Am Feste der hl. drei Könige

[571] Durch die Nacht drei Wandrer ziehn,

Um die Stirnen Purpurbinden,

Tiefgebräunt von heißen Winden

Und der langen Reise Mühn;

Durch der Palmen säuselnd Grün

Folgt der Diener Schar von weiten;

Von der Dromedare Seiten

Goldene Kleinode glühn.

Wie sie klirrend vorwärts schreiten,

Süße Wohlgerüche fliehn.


Finsternis hüllt schwarz und dicht

Was die Gegend mag enthalten;

Riesig drohen die Gestalten:

Wandrer fürchtet ihr euch nicht?

Doch ob tausend Schleier flicht

Los' und leicht die Wolkenaue:

Siegreich durch das zarte Graue

Sich ein funkelnd Sternlein bricht,

Langsam wallt es durch das Blaue,

Und der Zug folgt seinem Licht.


Horch, die Diener flüstern leis:

Will noch nicht die Stadt erscheinen,

Mit den Tempeln und den Hainen,

Sie der schweren Mühe Preis?

Ob die Wüste brannte heiß,

Ob die Nattern uns umschlangen,[571]

Uns die Tiger nachgegangen,

Ob der Glutwind dörrt' den Schweiß:

Augen an den Gaben hangen

Für den König stark und weis'.


Sonder Sorge, sonder Acht,

Wie drei stille Monde ziehen

Um des Sonnensternes Glühen,

Ziehn die Dreie durch die Nacht.

Wenn die Staublawine kracht,

Wenn mit grausig schönen Flecken

Sich der Wüste Blumen strecken:

Schaun sie still auf jene Macht,

Die sie sicher wird bedecken,

Die den Stern hat angefacht.


O ihr hohen heil'gen Drei!

In der Finsternis geboren,

Hat euch kaum ein Strahl erkoren,

Und ihr folgt so fromm und treu!

Und du meine Seele, frei

Schwelgend in der Gnade Wogen,

Mit Gewalt ans Licht gezogen,

Suchst die Finsternis aufs neu!

O wie hast du dich betrogen;

Tränen blieben dir und Reu'!


Dennoch, Seele, fasse Mut!

Magst du nimmer gleich ergründen,

Wie du kannst Vergebung finden:

Gott ist über alles gut!

Hast du in der Reue Flut

Dich gerettet aus der Menge,

Ob sie dir das Mark versenge

Siedend in geheimer Glut:

Läßt dich nimmer dem Gedränge

Der dich warb mit seinem Blut.
[572]

Einen Strahl bin ich nicht wert,

Nicht den kleinsten Schein von oben.

Herr, ich will dich freudig loben,

Was dein Wille mir beschert!

Sei es Gram, der mich verzehrt,

Soll mein Liebstes ich verlieren,

Soll ich keine Tröstung spüren,

Sei mir kein Gebet erhört:

Kann es nur zu dir mich führen,

Dann willkommen Flamm' und Schwert!


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 571-573.
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