Das II Hauptstück.
Von den allgemeinen orthographischen Regeln in Syllben und Wörtern überhaupt.

[100] 1 §.


Aus solchen Selbstlautern und Mitlautern, einfachen und doppelten Buchstaben, lassen sich nun alle Wörter der deutschen Sprache zusammensetzen. So viel man ihrer, mit einem einzigen Aufthun des Mundes, zugleich aussprechen kann, so daß sie nur einen Laut geben, die nennet man eine Syllbe: z.E. Hand, Buch, Mund, sind drey einzelne Syllben, ob sie gleich auch so viel ganze Wörter ausmachen: in spre-chen, schrei-ben, le-sen, aber, sind immer zwo Syllben bey einander; weil man den Mund zweymal, auf verschiedene Art aufthun muß, diese Wörter auszusprechen. So sind in ver-nünf-tig, un-ver-stän-dig, Un-voll-kom-men-heit, drey, vier, fünf, oder mehr Syllben zu bemerken.

2 §. Die Zusammensetzung einzelner Buchstaben kann eine solche Menge von Tönen zuwege bringen, daß man darüber erstaunet; wenn man die Regeln der Verbindungskunst ein wenig zu Rathe zieht1. Laurenberg hat behauptet, die deutschen 24 Buchstaben ließen sich 620, 148", 397, 827', 051, 993 mal verwandeln oder versetzen. Aber Leibnitz hat gewiesen, daß sowohl derselbe, als Clavius, Puteanus, und Henr. von Etten, die noch andere Zahlen davon angegeben, gar zu kleine Rechnungen gemachet; indem die wahre Zahl aller möglichen Versetzungen des Alphabeths sich auf 620, 448˙˙˙, 401, 733¨, 239, 439˙, 360, 000 beläuft. Doch ein anderes sind Versetzungen, ein anders sind[100] Syllben und Wörter, die sich aussprechen lassen. Wenn man indessen auch nur alle einfache Zusammensetzungen zweener, dreyer, oder von vier, fünf Buchstaben, die sich in einer Syllbe aussprechen lassen, versuchen und überschlagen will: so wird eine unglaubliche Menge herauskommen.

3 §. Die einfachesten Syllben stellet das a, b, ab den Kindern vor; worinn die Mitlauter den Selbstlautern, theils vor, theils ihnen nachgesetzet werden. In andern Lesebüchern findet man drey, vier und mehr Buchstaben in eine Syllbe gebracht, die schon ungleich mehr Veränderungen geben. So groß aber die Menge auch wird: so ist sie doch gegen die Anzahl der Wörter, die aus zwo, drey, vier, oder mehr Syllben zusammengesetzet werden können; und wirklich in so unzähligen Sprachen auf dem Erdboden zusammengesetzet worden, für nichts zu rechnen. So ist in dem Anhange des poetischen Trichters erwiesen, daß zwo Syllben nur zweymal, drey Syllben sechsmal, vier Syllben aber vier und zwanzigmal versetzet werden können. Selbst die deutsche Sprache ist darinn so überflüßig reich, daß die Anzahl ihrer Wörter schwerlich in Rechnung zu bringen ist2.[101]

4 §. Aus der Natur der Syllben also, die aus Buchstaben zusammengesetzet werden müssen, fließt die erste orthographische Regel; die schon Quintilian (L. 1. c. 7.) gegeben hat:


Erste Regel.


Man schreibe jede Syllbe mit solchen Buchstaben, die man in der guten Aussprache deutlich höret.


Denn die Schrift ist ja in ihrem Ursprünge, dazu erfunden worden, die Töne des Mundes abzubilden und sichtbar zu machen. So wenig es also einem Sänger erlaubet ist, seine[102] Melodie mit andern Noten zu schreiben, als die er im Singen will hören lassen: so wenig darf ein Redner sich im Schreiben anderer Buchstaben bedienen, als zu den ausgesprochenen Tönen gehören; und woraus andere, die seine Schrift lesen werden, sehen können, wie er gesprochen hat3.

5 §. So richtig diese Regel überhaupt ist, so leidet sie doch ihre großen Abfälle; wenn eine Sprache viele Mundarten hat, die nicht in gleicher Hochachtung stehen. Bey den Griechen schrieb zwar jedes Volk seinen Dialekt, wie es ihn zu sprechen pflegte; doch behielt der attische vor den übrigen den Vorzug; theils weil Athen die übrigen an Pracht, Artigkeit der Sitten, ja selbst am Ruhme großer Thaten übertraf; theils weil es[103] sowohl an Dichtern und Rednern, als an Weltweisen, die meisten Schriftsteller hervorbrachte, und also auch die Sprache am meisten ausarbeitete. Eben so ist es in neuern Zeiten in Wälschland gegangen. Des Dantes, Petrarcha und Boccaz toscanische Mundart ist, ohne daß Florenz jemals die Herrschaft über ganz Italien behauptet hat, zu einer Regel der übrigen Provinzen geworden; als welche ihre Wörter, nicht nach ihrer eigenen Aussprache, sondern nach der toscanischen Mundart zu reden und zu schreiben suchen4.[104]

6 §. Diesem zufolge nun, haben sich auch die sämmtlichen deutschen Landschaften, ungeachtet ihrer verschiedenen Mundarten, beynahe schon stillschweigend verglichen, ihre Wörter nicht nach ihrer besondern Aussprache, sondern nach der Aussprache derjenigen Provinz zu schreiben, die sich den Ruhm der besten Mundart erworben hat. Hiezu kömmt nun noch, daß diejenige Landschaft den größten Anspruch auf dieses Vorrecht gehabt hat, welche die größte Anzahl guter Schriftsteller hervorgebracht; und sich die meiste Mühe gegeben hat, ihre Sprache richtig, schön und angenehm zu machen. Man kann leicht sehen, daß dieses diejenige Provinz seyn wird, wo die meisten hohen und niedrigen Schulen beysammenliegen, und wo folglich die meisten Bücher gedrucket, verkaufet und gelesen werden5.[105]

7 §. Durch dergleichen Gründe erlanget nun die sogenannte obersächsische Mundart einiges Ansehen in Entscheidung der zweifelhaften Rechtschreibung6: allein, auch dieses ist nicht ganz ohne Ausnahme. Der Pöbel ist in allen Landschaften zu gewissen Unrichtigkeiten und Verfälschungen der Wörter geneigt, die oft von einer Stadt zur andern, ja von einem Dorfe zum andern, schon sehr abweichen. Z.E. Leipzig, Halle und Merseburg liegen sehr nahe bey einander, und sprechen alle drey gut obersächsisch. Gleichwohl höret man von einigen hier, an statt Gott, Gabe, gut; Jott, Jabe und jut sprechen. Wem soll man nun hier in der Rechtschreibung folgen? Ohne Zweifel dem besten Theile. Denn an keinem von diesen Orten sprechen alle vornehme oder gelehrte Leute so; sondern nur wenige, die sich durch die Unbeständigkeit des Pöbels haben dahin reißen lassen.[106]

8 §. Man muß sich aber auch durch die Aussprache nicht verleiten lassen, solche Seltsamkeiten zu begehen, als die Zesianer im vorigen Jahrhunderte auf die Bahne brachten. Diese meyneten, ein jedes e, welches mit vollem Munde ausgesprochen wird, als in Segen, Wellen, Helden, u.d.gl. müßte in ein ä; jedes kurze i in ü, jedes ph in f, u.s.w. verwandelt werden: und also schrieben sie Plütz, Damf, Schwäfel, Ragen, fünster, Hälden, Fälsen, Sägel, Wällen, Füchten u.d.m. Man sehe den Frygier Äneas, wi er nach Smärz-entfündlichen Abläben seiner ädlen Kreusen, entslagung der trübsäligen Dido mit der huldreichen Lavinie besäliget, izzo bey der libsäligsten Deutschine in beruheter annämlichkeit befridet worden. Diese Uebersetzung der virgil. Aeneis ist zu Stargard in 12 ohne Meldung des Jahres herausgekommen. Eine solche wunderliche Grillenfängerey kann niemanden in den Sinn kommen, als der es nicht weis, daß alle Vocalen kurz, oder lang; mit einem scharfen, oder gezogenen Tone können ausgesprochen werden7.[107]

9 §. Es giebt aber noch ein ander Mittel, diesen Abweichungen vorzubeugen. Es ist natürlich und billig, alle mit einander verwandte, oder von einander abstammende Wörter, mit einerley Buchstaben zu schreiben: damit man ihre Verwandtschaft nicht aus den Augen verliere; sondern ihre Aehnlichkeit gleich wahrnehmen könne. Es sey also


[108] die II Regel.


Alle Stammbuchstaben, die den Wurzelwörtern eigen sind, müssen in allen abstammenden, soviel möglich ist, beybehalten werden.


Z.E. von gib, als dem Wurzelworte, kommen, ich gebe, ich gab, gegeben, die Gabe; folglich müssen alle diese das g und das b, NB. als Stammbuchstaben, beybehalten. Man darf also eben so wenig Jabe, als Kabe, jib, als kib, oder kip schreiben8: obgleich einige schlechte Mundarten so sprechen möchten. Vielmehr sollen diese, ihre böse Ausspräche nach der Schrift einzurichten, suchen.

10 §. Diese Regel erstrecket sich nicht nur auf die Mitlauter, sondern auch auf die Selbstlauter. Der Ursprung eines Wortes würde sich oft in den Abgeleiteten gar zu sehr verlieren, wenn man die Selbstlauter allezeit, und ohne Noth ändern wollte. So schrieben z.E. die Alten von Vater, Veter, von Haus, Heuser, von Mann, Menner, von war, were, von that, thete, von Vogel, Vegel, von Burg, Birger, u.s.w. In neuern Zeiten aber hat man diese Unreinigkeit mit gutem Grunde abgeschaffet, und das a, o, u, nicht ganz verworfen, sondern in ä, ö, ü, verwan-delt. Man schreibt also dieser Regel zufolge, von alt, die Ältern, von Arm, die Ärmel. Und aus eben dem Grunde sollte man bässer von baß, Knäbelbart von Knabe9, häucheln von hauchen, schmäucheln von schmauchen, u.s.w. mit einem ä schreiben10[109]

11 §. Aus dieser Regel folget nun eine andere, nämlich


Die III Regel.


Man muß die Doppellaute nicht setzen, wenn das Stammwort keinen damit verwandten Selbstlaut gehabt hat.


So schreiben einige sehr falsch Gebürg; da doch dieß Wort nicht von Burg, sondern von Berg kömmt, und also Gebirg heißen soll. Andere schreiben würken, da es doch von Werk kömmt, davon nur wirken kommen kann. Viele sagen vergülden, da doch das Stammwort nicht Guld, sondern Gold heißt, davon also jenes vergolden heißen soll. Ein anderes ist ein Goldgülden, der von Gulden, einer silbernen Münze, kömmt. So sagen auch andere übel, ein wüllener Zeug, weil von Wolle nur wollen kommen kann. Eben so wenig kann man sagen das kölmische Recht; oder der Kolmer Berg: denn beydes kömmt von Culm, aus dem lat. CULMEN ein Hügel oder Berg; wie alle Örter, die diesen Namen führen, zeigen. Köln aber ist recht, von COLONIA, Köthen, von den Kothen, wo man das Salz siedet11[111]

12 §. Doch muß man dieses nicht so weit ausdehnen, als ob alle mit einander verwandte Wörter auch einerley Selbstlauter haben müßten. Hierinn fehleten die Zesianer vormals, wenn sie z.E. Mänsch, ädel, sälig, Anmärkungen, sätzen u.d.gl. schreiben wollten: weil sie meyneten, diese Wörter kämen von Mann, Adel, sal und Mark her. Allein, dieses war eben noch nicht so ausgemachet. Denn das Wort edel, als ein Beywort, ist unstreitig viel älter, als das Nennwort, welches den abgesonderten Begriff des Adels anzeiget. Jenes steht schon in Ottfrieden12; dieses aber ist viele hundert Jahre neuer. Die andern sind eben so zweifelhaft, wofern die Syllbe sal, den Begriff des seligen nicht in sich hält; wenn es nicht von SALUS kömmt: wie es in Labsal, Irrsal, Trübsal, u.d.gl. mehr gesetzet wird, wo selbiger gar nicht Statt hat13. Bey dem märken und sätzen ist es auch viel gegründeter, daß die Mark, von merken14, Satz von setzen herkomme, als umgekehret.[112]

13 §. Wo diese beyden Regeln nicht zulangen, da kömmt uns die Gewohnheit zu statten, und giebt uns


die IV Regel:


Man schreibe außer dem so, wie es der allgemeine Gebrauch eines Volkes seit undenklichen Zeiten eingeführet hat.


