Theodor Körner an Viktoria

[287] »Ich weiß es wohl, du hast um mich geweint,

Es geht die Welt nichts an, du kennst mich gut,

Wie du mich kennst, so hab' ich es gemeint,

Mit dir, dem Vaterland und meinem Blut,

In Lebenslust hab' ich zur Kunst gestrebt,

Der kann nicht dichten, der nicht gerne lebt.


Du weißt es wohl, ich habe gern gelebt,

Ich war so jung, so fröhlich, so gesund,

Das Lied, das meiner Lyra kaum entschwebt,

Trug an der Menschen Herz dein schöner Mund.

O selig Lied! dem Huld die Seele giebt,

Der kann nicht leben, der nicht gerne liebt.


Du weißt es wohl, ich habe dich geliebt,

Verzeih, o Liebe, die den Kranz mir wand,

Daß andre Feier mir den Kranz auch giebt,

Den Eichenkranz das deutsche Vaterland.

Bei einer Eiche senkten sie mich ein,

Der kann nicht lieben, der nicht frei will sein.[287]


Du weißt es wohl, ich konnte frei nur sein

Mit meines Deutschlands deutscher Kunst und Art,

Und setzte deutsch mein deutsches Leben ein,

Gleich deutschen Dichtern auf der Ritterfahrt.

Der hat gedichtet nicht, geliebt, gelebt,

Der kann nicht frei sein, der dem Tod erbebt.


Du weißt es wohl, daß gern den Tod ich starb.

Ich sah Viktoria dich, und stieg hinab,

Leg nun die Kränze all, die ich erwarb,

Kunst, Liebe, Leben, Freiheit, auf mein Grab,

O Epheu, Lorbeer, Myrte, deutsche Eiche,

Singt der Viktoria, was ich verschweige.«


Schön war sein Tod, ich traure nicht um ihn.

Der Frühling kömmt, und macht die Bäume grün,

Der Vogel singt, die grünen Räume blühn,

Die Blüte fällt, die reifen Früchte glühn,

Sie bricht der Herbst, die Sänger weiter ziehn.

Still wird die Welt, es neiget sich der Winter,

Und zu des ew'gen Feuers Licht führt Gott die Kinder!


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 287-288.
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