Eid

[162] Eid (iusiurandum) ist die feierliche, mit den für den Schwörenden stärksten Motiven verbundene Aussage. Da die menschliche Gesellschaft ohne Vertrauen, ohne Glauben an Treue und Wahrheit nicht bestehn kann, so ist der Eid eine der ältesten und wichtigsten Einrichtungen. Man beschwor schon frühe Verträge und Bündnisse; Obrigkeiten und Untertanen, Soldaten und Bürger verpflichteten sich für ihr Amt durch den Eid; besonders im Strafprozeß wurde der Eid angewandt. Gewöhnlich schwur man bei den Göttern oder bei Gott, doch auch[162] bei anderen teuren Gegenständen, so die Hebräer bei ihrem Haupte, die Römer beim Genius des Kaisers, die Germanen bei ihrem Schwerte. Die Kirche verbot zuerst den Eid ganz, dann den Mißbrauch desselben; Justinianus erlaubte nur bei dem vom christlichen Glauben als heilig Verehrten zu schwören, und der Augsburger Religionsfriede setzte für Protestanten und Katholiken die Formel fest: bei Gott und seinem heiligen Evangelium. Das Wesentliche am Eide ist jedenfalls die Anrufung Gottes als des allwissenden Richters; die Formel ist heute in verschiedenen Ländern verschieden. Die inneren Bedingungen eines echten Eides sind, daß er mit völliger Freiheit, Unterscheidungsfähigkeit, Aufrichtigkeit und zu einem gerechten Zweck geleistet werde.

Es gibt zwei Hauptarten des Eides: den Zeugniseid und den Gelöbniseid. Der erstere bezieht sich auf die Vergangenheit, der letztere auf die Zukunft. Jener versichert, daß etwas wahr sei (iusiurandum assertorium), oder daß man etwas für wahr halte, es von anderen glaubwürdigen Leuten gehört (i. credulitatis), oder daß man etwas nicht gesagt oder getan habe (i. purgatorium). Dieser umfaßt die Gelöbnisse, durch die man etwas zu tun verspricht (i. promissorium; z.B. der Krönungs-, Verfassungs-, Untertanen-, Amtseid). Kant (1724-1804) verwarf den Eid als Aberglauben, ebenso Fichte (1762-1814) als ein »übernatürliches, unbegreifliches und magisches Mittel, sich die Ahndung Gottes zuzuziehen«. Vgl. Stäudlin, Geschichte der Vorstellungen und Lehren vom Eide. Göttingen 1824. Göschel, Der Eid nach seinem Prinzip, Begriff und Gebrauch 1837. Trechsel, Der Eid. Bern 1878.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 162-163.
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