Z.E. Es ist seit dreyhundert und mehr Jahren gewöhnlich, kein schlecht i am Ende eines Wortes zu setzen; sondern ihm entweder ein e zur Verlängerung beyzufügen, oder ein doppelt ij, d.i. ein y an dessen Stelle zu setzen. Daher schreibt man die, wie, hie, Melodie; imgleichen bey, sey, frey, Geschrey u.d.gl. Da kamen nun die Zesianer, und wollten nach dem bloßen Gehöre, theils das e, theils das y wegschaffen, und schrieben hi, wi, bei, sei, frei, u.d.gl. Hierinnen ist ihnen aber der Gebrauch der guten Schriftsteller allezeit zuwider geblieben15[114]

14 §. Eine andere Regel der Rechtschreibung entspringt, aus dem Unterschiede der Wörter in ihren Bedeutungen. Denn da einer Sprache nichts nachtheiliger ist, als die Zweydeutigkeit der Wörter: so ist auch nichts billiger, als daß man Wörter von zweyerley Sinne, doch ähnlichem Klange, wenigstens in der Schrift, so viel als möglich ist, unterscheide. Dergestalt fallen sie im Lesen, sowohl Einheimischen als Ausländern, ganz anders in die Augen, und warnen vor dem Misverstande, der bey einerley Buchstaben leicht möglich wäre. Es sey also


[115] die V Regel.


Wörter verschiedener Bedeutung, und die nicht von einander abstammen, unterscheide man, so viel möglich ist, durch die Buchstaben.


Z.E. Hey, EJA! Häu, FŒNUM, und heurathen16; einmal, Abendmahl, Grabmaal17; Ton, TONUS, Thon, ARGILLA; Thau, ROS, Tau, ein Schiffseil; meine, MEA, ich meyne, ARBITROR; wähnen, PUTARE; gewöhnen, ASSUEFACERE; die Haide, ein Wald; Heide, unbebautes Land; und ein Heyd, PAGANUS; wiederum, ITERUM, und wider, CONTRA; die Weyde, PASCUA, und die Weyde, ein Baum; leiden, PATI, und Leyden, LUGDUNUM, die Stadt; die Waare, MERX, und wahr VERUM: weiß, ALBUS, ich weis, SCIO, etc.18[116]

15 §. Dieses führet uns unvermerkt auf


die VI Regel:


Was in dem einen ähnlichen Falle so geschrieben wird, das soll man auch im andern so schreiben.


Den Grund dieser Regel nennet man die Analogie, oder die Sprachähnlichkeit: und diese ist eine fruchtbare Mutter der meisten grammatischen Regeln. Ein Exempel giebt hier das Wort Geduld ab, welches viele Gedult, und so ferner gedultig, gedulten, u.d.gl. schreiben. Daß aber dieses unrecht sey, zeiget die Ähnlichkeit mit den übrigen Wörtern dieser Art, Huld, Schuld; die an sich und in allen ihren Abkömmlingen ein d haben, denen also jenes folgen muß. Das Wort Pult hat zwar ein t, ist aber auch ein ursprünglich[117] fremdes Wort, das hier keine Regel machen kann19.

16 §. Wann Wörter aus einer alten oder neuen, aber fremden Sprache ins Deutsche gebracht werden: so fraget es sich, wie man sie schreiben solle? Entweder unsere Sprache hat dieselben Buchstaben und Töne der Fremden; oder sie hat gleichgültige; oder sie hat selbige gar nicht. Ist das erste, so behält man sie; wie das K der Hebräer und Griechen, in Kain, Kaleb, Kreon, Kleopatra, Kleomenes; oder das C der Lateiner in Cato, Cäsar, Cicero, Cotta, Lucullus. Hat man aber gleichgültige, oder doch nur ähnliche, so muß man sich derselben bedienen. Z.E. wer türkische, pohlnische, wälsche oder französische und engländische Wörter im Deutschen schreiben muß, der thut wohl, daß er sie so genau nach der Aussprache dieser Völker ausdrücket, als ihm möglich ist. Es heißt also


[118] die VII Regel:


Fremde Namen und Wörter schreibe man am liebsten mit denselben, oder ganz gleichgültigen, oder doch ähnlichen Buchstaben; damit ihr Klang so viel möglich ist, beybehalten bleibt20


Die VIII Regel:


17 §. Wann zwo oder mehrere von diesen allgemeinen Regeln mit einander streiten; so muß die eine nachgeben21.[119]


Daß es solche Fälle gebe, ist leicht zu zeigen. Z.E. hoch, würde nach dem Stammworte fordern, höcher, die Höche zu schreiben; wie wir von flach, flächer, und die Fläche schreiben. Allein, die erste Regel von der Aussprache gilt hier mehr; und wir müssen das ch in ein bloßes n verwandeln, höher, Höhe. Hergegen von geschehen, sprechen und schreiben einige, es geschicht; aber übel. Denn da von sehen, nicht er sicht, sondern er sieht, gebildet wird: so darf auch dort nur es geschieht, gesprochen und geschrieben werden; und zwar destomehr, da von beyden ähnliche Nennwörter, mit einem ch abstammen, die Geschichte, und das Gesicht22

Fußnoten

1 S. GOD. GUIL. LEIBNITII ART. COMBINATORIAM. FRANCOF. 1690, 4. PROBLEM. IV, P. 62 SEQ. ITEM PROBLEM. VI.


2 Wer von dem Reichthume unserer Sprache urtheilen will, der muß sie nicht etwa nach dem engen Umfange, oder der kleinen Anzahl derer Wörter, die er in seinem Gedächtnisse hat, beurtheilen. Es würde wunderlich seyn, ihr so eingeschränkte Gränzen zu setzen. Denn welcher Mensch kann sich wohl rühmen, seine Sprache ganz im Kopfe zu haben? Wer weis, und versteht wohl zugleich, alle Wörter der Künste und Handwerke, aller Lebensarten und bürgerlichen Handthierungen, und aller Arten von Gelehrten? Selbst eine ganze Stadt, und wenn sie so groß, volkreich und gelehrt wäre, als Paris, hat in dem Munde ihrer Bürger und Einwohner nicht die ganze Sprache. Denn wo bleibt noch die Sprache der Landwirthschaft, des Bergbaues, der Weingärtner, der Seeleute, der Papier-Wind-Stampf- und Schneidemühlen, des Forst- und Jagdwesens, und so vieler andern Manufacturen, die niemals an einem einzigen Orte beysammen sind? Ich muß endlich noch hinzu setzen, daß auch eine ganze Landschaft, wie in Frankreich Isle DE FRANCE, und in Deutschland Obersachsen ist, nicht alle Wörter der französischen und deutschen Sprache in sich hält. Denn wo bleibt die See- und Schiffersprache, die gewiß in mittelländischen Provinzen nicht im Schwange geht; sondern an den Seeküsten in großen Handelsstädten zu suchen ist.

