[179] Faust, Dr.
I. Litteratur des Faustbuches. In ähnlichem Sinne wie das 16. Jahrh. einzelne Landfahrergeschichten auf den Eulenspiegel, Narrengeschichten auf den Ort Schilda vereinigte, wurden damals auch seit alter Zeit umgehende Zaubererzählungen auf den Namen eines Dr. Johannes Faust konzentriert. Dieses sog. Faustbuch erschien zuerst 1587 zu Frankfurt a.M., unter dem Titel: »Historia Von Dr. Johann Fausten, dem weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler, wie er sich gegen dem teuffel auff eine benandte zeit verschrieben, Was er hierzwischen für seltzame Abenthewr gesehen, selbs angerichtet und getrieben, biss er endlich seinen wohlverdienten Lohn empfangen. Mehrerteils auss seinen eygenen hinterlassenen Schrifften zusammen gezogen und im Druck verfertiget. Gedruckt zu Frankfort am Mayn, durch Johann Spies.« 1588 erschien zu Lübeck eine niederdeutsche Ausgabe, in demselben Jahre ein gereimtes Faustbuch, bald darauf Übersetzungen ins Dänische, Holländische, Französische und Englische, 1599 zu Hamburg eine mit moralischen Betrachtungen, versehene, durch Georg Rudolf Widmann veranstaltete Ausgabe vermehrt durch J.N. Pfitzer zu Nürnberg 1674; 1728 eine verkürzte Ausgabe zu Frankfurt und Leipzig, welche die Grundlage des spätem Jahrmarktvolksbuches geworden ist.
II. Verfasser. Der unbekannte Verfasser des ältesten Volksbuches muss ein protestantischer Theologe gewesen sein, einer der zahlreichen nachreformatorischen Eiferer, die es sich zur Aufgabe machten, den nie ruhenden Unglauben zu bekämpfen. Er war zum mindesten ein sehr abergläubischer Mensch; denn er teilt Briefe und Urkunden als echte mit, z.B. Fausts Vertrag mit dem Teufel, beruft sich auch auf die von Dr. Faust selbst aufgezeichnete und seinem Famulus Wagner testamentsweise vermachte Historie seines Lebens während der Zeit, da er mit dem Teufel Verkehr pflog.
III. Inhalt des Faustbuches. Das Faustbuch zerfällt in drei Teile. Deren erster handelt von Dr. Fausts Versuchung und höllischem Bündnis. Dr. Faust ist eines Bauern Sohn gewesen, zu Rod bei Weimar gebürtig. Seine Eltern waren gottselige Leute, und sein Ohm, der zu Wittenberg sesshaft und ein vermögender Bürger war, hat Faustum auferzogen und wie ein Kind gehalten. Er liess ihn in die Schule gehen, Theologie zu studieren. Er ist aber von diesem gottseligen Vornehmen abgegangen und hat Gottes Wort missbraucht. Da Faustus als ein gelehriger und geschwindiger Kopf zum Studieren geeignet und geneigt war, ist es bald so weit gekommen,[179] dass man ihn zum Magister examinierte. Weil er aber einen unsinnigen und hoffärtigen Kopf gehabt, wie man ihn denn allezeit den Spekulierer genannt hat, ist er in böse Gesellschaft geraten, hat die heilige Schrift eine Weile hinter die Thür und unter die Bank gelegt und ein rauh und gottloses Wesen geführt; wie es denn ein wahr Sprichwort ist: Was zum Teufel will, das lässt sich nicht aufhalten. Da ging er denn nach Krakau, da ward er ein Weltmensch, ein Astrologus und Mathematikus, nannte sich einen Doktor der Medizin, half auch erstlich vielen Leuten mit Kräutern, Wurzeln und Pflastern und war dabei redselig und in der göttlichen Schrift wohlerfahren. Wie nun Dr. Fausts Sinn dahin gestellt war, das zu lieben, was nicht zu lieben war, nahm er Adlersflügel an sich und wollte alle Gründe von Himmel und Erde erforschen; denn sein leichtfertiger Vorwitz stachelte und reizte ihn also, dass er sich auf eine Zeit vornahm, etliche zauberische Vokabeln, Figuren und Beschwörungen zu versuchen und ins Werk zu setzen, damit er den Teufel vor sich fordern möchte. Mitten im Walde bei Wittenberg beschwor er, auf einem Kreuzwege, durch etliche Zirkel mit seinem Stabe den bösen Geist. Unter schrecklichen Erscheinungen kommt dieser in Gestalt eines grauen Mönchs. Faust citiert ihn des nächsten Morgens in seine Kammer und schlägt ihm ein Bündnis vor: erstlich verlangt Faust vom Teufel, dass er, Faust, auch Geschick, Form und Gestalt eines Geistes möge annehmen können; zweitens sollte der Geist alles thun, was er begehrte; drittens in seinem Haus unsichtbar regieren, und viertens, so oft er ihn forderte, sollte er in der Gestalt erscheinen, wie er ihm auferlegen würde. Der Geist willigt ein, falls Faust seinerseits folgende Bedingungen eingeht: 1) dass Faust verspreche, des Teufels eigen sein zu wollen; 2) solches wolle er zu mehrer Bekräftigung mit seinem Blute bezeugen; 3) dass er allen christgläubigen Menschen feind sein wolle; 4) dass er den christlichen Glauben verleugne, und 5) dass er sich nicht verführen lasse, so man ihn bekehren wolle. Faust geht den Pakt ein. Eben in dieser Stunde fiel der gottlose Mann von seinem Gott und Schöpfer ab, der ihn erschaffen hat, und ward ein Glied des leidigen Teufels, und war dieser Abfall nichts anderes denn stolzer, verzweifelter Hochmut, verwegene Vermessenheit, wie den Riesen zu Mute war, von welchen die Poeten dichten, dass sie die Berge zusammentrugen und wider Gott kriegen wollten; ja wie dem bösen Engel, der sich wider Gott setzte, weshalb er für seinen Übermut und Hoffart von Gott verstossen ward. Denn wer hoch steigen will, der fällt auch hoch herab. Nun lebt Faust in Saus und Braus; seine Nahrung hat er überflüssig, der Geist bringt ihm Wein aus den Kellern, wo er will. Nur die Eingehung einer Ehe verbietet er ihm, als dem Pakte zuwider: denn die Ehe ist göttlicher Einsetzung. Dr. Faust versucht nun vom Geist allerlei Weisheit zu erforschen, die er auf göttlichem Wege nicht erfahren hatte; was für ein Geist er sei? wie sein Herr im Himmel geziert gewesen? wie der Teufel seine Versuchungen von Anfang an getrieben habe? wie die Hölle beschaffen sei? was Mephistopheles, angenommen, er wäre als ein Mensch von Gott erschaffen, thun wollte, um Gott und den Menschen zu gefallen. Die Beantwortung dieser Fragen geschieht mit den notdürftigen theologischen Mitteln der Zeit.
Der andere Teil handelt von Dr. Fausti Geschichten und Abenteuern. Am Ende des ersten Teiles hatte der Geist Fausten erklärt, er werde ihm auf seine gottseligen Fragen keine Antwort mehr geben. So musste es Faust für gut sein lassen und fing an, Kalender zu schreiben.[180] Dagegen frug er den Geist über Sommer und Winter, woher sie ihren Ursprung nähmen, von des Himmels Bewegung, Lauf und Zierde, worauf ihn der Geist gar wohl beschied. Darauf fährt Faust mit des Geists Hilfe zur Hölle, fährt in das Gestirn auf, wo er Gelegenheit findet, das Himmelsgewölbe, Sonne, Mond und Sterne in ihrer Wirklichkeit zu beobachten, und schliesslich macht er eine Reise in die vornehmsten Städte und Länder, nach Paris, Neapel, nach Rom zum Papst, Florenz, Köln, Genf, Strassburg, Wien, Prag, Krakau und durch Ungarn nach Konstantinopel. Nach anderthalb Jahren kehrt er zurück, der Teufel hatte ihm das möglichst grosse Mass von weltlicher Erkenntniss verschafft.
