Paris

[1884] PARIS, ĭdis, Gr. Πάρις, ιδος, ( Tab. XXXI.)

1 §. Namen. Paris soll er von παριέναι, vorüber gehen, heißen, weil er sein Schicksal, da er weggesetzet worden und sterben sollen, glücklich übergangen; nicht aber von dem Korbe, πήρα, worinnen er weggesetzet worden, wie einige sagen. Schol. Homer. Il. Μ. 93. Doch meynen auch einige, er habe ihn ἀπὸ τοῦ πηροῦν erhalten, weil er durch seine große Schönheit diejenigen gleichsam geblendet, die ihn angesehen. Hesych. h. v. Und dieses war denn sein erster Namen. Hernach aber, als er zu seinen Jahren gekommen, und den Hirten allerhand gute Dienste, durch Abtreibung vielfältiger Gefahr von ihnen, that, bekam er erst den Namen Alexander. Apollod. l. III. c. 11. §. 5. Ovid. Heroid. XVI. v. 357. Diesen behielt er auch hernachmals mehr, als den erstern. Etwas lächerliches aber ist es, daß einige wollen, er habe mit seinem völligen Namen Alexander Dardanius Paris geheißen. Diomed. Grammat. ap. Muncker. ad Hygin. Fab. 91. Eher kann man es gelten lassen, daß er unter den Hirten Paris, von den Griechen aber Alexander genannt worden. Varro ap. eumd. l. c. cf. Tzetz. ad Lycophr. v. 138.

2 §. Aeltern und Auferziehung. Sein Vater war Priamus, König zu Troja, seine Mutter aber Hekuba, dieses Königes rechte Gemahlinn. Weil derselben, als sie mit ihm schwanger gieng, träumete, sie gebähre eine Fackel, welche die Stadt Troja in Brand steckete u. verzehrete, so erklärete [1884] Aesakus, ebenfalls Priams Sohn, als ein guter Wahrsager, es dahin, daß Hekuba einen Sohn bekommen würde, welcher seinem Vaterlande das gänzliche Verderben zuziehen werde. Priamus befahl daher, daß solches Kind, so bald es geboren seyn würde, weggesetzet werden sollte, übergab es auch hernach einem seiner vertrautesten Leuten, es auf den Berg Ida zu schaffen, welcher es wieder seinem Knechte, Agelaus, zustellete, es dahin zu bringen, der es auch that. Allein, weil er fünf Tage hernach befand, daß eine Bärinn solches Kind indessen unterhalten, so nahm er es wieder mit nach Hause, und gab ihm den Namen Paris. Apollod. l. III. c. 11. §. 5. Didym. ad Hom. Il. Τ. 325. & Μ. 93. Nach einigen wurden alle Wahrsager um die Deutung des Traumes gefraget, welche mit dem Aesakus einstimmig waren. Hygin. Fab. 91. Doch soll auch Hekuba selbst zu Erhaltung des Paris allen Vorschub gethan haben, Dict. Cret. l. III. c. 26. ungeachtet, nach einigen, die Sibylla Herophila gesagt, was solcher Paris dereinst für ein Unglück stiften werde. Pausan. Phoc. c. 12. cf. Ovid. Heroid. Ep. 16. v. 43. Ja, seine Schwester, Kassandra, selbst soll gerufen haben, da er geboren worden, man müsse ihn als denjenigen umbringen, welcher den Untergang von Troja verursachen werde. Eurip. Androm. 297. Cf. Mezir. sur les Ep. d'Ovid. T. I. p. 405 sq.

3 §. Thaten. Als er zu seinen Jahren gekommen, so erlangte er nicht allein eine ungemeine Schönheit, sondern auch eine sonderbare Stärke; und, weil er zuförderst gar oft die Räuber und dergleichen von den Heerden abhielt, so bekam er daher eben den Namen Alexander. Apollod. l. III. c. 11. §. 5. So erwies er auch darinnen einen guten Verstand, daß er viele Händel der andern Hirten mit guter Art richtete und beylegete. Potter. ad Lycophr. v. 96. Dadurch brachte er es denn so weit, daß bey der Uneinigkeit der Juno, Minerva und Venus über den Apfel der Eris, wer von ihnen die schönste sey, Jupiter, welcher keinen Ausspruch [1885] deswegen thun mochte, den Mercurius mit allen dreyen zu dem Paris, auf den Berg Ida, schickete, daß er sie entscheiden sollte. Es stelleten sich also nicht allein alle drey, wie einige wollen, ganz nackend vor ihm; Propert. l. II. Eleg. 2. sondern es versprach auch Juno, ihn zu einem großen Könige über die ganze Welt, Hygin. Fab. 92. oder doch wenigstens ganz Asien und die europäischen Gränzen zu machen. Lucian. Dial. Deor. 16. Eurip. Troad. 927. Dabey sollte er der reichste unter allen Menschen werden. Minerva hingegen wollte verschaffen, daß er Griechenland den Phrygiern unterwerfen, und der berühmteste und künstlichste unter allen Menschen werden sollte. Eurip. l. c. 925. & Hygin. l. c. Venus aber wollte ihm das schönste Frauenzimmer auf der Welt zur Gemahlinn geben, wenn er sie für die schönste erklärete. Dieß letztere ließ er sich denn gefallen, machte aber dadurch sich und seiner ganzen Nation die andern beyden zu unversöhnlichen Feindinnen. Hygin. l. c. cf. Tzetz. ad Lycophr. v. 91. Ovid. Heroid. XVI. v. 59. Lucian. l. c. Man sieht dieses Urtheil noch auf verschiedenen Denkmälern von allerhand Art abgebildet. Auf einem alten, aber sehr verstümmelten, Marmor sitzt Paris in phrygischer Kleidung, aber ohne Mütze, auf einem Steine, und hat das Vieh um sich herum liegen. Mercur bringt ihm die drey Göttinnen, bey denen auch Cupido ist, und hinter ihnen fliegt die Zwietracht. Hinter dem Paris scheint eine Höhle zu seyn, worinnen man die Göttinnen entkleidet sieht. Begeri spicileg. p. 135. In einem Gemälde an dem Grabmaale der Nasonen sitzt Paris mit einer phrygischen Mütze auf dem Kopfe und dem Hirtenstabe in der Hand an einem Flusse, und empfängt von dem Mercurius den Apfel. Vor ihm befinden sich Ochsen und Ziegen. Auf der andern Seite des Flusses gegen ihn über sitzen die drey Göttinnen insgesammt bekleidet, und scheinen des Richters Ausspruch zu erwarten. Juno sitzt in der Mitte mit einem. Schleyer,[1886] Venus zu deren Rechten mit einem Diadem, und Pallas mit einem Helme auf dem Haupte und dem Schilde an der rechten Seite zur Linken. Neben ihr befindet sich Cupido, der mit ihr oder allen dreyen zu sprechen scheint; und alle drep haben Spieße in der rechten Hand. Montf. antiq. expl. T. I. P. I. pl. 108. Auf einem geschnittenen Steine stehen sie ganz nackend in der Stel lung, wie die Gratien gemeiniglich gebildet werden, vor dem sitzenden Paris, welchem Mercur mit dem Apfel in der Hand seine Verrichtung ankündiget. Maffei gem. ant. P. IV. t. 2. Eine andere Gemme zeiget den Mercurius neben ihm stehen und mit ihm sprechen. Die Göttinnen sitzen bekleidet vor ihnen; Juno mit dem Schleyer auf dem Kopfe, und dem Zepter in der Hand, in der Mitte, Pallas mit ihren Kenn. zeichen zu deren Linken, und Venus mit entblößter linken