Der Barmekiden Untergang1

[255] »Reiche mir die Blutorange

Mit dem süßen Zauberdufte,

Sie die von den schönsten Lippen

Ihre Nahrung hat geraubt.


Sagt' ich es nicht, o Maimuna,

Flehend, händeringend, knieend,

Sagt' ich es zu sieben Malen,

Nicht zu tausend Malen dir?


›Laß, o Fürstin, diese Liebe!

Laß von dieser dunklen Liebe,

Dir die ganze Brust versengend,

Unheil bringend und Gefahr!


Daß nicht merk' es der Kalife,

Er, der zornbereite Bruder,[255]

Nicht den Dschafer dir verderbe,

Deinen hohen Barmekiden,

Nicht den Dschafer dir verderbe

Und dich selber, Fürstin, auch!‹«


Doch was ist die weise Rede

In dem liebentglühten Herzen?

Wie das Winseln eines Kindleins

In der wutentbrannten Schlacht,

Wie ein linder Nebeltropfen

In dem flammenden Gebäude,

Wie ein Licht, vom Borde taumelnd

In den dunkeln Ozean!


In der Tänzerin Gewande

Schmiegen sich der Fürstin Glieder,

Um die Schultern Seide flattert,

In dem Arm die Zither liegt.


O, wie windet sie die Arme

Hoch das Tamburin erschwingend,

O, wie wogen ihre Schritte,

Ihre reizerblühten Glieder,

Daß der Barmekide glühend

Seine dunklen Augen birgt!


Sieben Jahre sind verschwunden,

Sieben wonnevolle Jahre,

Zu den sieben drei und fünfe,

Und in den Gebirgen irrend

Zieht der Barmekiden Schar.


Mütter auf den Dromedaren,

Blind geweint die schönen Augen,

In den Armen Kindlein wimmernd

In die lagerlose Nacht.[256]

Über Bagdads Tor ein Geier,

Kreisend über Dschafers Schädel,

Rauscht hinan und rauscht vorüber,

Hat zur Nahrung nichts gefunden

Als in seiner Augen Höhlen

Nur zwei kleine Spinnlein noch.

1

Das Geschlecht der Barmekiden gehörte, zur Zeit des Kalifats, zu den edelsten, mächtigsten und zahlreichsten. Zuletzt war »Dschafer der Barmekide« Großwesir des Kalifen Harun-al-Reschid, und sein Liebling. – Die Schwester des Kalifen, Maimuna, faßte eine glühende Leidenschaft für den schönen und edlen Mann, und da sie sich ihm auf keine andre Weise zu nähern wußte, betrat sie seinen Palast in den Kleidern einer Tänzerin – Die Folge dieser Zusammenkunft war ein Verhältnis, das, eine Reihe von Jahren verborgen geblieben, doch endlich zur Kenntnis des Kalifen gelangte, und den Untergang des ganzen Geschlechts nach sich zog. – Dschafer ward hingerichtet, sein Kopf über eins der Stadttore Bagdads aufgesteckt, und sämtliche Barmekiden, in die Wüste getrieben, unterlagen dort dem Hunger und Elende – Siehe »Rosenöl«.

Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 255-257.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Die Ausgabe von 1844)
Gedichte
Sämtliche Gedichte (insel taschenbuch)
Geistliches Jahr: Gedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Gedichte (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Wette, Adelheid

Hänsel und Gretel. Märchenspiel in drei Bildern

Hänsel und Gretel. Märchenspiel in drei Bildern

1858 in Siegburg geboren, schreibt Adelheit Wette 1890 zum Vergnügen das Märchenspiel »Hänsel und Gretel«. Daraus entsteht die Idee, ihr Bruder, der Komponist Engelbert Humperdinck, könne einige Textstellen zu einem Singspiel für Wettes Töchter vertonen. Stattdessen entsteht eine ganze Oper, die am 23. Dezember 1893 am Weimarer Hoftheater uraufgeführt wird.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon