Spiritualismus

[290] Spiritualismus (vom lat. spiritualis, geistig) heißt in der Philosophie zunächst der Gegensatz zum Materialismus (s. Materie), dann die Anschauung, welche den Geist und das Geistige allzu hoch, die Natur und alles Natürliche allzu nieder stellt; im engsten Sinne die Lehre, der menschliche Geist sei ein rein geistiges Wesen, das gar nichts Materielles an sich habe. Der S. ist philosophisch eine Einseitigkeit, wodurch der thatsächlich in der Welt vorhandene Zusammenhang zwischen Geist und Natur, Leib u. Seele sowie die Wechselwirkung derselben nicht nur völlig unbegreiflich gemacht, sondern folgerichtig geläugnet wird; er ist aber nicht minder theologisch eine Einseitigkeit, insofern man etwa nach dem Vorgange Platons den Leib lediglich als Körper der Seele od. nach dem Vorgange der Gnostiker, Manichäer u. mancher Mystiker das Fleisch als das durchaus teuflische u. zu ertödtende Princip im Menschen auffaßt; denn Christus selbst ist ja Fleisch geworden, die Auferstehung des Fleisches u. ein ewiges Leben lehrt der letzte Artikel des christlichen Glaubensbekenntnisses, das Fleisch soll hienieden nicht vernichtet, sondern vom Geiste beherrscht werden. In dem seit Beginn der wissenschaftlichen Entwicklung dauernden Kampfe zwischen S. u. Materialismus wird schließlich das Christenthum als die rechte Vermittlung beider Gegensätze dastehen. – Spiritualia, lat., geistige, geistliche Angelegenheiten, Sachen des Glaubens, der Kirche, Seelsorge; Spiritualien, geistige Getränke;spiritualisiren nennt man in der Scheidekunst: den Geist od. Spiritus aus etwas herausziehen, dann allgemein: vergeistigen, begeistern; Spiritualität, Geistigkeit, inneres Leben; spirituell, geistlich, geistvoll; spirituöse Getränke, geistige Getränke.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 290.
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