Gnosis

[99] Gnosis, griech., die tiefere Erkenntniß der Religionswahrheiten, näher die wissenschaftliche Begründung und Vermittlung derselben, so daß der Glaube nicht nur als Wirkliches hingenommen, sondern als Nothwendigkeit erkannt wird. Von der wahren G. (alexandr. Katechetenschule, Irenäus, Tertullian u.a.) ist sehr die falsche zu unterscheiden, welche sich von der Kirche trennte, in den ersten Jahrhunderten neben dem Manichäismus die ganze christl. Welt in Bewegung setzte und wider Willen Außerordentliches zur Feststellung des christl. Lehrbegriffes beitrug. Dieselbe oder der Gnosticismus verschmolz den Platonismus mit der Lehre Zoroasters und dem Buddhaismus, kam auf durch Mangel an Demuth und gutem Willen, früh eingesogene Ideen aufzugeben, sowie durch den Ekel vieler Bessern vor der trostlosen Wirklichkeit. Schon zu Christi Zeit gab es Gnostiker, unter Hadrian bildete sich die falsche G. aus, die im Ganzen auf folgende Sätze hinausläuft: »dem vollkommenen Gott u. höheren Geistern, in welche das göttl. Wesen ausströmt, steht das böse Princip (Materie) u. ein Reich böser Geister gegenüber. Zwischen beiden stand der Weltschöpfer mit seinen Geistern, der beschränkte Gott des Judenthums, dessen Reich Christus beendigte, welcher nur einen Scheinleib hatte u. nur vorübergehend mit dem Menschen Jesus sich verband. Die wahre Lehre befreit von allem Körperlichen u. macht den Befreiten zu einem geistigen (Pneumatiker) u. wissenden (Gnostiker) Christen, während die andern es höchstens zu einem seelischen Leben bringen.« Der [99] Gnosticismus war geeignet, das ganze Christenthum seines geschichtlichen Charakters zu entkleiden u. in lustige Spekulation zu zerstäuben. Die bekanntesten Gnostiker waren: Saturnin, Basilides, besonders Valentin, dann Tatian und Marcion. Die praktischen Folgerungen der falschen G., deren vielästige Verzweigungen erst im 6. Jahrh. vollends verschwanden und deren Anhänger die Welt mit ihren Einrichtungen entweder maßlos verachteten oder genossen, wurden offenbar an den Enkratiten, Ophiten, Sethianern und zumeist an den dämonischen Kainiten.

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Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1855, Band 3, S. 99-100.
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