Schulter zur Rechten, wobey sie zugleich mit ihrer rechten Hand den Apfel in die Höhe hält, den sie eben erhalten zu haben scheint. Ueber ihr fliegt Cupido, der gleichsam glückwünschend auf sie herab sieht. Umher sind Felsen, und neben dem Paris Vieh. Begeri Thes. Brand. T. I. p. 43. Indessen verblieb er doch noch eine Zeitlang unter den Hirten, bis Priamus einen Ochsen von der Heerde holen ließ, den er auf einem gewissen Kampfspiele zum Preise aufsetzen wollte. Weil nun einer gewählet wurde, den Paris sich auferzogen, und woran er seine besondere Luft hatte, so gieng er ihm nach Trojanach, und ließ sich auch selbst für selbigen mit in den Kampf ein. Er war so glücklich, daß er gegen alle Prinzen des Priamus, und so gar auch gegen den Hektor selbst, den Sieg behauptete. Hierüber wurde unter andern Deiphobus so aufgebracht, daß er ihn mit dem Degen überfiel, wogegen aber Paris sich zu des herceischen Jupiters Altare flüchtete; und als Kassandra, des Priamus Prinzessinn, solches sah, so sagte sie nach ihrer Wissenschaft im Wahrsagen, es wäre dieser Paris ihr; ehemals weggesetzter Bruder. Priamus [1887] erkannte ihn darauf, und nahm ihn also wieder mit unter seine Söhne. Hygin. Fab. 91. cf. Ovid. Heroid XVI. v. 359. Nach einigen überfiel ihn selbst Hektor, gegen den er aber sich erklärete, daß er sein Bruder wäre; und, da er solches mit denen ihm bey seiner Wegsetzung zugelegten Spielsachen erwies, so wurde er auch dafür erkannt. Serv. ad Virg. Aen. V. v. 370. Insonderheit richtete es Hekuba dahin, daß ihm Priamus, ungeachtet der Weißagung von ihm, dennoch das Leben ließ. Dict. Cret. l. III. c. 26. Einige Zeit hernach vermochte ihn, nach einigen, Venus, Hygin. Fab. 92. nach andern aber, der Befehl seines Vaters, Priamus, nach Griechenland zu gehen, die entführte Hesione wieder zu fordern. Luctat. ap. Barth. ad Stat. Achill. I. v. 21. Er that solches mit einigen Schiffen, welche einige bis auf drey und zwanzig setzen wollen. Ap. Nat. Com. l. VI. c. 23. Anfänglich begab er sich nach Sparta, und wurde daselbst von dem Menelaus wohl aufgenommen; Ovid. l. c. v. 127. oder, wenn ja solcher damals in Kreta abwesend gewesen, so wiederfuhr ihm doch dergleichen Ehre von der Helena. Dictys Cret. l. I. c. 2. Hier ersah er denn seine Gelegenheit, und entführete die Helena, nach einigen, mit ihrem guten Willen, wie es ihm Venus versprochen hatte. Ovid. Heroid. XVI. 85. & XVII. per tot. Nach andern aber nahm er sie wider ihren Willen mit sich. Dares Phryg. c. 10. & ad ipsum Anna Fabra l. c. Virgil. Aen. X. v. 92. & ad eum Servius l. c. Dabey soll er denn so gar die Stadt Sparta mit Gewalt erobert haben. Wenigstens nahm er nicht nur zugleich zwo von ihren Sclavinnen, die Aethra, des Theseus Mutter, und die Klymena, sondern auch zugleich einen großen Schatz des Menelaus mit hinweg. Dict. l. c. Sieh auch Helena. Er machte sich mit ihnen zuerst nach Attika, wie einige wollen. Nat. Com. l. c. p. 659. Nach andern aber gieng er in die Insel Kranae, woselbst er der Helena zum ersten Male beywohnete, und der ehelichen Venus deswegen einen Tempel [1888] bauete. Pausan. Lac. c. 22. p. 204. Als er aber von dar nach Troja zugieng, so überfiel ihn ein Sturm, welcher ihn bis in Aegypten verschlug. Hieselbst ländete er in der kanobischen Münde an. Allein, da ihm einige Sclaven entliefen, und dem Thonis, Statthalter solcher Gegend, meldeten, was er in Griechenland unternommen, so