Der dritte Teil erzählt in erster Linie etwa 40 Zaubergeschichten des Dr. Faust: wie er vor Karl V. Alexander den Grossen und seine Gemahlin vorzaubert, einem Ritter ein Hirschgeweih an den Kopf zaubert, einem Bauern ein Fuder Heu samt Wagen und Pferden frisst, drei Grafen auf ihr Begehren durch die Luft nach München führt auf des jungen Baiernfürsten Hochzeit, von einem Juden Geld entlieh und ihm seinen Schenkel zu Pfand gab, den er sich selber in des Juden Beisein absägte. Ein andermal verzaubert er Bauern ihr offenes Maul, dass sie es, offen, nicht schliessen können; er zaubert Speise und Trank nach Willkür, wohin er will; er zaubert ein ansehnliches Schloss auf eine Höhe; er zaubert vor den Augen eingeladener Studenten die schöne Helena ins Gemach; er zaubert sich bei einer Belagerung feindliche Kugeln in die Hand u.a.
Ein Anhang erzählt endlich, was sich mit Dr. Faustus in seinem letzten Jahr begeben hat. Er macht, wie er merkt, dass die 24 Jahre seines Vertrages bald vorbei sind, sein Testament zu Gunsten seines Famulus Wagner, jammert und seufzt über sein ruchlos Leben und darüber, dass er seine Seele dem Teufel verschrieben, und wird zuletzt vom Teufel zerrissen.
IV. Elemente des Faustbuches. Es lassen sich im Faustbuche folgende Elemente unterscheiden:
a. Die Zaubergeschichten: im Zusammenhang des Faustbuches sind sie freilich als Ausflüsse göttlichen Thuns betrachtet; sie gehören jedoch ursprünglich in den Bereich der übernatürlichen Erscheinungen, die das christliche Mittelalter aus der heidnischen Vorzeit überkommen und dem Geiste der Zeit gemäss mit Vorliebe überliefert und ausgebildet hatte. Sie unterliegen deshalb eigentlich nicht dem Massstabe des Guten und Bösen, sondern allein des Könnens und Nichtkönnens; die Sage und das Kindermärchen haben den Zauber unwidersprochen bis heute bewahrt, die Rübezahl-Märchen sind seiner voll. Manches von dem Zauber des Dr. Faust mag orientalischer Herkunft sein, in der schönen Helena spielt leise das Prinzip der Renaissance in diese sonst sehr mittelalterliche Welt.
b. Die Person des Zauberkünstlers. Ächter Zauber ist ursprünglich Sache eines Geistes; der Mensch kann bloss zu zaubern vorgeben, welches immerhin so lange eine gewisse Entschuldigung bei sich hat, als die Menschen von ihresgleichen Zauber annehmen und glauben mögen. Solcher Zauberer kannte das glaubensvolle Mittelalter viele, Leute, welche die Freude der Mitmenschen an Zauberei benützten, um sich gute Tage zu machen, Menschen von aus gesprochen schlechtem Lebenswandel, Betrüger, Lügner, Wollüstlinge, Schlemmer u. dgl. Ein solcher Mensch, Namens Faust, scheint in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Deutschland gelebt zu haben. Gewiss ist, dass etwas später ein ähnlicher Berufsmann als Zeitgenosse Luthers in Deutschland sein Wesen trieb. Er nannte sich selbst und[181] schrieb es auf seine Karte: Magister Georgius Sabellicus, Faustus junior, fons necromanticorum, magus secundus, chiromanticus, aeromanticus, pyromanticus, in hydra arte secundus. Als sein Geburtsort wird das Städtchen Knittlingen in Württemberg oder Rod bei Weimar angegeben. Er soll in Wittenberg und Krakau Theologie und Medizin studiert haben, als fahrender Schüler umhergezogen und durch seine Zauberkünste in Deutschland mehr berüchtigt als berühmt gewesen sein. Erfurt und Wittenberg sind die Hauptsitze seiner Thätigkeit, in Wittenberg stellte er sich unter anderm Melanchthon vor. Aber auch aus Würzburg, Kreuznach, Maulbronn, Magdeburg, Gotha, Nürnberg, Goslar, Prag, Meissen laufen Nachrichten über ihn ein. Sein Tod scheint um das Jahr 1540 erfolgt zu sein.
