O Jesu Christ, mein schönstes Licht

[170] Nach Johann Arnds »Paradiesgärtlein«, Goslar 1621, II, 5: »Gebet um die Liebe Christi«


1.

O Jesu Christ, mein schönstes Licht,

Der du in deiner Seelen

So hoch mich liebst, daß ich es nicht

Aussprechen kann noch zählen:

Gib, daß mein Herz dich wiederum

Mit Lieben und Verlangen

Mög umfangen

Und als dein Eigentum

Nur einzig an dir hangen!


2.

Gib, daß sonst nichts in meiner Seel

Als deine Liebe wohne,

Gib, daß ich deine Lieb erwähl

Als meinen Schatz und Krone;

Stoß alles aus, nimm alles hin,

Was mich und dich will trennen

Und nicht gönnen,

Daß all mein Mut und Sinn

In deiner Liebe brennen!


3.

Wie freundlich, selig, süß und schön

Ist, Jesu, deine Liebe!

Wann diese steht, kann nichts entstehn,

Das meinen Geist betrübe.

Drum laß nichts anders denken mich,

Nichts sehen, fühlen, hören,

Lieben, ehren

Als deine Lieb und dich,

Der du sie kannst vermehren.


4.

O, daß ich dieses hohe Gut

Möcht ewiglich besitzen![171]

O, daß in mir dies' edle Glut

Ohn Ende möchte hitzen!

Ach, hilf mir wachen Tag und Nacht

Und diesen Schatz bewahren

Vor den Scharen,

Die wider uns mit Macht

Aus Satans Reiche fahren!


5.

Mein Heiland, du bist mir zulieb

In Not und Tod gegangen

Und hast am Kreuz als wie ein Dieb

Und Mörder da gehangen,

Verhöhnt, verspeit und sehr verwundt;

Ach, laß mich deine Wunden

Alle Stunden

Mit Lieb im Herzensgrund

Auch ritzen und verwunden.


6.

Dein Blut, daß dir vergossen ward,

Ist köstlich, gut und reine,

Mein Herz hingegen böser Art

Und hart gleich einem Steine.

O laß doch deines Blutes Kraft

Mein hartes Herze zwingen,

Wohl durchdringen

Und diesen Lebenssaft

Mir deine Liebe bringen!


7.

O daß mein Herze offen stünd

Und fleißig möcht auffangen

Die Tröpflein Bluts, die meine Sünd

Im Garten dir abdrangen!

Ach daß sich meiner Augen Brunn

Auftät und mit Stöhnen

Heiße Tränen[172]

Vergösse, wie die tun,

Die sich in Liebe sehnen.


8.

O daß ich wie ein kleines Kind

Mit Weinen dir nachginge

So lange, bis dein Herz entzündt

Mit Armen mich umfinge

Und deine Seel in mein Gemüt

In voller süßer Liebe

Sich erhübe

Und also deiner Güt

Ich stets vereinigt bliebe!


9.

Ach zeuch, mein Liebster, mich nach dir,

So lauf ich mit den Füßen;

Ich lauf und will dich mit Begier

In meinem Herzen küssen.

Ich will aus deines Mundes Zier

Den süßen Trost empfinden,

Der die Sünden

Und alles Unglück hier

Kann leichtlich überwinden.


10.

Mein Trost, mein Schatz, mein Licht und Heil,

Mein höchstes Gut und Leben,

Ach nimm mich auf zu deinem Teil,

Dir hab ich mich ergeben.

Denn außer dir ist lauter Pein,

Ich find hier überalle

Nichts denn Galle;

Nichts kann mir tröstlich sein,

Nichts ist, das mir gefalle.


11.

Du aber bist die rechte Ruh,

In dir ist Fried und Freude,[173]

Gib, Jesu, gib, daß immerzu

Mein Herz in dir sich weide!

Sei meine Flamm und brenn in mir,

Mein Balsam, wollest eilen,

Lindern, heilen

Den Schmerzen, der allhier

Mich seufzen macht und heulen.


12.

Was ists, o Schönster, das ich nicht

In deiner Liebe habe?

Sie ist mein Stern, mein Sonnenlicht,

Mein Quell, da ich mich labe,

Mein süßer Wein, mein Himmelsbrot,

Mein Kleid vor Gottes Throne,

Meine Krone,

Mein Schutz in aller Not,

Mein Haus, darin ich wohne.


13.

Ach, liebstes Lieb, wann du entweichst,

Was hilft mir sein geboren?

Wann du mir deine Lieb entzeuchst,

Ist all mein Gut verloren.

So gib, daß ich dich, meinen Gast,

Wohl such und bester Maßen

Möge fassen

Und, wenn ich dich gefaßt,

In Ewigkeit nicht lassen!


14.

Du hast mich je und je geliebt

Und auch nach dir gezogen;

Eh ich noch etwas Guts geübt,

Warst du mir schon gewogen.

Ach, laß doch ferner, edler Hort,

Mich diese Liebe leiten

Und begleiten,[174]

Daß sie mir immerfort

Beisteh auf allen Seiten!


15.

Laß meinen Stand, darin ich steh,

Herr, deine Liebe zieren

Und, wo ich etwa irre geh,

Alsbald zurechte führen;

Laß sie mir allzeit guten Rat

Und gute Werke lehren,

Steuern, wehren

Der Sünd, und nach der Tat

Bald wieder mich bekehren!


16.

Laß sie sein meine Freud im Leid,

In Schwachheit mein Vermögen,

Und wann ich nach vollbrachter Zeit

Mich soll zur Ruhe legen,

Alsdann laß deine Liebestreu,

Herr Jesu, bei mir stehen,

Luft zuwehen,

Daß ich getrost und frei

Mög in dein Reich eingehen!

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 170-175.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Wach auf, mein Herz, und singe: Vollständige Ausgabe seiner Lieder und Gedichte
Erinnerungen 2014: Postkartenkalender - Christliche Lieder & Gedichte
Wach auf, mein Herz, und singe. Gesamtausgabe seiner Lieder und Gedichte
Gedichte Von Paulus Gerhardt (German Edition)

Buchempfehlung

Anonym

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon