I Abschnitt.
Von der Beywörter Abänderung.

[296] 1 §.


Nachdem wir schon wissen, daß sowohl die Geschlechtsals Hauptwörter, theils in einfacher, theils in vielfacher Bedeutung verschiedene Endungen haben, um den Sinn einer Rede deutlich zu machen: so hat es keine Schwierigkeit mehr, daß auch die Beywörter solche Abänderungen annehmen müssen. Sie haben also fürs erste einfache und vielfache Zahlendungen (NUMEROS SINGULARES ET PLURALES): z.E. Der gute Freund, die guten Freunde. Zweytens auch in einer und derselben Zahl verschiedene Fallendungen (CASUS); als: guter Muth, gutes Muthes, gutem Muthe, guten Muth, u.s.w. Endlich haben sie auch noch die Änderungen dreyer Geschlechter. Denn weil die Beywörter sich zu allen Hauptwörtern schicken müssen: so müssen sie auch die verschiedenen Geschlechter derselben gewissermaßen annehmen: ein alter Mann, eine alte Frau, ein altes Haus.


Die 1 Abänderung der Beywörter.


2 §. Aus diesen dreyerley Anmerkungen entsteht nun die erste Abänderung der Beywörter, mit dem unbestimmten Geschlechtsworte, ein, eine, ein; deren Muster so aussieht:


[296] Einfach.


Ein junger Mann, Eine junge Frau, Ein junges Kind,
eines jungen
Mannes, einer jungen Frau, eines jungen Kindes,
einem jungen
Manne, einer jungen Frau, einem jungen Kinde,
einen jungen Mann, eine junge Frau, ein junges Kind,
o ein junger Mann, o eine junge Frau, o ein junges Kind,
von einem jungen von einer jungen von einem jungen
Manne. Frau. Kinde.

Da wir schon oben (4 §.) angemerket haben, daß das unbestimmte Geschlechtswort in der mehrern Zahl unsichtbar wird, oder wegfällt, so ist es auch hier also:


Vielfach.


Junge Männer, Junge Frauen, Junge Kinder,
junger Männer, junger Frauen, junger Kinder,
jungen Männern, jungen Frauen, jungen Kindern,
junge Männer, junge Frauen, junge Kinder,
o ihr jungen
Männer, o ihr jungen Frauen, o ihr jungen Kinder,
von jungen
Männern. von jungen Frauen. von jungen Kindern.

3 §. Wir sehen also aus diesem Exempel, daß ein jedes Beywort mit dem unbestimmten Geschlechtsworte, in den dreyen Geschlechtern der einfachen Zahl die Endung er, e, und es annimmt; und so weiter in der zweyten und dritten Endung en, en, en bekömmt etc. So wie es nun in diesem Muster geht, so geht es überall. Nur in der mehrern Zahl sind aller dreyen Geschlechter Endsyllben in allen Fallendungen einerley. Man merke hiebey nur an, daß außer der dritten, fünften und sechsten Endung der vielfachen Bedeutung, kein n zu dem Beyworte gehöret: und daß also einige selbiges sehr unrecht zur ersten und vierten Endung setzen wollen. Sie irren sich aber zwischen den verschiedenen Geschlechtswörtern: denn was bey dem bestimmten der, die, das, angeht und nöthig ist, das ist bey dem unbestimmten überflüßig.[297]


Die II Abänderung der Beywörter.


4 §. Diese entsteht wegen der Verbindung mit dem bestimmten Geschlechtsworte, der, die, das, und hat ein Vieles, was von der ersten abgeht. Denn was die erste Endung der einfachen Zahl betrifft, so verliert gleich das männliche Geschlecht des Beywortes sein r, und das ungewisse sein s: denn man saget nicht mehr, der alter Mann, das altes Haus, wie oben; sondern durchgehends, der, die, das alte2. In den übrigen Endungen geht es eben so, wie folgendes Muster zeigen wird:


Einfach.


Der arme Mann, Die arme Frau, Das arme Kind,
des armen Mannes, der armen Frau, des armen Kindes,
dem armen Manne, der armen Frau, dem armen Kinde,
den armen Mann, die arme Frau, das arme Kind,
o du armer Mann, o du arme Frau, o du armes Kind,
von dem armen
Manne. von der armen Frau. von dem armen Kinde.

Vielfach.


Die armen Männer, Frauen, Kinder,
der armen Männer, Frauen, Kinder,
den armen Männern, Frauen, Kindern,
die armen Männer, Frauen, Kinder,
o ihr armen Männer, Frauen, Kinder,
von den armen Männern. Frauen. Kindern.

[298] 5 §. Bey dieser Abänderung ist nur zu merken: daß hier das bestimmte Geschlechtswort in der vielfachen Zahl, bey dem darauf folgenden Beyworte ein n erfodert; nicht aber mit einem e zufrieden ist, wie das unbestimmte. Man spricht z.E. gelehrte Leute sind einem Lande unentbehrlich; aber nicht: die gelehrte, oder die gelehrteste Leute sind der Meynung; sondern die gelehrten, oder die gelehrtesten Leute sind etc.3 Viele, die diesen Unterschied nicht wissen, oder bemerken wollen, beißen hier sehr unrecht das n ab, sonderlich in gewissen Landschaften, die man daran kennen kann. Eben das ist bey den Fürwörtern, dieselben, diejenigen, zu merken: die, wegen des mit ihnen verknüpften die, in der vielfachen Zahl, allemal ein n an den Beywörtern erfodern; wie bald folgen wird.

6 §. Noch eins ist wegen des bestimmten Artikels, oder Geschlechtswortes zu merken. Wie nämlich selbiges in der ersten Endung der einzelnen Zahl, dem Beyworte das r im männlichen, und das s im ungewissen Geschlechte benimmt; indem man nicht saget, der armer Mann, das armes Kind; sondern der, die, das, arme: eben so verlieren auch die zweyte, dritte und sechste Endung, in der einfachen und vielfachen Zahl, die gewöhnlichen Endbuchstaben der Geschlechter; weil der Artikel dieselben schon hat. Man saget nämlich nicht, des armes Mannes, dem armem Manne; oder der armer Männer, u.s.w. sondern das n tritt an die Stelle aller dieser Endbuchstaben, so lange das bestimmte Geschlechtswort zugegen ist. Ein anders wäre es, wenn dieses wegfiele; denn da würde sich die Geschlechtsendung an dem Beyworte wieder einstellen: wie folgende Abänderung zeigen wird.[299]


Die III Abänderung der Beywörter.


Ohne Geschlechtswort.


7 §. Diese zeiget den Gebrauch der Beywörter ohne alle Geschlechtswörter. Zwar bey allen Hauptwörtern ist es nicht möglich, dieselben so anzubringen: allein bey vielen, die in einer sehr unbestimmten Bedeutung genommen werden; als Bier, Brod, Fleisch, Luft, Milch, Wasser, Wein, u.d.gl. so daß man sie auch für sich, ohne Geschlechtswort setzen kann; da haben die Beywörter auch statt. Denn wie ich sagen kann, Wein ist besser, als Bier; Fleisch ohne Brod ist nicht gesund; Milch ist nahrhafter, als Wasser; Luft schöpfen; Athem holen; Holz kaufen; Leder gerben u.s.w. eben so kann man auch sagen: alter Wein, gutes Bier, fettes Fleisch, süße Milch, frische Luft u.s.w. Imgleichen das Kleid ist aus feinem Tuche gemachet; dieß Tuch ist von guter Farbe; das Buch ist von großem Werthe; treuem Rathe muß man folgen, und was dergleichen Ausdrückungen mehr sind.

8 §. Weil man also wissen muß, wie dergleichen Beywörter abgeändert werden müssen: so mögen folgende Muster es zeigen.


Einfach.


Starker Wein, Feine Haut, Zartes Papier,
starkes Weines, feiner Haut, zartes Papieres,
starkem Weine, feiner Haut, zartem Papiere,
starken Wein, feine Haut, zartes Papier,
o starker Wein, o feine Haut, o zartes Papier,
von starkem Weine. von feiner Haut. von zartem Papiere.