Man muß also von der Armuth der deutschen Sprache, nach dem kleinen Vorrathe seines Gedächtnisses, keine verwägene Urtheile fällen. Dieses thun viele, die mehr ausländische, als deutsche Bücher gelesen haben, wenn sie manchmal kein einheimisches Wort finden können, dieses, oder jenes auszudrücken. Man muß nämlich auch Wörterbücher von allen Arten, ja hunderterley andere Bücher zu Rathe ziehen. In diesen nun, liegen seit dreyhundert und mehr Jahren, die völligen Schätze unserer Sprache verborgen. Denn ich schließe von unsern Reichthümern auch die alten Wörter nicht aus; ob sie gleich zuweilen von ausländischen, auch wohl ohne Noth neugeprägten einheimischen, verdrungen worden. Ich gestehe es gern, daß sie nicht alle brauchbar sind; weil man viele nicht mehr verstehen würde. Aber viele, ja die meisten, sind ohne ihre Schuld aus der Uebung gekommen, und verdieneten es gar wohl, wieder in Schwang gebracht zu werden. Solche alte Bücher nun, die seit Erfindung der Buchdruckerkunst, im Drucke erschienen, sollte man nicht so unbedachtsam verwerfen, sondern den Reichthümern unserer Muttersprache darinnen nachspüren: wo nicht anders, doch so, wie Virgil aus dem STERQUILINIO ENNII, das Gold seines unvergleichlichen Heldengedichtes hervorgesuchet hat.


3 Wider diese erste Regel hat mir ein gelehrter Mann eingewandt: Quintilian hätte dieses wohl gebiethen können, da das herrschende Rom, ohne dieß allen Völkern seines Reiches Gesetze gab. Allein wer wollte solches in Deutschland sich anmaßen? Ich antworte: aufs Gesetzgeben und Herrschen kömmt es in Sprachen eben nicht an. Beherrschte denn Athen ganz Griechenland? Beherrschet etwa Toscana ganz Italien, und Orleans Frankreich? Die vorzügliche Art der Aussprache, die dem Ursprunge der Wörter, der Sprachähnlichkeit, und dem Wohlklange am gemäßesten ist, entscheidet mehr, als die Macht zu befehlen. Hernach trägt die Menge gelehrter und beredter Schriftsteller, die Menge und der Werth der von ihnen geschriebenen Bücher, die Anzahl der hohen und niedrigen Schulen, und endlich die wohlgesittete, ungezwungene Lebensart, und der angenehme Umgang eines Landes, gemeiniglich zur Ausputzung und Anmuth seiner Mundart das meiste bey; zumal, wenn sie noch durch fleißige Sprachlehrer und Kunstrichter geläutert wird; wie solches in Florenz, durch die ACADEMIA DELLA CRUSCA, und zu Paris, durch die französische Akademie geschehen ist. Daher ist es gekommen, daß Neapolis und Sicilien, Venedig, und Piemont, ob sie gleich Mundarten reden, die vom Toscanischen so weit, als das Pommerische und Westphälische, Schweizerische und Steyermärkische vom Obersächsischen unterschieden sind, sich dennoch befleißen, toscanisch zu reden und zu schreiben; und daß die Gasconier und Picarder, so wohl als Langedocker und Provenzalen, die parisische Sprache so gut, als sie können, zu erreichen suchen.


4 Niemand hat die Rechtschreibung mehr nach den verschiedenen Mundarten zu bestimmen gesuchet, als Sebastian Helber, Keiserischer Notarien zu Freiberg im Breißgew, der zu Freiburg in Vochtland, ANNO CIO Io VII C. in 8 sein Teutsches Syllabierbüchlein, nemlich gedruckter hochteutscher sprach lesenskunst herausgegeben hat. Dieser saget auf der 31 S. ausdrücklich: »Viererley teutsche Sprachen weiß ich, in denen man Teutsche Buecher druckt, die Cölnische und Gülichische, die Sächsische, die Flämmisch oder Brabantische, vnd die Ober- oder Hochteutsche. Diese Hochdeutsche nun theilet er wiederum in drey Mundarten ab. Vnsere gemeine Hoch-Teutsche wirdt auf drei weisen gedruckt: eine möchten wir nennen die Mitter-Teutsche. die andere die Donawische, die dritte Höchst-Rei-nische; dan das Oberland nicht mehr breuchig ist. Die Drucker, so der Mittern Teutschen aussprach, als vil die Diphthongen ai, ei, au, etc. belangt halten, verstee ich die von Meinz, Speier, Frankfurt, Würzburg, Heidelberg, Nörnberg, Straßburg, Leipsig, Erdfurt vnd andere, denen auch die von Cölen volgen, wan sie das Ober-Teutsch verfertigen. Donawische verstee ich alle in den Alt Baierischen und Schwebischen Landen, den Rhein vnberürt. (Alt Baierische seind die, so vorzeiten all vnder ein Fürsten waren, nämlich jeziges Herzogthumb Beieren, Ost- oder Oesterreich, nid vnd ob der Enns, Kärnten, Steier, Tirol, Krain, Saltzburgerland, samt der Ambergischen oder Obernpfaltz, mit ihren Anstößen). Höchst Reinische letzlich, die so vor jezigen Jahren gehalten haben im Drucken, die Sprach der Eidgenossen, oder Schweitzer, der Walliser, vnd etlicher Beigesessener im Stifft Costanz, Chur und Basel.«

Was nun nach allen diesen Mundarten des Hochdeutschen für verschiedene Schreibarten damals im Schwange gewesen, das ist lustig zu lesen, auch in alten Büchern noch hin und wieder zu sehen. Gottlob! daß dieser Zwiespalt sich allmählich gehoben hat. Sowohl die donauischen Landschaften, als selbst die oberrheinischen, befleißigen sich itzo um die Wette, der obbenannten Mitteldeutschen in der Rechtschreibung immer näher zu treten. Dieß ist jederzeit in allen großen Ländern geschehen.


5 Man könnte hier mit gutem Scheine den Einwurf machen, daß vor 250 Jahren die meisten deutschen Bücher am Rheine und in Schwaben gedrucket wurden; und daß also dieses die beste Mundart seyn müßte. Allein, die Zeiten haben sich geändert; und der Sitz der deutschen Gelehrsamkeit ist, seit der Glaubensreinigung, durch Frankenland nach Obersachsen gewandert. Sonderlich ist er durch die neugestifteten hohen Schulen zu Wittenberg, Jena und Halle, gleichsam in Meißen befestiget worden. Nicht wenig hat auch der aus Frankfurt am Mayn, größtentheils nach Leipzig gezogene Bücherhandel dazu beygetragen. Weil auch durch die fruchtbringende Gesellschaft, in diesen Gegenden, die meisten und besten deutschen Bücher geschrieben und gedrucket worden: so hat die hiesige Mundart unvermerkt in ganz Deutschland die Oberhand bekommen. Wäre dieses nicht: was würden wir für eine Sprache bekommen? Der eine würde Koaser, Boan, und oans, für Kaiser, Bein, und eins; der andere Swester, slagen, swimmen schreiben; der dritte a Mon, für ein Mann; Fasching für Fastnacht setzen; und der vierte aus Menschen Mensgen, und aus Röschen ein Röfchen machen wollen; unzähliger anderer Seltsamkeiten zu geschweigen.


6 Was ich hier von der obersächsischen Aussprache sage, will ich keineswegs auf das einzige Meißen gedeutet haben: wie ein gelehrter Mann zu Göttingen unlängst dafür gehalten hat, der dieser Landschaft die Gränzen zwischen der Elbe und Saale angewiesen; ohne doch zu bestimmen, wie hoch hinauf diese beyden Ströme genommen werden sollten. Wir können sicher auch das ganze Voigtland, Thüringen, Mansfeld und Anhalt, nebst der Lausitz und Niederschlesien dazu rechnen. In allen diesen Landschaften wird in Städten, unter vornehmen, gelehrten und wohlgesitteten Leuten ein recht gutes Hochdeutsch gesprochen: welches man a potiori, nach dem Sitze des vornehmsten Hofes, das Obersächsische zu nennen pflegt. Was oberhalb des Gebirges liegt, ist theils böhmisch, theils fränkisch; und was tiefer nach der See unter Mansfeld, dem Anhältischen, dem Churkreise, der Lausitz und Schlesien liegt, das spricht schon niedersächsisch, und hat auch, selbst im Hochdeutschen, einen fremden Ton, der hochdeutschen Ohren sehr ausländisch klingt. Es thut auch nichts zur ganzen Sache, wenn mein obiger Gelehrter erinnert: daß man in Obersachsen in der Aussprache gewisser Wörter, ja selbst in der Rechtschreibung des Deutschen nicht vollkommen eins sey. Denn ist man es hier nicht: so wird man es gewiß in andern Provinzen noch weniger seyn. Nach wem wird man sich also richten sollen? Aber es bedarf dieser Frage gar nicht. Ganz Deutschland ist schon längst stillschweigend darüber eins geworden. Ganz Ober- und Niederdeutschland hat bereits den Ausspruch gethan: daß das mittelländische, oder obersächsische Deutsch, die beste hochdeutsche Mundart sey: indem es dasselbe überall, von Bern in der Schweiz, bis nach Reval in Liefland, und von Schleswig bis nach Trident in Tyrol, ja von Brüssel bis Ungarn und Siebenbürgen, auch im Schreiben nachzuahmen und zu erreichen suchet. S. das Neueste aus der anmuth. GEL. I B. a.d. 582 u.f.S.


7 Nichts, als die Begierde nach Neuerungen, ist die wahre Quelle solcher orthographischen Seltsamkeiten: wie schon DES MARAIS, in seiner französischen Sprachlehre, von seinen Franzosen gewiesen hat. Aber eben soviel Sonderlinge, als es dort in der Rechtschreibung gegeben, haben sich auch bey uns gefunden. Dem einen misfallen alle doppelte, dem andern alle fremde Buchstaben; dem dritten alle h und y; dem vierten alle ph; dem fünften alle große Buchstaben in den Nennwörtern; der sechste will sie auch bey den Beywörtern behalten, wenn sie von Nennwörtern herkommen; u.d.m. Daher kommen denn die wunderlichen Erscheinungen, die sich in einigen alten und neuen Büchern blicken lassen. Z.E. der Pfar, Nar, Man, Sin, Got, Her, Fal, Bal, das Mas, Lam, Fas, Kam, Stam, Fus, Zin, Kin; die Tone, None, Pfare, Kine, Zine, folglich auch die Naren, Mäner, Sinen, Göter, Heren, Fäle, Bäle, Mase, Lämer, Fäser, Käme, Stäme, u.d.g. Leckerbissen mehr. Noch schreibt ein anderer: Frygien, Filipp, Filosofie, Filologie, Eufrat, Euforbus, Egipten, Libien, dabei, frei, drei, Kollege, Konrector, Kruzificks, Kristus, Kristoff, Kristian. Der dritte sparet dem Pöbel die Mühe, große Anfangsbuchstaben machen zu lernen, und zu wissen, was Nennwörter sind; und schreibt: adler, elster, iltis, ochs, urenkel, bart, dachs, fuchs, gans, hund, katze, luchs, mensch, u.s. f. ja fürst, könig, kaiser, engel, und gott. Der vierte setzet der Al, die Tat, Malzeit, Stal, Zal, raten, Feler, Mel, stelen, nemen, geboren, das Or, das Ror, der Mor, die Ur, Müle, wülen, teilen, tum, u.d.m. Der fünfte endlich will überall ein h brauchen; als in Spuhr, Fluhr, Natuhr, Flohr, der Thohr, Althar, gahr, Bahrt, Ahrt, kahm, schwehr, hehr, etc. Einige Alten schrieben, kleglich, schweher, hemmer, menner, engstigen, Gewesser, neher, fehig, Henslein, Heuser, schwebisch, frenkisch u.d.gl. Einige Neuere aber schreiben lieber gar schwär, lär, härb, Gäms, wäen, sätzen, hägen, färtig, stäts, märken. Einige wollen keinen Doppellaut mehr einfach schreiben, ungeachtet wir die Zeichen dazu haben: daher schreiben sie, Vaeter, waere, erklaeren, Soehne, Goetter, Toechter, Muetter, ruehren, fuehren, u.d.gl. Und wer will alle die Seltsamkeiten erzählen, die aus bloßer Liebe zur Neuerung, schon auf die Bahne gebracht worden? Was das nun für orthographische Gespenster sind, kann ein jeder von sich selbst sehen; und wie sehr selbige gescheiden Lesern zuwider sind, ist daraus abzunehmen: daß auch neulich eine Art von Zeitungen, bloß wegen einer so wunderlichen Rechtschreibung ganz in Verfall gerathen; aber bald wieder beliebt geworden, als man dieselbe abgeschaffet hat. Das neueste kakographische Ungeheuer sind die verdeutschten Reden des Thukydides.


8 Vielweniger wird man mit dem Pöbel, gän für geben sprechen, oder län für legen, lahn für lassen schreiben; ob diese gleich etwas gelinder zu klingen scheinen, weil sie weniger Mitlauter haben. Wenn indessen aus schreiben, Schrift, aus geben, Gift, aus bringen, 15 brachte, aus denken, dachte, entstanden ist, u.d.m. so muß man den USUM TYRANNUM auch bisweilen gelten lassen. Hier gilt die Regel aller Sprachen LITTERÆ EJUSDEM ORGANI FACILE PERMUTANTUR.


