Naturphilosophie

[302] Naturphilosophie, kann man jede Philosophie nennen, welche nichts von einem überweltlichen, persönlichen Gotte weiß, folglich ihr Absolutes nothwendig nur in der Natur im weitesten Sinne des Wortes od. innerhalb der Welt findet. Demgemäß tragen nicht allein die philosophischen Versuche der sog. jonischen Naturphilosophen, sondern auch der Pantheismus in allen seinen Formen, der logische Hegels nicht ausgenommen, den Charakter einer N. od. des Natu- [302] ralismus an sich. Im engern u. gewöhnlichen Sinne versteht man unter N. die Metaphysik der Natur, nach der alten Eintheilung der Philosophie die Kosmologie d.h. die Lehre von der Welt, welche namentlich in Folge der ungeheuern Fortschritte der Naturwissenschaften in neuerer Zeit aus einem dürftig angebauten Zweige der Philosophie zu einer sehr reichen selbständigen Wissenschaft sich emporarbeitet. Sie soll einerseits die Ergebnisse der Naturwissenschaften für die Metaphysik verwenden, den Zusammenhang u. die Zweckmäßigkeit in der Natur aufzeigen und dadurch eine Hauptstütze des religiösen Bewußtseins sein, anderseits die Grundbegriffe der Naturwissenschaften (Kraft und Stoff, Substanz und Ursache, Bewegung und Veränderung u. s. f) und das in der Natur selbst liegende System aufzustellen versuchen. Zu einer N. in diesem Sinne gab bekanntlich F. Bacon mächtigen Anstoß; allein die Materialisten des 18. Jahrh. suchten die Metaphysik selber durch eine N. zu ersetzen und die Gestalt, welche Schelling, Oken u.a. der N. gaben, lief auf eine Fortsetzung des verkehrten Unterfangens hinaus, da eine pantheistische Grundanschauung von vornherein in die Naturwissenschaften hineingetragen wurde. Im Ganzen haben die Engländer die Naturwissenschaften seit neuester Zeit am meisten im Interesse der Religion behandelt, bei uns herrscht über das Was, Wie u. Wohin der N. derzeit noch eine babylonische Verwirrung.

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Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 302-303.
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