Hector

[1208] HECTOR, ŏris, Gr. Ἕκτωρ, ορος, ( Tab. XXXI.)

1 §. Aeltern. Sein Vater war Priamus, König zu Troja, seine Mutter aber Hekuba, des Priamus eigentliche Gemahlinn, deren erster, oder ältester Prinz er war. Apollod. l. III c. 11. §. 5. Indessen machen ihn doch einige lieber zu einem Sohne des Apollo. Lycophron. 265. & Tzetzes ad eum. Dieß wird aber von andern billig nicht weiter angenommen, als ehemals alle berühmte Helden für Söhne der Götter angegeben wurden. Hierocles ap. Meurs. ad eumd. l. c.

2 §. Thaten. Er war der tapferste unter allen funfzig Söhnen des gedachten Königs. Homer. Il. Ω. v. 263. Es wurden auf die ein und dreyßig vornehme Griechen von ihm erleget. Hygin. Fab. 115. Unter denselben waren insonderheit Protesilaus und Antilochus, Id. Fab. 113. wie auch Patroklus, der so gute Freund des Achilles. Hom. Il. P v. 843. Ferner Phidippus und Antiphus, Dar. Phryg. c. 23. Stichius und Arcesilaus, Homer. Il. Ο. v. 329. u.a.m. Da er auch selbst mit dem Ajax Telamonius in einen harten Zweykampf gerieth, so hielt er sich so wohl, daß keiner dem andern etwas abgewinnen konnte. Da sie ihre Wurfspieße gegen einander gebrauchet hatten, so ergriffen sie Steine, und wollten hernach mit den Schwertern auf einander losgehen, wovon aber die Herolde sie abhielten. Homer. Il. Η. 219. Dieser Kampf ist auf einer Gemme abgebildet, wo Ajax mit einem Steine wirst, Idäus aber ihn abhält. Lipperts Dactyl. II Taus. 197 N. Sie giengen demnach dergestalt wieder von einander, daß Ajax dem Hektor sein Wehrgehenk, Hektor aber dargegen dem Ajax sein Schwert zum Andenken schenkete. Idem Il. Η. v. 224. Er schlug auch die Griechen oft bis an [1208] ihr Lager von der Stadt zurück, griff ihre Verschanzungen an und sprengete das Thor derselben durch einen gewaltigen Wurf mit einem Steine auf. Hom. Il. M 445. Auch diese That soll auf einer Gemme seyn ausgedrücket worden. Lippert am angef. O. N. 124. Hiernächst steckete er selbst ihre Schiffe in Brand. Homer. Il. Ο. v. 260. & Dict. Cret. l. II. c. 42. Man hat solches ebenfalls auf einem geschnittenen Steine vorgestellet, woselbst er vor einem Schiffsschnabel mit einer Fackel in der Rechten und erhabenem Schilde und Spieße in der Linken, in vieler Eile und Hitze mit starkem Schritte fortschreitet. Borioni Collect. antiq. t. LVI. p. 40. Er wurde daher auch die Säule seines Vaterlandes, Lycophr. v. 282. und die phrygische Mauer genannt, auf dessen Schultern sich Troja stützete und mit dessen Falle es auch fiel. Senec. Troad. v. 124. Denn es war nach dem Schicksale so versehen, daß, so lange er lebete, Troja allerdings nicht eröberts werden konnte. Barth. ad Stat. Achill. I. v. 475.

3 §. Tod und Begräbniß. Als die Trojaner einst insgesammt von ihren Feinden in die Stadt getrieben worden, so hatte er den Muth, allein vor derselben zu bleiben. Als ihm aber doch Achilles auf den Hals kam, so zog er sich ebenfalls zurück. Doch Minerva nahm seines Bruders, des Deiphobus, Gestalt an und ermahnete ihn, Stand zu halten, mit dem Versprechen, ihm zu helfen. Er glaubte auch, daß es sein Bruder wäre, und erwartete also den Achilles. Allein, da das Gefecht angieng, und er sich nach dem Deiphobus umsah, so war solcher verschwunden. Weil nun Minerva dem Achilles noch darzu allen Beystand leistete, so brachte ihm endlich dieser einen Hieb zwischen den Fugen des Harnisches am Halse bey, daß er fiel. Er wurde darauf unter dem bittiersten Spotte und der Bedrohung, die Vogel und Hunde sollten feinen Leib fressen, mit dems Spieße durchstochen und vollends hingerichtet, wobey er aber doch auch dem Achilles sein bevorstehendes Schicksal [1209] prophezeyete, daß ihn nämlich Paris und Apollo hinrichten würden. Nach diesem stach ihm Achilles zwey Löcher durch die Beine, zog einen Riemen dadurch und band ihn also an seinen Wagen, daß der Kopf auf die Erde hieng, worauf er denn den Pferden die Peitsche gab und den Körper also elendiglich über das freye Feld vor Troja nach den Schiffen zu schleifete. Homer. Il. Χ. per integr. Einige wollen hierbey, daß er ihn dreymal um die Stadt Troja herum geschleift. Auson. Perioch. Il XXII. & Serv. ad Virgil. Eclog. IX. 6. Man hat hiervon noch ein Paar Vorstellungen auf geschnittenen Steinen. Auf dem einen derselben treibt Achilles die Pferde im vollen Laufe unter den Mauern einer wohlgebauten Stadt an und Hektors nackter Körper schleppet hinter seinem Wagen her. Maffei gem. ant. T. IV. t. 3. p. 7. Auf dem andern steht Achilles mit seinem Schilde und Spieße triumphirend auf dem Wagen und sein Stallmeister treibt die Pferde an. Der hinterherschleisende Hektor ist noch in seiner Rüstung. Vorn sitzt Phrygien mit einer Mauerkrone auf dem Haupte, stützet solches auf ihren Arm, lehnet sich auf ein Schild und sieht betrübt zu. Auf den Mauern steht Hekuba wehklagend mit auseinander gebreiteten aufgehabenen Händen, und Priamus, der seine flehentlich nach dem Achilles ausstrecket. Caus. gem. figur. t. 119. Lipp. Dactyl. II. Taus. 45 S. Andere sagen, er sey nur um das Grab des Patroklus geschleifet worden, da die Thessalier die Weise gehabt, dergleichen mit den Mördern ihrer guten Freunde zu thun. Eustath. ap. Potter. ad Lycophr. v. 267. Indessen aber erzählen andere dieses Heiden Tod auf eine ganz andere Art. Als nämlich Penthesilea, Königinn der Amazonen, dem Priamus mit ihren Leuten zu Hülfe kommen wollen, so sey ihr Hektor, unter einer gar schwachen Begleitung, entgegen gegangen. Dieses sey dem Achilles verrathen worden, der ihm denn an einem bequemen Orte aufgepasset, unversehens mit den Seinigen überfallen, und nieder gemacht habe. Dict. Cret. l. III. c. 14. [1210] Wenn auch andere zugeben, daß er im Gefechte vor der Stadt geblieben, so melden sie doch darbey nichts von dessen Schleifung, wohl aber, daß Memnon die Griechen abgetrieben, und Priamus den todten Körper ordentlich begraben habe. Dar. Phryg. c. 24. 25. Indessen erhub sich doch ein allgemeines Heulen und Schreyen über seinen Tod in Troja, und, da die Griechen draussen dergleichen vor Freuden dar gegen machten, so sollen so gar die Vögel aus der Luft davon herunter gefallen seyn. Dictys l. e. c. 16. Es kam darauf Priamus selbst, auf erhaltenes sicheres Geleit, in der kläglichsten Gestatt aus Troja zu dem Achilles, hatte Hektors Gemahlinn Andromache, nebst ihren beyden kleinen Kindern, dem Astyanax und Laodamas, wie auch seine Tochter, Polyxena, auf die er sich lehnte, bey sich, fiel vor den ihm entgegen kommenden Feldherren auf das Gesicht nieder, streuete Erde, wie er sie ergriff, auf sein Haupt, und bath, für ihn bey dem Achilles sein Wort zu reden, wobey denn Nestor zwar sein Beyleid bezeugete, Ulysses aber hingegen ihm desto schärfer mit Worten zusetzete. Als er darauf zu dem Achilles selber kam, so hatte dieser des Patroklus Asche in der Urne vor sich auf dem Schooße. Priamus umfassete dessen Knie, und bath wehmüthigst um Hektors Leichnam. Er sank darüber endlich in Ohnmacht, worauf denn Andromache ihre beyden kleinen Prinzen vor ihn auf die Gesichter nieder warf, und selbst mit dem kläglichsten Weinen um eben denselben ansuchte. Da nun endlich Phönix den Priamus wieder aufhub, so setzete er sich auf die Knie und wiederholete seine Bitte. Achilles gab darauf erst dem guten Priamus, seiner Söhne halber, einen ziemlichen Verweis, besprach sich aber hernach mit den übrigen Heerführern, was zu thun sey. Diese riethen ihm denn insgesammt, das Gold und was Priamus mehr mit gebracht, anzunehmen, und ihm den todten Hektor dargegen wieder zuzustellen. Als darauf die angenehme Polyxena ihm auch zu [1211] Fuße fiel, und sich zu seiner Sclavinn für ihren todten Bruder anboth, so wurde endlich Achilles vollends erweichet, und stund dem Priamus des Hektors Leiche zu. Sie wurde abgewaschen, und, nachdem Achilles alles Gold und Silber, welches Priamus mitgebracht, zu sich genommen, ihm, wie der Polyxena das übrige, zurück gegeben. Id. ib. c. 20. 27. Er wurde darauf unter dem größten Wehklagen der Trojaner, unsern von des Ilus Grabe, zur Erde bestattet, und zwar währete solche Feyerlichkeit ganzer zehn Tage, wobey eines Theils die trojanischen Frauen, unter der Anführung der Hekuba, andern Theils die Männer, und endlich besonders wiederum die fremden Hülfsvölkerihr Klagen vom Morgen bis Abend fortsetzeten. Id. l. IV. c. 1. Andere wollen, es habe Mercurius selbst auf Jupiters Befehl sich zu dem Priamus gemacht, und selbigen zu den Griechen begleitet. Homer. Il. Ω. v. 343. Achilles aber habe solchen Körper auf keine andere Art weggegeben, als daß Priamus ihm so schwer Gold dargegen geben müssen, als derselbe gewogen. Hygin. Fab. 106.

4 §. Gestalt und Eigenschaften. Er war groß von Statur, hurtig und munter. Hom. Il. Β. 802, 807, 816. Sonst aber soll er gelispelt, etwas geschielet, krauses Haar, einen starken Bart, und ein ehrwürdiges Ansehen gehabt haben. Dabey soll er kriegerisch, von großer Seele, gnädig gegen die Unterthanen und liebenswürdig gewesen seyn. Dar. Phryg. c. 12. Außer seiner besondern Tapferkeit, wird an ihm noch seine Keuschheit gerühmet, durch welche er sich nicht weniger, denn durch seine Kriegsthaten, in Hochachtung gesetzet. Dict. Cret. l. IV. c. 1.

5 §. Gemahlinn und Kinder. Erstere war Andromache, des Eetions, eines Königs in Cilicien, Tochter, eine so schöne, als tugendhafte Prinzessinn. Homer. Il. Ζ. v. 295. Er zeugete mit ihr, nach einigen, allein den Scamander, oder, wie er auch genennt wird, Astyanax, Serv. ad Virg. Aen. II. v. 456. Cf. Cerda ad eumd. l. c. v. 457. nach andern [1212] aber auch noch den Laodamas, Dict. Cret. lib. III. c. 20. oder auch, Amphineus. Anaxicrates ap. Fabram ad Dict. l. c.

6 §. Verehrung. Er wurde nach der Zeit von den Ilienfern selbst als ein Gott verehret. Athenagor. ap. Voss. Theol. gentil. lib. I. c. 21. Man brachte ihm seine feyerlichen Todtenopfer. Pausan. Lacon. c. 18. p. 198. Das Orakel befahl auch den Thebanern, daß, wenn sie ihre Stadt allezeit glücklich wissen wollten, sie dessen Gebeine aus Asien nach Theben holen, und bey sich aufbehalten sollten. Sie thaten solches und verehreten ihn dabey selbst, auf Jupiters Geheiß, als einen Held. Id. Bœot. c. 18. p. 569.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 1208-1213.
Lizenz:
Faksimiles:
1208 | 1209 | 1210 | 1211 | 1212 | 1213

Buchempfehlung

Haller, Albrecht von

Versuch Schweizerischer Gedichte

Versuch Schweizerischer Gedichte

»Zwar der Weise wählt nicht sein Geschicke; Doch er wendet Elend selbst zum Glücke. Fällt der Himmel, er kann Weise decken, Aber nicht schrecken.« Aus »Die Tugend« von Albrecht von Haller

130 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon