgenden Nacht wieder eine Anzahl ihrer Freunde der Wut des Raubtiers zum Opfer fallen, da fliehen sie schreckensbleich die unheimliche Stätte. Wohl berät sich oft der greise Herrscher gramschwer mit seinen Vertrauten, nichts wird gefunden zur Abwehr des Übels, bis endlich von Norden her ein Retter dem bedrängten Volk erscheint. Beowulf ist sein Name, das Geatenland, welches Hygelak beherrscht, seine Heimat. Ihm ist zu Ohren gekommen der Nachbarn Not, mit 14 Genossen besteigt er das Meerschiff den Dänen zu helfen und bald landen sie an der dänischen Küste, wo sie mit edlem Anstand empfangen und vor den König geführt werden. Beowulf enthüllt dem König, dass er vertrauend auf seine Stärke gekommen sei, Heorot von der Anwesenheit des blutdürstigen Scheusals zu befreien. Mit Freuden nimmt der König die Dienste des Geatenritters an und die Halle Heorot wird den Fremdlingen eingerichtet. Die Schatten der Nacht senken sich über die Erde, Hrodgar mit seinen Mannen zieht sich in seine Gemächer zurück und allein warten in der Halle die Geaten mit ihrem Führer der Dinge, die da kommen sollen. Kaum hat der süsse Schlaf der Müden Augen geschlossen, als vom Sumpfe hergeschlichen kommt der grause Grendel; lechzend nach Menschenfleisch packt er sofort den zunächstliegenden der Recken, reisst ihn in Stücke und verschlingt ihn. Jetzt gerät der Mordgesinnte an Beowulf, aber mit Riesenkraft greift der Geate des Unholds Arm und nach langem furchtbarem Ringen renkt er ihm den Arm samt der Achsel aus, dass totwund Grendel fliehen muss und in seiner Sumpfwohnung durch den Tod von den Qualen der Wunde befreit wird. Jubel erfüllt am andern Morgen die Gegend. Auf Beowulfs That anspielend trägt ein Sänger den glücklichen Kampf des Wälsungen Sigmund mit dem Drachen vor und den[63] innigsten Dank bringen dem jungen Sieger der grambefreite König und seine holde Gemahlin dar. Mit reichen Geschenken belohnt die Königin den tapfern Beowulf und vertraut ihm ihre beiden Knaben an.

Wieder sinken die Helden in friedlichen Schlaf. Wie schrecklich sollte das Erwachen sein! Den Tod ihres Sohnes zu rächen macht sich Grendels Mutter unter dem Schutze der Nacht auf, dringt in den Schlafsaal der Dänen ein und um das Leben eines der Helden ist es geschehen. Die einzige Zuflucht des von neuem in Entsetzen geratenen Königs ist Beowulf. Diesen bittet der Greis die Unthat zu rächen. Der Geatenheld ist dazu bereit. Der greise König selbst besteigt sein Schlachtross und reitet an der Spitze seiner Mannen in Begleitung Beowulfs die Wohnung der Unholdin zu suchen. Bald ist sie gefunden auf dem Meeresgrund, bewacht von Nixen, Drachen und anderm blutgierigen Gewürm. Beowulf nimmt von Hrodgar Abschied, empfiehlt ihm, falls er nicht mehr zurückkommen sollte, die Obhut über seine Leute und springt dann wohlgepanzert und gut bewaffnet mit seinem wuchtigen Schwert Hrunting in die brausende Flut. Bald steht er im prächtigen Meersaal vor Grendels Mutter. Sogleich beginnt der furchtbare Kampf. Hrunting prallt ab von dem Körper der Meerwölfin. Ein Riesenschwert, das Beowulf im Saale findet, sollte ihm erst Rettung verschaffen, indem es dem grausen Weib die Todeswunde schlägt, dann aber auch vor dem heissen Blute bis zum Heft wie Eis zerschmilzt. Der Erschlagenen Blut rötet die Brandung. Bald enttaucht der brausenden Brandung des Siegers Leib. Jubelnd wird er von seinen Getreuen empfangen und dem König Hrodgar zugeführt. Als Siegespfand legt der Tapfere Grendels Haupt den staunenden Höflingen und entsetzten Frauen vor die Füsse. Dann zieht Beowulf wieder nach der Heimat.