9 Wegen dieser Ableitung ist mir ein gelehrter Einwurf gemachet worden; indem man Knebelbart vielmehr von Knebeln, Knebel, Knebelspieß, herholen will. Allein, was haben alle diese Dinge für eine Ähnlichkeit mit einem Barte? Man meynet zwar das Drehen eines gekräuselten Bartes damit auszudrücken. Allein, sind denn alle Knäbelbärte gedrehet? Hernach muß man das Wort Knab nicht so wie bey uns nehmen. Auch Leute von 20 bis 30 Jahren hießen bey den Alten noch Knaben; wie die Bibel II Sam. 2 c. 14 v.u.a. lehren kann. In der Schweiz heißt diese Stunde noch ein jeder unverheuratheter Gesell, ein Knab; und wenn er 40 oder 50 Jahre alt wäre. Bergknappen, Mühlknappen, sind solche Knaben auch. Endlich wächst jungen Leuten der Bart zuerst unter der Nase: der am Kinne kömmt später. Um also jung zu scheinen, behielt man vormals den ersten, und beschor nur den letzten. Ein Knebelspieß ist gleichfalls für einen Knabenspieß anzusehen: denn er ist kürzer, als eine Lanze, und leichter, als eine Helmbarte, etwa nur eines Mannes lang. Er sollte also gleichfalls ein Knäbelspieß heißen.


10 Dieses letztere hat auch viele Wunder genommen: allein ohne Grund: 1) weil sonst kein anderer Ursprung dieser Wörter zu finden ist: 2) weil von dem Räuchern und Rauchopfer bringen in Tempeln, die Metaphore des Häuchelns und Schmäuchelns hergenommen ist; 3) weil auch die französische Redensart ENCENSER QUELQU´UN, DONNER DE L'ENCENS, und die lat. FUMUM VENDERE, völlig damit übereinstimmet. Ein großer Meister in unserer Sprache hat mir dagegen den Einwurf gemachet, daß schmeicheln von schmiegen herkäme, und gleichsam schmiegeln heißen sollte. Die Ableitung ist sinnreich: allein, die Überzeugungskraft scheint ihr gleichwohl zu fehlen. Denn die Begriffe von schmäucheln und schmiegen sind gar zu weit unterschieden; da das erste die Lobsprüche, und das andere nur eine Unterwerfung andeutet. Und gesetzt, es wäre so: wo wollte man das Heucheln herleiten? dessen u so deutlich zeuget, daß es von hauchen komme. Ist aber dieses, so erlanget auch jenes seine Wahrscheinlichkeit; zumal, da ich in alten Handschriften auch schmeuchen, und in gedruckten Büchern, Schmaichlung, Schmaichlerey; im plattdeutschen Reineke Fuchs aber, der 1711 zu Wolfenbüttel, nach der ersten Ausgabe von 1497 getreulichst nachgedrucket worden, sehr oft SMEKEN, d.i. smöken, von Smook, finde. Z.E. im VI Cap. des I B. steht.


HE WARD YW smeken, (schmeucheln) UN VORELEGHEN,

JA KAN HE, HE WERT YW WISSE BEDREGHEN.


So wie nun leghen und bedreghen, von Loog und Bedroog Lug und Trug kömmt, so kömmt auch smeken von Smook. Imgl. im 8 Cap.


DA LACH DE BAR GEVANGEN VAST,

MYT HOVET UN VŒTEN IN DER EKEN,

EIN HALP WEDER SCHELDEN NOCH smeken.


11 Indessen will man hiermit nicht alle Verwandlung der Selbstlauter läugnen. Wer weis nicht, das bisweilen in einem Worte drey, vier, ja alle Selbstlauter Statt haben; z.E. ich zie- he, ich zog, der Zug; ich nehme, ich nahm, nimm, genommen; ich breche, ich brach, brich, gebrochen, der Bruch. So kömmt auch von ich kann, können; nicht kännen; von voll, füllen, nicht völlen; u.d.m. Da sieht man, daß keine Sprache nach lauter allgemeinen Regeln gemachet ist: wie es auch im Griechischen und Lateinischen, nicht aber bloß bey den barbarischen Mönchen, gegangen. Z.E. von CÆDERE ist OCCIDERE gekommen, und jenes hatte ein æ, ob es gleich mit CADERE nicht sehr verwandt ist. Von CANO, kömmt zwar CANTUS; aber auch OCCINERE und PRÆCENTOR, welches besser PRÆCENTOR hätte heißen sollen. Von ÆQUUS, kömmt INIQUUS; von AUDIENS, OBEDIENS; u.d.gl. So haben wir auch von Gunst, gönnen, ohne zu wissen wo das o her ist; zürnen, von Zorn; Birnen, und Beeren von bären, d.i. tragen; davon auch die Baare, Gebärden, Geburt u.a.m. kommen.


12 Ich weis wohl, was man dagegen sagen kann: daß nämlich schon in sehr alten deutschen Namen, das Wort Adel vorkömmt. So zeiget z.E. in Goldasts SCRIPT. ALAM. T. II, P. I, P. M. 95 das Verzeichniß der allemannischen Namen, aus einer St. gallischen Handschrift: Adalbero, Adalbern, Adalbert, Adalbold, Adalfrid, Adalgon, Adalger, Adalgrim. Adalhard, Adalhelm, Adallant, Adalman, Adalric u.d.m. Allein, eben dieses Verzeichniß giebt uns auch die Namen, Edilef, Edilicho, Edilcho, Edilleoz, Edilloz, Edilwar, Edilwic, Edilwig u.d.m. Und wo bleiben noch die Namen Edeltrud, Edelwolf, den man in neuern Zeiten in Eitelwolf, so wie Edelwein, in Eitelwein verkehret hat, u.a.m. Wer will uns nun sagen, welche davon älter sind? oder ob nicht vielmehr die erstern durch eine plumpere Aussprache aus Edel, in Adel verwandelt worden: wie insgemein die Bauren zu thun pflegen; wenn sie für geben, nehmen, gan, nahmen, sagen? Endlich hat neulich ein Gelehrter in dem I B. des Neuesten, auf der 467 S. aus guten Gründen erwiesen: daß natürlicherweise das CON CRETUM älter seyn müsse, als das ABSTRACTUM; folglich edel, viel eher für die Wurzel anzusehen sey, als der Adel.


13 Und kömmt gleich selig viel gewisser von SALUS, darinn unstreitig der Begriff der Säligkeit liegt; wie es auch die Alten geschrieben: so wollte ich doch so scharf nicht darauf dringen: da wir auch aus θυγατηρ Tochter, aus FRATER Bruder, von κυριακη Kirche, nicht Kürche, mit ganz andern Selbstlautern, haben. Eben so kömmt das Heu, von hauen, weil es abgehauen wird; und sollte also das Häu heißen. Allein, die Gewohnheit von ganz Deutschland ist uns zuwider; und dieser muß man auch etwas nachgeben.


14 Hier dünket es einen gelehrten Mann, daß dieses wider eine bekannte Regel laufe: vielsyllbige Wörter stammeten von einsyllbigen her, nicht aber umgekehret. Allein, wer sieht nicht, daß die gebiethende Art von setzen, in der zweyten Person der einzeln Zahl auch einsyllbicht ist, setz, merk; zumal wie die Alten sie, ohne das e ausgesprochen? Denn daß hierinn die rechte Wurzel der deutschen Zeitwörter stecke, ist sonst bekannt. Hier war der Ort nicht, diese Frage weitläuftig zu untersuchen. Man lese also oben, anstatt merken, merk, anstatt setzen, setz; so ist der Zweifel gehoben. Die Franzosen müssen ihr MAR QUE, MARQUER, unstreitig von uns Deutschen herholen; und Egenolf hat gar den Gott Mercur von merken hergeleitet: weil dieser Gott in den STATUIS MERCURIALDBUS oder Wege- und Gränzsäulen, nichts anders, als ein Merker gewesen, der den Reisenden zum Merkmaale gedienet. So müßte denn Merkur, ein k haben. Und wirklich ist Mercur als ein Wegegott, weder von griechischer, noch lateinischer Abkunft, und könnte also leicht von den ältesten Einwohnern Wälschlandes, den Oscern, Volskern, oder Wälschen, Wallern, oder Galliern und Celten, die es, als die ABORIGINES, zuerst bewohnet haben, seinen Ursprung nehmen. Ob man aber deswegen auch nätzen von naß, sätzen, von Satz, schmäcken von Schmack, Schälle von Schall, bässer von baß, wäcken von wachen, u.d.m. nothwendig schreiben müsse, das habe ich schon oben durch die Beyspiele der lateinischen Sprache beantwortet. Von POPULUS kömmt Pöbel, von CORPUS Körper, von CUSTOS Küster; ob man aber deswegen auch von FLAGELLUM Flägel schreiben wolle, stelle ich dahin. Haben doch die Lateiner aus μητερ MATER, und aus πους, PES gemachet, ohne daß man sie eines großen Fehlers beschuldiget. Ja wir selbst haben aus MATER, Mutter, und aus FRATER, Bruder, aus MAGISTER, Meister, aus PRESBYTER, Priester, aus CARCER, Kerker gemachet. Keine Sprache ist ohne solche Unrichtigkeiten.


15 Ich weis es wohl, daß auch unter den Sprachlehrern sich einige gefunden, die uns, oder vielmehr nur dem Pöbel, das Schreiben dadurch zu erleichtern gesuchet, daß sie alles, was eine Schwierigkeit machen kann, wegzuschaffen gelehret. Und so haben sie auch das ph aus Filosofie, Filippus, u.d.gl. zu verbannen gesuchet. Zur Probe, wie es aussehe, will ich nur folgende Strophen eines Zesianers hersetzen. Sie sind aus dem Frygier Äneas a.d. 507ten S.


War ein häller Glanz der Ärden,

Danae die Tugendkärz,

In ein überfästes Ärz

Muste si verstäkket werden.

Irer klaren Augen Pracht

Gönte man der Schattennacht.


Jupiter gerit in leiden,

Das der Sonnen gleiche Schein

Sollte so benachtet seyn,

Sprach: ein Turm der sol uns scheiden.

Di so tolle Vaterlist

Eine Brunst so götlich ist.


Hämme Vater deinem Kinde,

Das kein Got, noch sonst ein Man,

Der si dir entnämen kan,

Sich bei irer Schönheit fünde:

Schlüsse si for Rägen ein,

Sonsten wül ich Rägen sein. etc.


Allein, wenn alles das, was Unwissenden eine Schwierigkeit machet, wegbleiben soll: so müssen wir auch das v, b, d, und g abschaffen, welche durch f, p, t und k, oder ch ersetzet werden können: indem der Pöbel bisweilen fater, fon, Pauer, Prunn, Tafit für David, und kanz für ganz zu schreiben pflegt. Allein, das hieße ja nach Erfindung des Getraides wiederum zu den Eicheln umkehren; die Schönheit aller Sprachen völlig zu Grunde richten, und die Wurzeln der Wörter ganz verloren geben.


16 Ich finde in einer alten Ausgabe der CENTO NOVELLE, des Boccaz, heurathen: und dieses hat mir die wahre Herleitung dieses Wortes von heuer, heuren oder miethen, an die Hand gegeben. Giebt es doch auch Verträge auf Lebenslang; also kann ja auch eine Ehe ein solcher Miethvertrag heißen.


17 Grabmaal, oder Maal überhaupt, will einem gelehrten Manne nicht gefallen, weil man in der mehrern Zahl, Mäler saget. Allein, da hier ein Doppellaut ohne dieß schon lang ist, so kann er nicht verdoppelt werden; zeiget aber, daß auch in der einfachen Zahl schon eine sehr lange Syllbe gestanden habe. So haben Saal, Quaal, auch Säle, quälen; von Stral aber kömmt nur Stral[en], von Zahl, Zahlen, von Tag, Tage. Die Österreicher aber, die in der mehrern Zahl sagen Täge, sprechen auch das Tag so lang aus, als ob sie Taag geschrieben hätten. Der große Anfangsbuchstab unterscheidet zwar Mal von mal, in einmal etc. aber nur im einfachen; und in der Zusammensetzung gar nicht; folgends langet es nicht zu. Und das lateinische MALLUS, welches man mir einwendet, gehöret wohl hier nicht her: denn Grabmäler, Denkmäler, Ehrenmäler, oder Mäler im Gesichte, am Leibe u.s.w. haben mit jenem nichts gemein; es wäre denn, daß diese alten Gerichte bey einem gewissen aufgestellten Maale gehalten worden, wobey sich die Stände des Volkes versammlet haben.