berichtete es dieser dem Proteus, damaligem Könige in Aegypten, der ihn denn vor sich nach Memphis bringen ließ. Nachdem sich nun solcher seiner Dinge zulänglich erkundiget hatte, so verwies er ihm nicht nur sein Verfahren, sondern behielt auch die Helena, sammt dem andern Raube, bey sich, und ließ ihn bloß darum, weil er sich an ihm, als einem Gaste oder Fremden in seinem Reiche, nicht vergreifen wollte, mit seinen Leuten wieder gehen. Herodot. Euter. II. 113. sqq. Nach andern entkam er nicht allein von hier mit seiner Helena, sondern auch aus Phönicien, wo er des Nachts den König in Sidon hinterlistig überfiel und erlegete, dessen Residenz ausplünderte, und deshalber mit den Phöniciern in ein hartes Gefecht gerieth, worinnen er zwey seiner Schiffe einbüßete. Dict. Cret. l. c. c. 5. Gleichwohl brachte er von dieser Reise sidonische Zeugweberinnen mit, und legete, nach unserer Art, eine Tapetenmanufaktur in Troja an. Hom. Il. Ζ. 289. Einige wollen, er sey in einer Zeit von dreyen Tagen von Sparta zu Troja angelanget. Auctor Cypriorum ap. Eustath. laudante Fabra ad Dict. l. c. Man erzählet seine Begebenheit bis hieher noch auf eine etwas andere Art. Der Orakelspruch, welcher dem Priamus gegeben worden, enthielt, der Sohn, welcher ihm würde geboren werden, würde Troja zu Grunde richten, ehe er noch dreyzig Jahre alt wäre. Hierauf schickete ihn Priamus aufs Land an einen Ort, welcher Mandrus hieß, daß er da erzogen würde. Er ließ zugleich eine Festung bauen, welche man von dem Paris Parion nannte. In dieser hielt sich der junge Prinz auf, und verfertigte, zur Uebung [1889] seines Witzes, einen Lobgesang auf die Venus, worinnen er sie der Juno und Pallas vorzog, welches denn zu der Fabel von seinem Urtheile Anlaß gegeben. Als er das dreyzigste Jahr erreicht hatte, so glaubete sein Vater, die von dem Orakel bestimmte Zeit wäre vorbey, und nun keine Gefahr weiter von ihm zu besorgen. Er rief ihn also wieder zu sich, gab ihm hundert junge Phrygier zur Begleitung, und schickete ihn mit vielen Geschenken und Empfehlungsbriefen an die europäischen Höfe, wobey er unter andern auch dem daphnäischen Apollo opfern sollte. Bey dieser Gelegenheit gieng Paris nach Sparta, und entführete die Helena. Cedren. Hist. Comp. T. I. p. 206. So bald er damit nach Troja kam, so erhub sich ein großer Lärm über seine Ankunft in der Stadt, weil der Griechen Gesandten bereits da angelanget waren, und die Helena, nebst dem andern Raube, wieder verlangeten; daher denn jedermann leicht abnehmen konnte, was erfolgen würde. Dict. Cret. l. c. c. 7. Paris aber gewann die Großen durch allerhand Bestechungen; Hom. Il. Λ 123. und es drangen also des Königs Söhne, die sich alle auf des Paris Seite schlugen, mit der Hekuba durch, so daß die Gesandten, unter denen sich Menelaus selbst mit befand, unverrichteter Sache zurück gelassen wurden. Dyct. Cret. l. c. 8.–11. Als der Krieg darauf wirklich angieng, so erwies er sich noch ziemlich tapfer dabey, verwundete den Diomedes, Homer. Il. Λ. v. 369. Machaon, Id. ib. v. 501. und Eurypylus, Id. ib. v. 575. erlegete drey angesehene Griechen, Hygin. Fab. 115. und unter solchen auch selbst, wiewohl hinterlistiger Weise, mit Beyhülfe des Deiphobus, den Achilles. Id. Fab. 110. Dagegen aber würde er unfehlbar in dem Zweykampfe mit dem Menelaus geblieben seyn, wo ihn nicht Venus aus demselben hinweg gerückt hätte. Homer. Il. Γ. v. 280. & Hyg. Fab. 112.

