Neid

[390] Neid (lat. livor) heißt die Unlust über die Vorzüge oder das Wohlergehn anderer. Der Neid richtet sich auf ein bestimmtes Gut, einen bestimmten Genuß, ein bestimmtes Glück, welches ein anderer besitzt und das man ihm mißgönnt, selbst wenn man es gar nicht für sich haben möchte. Neid wird darum nicht unmittelbar und nicht stets zum Hasse, weil er zunächst auf die Objekte der einzelnen Begehrungskreise beschränkt bleibt und auch schwindet, wenn die Vergleichung mit dem andern Menschen nicht mehr möglich ist. Aber weil er sich mit jedem neuen Anlasse tiefer ins Herz bohrt, wird er leicht zur Leidenschaft. Er ist ein Zeichen von Kleinlichkeit, niedriger Selbstsucht und beschränktem Verstande; großherzige Seelen und intelligente Naturen sind des Neides nicht fähig. Die Erziehung hat ihn daher zu bekämpfen, sobald er sich in einem Kinde regt. Weil der Neid stets eine gewisse Homogeneïtät voraussetzt, so kehrt er sich, wie schon Xenophon (um 434 bis um 353 Memorabil. III, 9, 8) bemerkt, gegen Freunde, nicht gegen Feinde (oute mentoi tên epi philôn atychiais, oute tên ep' echthrôn eutychiais gignomenên [lypên phthonon einai], alla monous – phthonein tous epi tais tôn philôn eupraxiais aniômenous). – Kant (1724-1804) unterscheidet Mißgunst (invidentia), den Neid, der nicht zur Tat[390] ausschlägt, von dem qualifizierten Neide (livor), der zur Tat, einen anderen zu schädigen, fortschreitet. (Kant, Metaph. d. Sitten II, § 36, S. 133.) Vgl. Schadenfreude.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 390-391.
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