18 Dieser Regel zufolge sieht man nicht, wie gewisse Orthographisten, die allen doppelten Buchstaben, dem y und dem h feind sind, Gott von einem Gothen, die Tonne von Tone, das Mus, und das Muß: die Weisen, und den Weysen, von weißen; reisen von reißen; Schafe, von schaffen; schlafen, vom schlaffen; Seyten, chordæ, von Seiten, latera; Kreisen vom kreißen; Hasen, von hassen; Fasen, von fassen; blasen, von blassen; Zähren, zehren, von zerren, u.d.m. unterscheiden wollen; wenn sie beydes Got, Tone, Mus, Weisen, reisen, Schafen, schlafen, Seiten, Kreisen, hasen, Fasen, blasen, zeren, u.d.m. schreiben. Man wendet mir ein, VIR. SAPIENS solle auch ein weißer Mann heißen, weil es von wissen, herkömmt. Allein, aus der unbestimmten Art, wissen, wo der Doppellaut weggefallen, und durch ein doppeltes s ersetzet worden, kann man solches nicht schließen. Es kömmt aus der gegenwärtigen Zeit, ich weis, du weist, er weis: und das biblische du weißest alle Dinge etc. ist offenbar ein Fehler: denn wie will man DEALBAS anders sagen, als du weißest die Wand, mit Kalke? Du weisest aber heißt, du zeigest. Man machet mir den Einwurf, daß die Lateiner MALUM, den Mastbaum, nicht von MALUS böse, auch POPULUS, die Pappel, nicht von POPULUS, das Volk, unterschieden. Allein, Quintilian belehret mich von dem Gegentheile. Die Alten, saget er, schrieben das erste MAALUM, und das letzte POOPULUS, zum Unterschiede der kurzen Syllben. Habens die Neuern nicht beybehalten: schlimm genug! Bösen Exempeln muß man nicht folgen. Eine Schüte, ist keine Schütte Stroh; und ich werde sie niemals vermischen; wie man mir Schuld giebt.


19 Aus dieser Analogie kömmt es her, daß man von Berg, Gebirg, von Werk, wirken, nicht Gebürge, würken, schreiben muß: weil vom e zwar oft ein i, aber fast niemals ein ü zu werden pflegt. Eben daher kömmt es, daß man von kennen, ich kannte, und gekannt, imgleichen ich bin bekannt, sagen muß; nicht kennete, gekennt und bekennt. Eben so saget man von brennen, nennen; brannte nicht unser Herz? Das Holz ist verbrannt; er wird so genannt, u.d.m. Aus dieser Ähnlichkeit läßt sich in den Zeitwörtern die Regel herleiten: daß die unrichtigen, in der zweyten und dritten Person der gegenwärtigen Zeit einzelner Zahl, entweder den Selbstlaut ändern, oder doch die zwo Syllben in einer zusammen ziehen. Z.E. Wie man saget, ich spreche, du sprichst, er spricht, und von breche, du brichst, er bricht, nicht sprechest, sprechet, oder sprichest, sprichet: also heißt es auch ich nehme, du nimmst, er nimmt; ich trage, du trägst, er trägt, ich komme, kömmst, kömmt. Hiervon sind nur die Wörter ausgenommen, die durch den Zusammenlauf von d und t, oder tt, einen zu rauhen Übelklang machen würden: z.E. von ich leide, sollte kommen du leidst, er leidt; von ich bitte, du bittst, er bitt. Da aber dieses viel zu hart klingt, so saget man lieber leidest, leidet, wie bittest, bittet. Gleichwohl machet rathen dessen ungeachtet du räthst, er räth, nicht räthet. Doch davon ein mehrers bey den unrichtigen Zeitwörtern.


20 Hierbey ist nur die Ausnahme zu machen: wenn nicht bereits eine andere Benennung oder Aussprache durchgehends eingeführet worden. Z.E. Eigentlich sollten wir nach dem Hebräischen, Mosche, nicht Moses, Jitzchak, nicht Isaak, Jehuda, nicht Juda sagen: und so hat der werthheimische Dollmetscher uns alle biblische Namen ausgedrücket: allein umsonst, da ganz Europa sie schon anders gewohnet ist. Eben so hat uns derselbe in der Geschichte des osmannischen Reiches, die türkischen Staatsbedienungen auf recht türkisch aussprechen gelehret; aber wiederum zu spät: nachdem ganz Europa sie schon ganz anders auszusprechen gewohnt ist. Wird man wohl künftig die Janitscharen, Jengitscheri heißen? Eben so sollten wir eigentlich das Land China, Tschina, und das Volk selbst die Tschineser nennen. Allein, ganz Deutschland spricht und schreibt schon längst China; und dabey muß mans lassen. Eben so würden wir viel wälsche, spanische, französische und engländische Namen nicht mehr kennen, wenn wir sie nach der Aussprache dieser Völker schreiben wollten; ja, wir würden hernach in fremden Büchern die Leute nicht mehr kennen, die wir im Deutschen ganz anders gefunden hätten. Indessen geht es bey etlichen an, daß man die gleichgültigen Buchstaben brauchet: Z.E. SECRETAIRE, kann man Secretär, MARECHAL, durch Marschal, (wiewohl dieß eigentlich deutsch ist, von Mähre, ein Pferd, und Schalk, ein Knecht) SCHELING, ein Schilling setzen, u.s.w. Bey allem aber wollte ich es doch nicht rathen. Z.E. wer Chalons, Champagne, Jour nal, Courtray, Bourdeaux, Blois, u.d.m. Schalong, Schampange, Schurnal, Kurträ, Burdo, Bloa schreiben wollte, würde theils unverständlich, theils lächerlich werden.


21 Will man hier fragen, welche Regel nachgeben solle? so läßt sich keine allgemeine Antwort geben. Bald muß die eine, bald die andere weichen. Oft weicht die Abstammung der Ähnlichkeit; oft diese jener; oft beyde dem Wohlklange. Oft hat der Gebrauch noch etwas anders eingeführet, das an sich ganz unrichtig ist, aber doch von einem ganzen Volke gebilliget wird. Es ist also einem Sprachlehrer nicht möglich, eine einzige allgemeine Vorschrift zu geben. Z.B. nach der Ähnlichkeit des Wortes Fürsprecher, Fürspruch, sollten wir auch sagen, der Fürmund, nicht Vormund; weil dieser für den Unmündigen sprechen muß. Allein, ganz Deutschland saget Vormund. Hier trösten mich die Lateiner, die auch ihr PRÆ und PRO nicht allemal richtig gebrauchen. Denn da das letztere eigentlich für d.i. LOCO ALTERIUS, VICARIO NOMINE, anstatt, heißen sollte: so sagen sie doch PROPONERE, PROPOSITIO, so daß es einen bloßen Vortrag bedeutet.


22 Die Ursache davon ist, weil bey den Alten das h an sich schon hart genug ausgesprochen ward, und also leicht in ein ch übergieng. Indessen pflegen wir doch von mögen, ich mochte, von bringen, ich brachte, und von denken, ich dachte, zu sagen und zu schreiben: so daß eine Verwandelung verschwisterter Mitlauter geschieht, die mit einerley Werkzeuge ausgesprochen werden. So wird auch von ziehen, ich zog, der Zug, nicht ich zoh: weil von den Alten das h so stark aus dem Halse gestoßen ward, daß man es mit seinem Nachbar dem g der auch aus der Gurgel kömmt, verwechseln konnte. Es ist also unnöthig, mit einigen mogte, mögte zu schreiben. Denn sonst müßte man auch von bringen und denken, bragte, dakte, anstatt brachte, dachte, setzen.[120]


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 100-121.
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