Später besteigt Beowulf selbst den Herrscherstuhl der Geaten und regiert 50 Jahre lang zum Wohle und Segen seines Volkes. Im Kampfe gegen einen Drachen, gegen einen Schädiger seiner Unterthanen sollte er fallen. Schon drei Jahrhunderte lang hatte das Untier in finsterer Bergeshöhle reiche Schätze bewacht, welche einst ein einsamer, freundloser Mann in dem Schooss der Erde versteckte, der niemanden mehr hatte, dem er den Gebrauch der Kostbarkeiten gönnte. Zufällig kommt ein Flüchtling in die Behausung des Drachen und entwendet dem Horthüter eines der Kleinode. Wütend fliegt des Nachts der Drache aus, den frechen Dieb zu suchen. Burgen und Hütten äschert der feurige Atem seines Rachens ein. Da dringt das Gerücht vom Unglück seines Landes an Beowulfs Ohr, der sofort wohlgerüstet selb vierzehnt den Bau des Drachen aufsucht. Wohl mag der Greis den nahen Tod ahnen, denn er nimmt Abschied von seinen Getreuen. Allein, wie es dem König geziemt, will er den Kampf gegen seinen Widersacher aufnehmen. Mutig schreitet er an den Eingang der Höhle und fordert den Drachen zum Zweikampf auf. Nicht lange lässt der Wurm auf sich warten. Eine Flut sengenden Feuers entströmt seinem Rachen dem Tapfern entgegen, welchen kaum der eherne Schild gegen den Gluthauch schützt. Machtlos prallt das wuchtige Schwert von dem Hornpanzer des Wurmes ab. Was ist zu thun? Waffenlos steht der edle König da, ferne in des Waldes schützendem Dickicht sind vor der grausen Gestalt des Drachen die feigen Gefolgsmänner geflohen. Wiglaf unterstützt mit seiner jungen Kraft den alten Fürsten, und nach langem Ringen sinkt der grimme Feind tot zu Boden. Doch teuer ist der Sieg erkauft,[64] auch Beowulf ist verwundet von des Wurmes giftigem Zahn. Schnell schickt der Röchelnde den Wiglaf noch in die Höhle, damit sein letzter Blick auf die reichen Schätze falle, die er mit seinem Leben seinen Leuten zurückerobert. Wiglaf gehorcht, kehrt schwerbeladen zurück und breitet die Kostbarkeiten vor dem brechenden Auge des Königs aus. Dieser bestimmt sie dazu, die Not der Armen zu heben, und stirbt. Tiefes Trauern ergreift das Herz des Volkes über den Untergang ihres geliebten Königs. Sie ziehen hinaus zu der Walstatt, erblicken mit thränendem Auge Beowulf, mit Entsetzen seinen grimmen Feind. Dann schreiten sie zur Bestattung der irdischen Überreste des Edlen. Auf hohem Scheiterhaufen wird die Leiche niedergelegt und gierig verzehren die Flammen den Körper des Beowulf.

Das Gedicht von Beowulf liegt uns in einem Pergamentcodex vor, der sich in der Cottonischen Bibliothek des British Museum zu London befindet. Die Handschrift fällt wahrscheinlich in das 10. Jahrhundert, doch ist die Entstehung des Gedichtes in eine viel frühere Zeit zu setzen. Seine Anfänge sind in der Mitte des 6. Jahrhunderts zu suchen und als Ganzes tritt es uns auf der Scheide des 7. und 8. entgegen. In seiner beinahe zweihundertjährigen Entwickelung hat es wesentliche Umänderungen erfahren. Der Kern des Epos ist jedenfalls der Kampf Beowulfs mit Grendel und dem Drachen, als blosse Variation des ersteren ist derjenige zwischen Beowulf und Grendels Mutter anzusehen. Daran schlossen sich dann Episoden aus dem Leben der auftretenden Helden und ihrer Vorfahren, und Interpolationen eines christlichen Schreibers, die einen theologisierenden Ton anschlagen und mit dem germanisch heidnischen Charakter des Gedichtes schlecht zusammenpassen. Es ist halbfertig, gleichsam mitten in der Entwickelung erstarrt. Das Gedicht ist nicht von einem einheitlichen Autor verfasst, sondern aus verschiedenen Liedern nach und nach zusammengefügt.