Vielfach.


Starke Weine, Feine Häute, Zarte Papiere,
starker Weine, feiner Häute, zarter Papiere,
starken Weinen, feinen Häuten, zarten Papieren,

[300]
starke Weine, feine Häute, zarte Papiere,
o starke Weine, o feine Häute, o zarte Papiere,
von starken Weinen. von feinen Häuten. von zarten Papieren.

9 §. Man sieht also, daß diese Abänderung von beyden obigen unterschieden ist. Die zweyte Endung nämlich, giebt dem Beyworte das s, r, welches in jener das Geschlechtswort hatte: und wodurch dessen Abwesenheit gleichsam ersetzet wird. Eben so geht es in der dritten und sechsten Endung mit dem m; und in der vielfachen Zahl mit dem r in der zweyten Endung. Diejenigen fehlen also, die solche Endungen in dergleichen Fällen versäumen, oder sich nach obigen Abänderungen richten. Z.E. Es würde falsch seyn, zu sagen: sie sind voll süßen Weines. Denn es muß heißen süßes Weines: nicht anders, wie man saget, gutes Muths. Es ist falsch: guten Rathe muß man folgen; es soll heißen: gutem Rathe etc. So auch aller Orten und Enden; vieler Orten u.d.gl.

10 §. Noch fraget es sich, wie man es mit den Beywörtern zu halten habe, die als Hauptwörter gebrauchet werden? z.E. weise, gelehrt, klug, schön, stark, u.d.gl. Sobald dergleichen Wörter zu Hauptwörtern werden, nehmen sie alle obige Artikel an, behalten auch alle ihre Endungen, die sie als Beywörter gehabt haben. Z.E. Ein Weiser ist besser, als ein Starker; und, der Weise ist besser, als der Starke. Eine Schöne bezwingt oft einen Starken. Es irren also alle die, welche sagen, ein Weise, seiner Schöne, von meiner Liebste, u.d.gl. Denn nach dem unbestimmten Geschlechtsworte des ersten gehörete das r; und nach den beyden letzten das n. In der mehrern Zahl aber kann man dergleichen Wörter ohne Artikel gar nicht brauchen: man spricht, die Gelehrten sagen; nicht, Gelehrten sagen: Die Schönen wissen es; nicht, Schönen wissen es.

11 §. Wenn die Beywörter nach den Hauptwörtern gesetzet werden, so verlieren sie alle ihre Geschlechts-Endungs- und[301] Zahlzeichen, (SIGNA GENERIS, CASUS, ET NUMERI,) und werden so unveränderlich, wie die Nebenwörter. Z.E. Der Held ist groß, nicht großer; Helena ist schön, nicht schöne; und das Land ist reich, nicht reiches. Imgleichen: die Menschen sind sterblich, die Blumen werden welk, und die Häuser schlecht; nicht sterbliche, welke, und schlechte. Dieses scheint unsere Sprache als ganz etwas besonders an sich zu haben: und man wird, außer bey ihren Schwestern, schwerlich etwas dergleichen finden. Der Franzos saget wenigstens: LES JOURS SONT BEAUX, LES FEMMES SONT BELLES; nicht BEAU, durchgehends; oder auch BELLE bey dem letzten allein. Dieses erleichtert also Fremden den Gebrauch unserer Beywörter um ein Vieles.

12 §. Dieses letzte Wort erinnert mich eines Fehlers, der damit begangen zu werden pflegt, wenn man es zum Hauptworte machet. Wie man nämlich von vortrefflich, gelehrt, schön, u.d.gl. sagen kann, etwas Vortreffliches, etwas Gelehrtes, etwas Schönes: so kann man auch von groß, klein, viel, u.d.gl. ein Großes, ein Kleines, ein Vieles machen. Z.E. Wenn man saget: dieses Gesetz trägt ein Großes zur gemeinen Wohlfahrt bey: so spricht man recht. Nach diesem Muster nun muß man auch sagen: über ein Kleines; ein Langes und Breites; und die Schönheit der Sprache thut ein Vieles zu dem Ruhme eines Volkes. Es ist also wider die Sprachähnlichkeit, wenn einige sprechen: dieses thut vieles, oder trägt vieles dazu bey; ohne das Geschlechtswort ein hinzu zu setzen. Denn wenn dieses nicht dabey steht, so sollte man schlechterdings, nach der obigen Regel (§. 5.) sagen: es thut viel, es trägt viel dazu bey.

13 §. Noch eine Anmerkung wegen der Beywörter kann hier nicht schaden, um den Misbräuchen gewisser Neuern vorzubeugen, die sich den Ruhm einer schönen Schreibart nur durch Verdrehungen der Wörter zu erwerben suchen. Da es in gewissen Fällen nöthig gewesen ist, den Mangel gewisser[302] Hauptwörter durch Beywörter zu ersetzen; z.E. wenn man das ὕψος aus dem Longin, durch das Erhabene, auszudrücken gesuchet; weil die Hoheit einen ganz andern Begriff erweckete: so haben sich Schriftsteller gefunden, die solches auch bey solchen Beywörtern nachgethan, wo gar keine Noth es erforderte. Sie haben z.E. das Große, das Schöne, das Edle, und wer weis was für Wörter mehr gemachet: da wir doch die Größe, die Schönheit und den Adel schon hatten4. Meine Warnung geht also dahin, ohne dringende Noth solche Neuerung nicht zu machen: denn eben dadurch hat das Latein des goldenen Alters, in den abfallenden Jahrhunderten, alle seine Schönheit und Reinigkeit in ein wildes Wesen verwandelt.

Fußnoten

1 Nur muß man sich hier vor einer unbändigen Neuerungssucht hüten, die im Reiche einigen Kanzleyscribenten anklebet. Diese hecken fast ohne Unterlaß solche Wörter, als sonstige, nunige, soige, mehrige, ohnige, kaumige, schonige und dergleichen Misgeburten mehr aus, die vernünftigen Deutschen nur einen Gräuel erwecken.


2 Hier hat vor hundert und mehr Jahren, Schottel eine andere Meynung gehabt; und so geschrieben:


Wenn Naso so verzückt wollt eine Liebste zwingen,

Der großer Cicero so gar beweglich sprach:

Der tiefer Tacitus die Klugheit oben brach.


imgl. der silberheller Mond etc. u.d.gl. S. sein Buch der deutschen Spracheinleitung, in dem Gedichte, das er vorangesetzet, a.d. 14 S. Dieses hat aber weder vor ihm jemand geschrieben, noch nach seiner Zeit nirgends Beyfall gefunden.


3 Und das sowohl wenn zwey drey Beywörter zugleich stehen, als wenn eins allein ist; es wäre denn, daß man des Wohlklanges wegen, das r der zweiten Endung in der mehrern Zahl, nicht vielmal wiederholen wollte. Z.E. Vieler großen, berühmten Leute Meynung ist etc. anstatt vieler großer berühmter etc.


4 Bey den meisten, die sich dieses Fehlers schuldig gemachet, ist es eine blinde Nachäffung der Franzosen gewesen, die seit einiger Zeit nur aus einer unzeitigen Neuerungssucht, LE BEAU, LE BON, für LA BEAUTÉ, LA BONTÉ; imgl. LE GRAND, LE FIN, LE TENDRE u.d.gl. für LA GRANDEUR, LA FINESSE, und LA TENDRESSE ZU schreiben angefangen. Allein, CUI BONO? möchte man hier fragen. Denn was hat man es nöthig, solche unnütze Neuerungen zu machen, da man Wörter genug hatte, eben das auszudrücken? Da sind nun manche bey uns in solchen Wörtern recht ausschweifend kühn; indem sie das Leichtfertige, das Feine, das Kühne, das Lose, ja wohl gar das Schalkhafte geschrieben haben, wenn sie die üppigsten Zoten zu verstehen geben wollen. Kurz, es ist eine lächerliche Modesucht.[303]


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 296-304.
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