Metaphysik

[168] Metaphysik, griech., die Lehre vom Uebernatürlichen, von den höchsten Principien des Seins u. Lebens. Das Wort M. soll durch den Peripatetiker Andronik von Rhodos, einen Zeitgenossen des Cicero, aufgebracht worden sein, indem derselbe beim Ordnen der aristotelischen Schriften eine Reihe von Abhandlungen, die er nicht anders unterzubringen wußte, hinter die physikalischen Schriften seines Meisters stellte. Ob das Meta – mit »über« od. »hinter« übersetzt wird, ändert an der angegebenen Bedeutung [168] des Ausdruckes schon deßhalb nichts, weil Aristoteles in den erwähnten Abhandlungen besonders gegen Platons M., nämlich gegen die Ideen- und Zahlenlehre kämpft und seinen Begriff vom Alles bewegenden, selbst unbewegten göttlichen Geist erörtert, anderseits Gegenstände der M., die Lehre vom Sein als Sein und von Gott, in seiner sog. ersten Philosophie od. Theologie abhandelt. Platon nannte die M. Dialectik und unterschied dieselbe als Philosophie im höhern Sinne oder als die Wissenschaft vom Ewigen und Unveränderlichen sowohl von seiner Physik als von seiner Ethik. Weil gemäß der christlichen Weltanschauung die höchsten Principien alles Seins u. Lebens nicht nur übersinnliche u. übernatürliche sondern überweltliche sind, ist christliche M. gleichbedeutend mit speculativer Theologie. Weil ferner die vom religiösen Glauben abgelöste Vernunft niemals über die Natur u. Welt hinaus zu Gott gelangt, wofür die ganze bisherige Geschichte der Philosophie Zeugniß ablegt, hat die nichtchristliche Philosophie auch keine eigentliche M., sondern höchstens täuschende Redensarten und müht sich vergeblich ab, die erste Vorbedingung einer wahren M., nämlich eine wahre Erkenntnißtheorie, zu schaffen. Vergl. Dialectik, Dogmaticismus, Erkenntniß, Intellectuell, Logik, Pantheismus. – Die Eintheilung, welche Chr. Wolf im 18. Jahrh. der Philosophie gab, ist im Ganzen noch heute maßgebend; laut derselben zerfällt die M. in Ontologie (Lehre von den Kategorien od. Grundbegriffen des Denkens, welche auf alle Gegenstände angewendet u. deßhalb zuerst untersucht werden müssen), Kosmologie (Lehre von der Welt), rationale Psychologie (Seelenlehre), u. natürliche Theologie, deren Gegenstand das Dasein u. die Wesenheit Gottes, sein Verhältniß zur Welt, zum Bösen in der Welt u.s.f. ausmacht. Kant, der genialste unter den modernen Philosophen, der übrigens vieles aus den gewöhnlich hoch über die Achsel angeschauten Scholastikern des Mittelalters schöpfte, wie in neuester Zeit Balmes nachwies, zerstörte in der Kritik der reinen Vernunft die metaphysischen Träumereien und Selbsttäuschungen derer, welche nichts vom religiösen Glauben wissen und dennoch Gott und Göttliches erkennen wollen. Der hergebrachten rationalen Psychologie versetzte er durch Nachweis ihrer Trugschlüsse, der Kosmologie durch Nachweis der Antinomien den tödtlichen Stoß, zerstörte die Beweise für das Dasein Gottes, setzte jedoch an die Stelle der letztern seinen moralischen u. behandelte Gott, Freiheit u. Unsterblichkeit als das, was sie sind, nämlich als Thatsachen und als Postulate der praktischen Vernunft. Jacobi vertheidigte den Glauben als den nothwendigen Weg alles Erkennens, der nüchterne Herbart faßte die M. als Wissenschaft von der Begreiflichkeit der Erfahrung. Weder bei Fichte noch bei Hegel konnte von M. die Rede sein, auch Schelling gelangte durch alle Sprünge seines philosophischen Genius nicht über den Pantheismus hinaus, ein christlicher M.er dagegen ist in Günther (s. d.) aufgetreten.

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Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1856, Band 4, S. 168-169.
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