2. Auf die seligmachende Geburt unsers Erlösers Jesu Christi

[231] 1632 Weihnacht.


Taue doch, o Himmel, taue!

Brecht, ihr Wolken, regnet her,[231]

daß man den Gerechten schaue,

dessen nun nicht ohn' Beschwer

die betrübte Welt so lange

sich versieht und ihr macht bange!


Ja, es treufelt, ja, es tauet,

der gesunde Regen fällt.

Schauet hin, ihr Menschen, schauet:

dort, dort liegt das Heil der Welt.

Diß Kind ist der Tau, der Regen,

der die Erde soll bewegen.


Deucht michs oder ists im Wesen,

wie das Land schon weit und breit

von der Unart ist genesen

durch die fromme Feuchtigkeit,

wie daß Täler, Feld und Höhen

schon in schönerm Schmucke gehen?


Sei, gewündschte Nacht, gegrüßet,

da der keusche Jungfermund

einen jungen Sohn geküsset,

eh' sie ihn recht sehen kunt',

einen Sohn, den sie mit Rechte

doch wol Vater heißen möchte!


Unser Himmel ist im Stalle.

Recht so, Hirte Sybotus,

daß du mit der Pfeifen Schalle

ihm verehrest deinen Gruß!

Bei der Engel lauten Chören

lässest du dich billich hören.


Fleug, gemalter West, und streue

aus dem Blumen-Himmel Klee!

Daß die Luft Narzissen speie,

Lilgen für den weißen Schnee,

daß das Kind als in der Wiege

und in hellen Windeln liege!


Ihr, ihr eingestallten Tiere,

haucht ihm warmen Atem zu,

daß es keine Kälte rühre!

Stört es nicht aus seiner Ruh![232]

Jungfrau Mutter, denk indessen,

daß du Amme bist, und wessen!


O ihr hochgelobten Krippen,

unsers Heilands Schirm und Rast,

und o Stall, daß du nicht Lippen,

daß du doch nicht Zungen hast,

daß du selbsten köntest singen

von den wundersamen Dingen!


Kleiner Gast, doch auch zugleiche

großer Wirt der weiten Welt,

gib doch künftig unserm Reiche,

daß es sich zufrieden stelt,

daß doch mit dem alten Jahre

hin auch alle Plage fahre!


Segne künftig unsre Linden,

unsre halbgestorbne Stadt,

daß sich möge wieder finden

was der Krieg verderbet hat!

Reinige die faulen Lüfte,

die so schwanger sein mit Gifte!


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 231-233.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsche Gedichte
Deutsche Gedichte

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon