[Schönen Kindern Lieder singen]

[321] [321] Auf das Geburthsfest der Jungfer Regina Dammin, welches A. 1722. den 8. August. einfiel


Aria.


Schönen Kindern Lieder singen,

Ist das Amt der Poesie,

Und vor sie die Laute zwingen

Nichts als angenehme Müh;

Denn der Strahl von ihren Kerzen

Zündet Blut und Geister an,

Daß man bey galantem Scherzen

Desto netter spielen kan.


Jezt erweckstu meine Flöthen,

Du, o hofnungsvolles Kind.

Spötter sprechen, daß Poeten

Nur galante Lügner sind;

Diesen Saz zu widerlegen,

Braucht es nichts als dies mein Blat,

Welches blos der Warheit wegen

Seine Schönheit von dir hat.


Wie an schlancken Cederstämmen

Zweig und Gipfel munter stehn

Und, die Kiefern zu verdämmen,

Täglich stärck- und höher gehn,

So erhebt dich in der Menge

Vieler Schönen unsrer Zeit

Die so wohl gestallte Länge

Und der Glieder Artigkeit.


Wie der Sonnen frühes Blizen,

Wenn der Thau das Erdreich kühlt,

Auf den halbgebrochnen Spizen[322]

Junger Rosenknöpfe spielt,

Also spielt auf Stirn und Wangen

Eine blumenreiche Pracht,

Die schon manchem ein Verlangen

Wie den Eltern Freude macht.


In der Augen Farb und Flammen

Spiegelt sich des Himmels Bild,

Milch und Blut fliest da zusammen,

Wo der Küße Nectar quillt.

Feßel an das Herz zu legen,

Brauchstu nur ein einzig Glied,

Das durch artiges Bewegen

Aller Neigung an sich zieht.


Bäume ziert so Laub als Blüthe,

Doch dies ist nur halber Schein,

Von der innerlichen Güte

Mußen Früchte Zeugen seyn:

Deines Leibes holde Gaben

Lehren in des Alters May,

Daß ein Geist, den wenig haben,

Seiner Schönheit Schönheit sey.


Sitten, Mienen, Wort und Blicke

Zeigen Sanftmuth, Wiz und Kunst,

Drum verspricht dir auch das Glücke

Den Bestand von seiner Gunst.

Las viel stolze Mägdgen höhnen

Und aus blinder Misgunst schmähn,

Dir verbleibt der Ruhm der Schönen,

Die auf guten Wandel sehn.


O welch zärtliches Entzücken,

O welch sanfter Keuschheitszoll

Wird einmahl den Mund erquicken,

Dem dein Erstling werden soll;[323]

O was wird der Mutter Liebe

Vor vergnügte Stunden sehn,

Wenn so manches Freyers Triebe

Nach der liebsten Tochter flehn.


Dieser Tag, der dich der Erden

Als ein Kleinod erst geschenckt,

Soll so lang ein Festtag werden,

Als er auf dein Wohlseyn denckt;

Kummer, Unruh, Wolcken, Regen,

Schröcken, Baare, Bliz und Nacht

Schonen seiner deinetwegen,

Bis der lezte Morgen lacht.


Wachse nun an Glück und Jahren

So wie an Gefälligkeit!

Gott und Himmel wird nicht sparen,

Was dir Lob und Lust verleiht.

Der Genuß von diesem Lichte

Sey dir noch so oft bestimmt,

Als die Anmuth im Gesichte

Und im Herzen Tugend glimmt.

Quelle:
Johann Christian Günther: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 4, Leipzig 1935, S. 321-324.
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