Gnade

[97] Gnade, althochdeutsch Ginada, von nidan: herablassen, bezeichnet die Herablassung des Höhern gegen den Niedern, in welchem Sinne die Ausdrücke: Euer G.n, gnädige Frau u. dergl. als Titel für Adelige vielfach gebräuchlich sind. In der engern Bedeutung: unverdiente Güte steigert sich der Begriff G. zu dem der Begnadigung (s. d.). Auf Gott übertragen heißt G. im weitern Sinne die unverdiente Zuneigung Gottes zum Menschengeschlechte. Man versteht aber unter G. gewöhnlich nur das übernatürl. Geschenk, mit welchem Gott in freier Liebe den Menschen bereicherte, wodurch dieser über seine Natur in den Stand der Heiligkeit und Gerechtigkeit zur Kindschaft Gottes erhoben, und in das Erbrecht des Himmels eingesetzt worden. Diese übernatürl. G. verlor Adam durch die Sünde für sich und das ganze Menschengeschlecht. Christus aber hat uns diese zur Heiligung u. Beseligung nothwendige übernatürl. G. durch die Erlösung wieder erworben. Die G.nlehre spielt in der Kirchengeschichte eine der bedeutendsten u. folgenschwersten Rollen. In der verschiedenen Auffassung vom Wesen der menschl. Natur und Erbsünde wurzelnd, entwickelten sich die dogmatischen Gegensätze des sog. Augustinismus und Pelagianismus, welche man ebenso häufig als unrichtig als die des Protestantismus und Katholicismus bezeichnete. Denn während die von der falsch verstandenen Lehre des heil. Augustin ausgehenden Reformatoren die G.nlehre bis zur Lehre von der G.nwahl, Prädestination, und principiellen Aufhebung aller Moral fortbildeten, hat die Kirche von je den richtigen Mittelweg zwischen dem sog. Augustinismus u. Pelagianismus innegehalten. Die Kirche anerkennt neben der Nothwendigkeit der übernatürl. G. zur Rechtfertigung, Heiligung u. Beseligung des Menschen, auch die freie Mitwirkung des Menschen, so daß der G. keine zwingende, aber stets eine zureichende Kraft beigelegt wird. – Man unterscheidet zwischen dem Zustand der G. u. der wirklichen G., welche letztere als eine einzelne vorübergehende Einwirkung auf die Seele zur Erleuchtung des Geistes und zur Bewegung des Willens sich kund gibt. Diese G. ist besonders beim Anfang u. Fortgang der Bekehrung thätig, u. bereitet den Empfang der heiligmachenden G. vor, die gewöhnlich durch die heil. Sakramente vermittelt wird. – Außer der G., welche Gott uns zu unserer eigenen Heiligung spendet, gibt es auch noch eine zur. Heiligung Anderer, einzelnen Menschen mitgetheilte: sie offenbart sich in den sog. Geistesgaben.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 97.
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