Marcion

[96] Marcion, ein Vertreter der falschen Gnosis (s.d.), Sohn eines Mannes, welcher später Bischof von Sinope in Pontus wurde, mit Talent und Wissen reichlich ausgestattet, verführte eine Jungfrau, wurde von seinem eigenen Vater deßhalb excommunicirt, suchte alsdann auch in Rom vergeblich um Wiederaufnahme in die Kirchengemeinschaft nach und strebte seit etwa 150 n. Chr. mit dem Gnostiker Cerdo eine neue Kirche zu stiften. M.s System ist erst von seinen Schülern, namentlich von Marcus und Apelles, weiter ausgebildet worden. Der Grundgedanke desselben lief auf ein Uebertreibung des Unterschiedes zwischen Gesetz und Evangelium od. Judenthum u. Christenthum hinaus, indem M. dann Judenthum nicht nur nicht als Vorstufe sondern als unversöhnlichen Gegensatz des Christenthums auffaßte u. für Durchführung dieses Gegensatzes sogar 3 oberst ungeschaffene Grundwesen annahm, nämlich 1) ein nur gutes höchstes Wesen den unsichtbaren Vater, der erst u. voll kommen durch seinen Sohn Jesum Christum offenbar wurde; 2) ein nur gerechtes sichtbares höchstes Wesen, Schöpfer, Gesetzgeber u. Richter, den Judengott; 3) den Teufel sammt der zu ihn gehörigen Materie, den Gott der Heidenwelt. Jesus Christus hatte einen Scheinleib u. wurde auf Anstiften des Judengottes gekreuziget; wer an Christum glaubt u. wahre Sittlichkeit übt, d.h. die Ehe u. Vergnügungen meidet, mit der nothdürftigsten Nahrung vorlieb nimmt u.s.w., hat Theil am beseligenden Reiche Gottes, die kathol. Kirche aber ist laut M. wiederum dem Judengott anheimgefallen. – M. fand gleich anfangs bedeutenden Anhang, die M.iten breiteten sich in ganz Italien, Afrika, Aegypten, Kleinasien, sogar bis Persien aus, zersplitterten jedoch gleich allen Secten u. verschwanden im 5. Jahrh.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 96.
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