Die Heimat des Gedichtes ist England, eine historische Begebenheit gab Anlass zu seiner Entstehung. In ten Brinks Geschichte der englichen Litteratur heisst es pag. 30: »In den Jahren 512–520 unternahm der Geatenkönig Hygelak (aus dem jetzigen schwedischen Götaland) einen Raubzug nach dem Niederrhein. Da rückte des fränkischen Königs Theuderich Sohn Theudebert ihm mit einem Heere von Franken und Friesen entgegen. Ein heisser Kampf fand statt, der auf beiden Seiten zahlreiche Opfer verschlang; den Franken aber blieb der Sieg. Hygelak fiel, sein Heer wurde zu Lande wie zu Wasser aufgerieben, die schon auf den Schiffen befindliche Beute von dem Feinde zurückgewonnen. In diesem Kampfe zeichnete sich ein Gefolgsmann und Verwandter Hygelaks vor Allen aus, zumal durch die Kühnheit, mit der er schliesslich seinen Rückzug bewerkstelligte. Er scheint ein Mann von riesiger Körperkraft, ein vorzüglicher Schwimmer gewesen zu sein. Die Kunde von diesem Kampfe, der Ruhm dieses Degens erscholl weit und breit zu beiden Ufern des Meeres, das die kimbrische Halbinsel von dem schwedischen Festlande trennt, bei Geaten, Inseldänen und Angeln. Die Thaten des Neffen Hygelaks, des Sohnes Ekgtheows, wurden in Liedern gefeiert; er trat in das Erbe göttlicher Heroen ein. Beowulf, der Sohn des Ekgtheow, trat an die Stelle Beowas, des Siegers über Grendel.«

Dieser Beowa, oder also später Beowulf, ist nach Müllenhoff (Haupts Zeitschrift VII, 419–441) identisch mit Freyr, dem milden Gott des[65] Friedens und der Fruchtbarkeit, der Regen und Sonnenschein und Gedeihen der Früchte giebt, den Schiffern aber und Fischern das Meer im Frühling öffnet und es von Stürmen befreit; der es stillt und ihnen einen guten Fang und reichlichen Gewinn verschafft, aber auch liegende Gründe und fahrende Habe denen verleiht, die zu ihm beten. Dieselbe Wirksamkeit steckt nun auch in den Thaten des Helden unseres Gedichtes. Seine erste That ist, dass er wettschwimmt mit Breka und zwar wahrscheinlich dem von Norden herabkommenden eisigen Polarstrome entgegen, um mit den Waffen die Rauhheit und Wildheit des winterlichen Meeres bis an seine äussersten Grenzen zu brechen und es fahrbar zu machen. Auch der Kampf Beowulfs mit Grendel lässt sich als ein Ringen mit den verwüstenden Wogen des Ozeans auffassen. Grendels Wohnung ist eine von düsterem Walde umgebene Meeresbucht voll trüben, sumpfigen Gewässers. Aus dieser heraus bricht er mit wilder Wut und verschlingt die sorglos schlafenden Menschen, bis auch jetzt wieder ein Gott und zwar Beowulf an Stelle des alten Freyr, als Beschützer des Ackerbaues den grausen Zerstörer menschlichen Wohlstandes und Glückes zurücktreibt und ihn in feste Grenzen bannt. Eine blosse Wiederholung des Kampfes mit Grendel ist der mit dessen Mutter, die auch eine Personifikation des Meeres ist. Bis in Einzelheiten stimmt der Kampf Beowulfs gegen diese beiden Unholde überein mit Freyrs Ringen mit dem Riesen Beli, den er auch, ohne sein gutes Schwert zu gebrauchen, erlegt. Dass Beowulf endlich, schon im Herbste seines Lebens, noch mit dem schätzebergenden Drachen einen Zweikampf eingeht, ist ebenfalls begründet durch die Identität mit Freyr. Der Drache ist einesteils wieder wie Grendel und dessen Mutter das Symbol des sein Bett übersteigenden, alles mit sich fortreissenden Wasserschwalles, dann aber auch eine konkrete Darstellung des Winters, der im Herbst eben alles Leben in der Natur erstickt und wie der Drache auf seinen Kleinodien mit seinem Schneemantel, seiner Eisdecke auf den Schätzen, welche die Natur zur Sommerszeit dem Menschen baut, sitzt und ihre Wohlthaten niemandem zu gute kommen lässt. Gegen diesen zieht nochmals der greise Gott, er besiegt zwar den Feind, muss aber doch im Herbste seines Lebens tot dahinsinken vor dem giftschwangeren Blute des Drachen, wie auch die Herrlichkeit des Sommers schwindet, wenn mit seinem Sturmgebraus der kalte Winter die Schneeflocken und Eiskörner über die Lande peitscht. Ausgaben in angelsächsischer Sprache von Grein und Heyne. Deutsche Übersetzungen von Ettmüller, Simrock, Grein, v. Wolzogen und Heyne.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 63-66.
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