Sage

[518] Sage heißt ein Bericht über eine geschichtliche Begebenheit, in dem sich mit dem Tatsächlichen das Erfundene, mit dem Natürlichen und Begreiflichen das Übernatürliche und Unbegreifliche mischt. Mit dem Gerücht und der Tradition hat die Sage die unbekannte Herkunft gemein; doch ist das Gerücht nur ein schwankendes, vorübergehendes Gerede über ein gleichzeitiges Ereignis, die Tradition eine mündliche oder schriftliche Fortpflanzung einer Nachricht über die Zeit ihres Geschehens hinaus, ohne daß dabei eine Veränderung des wirklich Geschehenen nach bestimmter Richtung stattzufinden braucht. Aus dem Gerücht kann durch Tradition eine Sage werden, wenn Gedächtnis, Phantasie und Volksglaube sich ihrer bemächtigen. Im Andenken an seine großen Männer schmückt die Phantasie eines Volkes deren Taten unbewußt und unabsichtlich aus und erhöht sie über das Menschliche; nur auf die Hauptidee gerichtet, läßt sie Nebenumstände fort, bildet sie um oder schafft völlig andere Lebensverhältnisse. Die Sage wirft willkürlich Personen, Ereignisse, Orte und Zeiten durcheinander, verbindet Götter und Helden, hält aber an bekannten Namen und Orten fest und erzählt nicht zeit- und ortlos wie das Märchen. Während das Märchen poetischer ist, ist die Sage historischer. Sagen, Märchen und Geschichte begleiten den Menschen von heimatswegen als ein guter Engel. Vgl. Deutsche Sagen von den Gebrüdern Grimm. 3. Aufl. 1891. I, S. VII – IX. J. Braun, d. Naturgesch. der Sage. München 1864. Vgl. Mythus.

Quelle:
Kirchner, Friedrich / Michaëlis, Carl: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe. Leipzig 51907, S. 518.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: