[Der goldne Tag ist heimgegangen]

[37] Der goldne Tag ist heimgegangen;

Ich sah ihn über die Berge ziehn,

Und all mein sehnendes Verlangen

Floh mit ihm hin.


Bunt ist wohl um des Jünglings Hüften

Der schimmernde Mantel hingewallt,

Und leise in den Himmelslüften

Sein Lied verhallt.


Ich sah wohl die glühenden Locken

Am Berge wehn,

Oben ihn stehn,

Und freundlich goldne Flocken

Auf die Bahn hinsäen,

Drauf weiter zu gehen.


Da breitet das Leben

Die Schmetterlingsflügel,[37]

Am duftigen Hügel

Ihn hoch zu erheben,

Uns nochmals zu geben.


So traurig saß er oben

Im Purpurzelt,

Und grüßt' die Welt:

Leb wohl da unten!


Da hat ihn der Flügel

Mit Flammen umwunden,

Am duftigen Hügel

Hinübergehoben.


Sein ödes Reich bleibt still zurücke,

Die Welt verweilt ganz herrenlos.

Das Leben forscht mit trübem Blicke

Im eignen Schoß.


Ein düstrer Mantel rauschet nieder

Rund um des Jünglings verlaßnen Thron,

Und aus den Wäldern hallet wider

Ein trunkner Ton.


Es rühren die nächtlichen Stunden

Sich tief im Tal,

Bereiten ein Mahl

Im dämmernden Saal,

Mit dichten Gewändern umwunden.


Ein matter Strahl

Blinkt am Pokal,

Und süß betrunken,

Vom goldenen Wein,

Schlummert die jüngste

Der Stunden schon ein,

Die andern lauschen

Von außenher zu,[38]

Und stürzen herein.

Es sterben die Funken,

Hinabgesunken

Ist der letzte Strahl

Von ihrem Pokal.

Sie irren und rauschen

Ohn' Schimmer und Schein,

Ohn' alle Ruh'.

Zerstört ist das Mahl

Und dunkel der Saal.


Da schreiten die Stunden so leise

Wohl in die Nacht,

Verhüllen auf finsterer Reise

Mit ernstem Bedacht,

In dunkeln Falten

Die regen Gestalten,

An denen sie sinnend vorüberwallten,

Und alles umarmt sich rings umher,

Es giebt keine einzelne Rechte mehr,

Es öffnet jed Leben dem andern die Brust,

Und trinket mit Lust,

Ganz ohnbewußt,

Den himmlischen Kuß,

Den Wechselgenuß.

So innig umschlungen,

So heilig durchdrungen,

Umhüllet ein Rausch,

Den lieblichen Tausch.


Und endlich lösen die Arme sich auf,

Der Mond zieht herauf;

Der dämmernde Blick

Träumt trunkenen Traum.

Im himmlischen Raum

Erblühen die Sterne,

Und kehret das Licht

Bescheiden zurück.[39]


Das Leben flicht

Dann in der Ferne

Den bräutlichen Kranz,

Entzündet die Lieder,

Erleuchtet den Tanz.

Die reizenden Glieder

Umhüllt ein Gewand,

Durchsichtig gewebet.

Das Leben erhebet,

Zum Himmel gewandt,

Den Busen, und strebet

Sich wieder zu finden.

Die Sehnsucht erwacht

In schimmernder Nacht.

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 37-40.
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