4 §. Tod. Er gerieth endlich mit dem Philoktetes zusammen. Weil nun dieser von dem Herkules seine Pfeile [1890] und Bogen bekommen, wovon erstere in das Blut der lernäischen Schlange getunket waren, so mußte er um so viel gewisser sterben, weil er drey Wunden, nämlich in den linken Arm, in das rechte Auge, und in den Knöchel des einen Fußes bekam. Hygin. Fab. 112. Lycophr. v. 917. & ad eum Tzetz. & Meursius l. c. Dieses Gefecht soll ein ordentlicher Zweykampf auf ein Paar Pfeile gewesen seyn, wozu Ulysses und Deiphobus auf beyden Seiten Raum und Gelegenheit machten. Paris that den ersten Schuß, fehlete aber seines Feindes, hingegen schoß ihn dieser alsofort mit dem ersten Pfeile durch die linke Hand; und, da er darüber zu schreyen anfieng, schoß er ihn mit dem andern in das rechte Auge; und, als er endlich ausreißen wollte, jagte er ihm den dritten Pfeil durch beyde Füße. Dict. Cret. l. IV. c. 19. & Tzetz. ap. Fabram ad eumd. l. c. Er ließ sich zwar gleich zu seiner ersten Gemahlinn Oenone bringen, die ihn allein heilen konnte: allein, sie weigerte sich, solches zu thun; und er mußte also seinen Geist aufgeben, welches ihr aber auch das Leben kostete. Apollod. l. III. c. 11. §. 6. & Parthen. Erot. c. 4. Sieh Oenone. Indessen wollen doch einige, es habe ihn Ajax erleget, nach dem er diesen erst verwundet; und, da ihn Priamus begraben lassen, soll ihn Helena, weil er sie jederzeit gar wohl gehalten, ganz ungemein beklaget haben. Dict. Cret. l. IV. c. 19. & Tzetz. ap. Fabram ad eumd. l. c. Noch andere geben vor, daß ihn selbst Menelaus erleget, indem er ihn mit einem Spieße durch die Hüfte gestoßen. Ptol. Hephæst. l. V. p. 326.

5 §. Gestalt und Eigenschaften. Er wird als ein sehr schöner Herr beschrieben; daher er vielfältig der Göttergleiche, θεοειδὴς, genannt wird. Hom. Il. Γ. 16, 30, 37 & c. Sonst soll er weiß, lang, stark, geschwind und herrschsüchtig gewesen seyn, die schönsten Augen, ein weiches und blondes Haar, ein angenehmes Gesicht und eine liebliche Stimme gehabt haben. Dares Phryg. c. 12. Dabey will man [1891] aus einigen homerischen Ausdrücken schließen, daß er ein besonderer Liebhaber von köstlichen Salben oder herrlichen Schminkwassern gewesen. Dam. Lex. etymol. p. 2984. Daß er ein Wollüstler gewesen, erhellet daraus, daß er die Helena allem dem Guten vorgezogen, was ihm Juno und Minerva angebothen. Fulgent. Mythol. l. II. c. 2. Hat er ja in dem Kriege einige Tapferkeit dann und wann spüren lassen, so erwies er auch mehr als einmal, daß er wußte, was Ausreißen und das Maul mehr, als die Fäuste, brauchen hieß. Homer. Il. Γ. v. 16. Daher bekam er dem vom Hektor zum öftern einen Verweis, und insonderheit diese schönen Titel: Δύσπαρι εἶδος ἄριστε, γυναιμανὲς, ἠπεροπευτά. Unglücklicher Paris, an dem das Gesicht das beste ist, weibersüchtiger, schmeichelhaft verführerischer. Id. ib. v. 39. Ν. v. 769. Er war sehr leichtsinnig; und kaum war er aus dem Gefechte mit dem Menelaus entronnen, so sah man ihn schon wieder so geputzt, als wenn er auf einen Ball gehen wollte. Id. Γ. 393. Uebrigens soll er ein Prinz gewesen seyn, der geglaubet, alle andere wären seineiwegen da. Dam. l. c. Man will ihn noch in einer schönen Bildsäule zu Rom erkennen, welche eine sitzende Figur in phrygischer Kleidung und solcher Mütze mit einem Mantel über den Schultern, vorstellet, die einen Apfel in der bis an das Gesicht erhabenen rechten Hand hält, und sich nach jemanden umzusehen scheint. Maffei Raccolta di Statue, n. 124.

