[Nun soll ich in die Fremde ziehen]

[443] Nun soll ich in die Fremde ziehen

Mir hatte eine Himmelsbraut

Ein Zweiglein aus dem Kranz geliehen

Ich hatte draus ein Haus erbaut

Es grünte schon, es wollte blühen

Von meiner Tränennut betaut

Da konnt' ich betend ruhig knieen

Da hatte ich so fest vertraut

Und soll nun in die Fremde ziehen.


Nun soll ich in die Fremde ziehen

Sie wäre ruhig, wär' ich fort,

Der Tempel, wo wir beide knieen,[443]

Soll nun zerbrechen und der Ort

Wohin ich mit ihr sollte ziehen

Soll nun verschwinden und der Hort

Des einen Glücks, für das wir glühen,

Soll sinken, auf ein hartes Wort

Soll ich nun in die Fremde ziehen.


Nun soll ich in die Fremde ziehen

Ich der die Heimat nie gekannt,

Soll meine erste Heimat fliehen

Soll fallen in der Räuber Hand

Was Sie mir schenkte war geliehen

Streng fodert sie das heil'ge Pfand

Zu ihr hab' ich um Hülf' geschrieen,

Sie weist mich nach dem andern Land

Ich soll nun in die Fremde ziehen.


Nun soll ich in die Fremde ziehen,

Ich weiß wohl, wie die Fremde tut

Kein Ankergrund ist mir gediehen

Weil ich dem ungerechten Gut

Auf meinem Schiffe Schutz verliehen

Zerbrach es in des Sturmes Wut

Die Woge hat mich ausgespieen,

Und kaum hab' ich am Strand geruht

Soll ich schon in die Fremde ziehen.


Nun soll ich in die Fremde ziehen

Wohin, wohin, daß Gott erbarm',

Nicht, wo die Friedensrosen blühen,

Nicht, wo im Geist so sonnenwarm

Die Worte wie Gebete glühen

Nein in die Brust – den Wespenschwarm

Vergeblicher erstarrter Mühen

Ins eigne Herz, zum eignen Harm

Soll ich nun in die Fremde ziehen.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 443-444.
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