Am Aschermittwochen

[586] Auf meiner Stirn dies Kreuz

Von Asche grau!

O schnöder Lebensreiz,

Wie bist du schlau,

Uns zu betrügen!

Mit Farben hell und bunt,

Mit weiß und rot,

Deckst du des Moders Grund,

Dann kömmt der Tod

Und straft dich Lügen!


Und wer es nicht bedacht

Und wohl gewußt,

Sein Leben hingelacht

In eitler Lust,

Der muß dann weinen,[586]

Er achtet nicht was lieb,

Und was ihm wert,

Das flieht ihn wie ein Dieb,

Fällt ab zu Erd'

Und zu Gebeinen.


Was schmückt sich denn so hold

In bunter Seid'?

Was tritt einher in Gold

Und Perlgeschmeid'?

O Herr, ich hasche

Nach allem was nicht gut,

Nach Wahn und Traum,

Und hänge Erd' und Blut

Und Meeresschaum

Um bunte Asche!


Was wird so heiß geliebt?

Was legt in Band,

Ob's gleich nur Schmerzen gibt,

Sinn und Verstand?

O Herr verzeihe!

Die Seele minnt man nicht,

Die edle Braut,

Und wagt um ein Gesicht,

Aus Staub gebaut,

Die ew'ge Reue!


Stellt ein Geripp' sich dar

Vor meinem Blick,

So sträubt sich mir das Haar,

Ich fahr' zurück

Vor dem, was ich einst bleibe,

Und werd' es selber noch,

Und weiß es schon,

Und trag' es selber doch

Zu bitterm Hohn

Im eignen Leibe!
[587]

Fühl' ich des Pulses Schlag

In meiner Hand,

Worüber sinn' ich nach?

O leerer Tand:

Ob ich gesunde!

Und denke nicht betört,

Daß für und für

Ein jeder Pulsschlag zehrt

Am Leben mir,

Schlägt Todeswunde!


Du schnöder Körper, der

Mich oft verführt,

Mit Welt und Sünde schwer

Mein Herz gerührt,

Noch hast du Leben!

Bald liegst du starr wie Eis,

Der Würmer Spott,

Den Elementen preis;

O, möge Gott

Die Seele heben!


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 586-588.
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