6 §. Gemahlinnen und Kinder. Seine rechte und eigentliche Gemahlinn war Oenone, des Flusses Cebrenis Tochter, mit welcher er sich verheurathete, da er noch auf dem Lande lebete. Ovid. Heroid. V. v. 3. sqq. Parthen. Erot. c. 4. Er hatte auch den Korythus mit ihr gezeuget, dem er aber aus Eifersucht hernach das Leben nahm. Parthen. l. c. & c. 34. Sieh Corythus. Jedoch wollte er sich gleichfalls für den rechtmäßigen Gemahl der Helena gehalten wissen; Hom. Il. Η, 355. mit der er auch zwanzig Jahre lang in solcher [1892] Gemeinschaft lebete. Ibid. Ω, 763. Er zeugete mit ihr den Bunomus, Korythus und Idäus, welche aber in ihrer Kindheit das einfallende Zimmer zu Troja erschlug. Dict. Cret. l. V. c. 5. Diesen fügen einige noch den Agavus bey: den Bunomus aber nennen sie Bunikus, oder Bunichus. Tzetz. ad Lycophr. ap. Fabram ad Dict. l. c. Noch andere setzen zu solchen auch eine Tochter, Helena, die aber nachher Hekuba, als Großmutter, selbst wieder umgebracht haben soll. Ptol. Hephæst. l. IV. p. 319.

7 §. Verehrung. Diese genoß er zu Therapnä in Lakonien. Aeneas Gazæus ap. Voss. Theol. gent. l. I. c. 13. Es ist solches allerdings zu verwundern, weil er eben die Gemahlinn des Königes dieses Landes entführet hatte.

8 §. Eigentliche Historie. So fern man nicht alles zweifelhaft machen will, was von so alten Dingen vorgegeben wird, so findet sich so viel eben nicht, was nicht von solchem Paris für eigentliche Wahrheiten könnte angenommen werden. Das Fabelhafteste unter allen ist sein Urtheil zwischen den drey Göttinnen. Allein, auch schon die Alten haben es auf eine Schrift gedeutet, die er auf solche Göttinnen verfertiget hat. Anonym. de Incred. ap. Galeum c. 10. Zwar wollen einige, daß der Streit solcher drey Göttinnen eigentlich einen Sohn des Scamanders, Melus, anbetroffen, den wegen seiner Schönheit eine jede von ihnen zu ihrem Priester haben wollte; und, da Paris zu ihrem Richter erkieset worden, so habe er ihn der Venus zugesprochen. Weil nun μῆλον auch einen Apfel bedeutet, so sey daher die Fabel von dem Apfel der Eris oder der Zwietracht entstanden. Ptol. Hephæst. l. VI. p. 334. Dieß scheint aber auch nichts anders sagen zu wollen, als daß diejenigen, welche über die Tempel dieser Göttinnen gesetzet gewesen, sich wegen des Melus nicht haben vergleichen können, und also die Entscheidung dem Paris überlassen. Jedoch ist der erstern Meynung in so fern fast glaublicher, weil noch andere wissen wollen, [1893] daß er in seiner Lobrede die Venus der Juno und Pallas vorgezogen, auch sonst noch einen besondern Lobgesang auf erstere verfertiget, welcher den Namen Κεστὸς, der Gürtel, geführet hat. Meurs. ad Lycophr. v. 93. & Fabric. Biblioth. Gr. l. I. c. 24. §. 2.

9 §. Anderweitige Deutung. Er giebt ein Exempel derer ab, welche die Wollust allem Guten vorziehen: allein, auch öfters damit sich, ja Land und Leute, in das Verderben stürzen. Nat. Com. l. VI. c. 23.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., Sp. 1884-1894.
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