Gichtel

[79] Gichtel, Joh. Georg, geb. 1638 zu Regensburg, seit 1664 Rechtsanwalt, gab sein Geschäft auf, um Heidenapostel zu werden, entsagte auch diesem Vorhaben, begann zu predigen und sich mit der protestant. Geistlichkeit in Religionshändel einzulassen. Daheim ärntete er dafür Verbannung, in Holland bei seinem gleichgesinnten Freund Breckling zu [79] Zwolle mehrmaliges Gefängniß, 1688 den Pranger u. Verbannung aus Oberyssel. Ihn tröstete die Ueberzeugung, mit der göttlichen Sophia vermählt und zur Erleuchtung der Welt, namentlich aber zur Errichtung eines Melchisedeckschen Priesterthums berufen zu sein, sowie die Bekanntschaft mit den Schriften des I. Böhme (s. d.), welche ihm Bibel, Sacrament und Predigt ersetzten. Seine Anhänger, die G.ianer, nannten sich Engelsbrüder und wollten keine besondere Sekte sein, sondern für sich und die Menschheit büßen und beten, dabei aber weder arbeiten noch heirathen. Ihr Stifter nährte sich kümmerlich von Alchemie und Almosen, bekam häufig Selbstmordsgedanken u. st. 1710 zu Amsterdam. Seine Briefe wurden als »Theosophia practica« mehrmals herausgegeben, der Name seiner Anhänger machte allmälig den Namen verwandter Geister Platz.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 79-80.
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