Pura

[137] Aus einem Gesangbuche der Wiedertäufer v.J. 1583. S. 53.


Als ich gen Antiocha kam,

Ein Jungfrau, Pura war ihr Nahm,

Ein Christin ward gefunden,[137]

Die ward vor den Kaiser bracht,

Der sprach zur bösen Stunde:


»Geht, führt sie in ein Schandhauß ein,

Die Jungfrau züchtig, keusch und rein,

In Spott und Schmach zu schänden.«

Die Jungfrau rief in dieser Noth

Zu Gott, und wandt die Hände.


»Errette mich, du Sohn David!

Vor Schand und Sünd, Herr mich behüt,

Laß dich meins Leids erbarmen!

Das bitt ich dich durch Jesum Christ,

Komm bald zu Hülf mir Armen!«


Die Klag erhört ein Engel fein,

Als Jüngling ging er zu ihr ein,

Sprach: »Jungfrau sey ohn' Sorgen,

Von mir sollst bleiben unberührt,

Wart mit Geduld bis Morgen,


So will ich helfen dir davon,

Bald leg du meine Kleider an,

Und geh aus diesem Hause.«

So tauschten sie denn ihr Gewand,

Sie gieng, er blieb ohn Grausen.


Betrunken in des Kaisers Wein,

Trat bald ein Kriegsknecht zu ihm ein,

Thät sündlig auf ihn dringen,

Der Jüngling rang in Gotteskraft,

Und thät ihn niederringen.[138]


Des ward der Kaiser sehr ergrimmt,

Als er vom Knecht die Klag vernimmt,

Läßt greifen sie und binden.

O Wunder groß! O Wunder groß!

Ein Jüngling thät er finden.


»Bist du ein Christ?« der Kaiser fragt,

»Ich bin getauft,« der Jüngling sagt,

»Von ihr bin ich getaufet.

Sie gehet frey und unberührt,

Euch Heiden all zu taufen.«


Der Kaiser bald das Urtheil sprach,

Daß man ihn tauf, in Flammen nach,

Ward bald dem Henker geben;

Der führt sogleich ihn aus der Stadt,

Wollt nehmen ihm sein Leben.


Da nun ersieht die Pura fromm,

Daß man ihn da wollt bringen um,

Lief sie in diesen Nöthen,

In schneller Eil auf die Richtstadt,

Wollt ihren Freund erretten.


»Ich schuldig bin an deinem Tod!«

Sprach diese Jungfrau in der Noth,

»Herzlieber Bruder meine!

Darum für dich ich sterben will,

Ich rett das Leben deine.«


Der Jüngling züchtig Antwort gab:

»Ach Pura laß zu bitten ab,

Ich sterben will alleine,[139]

Und preisen heut mit meinem Blut,

Gott unsern Vater reine.«


Die Jungfrau züchtig zu ihm sprach:

»Ich leid für dich des Todes Schmach,

Zu Lob des Herren Namen,

Der helf uns wieder gnädiglich

In seinem Reich zusammen.«


Bald das erhört der Wüterich,

Daß diese Christen williglich

Zum Tod ergeben wären,

Ja eins für'n andern sterben wolln,

Ließ er sie beyde tödten.


Der Jüngling bey der Jungfrau stand,

Das Feuer löset ihr Gewand,

Doch von dem Scheiterhaufen

Gen Himmel führt sie seine Hand,

Drauf Heiden lassen sich taufen.


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 1, Stuttgart u.a. 1979, S. 137-140.
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