Simeon [2]

[218] Simeon , der früheste und berühmteste unter den sog. Styliten oder Säulenheiligen, geb. zwischen 388–391 zu Sisan oder Sesan (Sis) an der Gränze Ciliciens, anfangs Hirtenknabe, dann Mitglied des Klosters Teleda, wurde wegen seiner überstrengen und den Mönchen lästigen Ascese aus dem Kloster vertrieben. Er lebte alsdann beim Flecken Telanistus (Telnesche) im Gebiete von Antiochien in einem sehr engen Raume unter Fasten und Gebet 10 Jahre lang und wurde bereits als Wunderthäter weitum gefeiert. Um 423 aber begann er auf dem Berge, an dessen Fuß Telanistus gelegen, sein Leben als Säulenheiliger; 7 Jahre stand er auf kleinen Säulen, dann aber 30 Jahre auf einer 80' hohen in einem umgitterten Raume, der nur 2' Umfang hatte, durch ein Wetterdach beschützt war und wohin die Besucher durch Leitern emporsteigen mußten. Hier führte er nichts weniger als ein müßiges Leben, denn er wirkte durch seine Erscheinung u. Predigt bei zahllosen Araberhorden [218] nachhaltig für das Christenthum, hatte mit der Parteinahme für Unterdrückte u. Nothleidende u. Schlichtung von Streitigkeiten vollauf zu thun, verrichtete viele Wunder und übte bedeutenden Einfluß sogar auf den Entwicklungsgang der kirchlichen Angelegenheiten. Er st. am 2. Sept. 459. Seinem Beispiele folgten nach die Säulenheiligen Daniel aus Maratha bei Samosata (gest. 489 zu Konstantinopel), S. der jüngere (gest. um 596 bei Antiochien), ein Julian, ein Josul in Syrien und manch anderer bis herauf ins 8. Jahrh. Bei den jakobitischen Mönchen in Syrien sollen Säulensteher noch in unserer Zeit keineswegs unerhörte Erscheinungen sein. Um zu begreifen, welche Oberflächlichkeit darin liegt, die Styliten kurzweg als Narren od. düstere Fanatiker zu charakterisiren, bedarf es lediglich einerseits einer Hinweisung auf die große Wirksamkeit ihres Stifters und manches Nachfolgers, anderseits auf die Thatsache, daß phantastische Orientalen vielfach durch andere Mittel für das Gute gewonnen werden wollen als verstandesdürre Bewohner von Mittel- und Nordeuropa.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 218-219.
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