c. Als drittes Element findet sich im Faustbuch die naturwissenschaftliche, auf eigenen Füssen stehende Forschung niedergelegt. Nur mühsam ringt sich während des Mittelalters eine auf Thatsachen gebaute, naturwissenschaftliche Erkenntnis durch; stillgestanden aber hat auch in jener Periode diese Geistesarbeit nicht. Am ehesten gelingt es ihr auf dem Felde der Astronomie zu sicheren Resultaten zu gelangen, besonders wo dieselben durch Rechnen zu gewinnen waren; auf dem Gebiete der Physik, und namentlich der Chemie, sah es dunkler aus, und es ist bekannt, wie damals chemische Forschungen mit allerlei dunkeln Problemen unverstandener Magie zusammentrafen. Dass es aber auch bereits eine sehr bewusste Naturerkenntnis gab, beweisen u.a. die Anschauungen des in Genf verbrannten Servet; in Vadians Fragment einer Geschichte der römischen Kaiser (Deutsche hist. Schriften III, 20. 40) steht der Satz: »Dan die Natur nünt anders ist, dan die kraft Gotes, der gaist Gotes, ja Got selbs, durch welchen alle geschepft erhalten wirt und von welicher wegen man der wirkung der geschepften den namen der natur geben hat.« Auch Dr. Faust studiert neben der Theologie Medizin, er wird ein Weltmensch, ein Astrologus und Mathematikus, nannte sich einen Doktor der Medizin, half auch erstlich vielen Leuten mit Kräutern, Wurzeln und Wassern, Rezepten und Klystieren. Er machte auch Kalender und man lobte seine Kalender und Almanache vor allen anderen; denn er setzte nichts in den Kalender, es war denn also. Es waren seine Kalender nicht wie die etlicher unerfahrener Astrologen, die im Winter kalt oder Eis und Schnee, oder im Sommer in den Hundstagen warm, Donner und Ungewitter setzen. Er nannte allemal Zeit und Stunde, wann etwas geschehen sollte, und warnte jedes Land insbesondere, das eine vor Krieg, das andere vor Teurung, das dritte vor Sterben u.s.w.
d. Das vierte Element des Faustbuches ist die kirchliche, offenbarungsgläubige Weltanschauung. Diese lässt den Menschen bloss durch die Gnadenmittel des Christentums selig werden; wer nicht glaubt, sich vom Glauben loslöst, ist verdammt, ist des Teufels, ihn holt der Teufel, er gehört der Hölle an. Schon die ersten christlichen Jahrhunderte hatten diese Anschauung ausgebildet, wie man denn auch schon so früh die Verschreibung des Gottlosen mit eigenem Blut an den Teufel und das Holen eines Gottlosen durch den Teufel selber kennt. Eine ältere katholische Sage (Theophilus) lässt den Abgefallenen durch die Fürbitte der Maria gerettet werden. Unser Faustbuch ist protestantisch. Rettung durch die Gnadenmittel der Kirche gilt nicht, jeder hat Wohl oder Wehe selber zu tragen, Faust hat sich von Gott losgelöst, also holt ihn der Teufel.
Es richtet sich aber die Strafe[182] für den Abfall gleichmässig gegen sämtliche drei Elemente des Faustbuches. Faust wird also erstens vom Teufel geholt, weil er ein Zauberer ist; der Teufel hat ihm die Kraft des Zauberns mitgeteilt, mit seiner Hilfe hat er auch diejenigen Zaubereien unschuldiger Natur begangen, die an anderen Orten ohne Zuhilfenahme des Teufels berichtet werden. Zweitens wird Faust vom Teufel geholt, weil er ein Schwindler ist, ein Schlemmer, ein Prasser, ein Wollüstling. Schon vor dem Faustbuche hatte man sich an verschiedenen Orten erzählt, in der und der Gasse, in dem und dem Hause, sei der wirkliche Dr. Faust nachts vom Teufel geholt und in Stücke zerrissen worden. Drittens holt der Teufel den Faust, weil er es unternommen hat, die Wahrheit in der Natur auf eigene Faust zu gewinnen, weil er in seiner Wissenschaft vom Wege der Theologie abgewichen ist.
Nach dem Faustbuch scheint am Ende des 17. Jahrh. eine dramatische Bearbeitung der Sage in Alexandrinern vorhanden gewesen zu sein. Stücke daraus finden sich im Puppenspiel Faust, dessen Hauptquelle man gewöhnlich in der von Marlowe, gest. 1593, verfassten englischen Tragödie Faust sucht, die von sog. englischen Komödianten nach Deutschland gebracht worden wäre. Wie das Puppenspiel im Aufklärungszeitalter den Anstoss zu neuen Faustdichtungen im Geiste einer freien Bildung gab und zumal Lessing und Goethe beschäftigte, gehört nicht hierher.
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