Kritik

[663] Kritik, griech., Beurtheilung, Beurtheilung nach wissenschaftlichen Grundsätzen [663] und Regeln, Beurtheilungskunst. Die richtige K. eines Gegenstandes setzt voraus, daß man denselben nicht nur an sich und in all seinen Verhältnissen genau kennt, sondern daß man auch ein Kriterium oder einen Maßstab der Beurtheilung, d.h. das Wahre selbst innehabe, um den Gegenstand hinsichtlich seines Verhältnisses zur Wahrheit zu beleuchten. Ist in Folge dieser Voraussetzungen die K. schon eine heikle und schwierige Sache, insofern sie sich mit greif- und faßbaren Gegenständen beschäftigt, so ist sie dies noch weit mehr, sobald sie sich im Gebiete des Uebersinnlichen, der Ideen, bewegt, weil die Kriterien hier Sache des Glaubens, von der Weltanschauung od. dem Standpunkte des K.ers bedingt sind, deren objective Wahrheit sich nicht mit zwingenden Gründen vordemonstriren läßt. So wird z.B. die K. eines Katholiken über den Gang der Geschichte eines Volkes oder über die Entwicklung der Kunst seit der Reformationszeit wesentlich anders ausfallen als die eines Hegelianers. Eine eigentliche Wissenschaft der K. gibt es nicht, die K. holt ihre Grundsätze und Regeln aus der Natur des zu kritisirenden Gegenstandes und aus dem von ihr angenommenen Kriterium. Am rührigsten, aber zugleich am unsichersten, ist die sog. philosophische K., welche ihre Gegenstände am Maßstabe der Idee abmißt, am ausgebildetsten die historische K., deren Handlangerin die philologische ist, welch letztere in eine höhere (Sach-K.: Inhalt, Aechtheit, Zeit, Verfasser eines Werkes; Kunst-K.: ästhetischer Werth einer Schrift) und niedere (Schrift-K.: Prüfung der Buchstaben einer Handschrift; Wort-K.: Prüfung der Richtigkeit der einzelnen Wörter durch Vergleich von Ausgaben, Scholien, Glossen u.s.w.) eingetheilt wird und noch anders eingetheilt werden kann. – K.aster, Krittler, der über eine Sache urtheilt, die er nicht versteht oder an Nebendingen hängen bleibt u. die Hauptsache übersieht; kritisiren, beurtheilen; kritisch, prüfend; entscheidend; mißlich.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 663-664.
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