Wider den Geiz

[292] Wohl dem, der beßre Schätze liebt,

Als Schätze dieser Erden!

Wohl dem, der sich mit Eifer übt,

An Tugend reich zu werden;

Und in dem Glauben, des er lebt,

Sich über diese Welt erhebt!
[292]

Wahr ist es, Gott verwehrt uns nicht,

Hier Güter zu besitzen.

Er gab sie uns, und auch die Pflicht,

Mit Weisheit sie zu nützen.

Sie dürfen unser Herz erfreun,

Und unsers Fleißes Antrieb sein.


Doch nach den Gütern dieser Zeit

Mit ganzer Seele schmachten,

Nicht erst nach der Gerechtigkeit

Und Gottes Reiche trachten;

Ist dieses eines Menschen Ruf,

Den Gott zur Ewigkeit erschuf?


Der Geiz erniedrigt unser Herz,

Erstickt die edlern Triebe.

Die Liebe für ein schimmernd Erz

Verdrängt der Tugend Liebe,

Und machet, der Vernunft zum Spott,

Ein elend Gold zu deinem Gott.


Der Geiz, so viel er an sich reißt,

Läßt dich kein Gut genießen;

Er quält durch Habsucht deinen Geist,

Und tötet dein Gewissen,

Und reißt durch schmeichelnden Gewinn

Dich blind zu jedem Frevel hin.


Um wenig Vorteil wird er schon

Aus dir mit Meineid sprechen;

Dich zwingen, der Arbeiter Lohn

Unmenschlich abzubrechen;

Er wird in dir der Witwen Flehn,

Der Waisen Tränen widerstehn.


Wie könnt ein Herz, vom Geize hart,

Der Wohltat Freuden schmecken,

Und in des Unglücks Gegenwart

Den Ruf zur Hülf entdecken?[293]

Und wo ist eines Standes Pflicht,

Die nicht der Geiz entehrt und bricht?


Du bist ein Vater; und aus Geiz

Entziehst du dich den Kindern,

Und lässest dich des Goldes Reiz,

Ihr Herz zu bilden, hindern;

Und glaubst, du habst sie wohl bedacht,

Wenn du sie reich, wie dich, gemacht.


Du hast ein richterliches Amt;

Und du wirst dich erfrechen,

Die Sache, die das Recht verdammt,

Aus Habsucht recht zu sprechen;

Und selbst der Tugend größter Feind

Erkauft an dir sich einen Freund.


Gewinnsucht raubt dir Mut und Geist,

Die Wahrheit frei zu lehren;

Du schweigst, wenn sie dich reden heißt,

Ehrst, wo du nicht sollst ehren,

Und wirst um ein verächtlich Geld

Ein Schmeichler, und die Pest der Welt.


Erhalte mich, o Gott! dabei,

Daß ich mir gnügen lasse,

Geiz ewig als Abgötterei

Von mir entfern und hasse.

Ein weises Herz und guter Mut

Sei meines Lebens größtes Gut!


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 292-294.
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